XXXVII. Über den Sitz der Seele.

    Das Bedürfnis allgemeiner Vorerörterungen über die Beziehung von Leib und Seele, welches wir beim Eingange in die äußere Psychophysik so viel als möglich zurückgedrängt haben, macht sich beim Eingange in die innere von Neuem geltend, und ich will versuchen, ihm hier durch ein einziges, freilich etwas ausgedehntes, Kapitel unter obiger Überschrift zu genügen, welches sich aber, wie alles Bisherige, metaphysischer Erörterungen gänzlich enthalten, vielmehr versuchen wird, Alles, um was sich’s handeln wird, auf bestimmte Tatfragen zurückzuführen, die nur etwas allgemeinerer Natur sein werden, als die wir später behandeln. Demgemäß wird auch hier wie bisher von der Seele ohne Rücksicht auf besondere metaphysische Voraussetzungen über ihre Grundnatur gesprochen, ihr Dasein einfach durch ihr einheitliches Bewußtsein, und was sich als Empfinden, Fühlen, Denken, Wollen darin zusammenfaßt, gegeben gehalten, gleich viel, womit man alles das begründet halten will, was philosophisch sehr ungenügend erscheinen kann, für das Folgende aber genügen wird. Hat die Seele eine selbständige Existenz oder nicht? Behalte Jeder seine Meinung darüber oder suche die Diskussion darüber in philosophischen Schriften. In allem Folgenden wird es sich um nichts von Meinungen Abhängiges handeln, wenn schon die tatsächlichen Verhältnisse, die hier zur Sprache kommen werden, sich besser der einen als der anderen Meinung fügen mögen, und insofern nicht gleichgültig gegen die Meinung sind.
 

a) Sitz der Seele im weiteren Sinne.


    Der Ausdruck, Sitz der Seele im Körper, beweist, daß man Anlaß gefunden hat, der Seele ein räumliches Verhältnis zu ihrem Körper beizulegen. Auch pflegt man gemeinhin sich die Seele wie ein besonderes feines Wesen von eigentümlicher Natur durch den Körper verbreitet oder als einfaches Wesen an diesem oder jenem mehr oder weniger bestimmt oder unbestimmt vorgestellten Orte desselben sitzend zu denken, jedenfalls ihr Verhältnis zum Körper selbst wie das eines körperlichen Wesens zu anderen körperlichen Wesen zu fassen; und manche metaphysische Vorstellungen über die Natur der Seele führen hierauf zurück. Als Subjekt und Objekt der inneren Erfahrung zugleich läßt sich freilich die Seele nach dem, wodurch sie ihr Dasein beweist, Empfinden, Fühlen, Denken u. s. w., in keinem gegebenen Raume sichtbar, tastbar aufzeigen, und Objekt der äußeren Erfahrung ist sie nicht, wonach man fragen kann, ob überall von einem Verhältnisse derselben zum Raume zu sprechen, und der Ausdruck, Sitz derselben, nicht in jedem Sinne untriftig oder uneigentlich sei.

    Inzwischen findet sich Jeder tatsächlich — und zu dieser Tatsache muß es tatsächliche Gründe geben — gedrungen, seine Seele vielmehr zu seinem eigenen Körper, als dem Körper eines Anderen zu rechnen, Jeder kann nicht umhin zu glauben, daß sich seine Seele vielmehr an dem Orte der Erde, wo sich sein Körper findet, als an irgend einem anderen Orte finde und daß sie mit dem Körper durch die Welt wandle; also muß die Seele, wenn nicht eben so wie der Körper, aber durch Vermittelung des Körpers, mit dem sie in Beziehung steht, an den sie, wie man sagt, gebunden ist, einer Lokalisierung im Raume fähig sein.

    Muß dies aber einmal anerkannt werden, so ist dann allerdings auch die Frage nicht abzuweisen, ob nicht aus demselben Gesichtspunkte, aus welchem wir jede gegebene Seele vielmehr an einen gegebenen Körper als an den anderen gebunden halten, dieselbe auch vielmehr an einen als den anderen Teil dieses Körpers gebunden zu denken, und also der Sitz derselben noch mehr einzuschränken sei. Zuvor aber fragt es sich erst nach dem Gesichtspunkte selbst, aus welchem eine Seele überhaupt an einen Körper gebunden gedacht werden kann, indem der Ausdruck Gebundensein zunächst nur auf ein anderes aus der Körperwelt entlehntes Bild hinweist, als der Ausdruck Sitz, für welchen er substituiert worden ist.

    Wenn wir nun hierauf von philosophischer Seite her sehr verschiedene und sehr streitige Antworten erhalten, haben wir uns glücklicherweise nach dem von uns eingeschlagenen Gange nicht darum zu kümmern. Von der Erfahrungsseite her bietet sich folgende zweifelsfreie Antwort dar:

    Unsere Seele, wie jede Seele, von der wir wissen, kann im Diesseits, mit dem wir hier allein zu tun haben, lebendig, d. h. mit der Möglichkeit und Wirklichkeit von Bewußtseinsphänomenen nur bestehen, sofern ein gegebenes körperliches System lebendig zusammenhält, d. h. mit einem eigentümlich geordneten Zusammenhange und einem nicht in der Periodizität der Außenwelt aufgehenden periodischen Wechsel und einer periodischen Auseinanderfolge von Bewegungen besteht, und dieses körperliche System kann lebendig nur bestehen und zusammenhalten, sofern eine gegebene Seele im Diesseits fortlebt. Dies ist die allgemeinste, die Grundtatsache, wegen deren wir einen gegebenen Körper und eine gegebene Seele zusammenrechnen. Dazu tritt dann noch die zweite Tatsache, welche aber die erste schon voraussetzt, daß die diesseitigen bewußten Tätigkeiten der Seele mit solchen des Körpers, an den ihr diesseitiges Leben im Allgemeinen gebunden ist, durch ein Verhältnis der Bedingtheit auch im Besonderen zusammenhängen. In beider Hinsicht hat eines Jeden Seele zu seinem eignen Körper eine Beziehung, die sie weder zum Körper eines Anderen, noch zu irgend einem Körper oder körperlichen Systeme der Außenwelt hat, und dies ist es, was beide erfahrungsmäßig zu einander rechnen läßt.

    Der räumliche Bezug der Seele zum Körper, den die Ausdrücke, im Körper Sitzen, an den Körper Gebundensein anzudeuten scheinen, übersetzt sich also, insoweit wir auf dem Faktischen fußen und nicht mit metaphysischen Voraussetzungen beginnen wollen, zunächst nur in den Bezug einer Bedingtheit zwischen dem Bestande und den Tätigkeiten der Seele und des Körpers, den wir erfahrungsmäßig nur im Diesseits verfolgen können, und von dem wir fragen können, ob er über das Diesseits hinausreicht.

    Insofern alle Teile des Körpers sich in solidarischem Zusammenwirken zu der Leistung vereinigen, die Seele im diesseitigen Leben zu erhalten, und selbst nur in lebendiger Tätigkeit zusammenhalten, so lange die zugehörige Seele im diesseitigen Leben verbleibt, kann man den ganzen Körper beseelt nennen, denselben als Sitz oder Träger der Seele in weiterem Sinne erklären. Der allgemeinen Leistung des Körpers für die Seele ordnen sich dann die besonderen Teile, Organe, Glieder, Systeme des Körpers mit Leistungen für besondere Zwecke ein und unter; woran sich später ein Gesichtspunkt knüpfen wird, noch von einem Sitze der Seele in engerem Sinne zu sprechen.

    Diese Ausdrücke, Seelensitz in weiterem, engerem Sinne, präjudizieren nichts, so lange sie immer so verstanden werden, wie sie hier definiert werden. Selbst, wenn die Seele wirklich ein substantiell einfaches Wesen sein sollte, würde man dennoch den ganzen Körper in dem hier bezeichneten weiteren Sinne ihren Sitz nennen können, wie man einen Palast oder eine ganze Hauptstadt den Sitz eines Königs nennt, ohne damit zu meinen, daß er an jedem Orte in der Hauptstadt sitze.

    Inzwischen könnte es näher zugesehen scheinen, daß doch nicht der ganze Körper zur Erhaltung des diesseitigen Seelenlebens wesentlich beiträgt, da wir Füße, Nase, Ohren und viele andere Teile vom Körper ohne wesentliche Benachteiligung des Seelenlebens abschneiden können, indem die Seele den Verlust zwar in sofern spürt, als ihr äußere Hilfsmittel, sich mit der Außenwelt in Beziehung zu setzen, auf sie zu wirken, verloren gehen, ohne daß aber ihre Lebensfähigkeit leidet und ohne daß ihr Inneres gestört ist. Hiernach scheinen alle diese Teile von dem Sitze der Seele schon im weiteren Sinne nach dem dafür aufgestellten Gesichtspunkte auszuschließen, und der Teil aufzusuchen, der für sich allein nicht zerstört werden oder wegfallen oder in seiner Tätigkeit erlahmen kann, ohne daß das diesseitige Seelenleben wegfalle oder wesentlich gestört werde.

    Ein solcher Körperteil von exklusiver Bedeutung für die Erhaltung und den ungestörten Bestand des diesseitigen Seelenlebens ist jedoch nicht zu finden. Vielmehr gilt das, was von Händen, Füßen, Nasen, Ohren gilt, von jedem Teile des Körpers, sogar Gehirns, sofern die Zerstörung nur nicht auf einmal zu weit greift, eine fundamentale Tatsache, die im Abschnitte c) dieses Kapitels noch genauer konstatiert und diskutiert werden soll, wo sie mit besonderer Wichtigkeit auftritt. Umgekehrt kann das diesseitige Seelenleben durch Eingriffe von jedem Punkte, jeder Seite, jedem Systeme des Körpers her aufgehoben werden, wenn der Eingriff nur weit genug oder in der geeigneten Form und Stärke geschieht. Dabei sind allerdings gewisse Teile bei Weitem wichtiger als andere, insofern eine Zerstörung oder Störung derselben in gleichem Umfange oder Grade leichter ein Stocken oder eine Störung der Tätigkeit der übrigen organischen Maschine mitführt, als anderer; aber der Unterschied ist überall nur relativ, nicht absolut.

