Innere Psychophysik.

XXXVI. Übergang von der äußeren zur inneren Psychophysik.

    Unsere bisherigen Untersuchungen, Resultate, Formeln bewegten sich wesentlich im Gebiete der äußeren Psychophysik und nur beiläufig und gelegentlich griffen wir damit auf das der inneren Psychophysik vor und über. Es ist aber, wie ich früher geltend gemacht, die äußere Psychophysik nur die Unterlage und Vorbereitung für die tiefer führende innere Psychophysik.

    Rufen wir uns zurück: nicht der Reiz erweckt unmittelbar Empfindung, sondern zwischen ihn und die Empfindung schiebt sich noch eine innere körperliche Tätigkeit, wir nannten sie kurz die psychophysische, ein, die vom Reize erweckt wird, und die nun erst unmittelbar Empfindung mitführt oder nachzieht, je nach einer verschiedenen Ansicht, über die wir uns im folgenden Kapitel entscheiden; und die gesetzliche Beziehung zwischen dem äußeren und inneren Endgliede dieser Kette, Reiz und Empfindung, übersetzt sich notwendig in eine solche zwischen dem Reize und diesem Mittelgliede einerseits und zwischen diesem Mittelgliede und der Empfindung anderseits.

    In der äußeren Psychophysik haben wir dieses Mittelglied so zu sagen übersprungen, indem wir, der direkten Erfahrung folgend, die gesetzliche Beziehung doch bloß zwischen den Endgliedern dieser Kette, dem Reize, welcher der äußeren, und der Empfindung, welche der inneren Erfahrung bloß liegt, direkt zu konstatieren vermochten. Im Eingange zu der inneren Psychophysik haben wir uns vom äußeren Endgliede zu dem Mittelgliede überleiten zu lassen, um fortan dessen Beziehung statt der des äußeren Endgliedes zu dem inneren Endgliede in Betracht zu ziehen. Den Reiz lassen wir dann fallen, nachdem er seinen Zweck erfüllt hat, uns zum Mittelgliede zu geleiten. In eine Uhr kann man nicht hineinsehen, aber dem Gange des äußeren Zeigers den Gang des Rades, das ihn mitführt, entsprechend halten, so lange die Uhr in rechtem Gange ist. Diesen äußeren Zeiger vertritt uns hier der Reiz, indes die psychophysische Bewegung den Gang des Rades vorstellt, nur daß es umgekehrt als bei der Uhr der Zeiger ist, der hier das innere Rad dreht.

    Freilich kann der Gang des Zeigers uns nicht allein Aufschluß über die innere Bewegung geben; es gehört auch eine Kenntnis des inneren Getriebes dazu; und was Anatomie und Physiologie uns von dem inneren körperlichen Getriebe lehrt, das unserem geistigen Treiben unterliegt, ist bisher bei Weitem zu unvollständig, um sichere Schlüsse auch nur über das Allgemeinste der Natur der psychophysischen Bewegung zu erlauben. Sind es elektrische, chemische, mechanische, so oder so geformte Bewegungen eines ponderabeln oder imponderabeln Mediums? Sagen wir einfach, wir wissen es nicht; doch wird die Folge selbst zeigen, daß wir in die innere Psychophysik bis zu gewissen Grenzen einzudringen vermögen, ohne daß wir es wissen, ohne daß wir einer Kenntnis oder besonderer Voraussetzungen über die Natur, d. i. Substrat und Form der psychophysischen Bewegung bedürfen, nur daß gewisse Verhältnisse derselben als bekannt, nur daß diese bis zu gewissen Grenzen am äußeren Reize ablesbar sind.