    Auch vermögen diejenigen Teile des Körpers, deren Integrität am wichtigsten für das Leben erscheint, selbst nur im Zusammenhange des Ganzen lebendig zu bestehen, verdanken also, anstatt ein ihnen an sich inwohnendes Lebensprinzip dem Übrigen mitteilen zu können, ihr Leben ihrerseits nur dem Zusammenhange mit den Übrigen; so daß immer der solidarische Zusammenhang das ist, worauf es wesentlich ankommt.

    Fassen wir diese Verhältnisse zusammen, so ordnen sie sich folgendem allgemeinen Gesichtspunkte unter: das Zusammenwirken aller Teile des Körpers zu der Leistung, die Seele in ihrem diesseitigen Leben zu erhalten, und der Seele zu Diensten zu stehen, ist ein derartig solidarisches, daß jeder kleinste und bis zu gewissen Grenzen selbst größere Teil durch andere oder auch die Gesamtheit der übrigen vertreten werden kann. Wenn daher die Zerstörung nicht über gewisse Grenzen geht, so daß noch hinreichende Mittel zur Vertretung des Zerstörten übrig sind, so spürt die Seele den Nachteil nicht. Von anderer Seite aber wird durch jede noch so kleine Zerstörung, mag sie das Nervensystem betreffen oder nicht, das Vermögen der solidarischen Vertretung der Teile in ihrer Leistung für die Erhaltung und den Dienst der Seele im Diesseits geschwächt, und, wenn die Zerstörung zu weit geht, unmöglich, so daß selbst scheinbar gleichgültige Eingriffe doch insofern nicht gleichgültig sind, als es von nun an nur eines geringeren neuen Eingriffes bedarf, um den Fortbestand des Lebens unmöglich zu machen, oder die Leistungen für die Seele im Leben wesentlichst verkürzt zu sehen. Dabei haben gewisse Teile größere Wichtigkeit als andere sowohl für den Fortbestand des Lebens, als die Dienstleistungen im Leben; eine exklusive hat keiner.

    Nach Maßgabe, als die Teile des Organismus vermöge ihrer Gleichartigkeit, Ähnlichkeit und ähnlichen Stellung geeigneter sind, sich in ihrer Leistung für die Seele zu vertreten, unterstützen sie sich zugleich darin, so die beiden Hände, Füße, Augen, Ohren, Lungen, Nieren, Gehirnhälften, an jeder Hand die einzelnen Finger, in jeder Lunge die einzelnen Lungenbläschen. So lange alle Teile, die sich vertreten können, vollständig vorhanden sind, teilt sich die Funktion zwischen ihnen oder wechselt zwischen ihnen; fällt einer weg, so müssen die übrigen die erforderliche Leistung allein zu Stande bringen, was nach Umständen noch hinreichend oder nicht hinreichend geschehen kann. Nach Maßgabe anderseits als die Teile vermöge ihrer Ungleichartigkeit und ungleichen Stellung weniger geeignet sind, sich zu vertreten, ergänzen sie sich zu Leistungen, die von keinem derselben allein vollzogen werden könnten. Insofern die meisten Teile etwas Gleiches und Ungleiches haben, kombiniert sich die Wirkung beider Prinzipe, bald mit Vorwiegen des einen, bald des anderen.

    Man könnte meinen, derselbe Gesichtspunkt, welcher unseren ganzen Körper als Leib unserer Seele im weiteren Sinne rechnen läßt, würde konsequenterweise die ganze Welt dazu rechnen lassen müssen, indem unser ganzer Leib ohne seinen Zusammenhang, Stoff- und Wirkungswechsel mit der übrigen Welt eben so wenig im Stande ist, das Leben der Seele im Diesseits zu erhalten, und Zwecken des diesseitigen Lebens zu dienen, als unser Gehirn und Nervensystem ohne seinen Zusammenhang, Stoff- und Wirkungswechsel mit dem übrigen Leibe; auch das Prinzip der Vertretung und Ergänzung der Teile zu Diensten unserer Seele sich nur in größerem Maßstabe in der Welt, als in unserem Leibe gültig erweist, und zwar im Zusammenhange mit dem, was in unserem Leibe gilt, so daß selbst fehlende Teile unseres Leibes bis zu gewissen Grenzen durch Hilfsmittel der Außenwelt ersetzt werden können.

    Aber bei alledem bleibt ein Gesichtspunkt, welcher unseren Körper in einer bevorzugten Beziehung vor der übrigen Welt zu unserer Seele erscheinen läßt. Die Seele kann freilich nicht ohne den übrigen Weltzusammenhang diesseits bestehen; wenn aber die Seele aus dem Diesseits schwindet, zerfällt bloß der Teil der Welt, den wir eben deshalb unseren Leib nennen, nicht die übrige Welt, und so besteht für sie nur der eine, aber nicht zugleich auch der andere Gesichtspunkt, weshalb wir unseren Leib zu unserer Seele rechnen.

    Zu der bisher erörterten wichtigen Tatsache, daß der diesseitige Bestand unseres Seelenlebens wesentlich nicht an den Bestand eines einzelnen besonderen Körperteiles, sondern den solidarischen Zusammenhang des Körpers gebunden ist, tritt die zweite wichtige Tatsache, daß er auch nicht an die Forterhaltung eines besonderen Stoffes im Körper, sondern daß er vielmehr an den Stoffwechsel im Körper gebunden ist. Dieselbe Seele pflanzt sich sukzessiv auf eine Zusammenstellung aus immer neuen Stoffen über, oder es treten immer neue Stoffe in die Zusammenstellung ein, an welche die Seele geknüpft ist, unter Ausscheidung der alten, so daß der Leib des Greisen aus ganz anderen Stoffen zusammengesetzt ist, als der des Kindes. Auch nimmt das Seelenleben nach Maßgabe der Raschheit des Stoffwechsels selbst an Lebhaftigkeit zu. Es ist daher eben so triftig zu sagen, das Seelenleben sei an die Forterhaltung eines körperlichen Wechsels als einer körperlichen Zusammenstellung, wie hinwiederum jener Wechsel an die Forterhaltung des Seelenlebens gebunden.

    Es kann nun Jedem überlassen bleiben, die faktischen Beziehungen zwischen dem Bestande von Leib und Seele, um die es sich bisher gehandelt hat, unter eine Formel zu vereinigen, welche die Tatsachen kurz zusammenfaßt, nur daß sie immer im Sinne der Tatsachen verstanden und ausgelegt werde. Und so bediene ich mich, wenn es sich darum handelt, das Abhängigkeitsverhältnis in der Richtung von der Seele zum Körper zu verfolgen, gern der Formel, die Seele sei das verknüpfende Prinzip der körperlichen Zusammenstellung, des körperlichen Wechsels und der Auseinanderfolge der Tätigkeiten des Körpers, und will hiermit eben nichts Anderes gesagt haben, als was die bisherigen Tatsachen besagen.

    Ein Anderer kann es bequemer finden, und wir mögen es anderwärts, wenn es sich handelt, das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Seele und Körper in umgekehrter Richtung zu verfolgen, selbst bequemer finden, die Seele oder das Seelenleben vielmehr als ein Resultat, denn als ein verknüpfendes Prinzip der körperlichen Zusammenstellung und Auseinanderfolge zu erklären, und es wird dies nicht minder gestattet sein müssen, insofern mit diesem Ausdrucke eben wieder nichts Anderes gesagt sein soll, als was die Tatsachen besagen. Zwar kann der Unterschied beider Ausdrucksweisen philosophisch sehr wichtig erscheinen, insofern man sie an die Spitze einseitiger philosophischer Systeme stellt, oder metaphysische Vorstellungen über die Natur der Seele daran knüpft, schwindet aber in der Anwendung auf das Faktische, sofern ein verknüpfendes Prinzip ebenso einer Mannigfaltigkeit bedarf, die es verknüpft, als ein Resultat einer solchen, aus der es hervorgeht, und als jenes wie dieses etwas Einheitliches ist im Verhältnisse zu der Mannigfaltigkeit, die zu seiner Existenz gehört.

    Mit der (Th. I, Kap. 1) aufgestellten Formel, daß das Geistige die innere Erscheinungsweise dessen sei, was äußerlich als körperlich erscheint, verknüpfen sich diese Formeln durch den faktischen Gesichtspunkt, daß in der inneren Erscheinungsweise das einheitlich oder vereinfacht sich darstellt, was für die äußere Erscheinung in eine Vielheit sich auseinanderlegt; wie denn das, was äußerlich als ein zusammengesetzter Nervenprozeß erscheint, innerlich als einfache Empfindung erscheinen kann.

    Für dualistische und monadologische Auffassungen sind beide Ausdrucksweisen überhaupt nicht bequem, und es steht ihnen dann frei, dieselben Tatsachen in ihrem Sinne auszudrücken, indem sie der vorausgesetzten besonderen Seelensubstanz oder Monade demgemäße Kräfte und Beziehungen zum Körper beilegen. Alles das ist, wir können es nicht genug wiederholen, für den hier eingeschlagenen Gang der Untersuchung gleichgültig, so lange man nichts aus dem Ausdrucke, sondern nur aus den Tatsachen folgern will.

    Unstreitig läßt sich die Frage aufwerfen, ob nicht eben so, wie das organische System unseres Leibes einen bewußten Geist als verknüpfendes Prinzip oder Resultat, oder Entelechie, oder bevorzugte Monade, oder eigentümliche Substanz, je nachdem man es fassen will, in sich trägt, dasselbe von der ganzen Welt gilt, und, wenn schon jetzt unsere Seele ihren Leib mit der Außenwelt langsam tauscht und wechselt, ob nicht der Tod bloß ein rascherer Sitzwechsel sei, in dem sie den alten engen Leib auf einmal mit einem weiteren vertauscht. In der Tat können in naturphilosophischen und religiösen Betrachtungen derartige Analogien, und zwar meines Erachtens mit wirklichem Fuge, geltend gemacht werden; doch ist dies hier nicht unsere Aufgabe; wir bleiben hier bei dem stehen, was Sache direkterer Erfahrung ist.

b) Sitz der Seele im engeren Sinne.

    Von dem Verhältnisse der Bedingtheit zwischen dem diesseitigen lebendigen Bestande unserer Seele und unseres Körpers im Allgemeinen und Ganzen, auf das wir den Begriff des Beseeltseins und Seelensitzes im weiteren Sinne gegründet haben, ist ein Verhältnis spezieller Bedingtheit zwischen den bewußten Vorgängen unserer Seele und zugehörigen Vorgängen unseres Körpers wohl zu unterscheiden. Wir nennen eine Seele so lange lebendig, als sie die Fähigkeit hat, Bewußtseinsphänomene zu produzieren, ohne daß sie deshalb immer bewußt ist, da sie vielmehr abwechselnd schläft und wacht. Nun müssen zu denjenigen körperlichen Verhältnissen und Vorgängen, welche als allgemeine Bedingungen der Erhaltung des diesseitigen Seelenlebens dem Wachen und Schlaf gemeinsam sind und im solidarischen Zusammenhange der lebendigen Tätigkeit des ganzen Körpers begründet liegen, noch besondere Bedingungen hinzutreten, um das Wachsein zu unterhalten, welche als Spezialbedingungen des Bewußtseins zu gelten haben, sofern mit ihnen das Bewußtsein da ist und schwindet, die aber selbst erst auf Grund jener allgemeinen Lebensbedingungen entstehen und bestehen können, dieselben zu ihrer Voraussetzung und Unterlage fordern. Daß Schlaf und Wachen wirklich überhaupt an körperliche Bedingungen geknüpft sind, kann übrigens keinem Zweifel unterliegen; da Druck auf das Gehirn Schlaf hervorrufen, ein körperlicher Anstoß an den Schlafenden denselben wecken kann.

    So wie die Spezialbedingungen des Bewußtseins bloß durch einen Teil des Lebens, indes die allgemeinen durch die ganze Lebenszeit reichen, so jene bloß durch einen Teil des Leibes, indes diese durch den ganzen Leib, und zwar sind wir veranlaßt, beim Menschen und Geschöpfen überhaupt, welche ein Nervensystem und Gehirn haben, die besonderen Bedingungen des Bewußtseins vorzugsweise vor dem übrigen Körper im Nervensysteme, insbesondere Gehirn, zu suchen, welches wir hiernach als einen Sitz der Seele oder des Bewußtseins im engeren Sinne ansehen können, wobei noch die in den folgenden Abschnitten dieses Kapitels spezieller zu erörternde Frage übrig bleibt, ob nicht der engere Seelensitz noch einer bestimmteren Lokalisation innerhalb des Nervensystems, respektiv Gehirns, fähig sei, und wie es sich bei anderen Geschöpfen als dem Menschen und den ihm nahestehenden Geschöpfen verhalte.

    Die Notwendigkeit, einen engeren Seelensitz innerhalb des weiteren im eben angegebenen Sinne zu unterscheiden, und das Nervensystem, respektiv das Gehirn, oder einen besonderen Teil desselben im Menschen und den höheren Tieren dafür zu halten, liegt in folgenden Tatsachen begründet. Nur solche Teile des Körpers, welche mit Nerven versehen sind, sind empfindlich, und nur nach Maßgabe als Reize unser Nervensystem betreffen und die betroffenen Nerven mit dem Gehirne stetig zusammenhängen, erwecken sie eine Empfindung. Willkürlich bewegliche Teile unterliegen dem Einflusse des Willens nur so lange, als sie mit dem Gehirne durch Nerven im Zusammenhange stehen. Umgekehrt aber bedarf das Gehirn nicht des stetigen Zusammenhanges mit besonderen Körperteilen oder Nerven, um Tätigkeiten zu erzeugen, welche von Bewußtseinsphänomenen begleitet sind, so lange das Leben, hiermit die Möglichkeit solcher Phänomene, überhaupt erhalten bleibt. Durch Zerstörung besonderer Nerven oder der Gehirnteile, womit sie zusammenhängen, kann man das Vermögen besonderer Empfindungen aufheben, nicht so durch Zerstörung anderer Körperteile. Minder entscheidend, wenn auch im Ganzen in demselben Sinne sprechend, sind die Beobachtungen über die Störungen des allgemeinen geistigen Lebens je nach Verletzung oder Störung des Gehirns und anderer Organe, indem einerseits die Vertretbarkeit verschiedener Gehirnteile durch einander bezüglich der Leistungen für das allgemeine geistige Leben Störungen desselben bei lokalen Verletzungen oder Störungen des Gehirns oft nicht zu Stande kommen läßt, indes anderseits solche auch durch Störungen anderer Organe vermöge sekundären Einflusses auf das Gehirn begründet werden können. Endlich verdient noch Beachtung, daß das Bewußtsein direkt durch Druck auf das Gehirn, aber auf keinen anderen Teil, außer sofern Stockung des Blutes im Gehirne dadurch entsteht, aufgehoben werden kann.

    Der engere Seelensitz steht dem weiteren nicht äußerlich gegenüber, sondern ist selbst nur ein Teil des weiteren. Er kann nur durch seinen Zusammenhang mit den übrigen Teilen des weiteren seine Leistungen für das Bewußtsein vollziehen, indes er selbst wesentlich mit zum solidarischen Zusammenhange des weiteren gehört. Veränderungen im engeren Seelensitze, welche von Bewußtsein begleitet sind, können Folgen in die übrigen Teile des weiteren hineinerstrecken, welche aber, nach Maßgabe als sie über den engeren hinausgreifen, bezugslos zum Bewußtsein werden; umgekehrt können Reize, die durch den weiteren Seelensitz verlaufen, nicht eher Empfindung, Bewußtsein erwecken, als bis sie zum engeren Seelensitze gelangt sind.

    Insofern wir die körperlichen Tätigkeiten, mit welchen die geistigen in direkter funktioneller Beziehung stehen, psychophysische nennen; und insofern diese nur Bewußtsein mitführen können, sofern sie einen bestimmten Grad der Stärke, eine Schwelle übersteigen, wie in dem Kapitel über Schlaf und Wachen noch ausführlicher auf Grund von Tatsachen erörtert werden wird, können wir, bei übrigens völliger Unbekanntschaft mit der Natur der psychophysischen Tätigkeit und unter Rücksicht auf die noch folgenden Erörterungen, doch im Allgemeinen die Zeit des Wachens als die Zeit, und den engeren Seelensitz als den Leibesteil bezeichnen, worin die psychophysischen Tätigkeiten die Schwelle zu übersteigen vermögen.

    Dabei kann noch fraglich bleiben, ob sie während des Schlafes und in den übrigen Teilen des Körpers überhaupt fehlen oder nur unter der Schwelle sind, und ob das, was von ihnen die Schwelle übersteigt, nicht selbst die Stelle wechseln kann. Diese spezielleren Fragen fordern spezielle Untersuchungen, worauf für jetzt nicht einzugehen.

c) Frage nach dem einfachen oder ausgedehnten (engeren) Seelensitze.

    Das Bisherige bezog sich auf sehr allgemeine Verhältnisse, welche weniger leicht zu einem Streite über das Tatsächliche, als dessen Ausdruck, Deutung und Verwendung im philosophischen Interesse Anlaß geben konnten, ein Streit, der uns hier nicht berührt. Jetzt aber kommen wir auf eine streitige Tatfrage von wichtigstem Interesse für die Psychophysik, über welche uns der Streit allerdings berührt, so sehr, daß ohne Entscheidung darüber nicht weiter vorgeschritten werden könnte.

    Man ist einig darüber, daß nicht der ganze Körper in gleichgeltender Beziehung zur Seele steht, ein engerer Seelensitz darin irgendwie noch anzunehmen sei. Aber nach welchem Gesichtspunkte und wie weit ist er einzuschränken? Auf einen Punkt oder nicht? In einem Punkte können freilich keine Bewegungen vorgehen, und sofern doch die Seelenbewegungen mit körperlichen Bewegungen in funktioneller Beziehung stehen, und der Ort dieser Bewegungen den engeren Seelensitz bedeuten soll, scheint ein punktförmiger Seelensitz von vorn herein ausgeschlossen. Aber wenn solche Bewegungen nicht in einem Punkte vorgehen können, können sie doch in ihm anfangen und endigen; und hiermit erhebt sich folgende wichtige Frage:

    Heben alle Bewegungen, welche durch psychischen Antrieb im Körper entstehen, von einem bestimmten Punkte des Körpers, respektiv Gehirns, im Gefolge der psychischen Tätigkeit an, und müssen alle Bewegungen, um Empfindungen (und was sonst von Seelenvorgängen körperlich bedingt ist) zu erwecken, erst zu einem bestimmten Punkte des Körpers gelangt sein, um solche im Gefolge zu erwecken; oder gehen Bewegungen, an psychische Triebe, Empfindungen, Vorstellungen, Gedanken geknüpft, in wesentlicher Funktionsbeziehung dazu, in einer gewissen Ausdehnung des Körpers, respektiv Gehirnes, unmittelbar mit denselben mit, nach deren Beschaffenheit spezialisiert, so weit eine Spezialisierung überhaupt reicht 1). Ersteres werde ich kurz als die Ansicht von einem einfachen, letzteres von einem ausgedehnten Seelensitze bezeichnen, ohne an etwas Anderes als das eben erörterte faktische Verhältnis hierbei gedacht haben zu wollen.

1) Ich statuiere zwar in dieser Hinsicht keine Grenze; aber da keine Untersuchung hier darüber geführt ist, bleibt auch jedem die Ansicht hier darüber freigestellt.
 