    In der Tat hat man die beiden Fragen wohl zu unterscheiden und in der Behandlung zu scheiden: welcher Natur ist die psychophysische Bewegung, und an welchen Verhältnissen dieser Bewegung hängen diese und jene Verhältnisse der geistigen Bewegung? Die erste Frage bleibt zunächst dahingestellt, weil sie für jetzt noch nicht zu entscheiden ist, um in einem der Schlußkapitel eine allgemeine Ansicht darüber auszusprechen, indes es sich für jetzt nur um Fragen zweiter Art und hiermit nur um Verhältnisse der psychophysischen Bewegung handeln wird, die gültig bleiben, gleich viel, was sich zuletzt als die Grundnatur dieser Bewegung erweisen wird. Und wohl in keiner Lehre ist es so wichtig, als in unserer, ja es ist als eines der ersten Formalprinzipe derselben anzusehen, das voranzustellen, was für alle Voraussetzungen gültig bleibt, und unentschieden zu lassen, was unentschieden bleiben kann, so lange noch Zweifel über die Entscheidung bleiben können. Übrigens haben wir lange genug in der Physik eben so zur Lehre vom Lichte gestanden und stehen noch so zur Lehre von der Elektrizität. Denn was ist Elektrizität? Sagen wir einfach, wir wissen es nicht; und wie entwickelt ist doch schon die Lehre von der Elektrizität!

    Auch hat uns schon die äußere Psychophysik beweisen können, daß es nicht die Natur der Bewegungen ist, um was es sich bei den wichtigsten Fragen in dieser Lehre handelt, sondern daß es Verhältnisse dieser Bewegungen sind. Wenig hat uns die Natur des Reizes, ob es Licht, oder Schall, oder Gewichte waren, zu kümmern gebraucht, es war in keiner Weise nötig, auf die Natur dieser Reize und der von ihnen erweckten Bewegungen einzugehen, um die Grundgesetze der äußeren Psychophysik festzustellen, und so werden wir auch die innere Psychophysik an die äußere anknüpfen und die wesentlichsten Punkte derselben feststellen können, ohne daß sich das Bedürfnis geltend macht, die Natur der psychophysischen Bewegung zu kennen.

    Die erste, die Hauptfrage, um die sich’s hierbei zu handeln hat, und an die wir uns nach Erörterung einiger allgemeiner Vorfragen im folgenden Kapitel zunächst wenden, wird die sein, welche Übersetzung die Fundamente der äußeren Psychophysik, das Weber’sche Gesetz und die Tatsache der Schwelle, die in der Fundamentalformel und Maßformel ihren Ausdruck finden, beim Übergange in die innere Psychophysik zu erfahren haben. Diese Übersetzung gestattet von vorn herein eine Wahl, mit deren Entscheidung der Eingang in die innere Psychophysik entschieden und der erste Grund derselben gelegt sein wird. Das 38. Kapitel ist bestimmt, zu dieser Entscheidung zu führen. Nun könnte es scheinen, daß, nachdem wir hiermit ganz ins Innere getreten sind, wir des Weiteren von der Erfahrung ganz verlassen sind. Aber so ist es nicht. Vielmehr vermögen wir dem, was von der äußeren Psychophysik her angebahnt wurde, mit Erfahrungen von Innen her entgegenzukommen und zu begegnen, um hiermit die außen angeknüpfte Kette des Schlusses teils weiter zu führen, teils fester zu ziehen. Einmal steht uns über unser ganzes Seelenleben unmittelbar die innere Erfahrung zu Gebote, zweitens kennen wir das Organ der psychophysischen Tätigkeit und seine Leistungen, wenn auch erst unvollständig, doch bis zu gewissen Grenzen, und täglich vervollständigt sich diese Kenntnis durch neue Tatsachen der Anatomie, Physiologie und Pathologie; wonach nicht bloß das äußere Endglied, der Reiz, sondern auch das innere Endglied, die Empfindung, und etwas von dem Zwischengliede, dem Organe der psychophysischen Tätigkeit, samt dem gesetzlichen Nexus zwischen dem äußeren und inneren Endgliede, Gegenstände der Erfahrung sind, so daß dem Schlusse bloß noch übrig bleibt, die Lücke auszufüllen, welche die Erfahrungen in Betreff des unmittelbaren Eingreifens der Endglieder in das Zwischenglied übrig lassen.