 
    So faßt auch Lotze, der gewichtigste Vertreter der Ansicht vom einfachen Seelensitze, den Begriff des einfachen Seelensitzes, indem er sagt 2): "man wird nach dem Sitze der Seele fragen: Der Sinn dieser Frage ist einfach; lassen wir dahingestellt, ob es möglich sei, dem unteilbaren Wesen eines wahrhaft Seienden irgendwie räumliche Ausdehnung in dem Sinne zuzuschreiben, in welchem wir sie den materiellen Stoffen beilegen zu können glauben, so werden doch alle Meinungen darin sich vereinigen dürfen, daß auch dem unausgedehnten Wesen ein Ort im Raume zukommen könne. Da wird es vorhanden sein, bis wohin alle Eindrücke des ihm Fremden sich fortpflanzen müssen, um es mit ihrer Wirksamkeit zu erreichen, und von wo aus rückwärts alle die Anregungen kommen, durch welche es unmittelbar seine Umgebung, mittelbar durch diese die weitere Welt in Bewegung setzt. Dieser Punkt des Raumes ist der Ort, an welchem wir in die unräumliche Welt des wahrhaften Seins hinabsteigen müssen, um das wirkende und bildende Wesen zu finden, und in diesem Sinne wird jede Ansicht einen Sitz der Seele suchen dürfen, auch wenn sie ihr außer dem Orte nicht zugleich die Ausdehnung einer räumlichen Gestalt zugestehen zu dürfen glaubt." 2) Mikrokosmus I, 316; und ähnlich medic-.Psychol. 117.
 
 
    Nach der Ansicht vom einfachen Seelensitze findet eine bloße Folgeabhängigkeit, nach der vom ausgedehnten eine simultane oder Wechselabhängigkeit zwischen körperlichen und geistigen Bewegungen statt. Nach erster Ansicht sind es bloß Anstöße an einen bestimmten Punkt oder von einem bestimmten Punkte aus, womit die Änderungen der Seele vom Körper aus und umgekehrt folgweise in funktioneller Beziehung stehen; nach letzter sind es Änderun-gen in einem variablen Systeme von Bewegungen, welche mit den Änderungen der Seele als wesentlich gleichzeitige funktionsweise verknüpft sind.

    Je nachdem man der einen oder anderen Ansicht huldigt, muß sich die ganze Auffassung, ja bis zu gewissen Grenzen selbst die Möglichkeit, einer inneren Psychophysik verschieden stellen, und die Erörterung der Frage kann daher hier in keiner Weise umgangen werden.

    Die Entscheidung aber muß für uns aus doppeltem Gesichtspunkte zu Gunsten der Ansicht vom ausgedehnten Seelensitze ausfallen, aus formalem, weil nur auf ihrem Grunde eine Entwicklung der inneren Psychophysik überhaupt möglich ist; notwendig aber ist für die Psychophysik diejenige Ansieht vorzuziehen, welche ihr mehr leistet, und sicher wird diejenige Psychophysik dereinst vorgezogen werden, welche mehr leistet; — aus sachlichem, weil der Nexus der Tatsachen dazu nötigt. Der formale Vorteil einer größeren Leistungsfähigkeit der Ansicht vom ausgedehnten Seelensitze hängt aber natürlicherweise mit dem Vorzuge ihrer sachlichen Triftigkeit zusammen.

    Dieser Vorzug liegt jedoch nicht von vorn herein am Tage, und ist nicht als zugestanden vorauszusetzen. Im Gegenteile, die Ansicht von einem einfachen Sitze der Seele ist alt, ist vielverbreitet, kann nach ihrer Beziehung zur Ansicht von der einfachen zentralen Natur der Seele als die natürlichste erscheinen, ist selbst ein wesentliches Moment in manchem philosophischen Systeme. Und wenn sie sonst nicht leicht mit Klarheit und klarem Bewußtsein ihrer Bedingungen und Konsequenzen gefaßt und dargestellt worden ist, so ist dies doch neuerdings mit so viel Beredsamkeit, Scharfsinn, Kenntnis der einschlagenden Tatsachen und Prägnanz der Folgerungen von einem Philosophen, zugleich Vertreter der exakten Naturwissenschaften 3), geschehen, dem die wissenschaftliche Medizin hinsichtlich der Aufklärung mancher Haupt-fragen zu großem Danke verpflichtet ist, daß es schon aus diesem Grunde unangemessen sein würde, den Widerspruch dieser Ansicht zu ignorieren, oder leichthin dagegen abzusprechen. Auf die philosophische Seite der Sache kann nun zwar hier nicht näher eingegangen werden; aber das, was von der Erfahrungsseite her hier maßgebend sein muß, wird etwas genauer ins Licht zu setzen sein. Ungern sehe ich mich dabei in Widerstreit mit jenem von mir hochgeachteten Forscher verwickelt, mit dem ich vorzugsweise gewünscht hätte, in dieser Frage Hand in Hand zu gehen.

    3) Lotze, medicin. Psychol. 115 und Mikrokosmus I, 316.

    Die Ansicht vom einfachen Seelensitze stellt gewisse anatomische, physiologische und pathologische Forderungen; die Ansicht vom ausgedehnten Seelensitze stellt andere; und je nachdem man die einen oder anderen erfüllt findet, wird man, falls man anders sich von Erfahrung leiten lassen will, der einen oder anderen Ansicht sich anzuschließen haben.

    Die erste Ansicht verlangt ein bestimmtes Zentrum von Impulsen, die zweite ein ausgedehntes Feld von Bewegungen; die erste möglichst einfache und direkte Bahnen zwischen der Außenwelt und dem Seelensitze, welche die Impulse zu- und abführen, da die Verarbeitung der sinnlichen Eindrücke erst in der Seele geschieht, die zweite eine große Komplikation von Wegen, um dem verwickelten Gange von Seelenbewegungen und der Verarbeitung der sinnlichen Eindrücke in ihr eine angemessene Unterlage zu geben. Für die erste fällt mit Zerstörung einer bestimmten kleinen Stelle des Gehirnes die Seele sicher aus dem Leben; für die zweite gewährt bei Zerstörung irgend eines kleinen Teiles des Gehirnes der solidarische Zusammenhang des Ganzen die Mittel der Vertretung. Die erste hat zu erklären, wie Impulse, die als zusammengesetzte beim Seelensitze anlangen oder davon ausgehen, doch noch unterschieden werden oder sich nach dem Willen der Seele in unterschiedene Wirkungen spalten können; die zweite hat für Alles, was zu unterscheiden, unterschiedene Bahnen und Bewegungen.

    Wer mag in Abrede stellen, daß allen diesen Forderungen vielmehr im Sinne der Ansicht vom ausgedehnten als vom einfachen Seelensitze entsprochen ist?

    Das Gehirn stellt sich bekanntlich als ein weitläufiges Geflecht verschlungener Nervenwege mit sog. Ganglienkörpern dar, wohl geeignet, einem ausgedehnten Spiele verwickelter Bewegungen Raum zu geben, für welche die Fäden Bahnen und die Ganglienkörper Anfangs- und Endpunkte oder Zwischen Stationen bilden, ohne daß eine anatomische Ahnung, geschweige Tatsache, ein Zentrum dieser unzähligen Zentra entdecken läßt. Statt daß alle Sinnesnerven einem Zentrum zustrahlen und alle Bewegungsnerven von einem solchen ausstrahlten, dröseln manche, die kompakt beim Gehirne anlangen, sich beim Übergange in dasselbe in mehrere Nervenwurzeln auf. Im Allgemeinen sind es die großen Hirnhemisphären, welche die größte, wenn man will zentrale, Bedeutung für das Seelenleben verraten, wie selbst die Anhänger des einfachen Seelensitzes nicht leugnen können; aber sie sind doppelt. Sitzt nun die Seele in der linken oder rechten Hemisphäre? sie wird zwischen beiden sitzen, in der Zirbel, dem Balken, der Brücke, oder sonst einem unpaarigen Gehirnteile. So natürlicherweise bisher noch alle Anhänger des einfachen Seelensitzes: Descartes, Herbart, Lotze. Wohl, die Aufgabe ist damit erleichtert; so wird im ganzen Gehirne nur der unpaarige Teil aufzusuchen sein, der nicht zerstört werden kann, ohne das diesseitige Leben zu zerstören. Das anatomi-sche Messer und die pathologischen Zufälle sind geschäftig gewesen, uns diesen Dienst zu leisten. Und je mehr sich die Versuche und Fälle gehäuft haben, so fester hat sich das Resultat gestellt, daß das Gesuchte nicht zu finden ist.

    Die Bedeutungslosigkeit der Zirbel, wo Descartes den einfachen Seelensitz suchte, für Leben und Integrität der Seele ist durch pathologische und physiologische Versuche längst so erwiesen, daß die neueren Vertreter des einfachen Seelensitzes davon abstrahiert haben.

    In Betreff des Balkens möge folgende Stelle aus Longet 4) hier stehen.

    "Le corps calleux peut manquer dans l'espèce humaine, ou präsénter des vices de conformation très-prononcés sans qu'il résulte un préjudice notable pour l'entretien de la vie, pour la receptivité des sensations ou l'exercice des mouvements volontaires. Plusieurs exemples en fournissent la preuve incontestable: tels sont ceux que rapportent Reil, Solley, Foerg, Chatto et Paget."

4) Longet, traité de physiol. II, p. 234.
 
 
    Lotze ist mit Herbart geneigter, den Sitz der Seele in der Brücke als im Balken zu suchen (med. ps. 119); und nach den anatomischen Dispositionen der Brücke muß auch die Ansicht vom ausgedehnten Seelensitze einen der wichtigsten Herde des Seelenlebens, nur nicht den alleinigen oder letzten in ihr sehen und von ihren Verletzungen wichtige Störungen erwarten. Longet sagt in dieser Hinsicht (Anat. et physiol. du syst. nerv. I, 348): "Da bekanntlich die Empfindungs- und Bewegungsstränge des Rückenmarks, ehe sie in die Großhirnlappen ausstrahlen, zum Teil die Brücke durchsetzen, so ist leicht vorauszusehen, daß Verletzungen derselben die Verrichtungen der Bewegung und Empfindung stören müssen." Doch sagt er auch nach Zusammenstellung hierauf bezüglicher Tatsachen und Meinungen: "Für die Geruchs-, Gesichts-, Gehörs- und Geschmackseindrücke gibt es keine Tatsache, auf welche gestützt man zu glauben wagen dürfte, daß ihre Wahrnehmung insbesondere in der Brücke zu Stande komme, wie dies bei den Tasteindrücken der Fall ist"; und: "man darf jedoch dem Wahrnehmungsvermögen der Brücke keine zu große Wichtigkeit beimessen und sich zu übertriebenen Schlüssen versteigen..... Ich gestehe, daß es mir bis jetzt für das Wahrscheinlichste gilt, daß bei dem natürlichen Hergange der Sinnestätigkeiten die Großhirnlappen die einzigen Hirnteile sind, in welchen die Sinneseindrücke eine letzte Verarbeitung erfahren, wo sie eine bestimmte Form annehmen können, um den Tieren den Stoff zu ihren Urteilen zu liefern." Und in dieser Ansicht stimmen nach unbefangenster Zusammenstellung der anatomischen, physiologischen und pathologischen Tatsachen wohl jetzt die meisten Physiologen überein.

    Mit Tatsachen sehr allgemeiner Tragweite tritt neuerdings Rud. Wagner 5) der Zentralisation des Seelensitzes entgegen.

5) Götting. gel. Anz. 1860. Nachrichten Nr. 6. S. 55 ff.
 
 
    "Man kann — sagt er — bei Tauben (aber auch bei Kaninchen) bei entblößtem oder unentblößtem Gehirne, wenn man eine größere Anzahl von Individuen verwendet, alle einzelnen Partien des Gehirnes mit einer einfachen oder einer Staar-Nadel zerstören, ohne daß, wenn keine tödliche Blutung erfolgt, die freilich oft eintritt, die Sinnesperzeptionen und die höhere psychische Funktionen (Vorstellungen) beurkundenden Reaktionen aufhören....

    "Auch der mögliche Einwurf, daß es bei Tieren sehr schwer sei, Reaktionen der Bewußtseinssphäre von Reflexbewegungen zu unterscheiden, wird, glaube ich, durch Beobachtungen beim Menschen, welche allerdings für solche Fragen die wichtigsten sind, widerlegt.

    "Ich habe nämlich bei einem genauen Vergleiche der klinischen Erfahrungen und Sektionsberichte gefunden, daß in allen an der Basis des Gehirnes gelegenen Teilen, auch der unpaaren, wie der Hypophysis und der Zirbel, krankhafte Degenerationen, ja, wie es scheint, gänzliche Zerstörungen vorkommen können, ohne daß die Seelentätigkeit immer auffallend gestört, ja öfters gänzlich erhalten erscheint.

    "Diese beiden Erfahrungsreihen müssen, wenn sie auch nicht als zweifellose Beweise betrachtet werden sollten, es doch auf das Äußerste unwahrscheinlich machen, daß im Gehirne ein gemeinsamer Empfindungsplatz, ein punktförmiges Sensorium commune, sich befindet. Ja ich bekenne, indem ich meine früheren Ansichten limitiere, daß eine gewisse Summe von Seelen-Erscheinungen erhalten bleibt, wenn man, wie bei Tauben möglich ist, großes, kleines und einen Teil des Mittelhirnes entfernt hat und die Tiere am Leben erhält."

    Hierzu kommt noch, daß es Tiere gibt, in denen kein unpaariger Teil des Nervensystems vorhanden ist, wohin man den Sitz der Seele verlegen könnte. Jede rationale Fassung des einfachen Seelensitzes muß in einem symmetrisch gebauten und sich im Sinne dieser Symmetrie bewegenden Tiere den Körper symmetrisch zu diesem Sitze angeordnet denken. Beim Menschen wäre dies noch möglich; bei den Echinodermen ist es nicht mehr möglich, soll anders der Seelensitz im Nervensysteme liegen.

    "Das Nervensystem der Echinodermen umschließt als Zentralorgan den Eingang zur Schlundhöhle in Gestalt eines meist fünfeckigen Nervenringes, von dessen Winkeln die Hauptnervenstämme in der Mittellinie der Strahlen oder der diesen entsprechendem Hautskeletteile bis zu dem entgegengesetzten Leibesende hinablaufen.... Ganglienknoten haben sich bis jetzt an dem Schlundringe nicht wahrnehmen lassen." (Stannius’ und Siebold’s Lehrb. d. vergl. Anat. 1. Ausg. I, S. 85.)

    Kann irgend etwas beweisen, daß sich anatomischerseits ein Zentralpunkt oder enger Zentralraum nicht finden läßt, der als Sitz der Seele angesehen werden könnte, so ist es der Umstand, daß man nach und nach fast jeden Teil des Gehirnes dafür anzusehen hat 6). So setzte Descartes den Sitz der Seele in die Zirbel, Bontekoe, Lancisi, Louis, Chopart, Saucerote und la Peyronie in den Balken; Digby in die Scheidewand, Vieussens in den größten Umkreis des Markes; Andere in die Sehnervenhügel; Andere in den Gehirnknoten; Arantius in die dritte Hirnhöhle; Willis in den gestreiften Hügel; Drelincourt in das kleine Hirn; Wharton und Schelhammer in den Anfang des Rückenmarkes; Fabri in das gefaltete Adernetz; Mieg in das Rückenmark. Diese Ansichten mögen zum Teil sehr unkritisch gewesen sein, aber die umsichtigste Kritik wird nur darin über alle diese Ansichten hinausgehen können, daß sie alle gleich verwirft.

6) Sömmering. 407.
 
 
    Geht man näher auf die pathologischen Erfahrungen ein, so scheinen dieselben zunächst nur Widersprüche unter einander darzubieten. Während eine Unzahl pathologischer Erfahrungen die große Bedeutung der Integrität des Gehirnes für die Integrität des Seelenlebens beweist, scheint sie nach einer großen Menge anderer Erfahrungen fast gleichgültig dafür zu sein. Bei den geachtetsten Beobachtern finden sich Beispiele von Wunden, Erweichungen, Verhärtungen, Hydatiden u. a. Entartungen im Gehirne, die ungeachtet einer sehr weiten Ausbreitung doch mit keiner Geistesstörung in Verbindung standen. U. a. haben Haller (Elem. physiol. IV, p. 338), Arnemann (Vers. über das Gehirn und Rückenmark S. 136), Longet, Anatomie und Physiol. des Nervensystems, solche Fälle gesammelt. Ja Sömmering (v. Hirn u. d. Nerven S. 400) sagt: es sei fast kein Teil der Gehirnmasse, den man nicht zuweilen ohne Spur eines Nachteiles für Leben und Verstand verhärtet, verwundet, vereitert oder zerstört gefunden hätte. Eben so bemerkt Burdach, der in seinem Werke über das Gehirn die bekannten Fälle von Verletzungen und Abnormitäten des Gehirnes nach den Kategorien ihrer Folgen mit peniblem Fleiße zusammengestellt, im Allgemeinen (III, S. 267): die Erfahrung habe gelehrt, daß es keinen Teil im Gehirne gebe, dessen Abnormität nicht zuweilen eine Störung der Seelentätigkeit zur Folge gehabt hätte, aber eben so auch keinen, bei dessen Abnormität die Seelentätigkeit nicht ungestört geblieben wäre. (Vergl. auch Wagner’s Anführungen in dieser Hinsicht S. 397.)

    Nun gilt es, eine Ansicht zu fassen, welche die scheinbaren Widersprüche in dieser Hinsicht löst, nicht eine solche, welche sie bestehen läßt. Die Ansicht vom punktuellen Seelensitze vermag aber jene Widersprüche nicht zu lösen, sondern läßt sie in voller Stärke bestehen. Ein Punkt, ein kleiner Organteil, durch dessen Zerstörung oder Störung sicher Zerstörung oder Störung des diesseitigen Seelenlebens einträte, müßte danach jedenfalls gefordert werden, und er hat noch nicht gefunden werden können. Wogegen sich die scheinbaren Widersprüche nach der Ansicht vom ausgedehnten Seelensitze ganz konsequent und einfach im Sinne der sonst im Organismus vorhandenen Einrichtungen lösen. Was für den ganzen weiteren Seelensitz gilt, gilt nur eben auch für seinen wichtigsten Teil, den engeren. Wenn die rechte Lunge zerstört ist, atmet man noch mit der linken, und wenn von beiden ein Stück zerstört ist, atmet man noch mit dem anderen. So können sich die beiden Augen, Ohren, Hände, die Collateralgefäße der großen Gefäßstämme u. s. w. in ihren Leistungen zugleich ergänzen und vertreten. So können es auch im Sinne der Ansicht vom ausgedehnten Seelensitze die beiden Gehirnhälften, und selbst bis zu gewissen Grenzen Teile derselben Gehirnhälfte, so lange noch solche zur Vertretung da und leistungsfähig sind. Wo nicht, so hört die Möglichkeit der Vertretung auf, und in dieser Hinsicht sind nach der variabeln Konstitution, dem Gesundheitszustande, den früheren Schädigungen des Gehirnes alle Fälle möglich, die vorkommen. Die Flourens’chen Versuche mit Wegschneiden jetzt einer, dann beider Hirnhemisphären sind experimentale Beweise für diese Möglichkeit der Vertretung bezüglich der psychischen Leistungen, und geben zugleich, wie später zu zeigen, die einfache Unterlage für eine Erklärung der Teilbarkeit der niederen Tiere mit Verdoppelung der Seele im Sinne der Ansicht vom ausgedehnten Seelensitze, indes sie die Rätsel und Schwierigkeiten im Sinne der Ansicht vom einfachen Seelensitze nur mehren.