    So gut nun die Verhältnisse des äußeren Endgliedes, des Reizes, gewisse Forderungen an die Verhältnisse des inneren Zwischengliedes der psychophysischen Bewegung stellen, welche uns von einer Seite her hierzu befähigen, ist es mit den Verhältnissen des inneren Endgliedes, der Empfindung, von der anderen Seite her der Fall. Zwar können wir in keiner Weise aus der Natur der geistigen Bewegungen auf die Natur der unterliegenden körperlichen Bewegungen schließen, d. h. schließen, welches Substrat und welche Form diesen Bewegungen zukomme, wohl aber schließen, daß dem psychischen Zusammenhange ein psychophysischer Zusammenhang, der psychischen Auf- und Auseinanderfolge eine psychophysische, der psychischen Ähnlichkeit und Verschiedenheit eine psychophysische, der psychischen Stärke und Schwäche eine psychophysische entspreche, soweit das Psychische seine Unterlage im Physischen hat. Denn nicht nur würde sich ohne solche Bezugsbedingungen eine funktionelle Beziehung zwischen beiden gar nicht annehmen lassen, sondern es berechtigen uns auch dazu die Erfahrungen, die wir im Gebiete der äußeren Psychophysik machen können, sofern die Beziehungen zwischen den Wirkungen des Reizes und der Empfindung in solche zwischen psychophysischer Bewegung und Empfindung übersetzbar sind.

    Insofern wir nun künftig mehrfach von diesem Prinzipe werden Gebrauch zu machen haben, möge es in Ermangelung eines passenderen Ausdruckes dafür und in Betracht dessen, daß es mit einer funktionellen Beziehung zwischen Leib und Seele von selbst wesentlich gesetzt ist, mit dem kurzen Namen des Funktionsprinzips bezeichnet und durch ein Beispiel erläutert werden.

    Erinnerungen entwickeln sich aus Anschauungen, unter Voraussetzung eines allgemeinen Bewußtseins, in dem beide inbegriffen sind. Ohne die psychophysischen Prozesse zu kennen, die den einen und den anderen unterliegen, können wir doch nach dem Funktionsprinzipe schließen, daß die psychophysischen Bedingungen der Erinnerungen sich aus denen der Anschauungen entwickeln, unter Voraussetzung allgemeinerer psychophysischer Bedingungen, welche das Dasein des Allgemeinbewußtseins fordert. Erinnerungen tragen noch die Form der Anschauungen; auch die den Erinnerungen unterliegenden Prozesse werden noch die Form der Prozesse tragen, die den Anschauungen unterliegen; Erinnerungen sind im Allgemeinen schwächer als Anschauungen; auch die unterliegenden Prozesse werden es sein. Erinnerungen kommen aus dem Inneren des Geistes, Anschauungen kommen, ihm von Außen; auch die ihnen unterliegenden Prozesse werden sich rein aus dem vorhandenen psychophysischen Bestande entwickeln oder des Hinzutrittes neuer Anregungen von Außen bedürfen; Erinnerungen unterliegen der Assoziation; auch die unterliegenden Prozesse werden einem Prinzipe der Assoziation unterliegen.

    Nun würde es sehr müßig sein, diese Art Übersetzung des Psychischen in das Psychophysische breit auszuführen, so lange sie uns eben nicht weiter als zur bloßen Übersetzung führt. Aber sie bezeichnet den Weg des Entgegenkommens gegen das, was wir von der äußeren Psychophysik her und nach anatomischen, physiologischen und pathologischen Tatsachen erschließen können, und nur, wo sich ein solches Entgegenkommen zeigt, werden wir näher darauf einzugehen haben und etwas dadurch gefördert sehen dürfen. Das ist bis jetzt verhältnismäßig zu dem, was die innere Psychophysik zu leisten haben wird, nur wenig; doch schon viel dünkt mich, im Verhältnisse zu dem, was ohne das Zusammenarbeiten dieser Prinzipien sich leisten ließ.

    In der Tat aber dürfte eine vorsichtige und umsichtige Verbindung dieser verschiedenen Wege geeignet sein, die innere Psychophysik zu etwas mehr, als dem Gegenstande bloßer Spekulation zu machen, und allmäligen, doch sicheren Schrittes immer weiter zu führen. Nicht jeder von den Schritten, die im Folgenden getan sind, ist schon fest und sicher; aber die Anlage des Ganzen halte ich für fest und sicher.