    Das Einzige, was für den ersten Anblick von Erfahrungsseite her für die Ansicht vom einfachen Seelensitze zu sprechen scheinen kann, ist der oben besprochene Umstand, daß wir von unserem Körper so viele Teile, Arme, Beine und noch viel mehr verlieren können, ohne daß das geistige Leben und das Leben überhaupt etwas Anderes, als äußere Hilfswerkzeuge zu verlieren scheint, daß sicher das Nervensystem und hierin insbesondere das Gehirn den Herd einer Tätigkeit bildet, die zur Seelentätigkeit in irgend einer bevorzugten Beziehung steht, und daß selbst vom Gehirne noch dies und das wegfallen kann, ohne daß die Integrität des Lebens und der Seele leidet; denn dies kann so gedeutet werden, daß es endlich überhaupt nur auf Erhaltung eines innersten und letzten Kernes als wesentlichen Trägers des Seelenlebens ankomme, und das Letzte, wohin man bei diesem Schlusse gehen kann, ist ein einfaches Wesen an einfachem Sitze. Ich habe nichts gefunden, was sonst auch nur mit einem Scheine für den einfachen Seelensitz von Seiten der Erfahrung spräche. Aber nachdem man so weit mit dem Schlusse gediehen ist, wird der Schlußstein dieses Schlusses, auf den zuletzt Alles ankommt, von der Erfahrung verweigert; sofern endlich jeder Teil des Gehirnes zerstört werden kann, ist’s nur nicht zu viel auf einmal, ohne daß das Seelenleben zerstört oder gestört wird. Fehlt aber dieser Schlußstein, so fällt der ganze Schluß und müssen auch jene Tatsachen, die dahin zu weisen schienen, eine andere Deutung erhalten. Hingegen kann sich die Deutung im Sinne der Ansicht vom ausgedehnten Seelensitze nicht nur auf ein erfahrungsmäßig im ganzen Organismus gültiges Prinzip stützen, sondern zugleich den geforderten Schlußstein im Flourens’chen Experimente und den Phänomenen der teilbaren Tiere aufweisen.

    Es gibt zwar eine Tatsache, die sich für den ersten Anblick dem Vorigen entgegenstellen läßt. Durchschneidung des verlängerten Markes, d. i. des noch im Schädel liegenden Teiles, durch welchen das Gehirn sich in das Rückenmark fortsetzt, bringt beim Menschen und den höheren Tieren sicher und plötzlich den Tod hervor. Sollte nicht endlich hier mit dem Sitze oder der Hauptbedingung des körperlichen Lebens der Sitz der Seele als Zentrum, Unterhalter, Motor dieses Lebens zu suchen sein? Flourens 7) hat den Punkt im verlängerten Marke, durch dessen Verletzung oder Extirpation sicher und plötzlich Tod erfolgt, näher zu bestimmen gesucht, und hat gefunden, daß es eine nur etwa stecknadelkopfgroße Partie grauer Gehirnmasse sei, die Spitze der V-förmigen grauen Masse im Schnabel des sog. Calamus scriptorius, mit welchem die vierte Hirnhöhle in die Rückenmarksspalte übergeht, welche kleine Masse 8) er in Betracht dieser ihr exklusiv zugeschriebenen Eigenschaft point vital oder noeud vital nennt. Durchschneidet man sie oder sticht man einen kleinen Troikar [emporte-pièce] so in das verlängerte Mark ein, daß der Lebensknoten durch einen, denselben umgebenden, kreisförmigen Einschnitt vom übrigen verlängerten Marke getrennt wird, so fällt nach seinen Angaben das Tier wie vom Blitze getroffen zu Boden, der Atem, mitunter auch die Herzbewegung stockt plötzlich, und das Tier ist tot fast ohne Konvulsionen und Agonie, während Einschnitte vor und hinter diesem Knoten noch Lebenserscheinungen wie das Atmen und den Herzschlag fortbestehen lassen. Nach Flourens beträgt der Abstand zwischen beiden Grenzen, wo der Einschnitt noch geschehen kann, ohne den Atmungs-, Zirkulations- und hiermit Lebensprozeß aufzuheben, hiermit der Durchmesser des Lebensknotens, kaum 1 Linie. Ja es zeigt sich die Integrität dieses kleinen Teiles als Lebensbedingung wichtiger, als die des ganzen Gehirnes, indem bei denselben Tieren das gesamte große Gehirn mit seinen Basalganglien abgetragen werden kann, ohne daß Atmung und Herztätigkeit unmittelbar alteriert oder gar sistiert werden. Außerdem setzt Flourens mit dem Dasein dieses Knotens im verlängerten Marke die von ihm bemerkte Tatsache 9) in Beziehung, daß bei durch Äthereinatmung betäubten Hunden, wenn Kneipen der hinteren Rückenmarksnervenwurzeln keine Zeichen von Empfindung, Kneipen der vorderen keine Bewegung mehr veranlaßt, doch noch Zeichen des Schmerzes und Muskelkontraktion in der Nackengegend wahrgenommen werden, wenn man das verlängerte Mark kneipt oder berührt 10), und plötzliches Aufhören aller Atembewegungen, hiermit plötzlicher voller Tod, wenn man nachmals noch den Lebensknoten durchschneidet, was er so deutet, daß der Lebensknoten noch fortlebe, wenn schon das Leben sonst im ganzen Rückenmarke durch die Ätherisierung unterdrückt sei.

    Nach alle dem betrachtet Flourens diesen Punkt, oder richtiger diese kleine Masse wirklich als den eigentlichen Sitz des Lebens, indem er u. a. sagt:

    "0n voit que ce point, premier moteur du mécanisme respiratoire, et noeud vital du système nerveux (car tout ce qui, du système nerveux, reste attaché à ce point, vit, et tout ce qu'on en sépare, meurt) n'est ainsi que je l'ai répété bien des fois, pas plus gros que la tête d'une épingle."

    "C'est donc d'un point, qui n'est pas plus gros qu'une tête d'épingle, que dépend la vie du système nerveuse, la vie de l'animal par conséquent, en un seul mot, la vie."

    "Les physiologistes m'ont souvent demandé de leur indiquer par un terme anatomique la place précise du point, que je nomme le point vital."

    "Je leur réponds: la place du point vital est la place marquée par la pointe du V de substance grise."

    "Sur le cerveau du chien, l'origine du nerf pneumo-gastrique est 5 millim. au-dessus du point vital. Sur le cerveau du lapin, l'origine du nerf pneumo-gastrique est 3 millim. au-dessus du point vital."

7) Compt. rend. 1881. XXXIII, 437, XLVII, 803, frühere Untersuchung in s. Rech. expér. 1842. p. 204, spätere Notiz in Compt. rend. 1859. XLVIII p. 136.

8) R. Wagner gedenkt derselben in dem S. 397 angeführten Aufsatze unter dem Namen des grauen Keils.

9) Compt. rend. 1847. XXIV, 253.

10) Daß dies beim noeud vital insbesondere der Fall sei, wird nicht angeführt.
 
 

    Unstreitig erscheinen diese Tatsachen sehr frappant, und hiernach gäbe es also, entgegen unserer obigen Angabe, doch einen winzig kleinen Teil, durch dessen Zerstörung oder Entfernung das Leben sicher aufgehoben wird, und man könnte um so eher geneigt sein, anzunehmen, daß hier mit dem Sitze oder der letzten Bedingung des körperlichen Lebens zugleich der Sitz der Seele im oben (s. o.) angegebenen Sinne zu suchen sei, als sich die Wurzeln zwar nicht aller, aber vieler wichtigen Nerven und darunter Sinnesnerven, bis zum verlängerten Marke, in welchem dieser noeud vital liegt, haben verfolgen lassen.

    Nach einer genaueren Untersuchung jedoch stellt sich sowohl die Tatsache als die Deutung der Tatsache sehr anders, so daß statt einer Bestätigung der Ansicht vom einfachen Seelensitze fast die letzte Zuflucht derselben dadurch abgeschnitten wird.

    Unstreitig dürfen wir wirklich im noeud vital nach Flourens und anderweiten Erfahrungen den verhältnismäßig kleinsten Teil sehen, dessen Zerstörung am sichersten, meist plötzlich den Tod herbeiführt, und es dürfte den Anhängern des einfachen Seelensitzes wenig Hoffnung bleiben, eine andere eben so kleine Hirnpartie zu finden, welche hierin dem noeud vital den Vorrang streitig machte. Kann nun aber selbst dieser

sogenannte Lebensknoten unter geeigneten Maßnahmen ganz extirpiert werden, ohne daß Körper- und Seelenleben aufhört, so wird man von jedem anderen stecknadelkopfgroßen Teile des Gehirnes um so mehr dasselbe annehmen dürfen (wie denn auch die oben angeführten Versuche R. Wagner’s hierfür direkt sprechen), und zugeben müssen, Leben und Seele hängen überhaupt nicht an einem bestimmten Punkte, sondern an einem Zusammenhange, in dem jeder kleinste Teil durch andere kleinste Teile desselben Zusammenhanges vertreten werden kann. So ist es aber.

    In der Tat hat Brown Séquard 11) durch sehr zahlreiche, oft wiederholte und abgeänderte, Versuche an Meerschweinchen, Kaninchen und Hunden gezeigt, das man den noeud vital mit seiner ganzen Umgebung herausschneiden kann, nur muß es nicht plötzlich mit einem Troikar oder mit einem sehr raschen Zirkelschnitte geschehen, sondern mit einem langsam geführten Schnitte, wodurch eine plötzliche starke Reizung dieser Stelle des verlängerten Markes vermieden wird; dann können Atem, sogar mit Beschleunigung und Herzschlag, mit den unzweideutigsten Zeichen von Empfindung und Willkür noch mehr oder weniger lange, unter günstigen Umständen selbst Tage lang fortbestehen. Der plötzliche Tod, der bei Flourens’ Operationsweise (und überhaupt raschen Durchschnitten des verlängerten Markes) eintritt, hängt nach Séquard’s Diskussion der verschiedenen Umstände gar nicht an sich und wesentlich an der Entfernung dieses Teiles, sondern daran, daß die bei raschem Schnitte unvermeidliche Reizung desselben dieselbe Stockung des Atems und mitunter Kreislaufes mitführt, welche man auch nach den Beobachtungen von Bernard, Budge, Séquard bezüglich des Atmens 12), nach E. H. Weber u. A. bezüglich der Herzbewegung durch Galvanisierung der in das verlängerte Mark einmündenden Atemnerven erzeugen kann.

11) Dessen Journ. de Physiolog. 1857. I, p. 217.

12) Bernard in Lecons de physiol. exp. 1853. p. 326; Budge in Compt. rend. XXXIX. 1854. p. 749 ; Séquard in d. Compt. rend. de la Soc. de Biol. déc. 1853.
 
 

    Mag nun diese Erklärung des abweichenden Erfolges triftig sein oder nicht, was ich nicht entscheiden kann, so genügt uns hier die Tatsache selbst, daß der Erfolg der Operation keineswegs ein notwendiger ist, wie es der Fall sein müßte, wenn im sog. noeud vital der wesentliche Sitz des Lebens und der Seele zu suchen wäre.

    Brown Séquard führt u. a. einen Versuch an (Exp. IV. p. 228), wo er einem erwachsenen Kaninchen mit dem Lebensknoten zugleich die ganze V-förmige graue Masse, deren Spitze der Lebensknoten ist, und etwas von der umgebenden weißen Masse extirpierte. Die Respiration ward, anstatt aufzuhören, ausnehmend beschleunigt, der Herzschlag dauerte fort; die anderweiten Erscheinungen wie folgt: "L'animal est à peine troublé et il marche presque sans tituber (il titubait davantage avant l'ablation du point vital, apres la section des muscles du cou). La respiration s'exécute avec plus d'effort qu'à l'état normal. Moins d'une heure apres l'opération, il a mangé." Tags darauf: "Il se promène et il court lorsqn'on veut le prendre. II ne semble y avoir aucune diminution de la vue et de l'audition. Les mou-veroents volontaires s'exécutent librement et l'animal semble être très-vigonreux. II a mangé avec assez d'appétit." Noch am 7. Tage nach der Operation versucht das Thier zu schlucken, wenn schon vergeblich; und stirbt unter allmälig zunehmender Athembeschwerde erst am achten.

    In einem anderen, nicht ausführlich mitgeteilten, Falle (p. 232) sah Brown Séquard ein Kaninchen die Operation 9 Tage und einige Stunden überleben. Mehrere andere Fälle werden als Beispiele von vielen mitgeteilt, wo das Leben mit Zeichen der Empfindung und Willkür zwar nur kürzere Zeit, aber doch immer eine Zeit lang, nach der Operation fortbestand.

    Auch ist nach schon früheren Versuchen von Brown Séquard 13) keineswegs bei allen anderen Tieren schneller Tod die Folge der Entfernung des ganzen verlängerten Markes, ja bei manchen Tieren wird diese Operation geraume Zeit überlebt. So beträgt nach ihm das Maximum der Lebensdauer nach derselben bei Fröschen und Salamandern 4 Monate, bei Kröten 4 bis 5 Wochen, bei Schildkröten 9 bis 10 Tage, bei Schlangen und Eidechsen 4 bis 7 Tage, bei Fischen 1 bis 6 Tage, bei Vögeln 2 bis 21 Minuten, bei winterschlafenden Säugetieren 1 Tag, bei neugeborenen Hunden, Katzen und Kaninchen 34 bis 46 Minuten, bei erwachsenen 3 bis 3¼ Minute. Je höher die äußere Temperatur, desto schneller tritt der Tod ein; so sterben selbst Frösche bei 30 bis 40º C. schon nach wenig Minuten.

13) Exper. research. New York 1883. Compt. rend. de la Soc. de Biol. pour 1851. Vol. III, p. 73; Compt. rend. de l'Acad. des sc. 1847 XXIV, p. 363 ; hier nach Funke Lehrb. d. Physiol. 1. Aufl. S. 1026.
 
 
    Die lange Lebensdauer der Frösche nach Entfernung des verlängerten Markes kann darauf geschrieben werden, daß bei diesen Tieren ein beschränkter Atmungsprozeß durch die äußere Haut von Statten geht, weshalb sie sich auch länger nach der Operation in Sauerstoffgas als in atmosphärischer Luft erhalten, und die leichtere Erhaltung des Lebens in kalter als warmer Luft darauf, daß der Atmungsprozeß durch die Haut erstenfalls leichter genügt als letztenfalls.

    Endlich verweist Brown Séquard auf künftig von ihm mitzuteilende pathologische Fälle beim Menschen, welche zu beweisen scheinen, daß die langsame Zerstörung dieser kleinen Masse grauen Markes den Tod hier nicht herbeiführt.

    Zu allem Vorigen kommt nun noch, daß Flourens 14) nach seinen neuen Untersuchungen innerhalb des Lebensknotens selbst eine Vertretung einer Hälfte durch die andere anerkennt, so daß, wenn bloß eine Hälfte durchschnitten wird, der Tod nicht erfolgt, sondern nur erfolgt, wenn beide durchschnitten werden, so daß der Lebensknoten in dieser Hinsicht ganz unter dasselbe Prinzip tritt, welches wir im übrigen Organismus finden. Er fügt einen Beweis mehr zu den übrigen hinzu, und vielleicht den schlagendsten Beweis, daß jeder nicht zu große Teil seine Vertretung durch andere finden kann.

14) L'Instit. 1858. p. 381. Compt. rend. XLVII, 803.
 
 
    Wenn die Tatsache, daß sich weder im noeud vital, noch sonst wo ein Punkt hat finden lassen, mit dessen Zerstörung das diesseitige Leben sicher zerstört wird, direkt gegen die Ansicht vom einfachen Seelensitze spricht, so steht hingegen die große und vorzugsweise Wichtigkeit, welche doch die Integrität des Flourens’schen Lebensknotens für die Integrität des Lebens hat, die leichte und bei manchen Operationsweisen doch sichere Zerstörung des Lebens bei seiner Zerstörung in keiner Weise im Widerspruche mit der Ansicht von einem, über den Lebensknoten hinausgreifenden, ausgedehnten Seelensitze; indem der Tod der Seele hiernach vielmehr von der ausgedehnten Sistierung wichtiger körperlicher Lebensfunktionen, welche nach dem organischen Zusammenhange mit der Zerstörung des Lebensknotens eintritt, als von Zerstörung dieses kleinen Teiles selbst abhängig gemacht werden kann. Der Lebensknoten verdankt hiernach selbst seine Bedeutung nur seinem Zusammenhange, und hat, abgesehen von dem Zusammenhange, in dem er sich befindet, keine größere Bedeutung für das Seelenleben, als irgend ein anderes gleich großes Häufchen grauer Masse, verhält sich vielmehr in dieser Hinsicht ganz wie ein Stift oder Ventil in manchen Maschinen, mit dessen Zerstörung oder Entfernung die ganze Maschine plötzlich ins Stocken geraten kann, ohne daß man doch deshalb den Sitz oder die wesentliche Bedingung der Leistung der Maschine darin zu sehen hat.

    Gesetzt aber, der Tod erfolgte wirklich unausweichlich plötzlich mit Zerstörung des Lebensknotens oder irgend einer anderen Stelle, so würde damit nur eine der Forderungen, welche die Ansicht vom einfachen Seelensitze zu stellen hätte, befriedigt, aber dieselbe noch keinesfalls erwiesen sein, da es eine andere Frage ist, ob mit Zerstörung eines Punktes die Seele aus diesem Leben fällt, und ob dieser Punkt zugleich ein Zentralpunkt in dem Sinne ist, an den wir den Begriff des Seelensitzes geknüpft haben. In der Tat aber haben wir gar keinen erfahrungsmäßigen Grund, dem sog. Lebenspunkte eine besonders wichtige zentrale oder funktionelle Bedeutung für die höheren Seelenfunktionen beizulegen.

    Gegen die hier erhobene Schwierigkeit, daß sich kein noeud vital in strengem Sinne finden lasse, scheint mir nur etwa folgende Ausflucht möglich. Man kann sagen, sei es nicht der Flourens’sche, werde es ein anderer sein, der in irgend einem Verstecke ruhe, und die pathologischen und physiologischen Erfahrungen nur nicht ausreichend, ihn finden zu lassen, zumal ja nicht notwendig sei, daß der darauf zu beziehende einfache Seelensitz immer genau denselben Ort einhalte, vielmehr möglich, daß er im Falle drohender oder wirklicher Zerstörung des Sitzes den Ort wechsele. Könne dies auch nicht geschehen, ohne daß die Seele ihre günstigste Stellung zum Körper verliere; so zeige sich ja auch der Nachteil solcher Zerstörungen.

    Wirklich hat Herbart eine Beweglichkeit des einfachen Seelensitzes statuiert.

    Nun sind die Annahmen, daß das anatomische Messer den einfachen Seelensitz bisher nicht zu treffen vermocht, und daß die Seele vor demselben zu flüchten vermöge, unstreitig gleich unwahrscheinlich; doch müßten sie gestattet werden, wenn die Ansicht vom einfachen Seelensitze sonst durch einen Zusammenhang tatsächlicher Punkte gesichert wäre, da sie dann durch die Haltbarkeit der Ansicht mit gehalten würden; sollte sich aber diese Ansicht auch sonst überall nur auf Gründe stützen können, die erst durch die vorausgesetzte Haltbarkeit der Ansicht haltbar werden, so ist schwer zu sagen, worauf sie sich eigentlich stützt. Indem ich folgends zu zeigen suche, daß dies die wirkliche Sachlage ist, kann ich mich freilich nur gegen den einzigen Vertreter der Ansieht vom einfachen Seelensitze wenden, bei dem ich überhaupt einen ernsthaften Versuch zur Beseitigung ihrer Schwierigkeiten finde; denn meist hat man sich die Schwierigkeiten gar nicht klar gemacht. Es kann aber meines Erachtens nur beitragen, die Entscheidung für die Ansicht vom ausgedehnten Seelensitze sicher zu stellen, wenn sich zeigt, welche Wege der Scharfsinn eines der scharfsinnigsten Vertreters der gegenteiligen Ansicht einschlagen mußte, diese zu halten.

    Zur Beseitigung der anatomischen Schwierigkeit, daß die Nervenfasern nicht in einem Punkte zusammentreffen, wie man im Falle des einfachen Seelensitzes zu erwarten hätte, bemerkt Lotze, es können dessen ungeachtet die Sinneserregungen insofern den Sitz der Seele treffen, als die Nervenfasern entweder in ein nervöses Parenchym einmünden, in dem der Sitz der Seele ist, und also doch teilweise zu diesem Sitze gelangen (med. Psychol. 118) oder sich in wenige, sei es auch nur eine einzige Nervenbahn, die zum Sitze der Seele führt, vereinigen (Mikr. I, 323. 328). Die erste Voraussetzung erschien freilich teleologisch so unbefriedigend, daß dies wohl Hauptgrund war, daß Lotze ihr in seinem späteren Werke die zweite substituierte. Indem aber beiden gleich sehr die Schwierigkeit entgegensteht, daß sich in dem Parenchym oder der einfachen Leitungsbahn die Sinneserregungen zu einer mittleren mischen müßten, also die Unterscheidungsfähigkeit derselben nicht stattfinden könne, die doch erfahrungsmäßig besteht, lehnt Lotze (med. Psych. 121. Mikr. I, 323) dies dadurch ab, daß möglicherweise auch das Parenchym oder "das Gefüge einer und derselben Faser durch viele Erregungen gleichzeitig durchlaufen werden könne, ohne daß diese einander bis zum Unbemerklichwerden ihrer wesentlichen Charaktere störten." "Bieten doch die Schall- und Lichtwellen, die in unermesslicher Mannigfaltigkeit sich kreuzend denselben Luftraum gleichzeitig durchdringen, auch außer uns ein reichhaltiges Beispiel von Bewegungen, die in demselben Stoffe verlaufend nur in so beschränkter Ausdehnung einander stören, daß ihr gegenseitiger Einfluß auf einander beinahe nur der Wissenschaft bekannt wird, der gewöhnlichen Wahrnehmung aber ganz entgeht."

    Nun aber vermögen wir doch faktisch nicht, zusammengesetzte Lichtschwingungen in ihre Farbenkomponenten zu zerlegen, wenn sie durch dieselbe Optikusfaser eintreten; und soll die zuleitende Nervenbahn zum einfachen Seelensitze nicht eine besondere qualitas occulta vor der Optikusfaser voraushaben, so werden wir sie eben so wenig zu zerlegen vermögen, wenn sie in Zusammensetzung dadurch anlangen; oder müßten sie eben so zerlegen können, wenn sie durch die Optikusfaser so anlangten. Kurz faktisch verwirklicht sich die Möglichkeit, auf die sich Lotze beruft, in unserem Nervensysteme nicht. Lichtschwingungen können sich freilich draußen kreuzen und doch noch von uns unterschieden werden, aber nur wenn sie aus ihrer Kreuzung hervorgehend nach oder neben einander gesondert unser Auge treffen, wie Wellen auf dem Teiche auch einander durchschreiten können, und ihre Wirkungen gesondert geltend machen können; nach Lotze aber sollen alle Lichtschwingungen, welche die unzähligen Punkte einer Gegend in unser Auge senden, gleichzeitig durch dieselbe Nervenbahn zugeleitet und in ihrer Zusammensetzung gleichzeitig am einfachen Seelensitze anlangend, noch ihre Unterscheidungsfähigkeit behalten; das kann nach Erfahrungen nicht sein.

    Man könnte einwenden, daß die Seele doch aus einem Gemische von Tönen, welches durch denselben Hörnerv anlangt, durch Aufmerksamkeit die einzelnen Töne herauszuhören vermag. Aber wir dürfen uns beim Gesichte nicht auf eine Analogie mit dem Gehöre berufen, wenn beim Gesichte direkte Tatsachen widersprechen; gar Vieles gilt für den einen Sinn, was für den anderen nicht gilt. Überdies sind im 33. Kapitel gute Gründe geltend gemacht worden, wonach selbst das Heraushören einzelner Töne aus einem Tongemische nur insofern möglich sein dürfte, als dieselben durch verschiedene Akustikusfasern percipiert werden.

    Der scharfsinnig eingeführte und ausgeführte Begriff der sog. Lokalzeichen, wodurch Lotze die Entstehung zusammengesetzter räumlicher Anschauungen und Tastbilder erklärbar zu machen sucht, hebt die Schwierigkeit nicht nur nicht, sondern kennt sie gar nicht.

    Ich führe hier einige besonders charakteristische Stellen aus Lotze’s berühmter und einflußreich gewordener Lehre von den Lokalzeichen 15) an, ohne sie in ihrer ganzen feinen Ausführung, die man selbst nachlesen muß, die aber doch nur durch eine haltbare Grundlage haltbar wird, hier wiedergeben zu können:

    p. 328. "So wie eine veränderliche Größe abnehmen kann bis zu einem Nullwerte und jenseits desselben wieder wachsen, so geht die Regelmäßigkeit der geometrischen Einwirkungen unfehlbar in einem Punkte vollkommener Unräumlichkeit zu Grunde und wird jenseits desselben wiedererzeugt. Und wie eine veränderliche Größe sich von Neuem entfaltet, nicht weil sie ihre früheren wirklichen Werte auf verborgene Weise mit in den Nullwert hineingeschleppt, sondern weil das Gesetz ihres Wechsels sich durch dieses augenblickliche Verschwinden reeller Werte hindurch erhält, so werden auch die geschehenden Eindrücke in der Seele sich in der Seele wieder zu einer Raumwelt ausbreiten, nicht indem sie eine verborgene Räumlichkeit in das Bewußtsein eingeschwärzt, sondern weil sie vermocht haben, zwischen den intensiven Erregungen der Seele, die sie erzeugten, Relationen zu unterhalten, aus denen in der rekonstruierenden Tätigkeit der Anschauung das Bild der veranlassenden Objekte wiederentstehen muss."

15) Lotze, medicin. Psychol. 325 ff.
 
 
    p. 330. "Finden wir irgendwo Veranstaltungen getroffen, um eine Vielheit äußerer Reize in geordneten geometrischen Verhältnissen auf das Nervensystem wirken zu lassen, so sind uns solche Einrichtungen allerdings als Andeutungen wichtig, daß die Natur aus jenen räumlichen Beziehungen etwas für das Bewußtsein zu machen beabsichtigt. An sich jedoch erklären sie nichts, und es ist notwendig, überall in den Sinnesorganen zugleich jene anderen Mittel aufzusuchen, durch welche die Lage der erregten Punkte noch neben ihrer qualitativen Erregung auf die Seele zu wirken vermag. Da nun die spätere Lokalisation eines Empfindungselementes in der räumlichen Anschauung unabhängig ist von seinem qualitativen Inhalte, so daß in verschiedenen Augenblicken sehr verschiedene Empfindungen die gleichen Stellen unseres Raumbildes füllen können, so muß jede Erregung vermöge des Punktes im Nervensysteme, an welchem sie stattfindet, eine eigentümliche Färbung erhalten, die wir mit dem Namen ihres Lokalzeichens belegen wollen. Über die nähere Natur dieses Lokalzeichens werden wir uns bald weiter zu äußern haben; wir können es hier nur als einen physischen Nervenprozeß überhaupt bezeichnen, der sich konstant für jede Stelle des Nervensystems mit jenem veränderlichen Nervenprozesse assoziiert, welcher an derselben Stelle dem qualitativen Inhalte der wechselnden Empfindungen zu Grunde liegt. Beide Prozesse stören einander entweder gar nicht, oder in höchst unbeträchtlichem Maße, und während die Seele fortfährt, unter dem Einflusse des letzteren ihre gewöhnlichen qualitativen Empfindungen zu bilden, wird jede von ihnen zugleich von einer anderen Erregung begleitet, welche abhängig von dem Lokalzeichen ihre spätere Einordnung an eine Stelle des vorgestellten Raumes bedingt."

    p. 334. "Diese Erwägungen bestimmen uns, jene Lokalzeichen der Nervenerregungen im Allgemeinen nicht in passiven Nebenumständen zu suchen, die jede Stelle des Nervensystemes nach ihrer Struktur noch neben den Empfindungsreizen nur erleidet, sondern in den Bewegungen, welche sie vermöge ihres Zusammenhanges mit dem übrigen Nervensysteme nach Weise des Reflexes hervorzubringen strebt 16)."

    16) Auch p. 340 wird gesagt, daß "die Lokalzeichen in der Erweckung motorischer Tendenzen bestehen."

    p. 335. "Für alle unsere physiologischen Betrachtungen reicht die Vorstellung hin, daß die Raumanschauung ein der Natur der Seele ursprunglich und a priori angehöriges Besitztum sei, das durch äußere Eindrücke nicht erzeugt, sondern nur zu bestimmten Anwendungen provoziert würde."

    Unstreitig ist es schwer, sich von den Lokalzeichen als motorischen Tendenzen, wofür sie Lotze im Wesentlichen erklärt, eine klare Vorstellung zu machen. Was ist eine Tendenz, — die exakte Physik kennt das Wort nicht — wenn man weder wirkliche Bewegungen noch geistige Strebungen, die ja erst in der Seele erwachen, darunter denken soll; ist eine Fortpflanzung von Druck oder Spannung oder doch eine leise Bewegung damit gemeint? und etwas sollte man doch darunter denken können, um nicht die Leistung, die den Lokalzeichen auferlegt wird, einem bloßen Worte aufzuerlegen und die Leistung selbst zu einer qualitas occulta zu machen. Es ist mir nicht geglückt, darüber Klarheit zu erlangen.

    Jedenfalls können die verschiedenartigen Lokalzeichen, welche den Erregungen der einzelnen Sehnerven- und Tastnervenfasern je nach ihrer Lage anhaften, in dem Parenchym oder der einfachen Verbindungsfaser, wodurch zuletzt Alles zur Seele gelangt, nur zu einem zusammengesetzten Lokalzeichen verschmelzen. Nun wird der Seele die Aufgabe gestellt, und man darf wohl sagen, die Fähigkeit oktroiert, die Qualität dieser Verschmelzung als räumliche Extension und Anordnung zu explizieren. Aber unter welcher Form man auch die Lokalzeichen denken möchte, ist es nicht eine mystische, so will sich keine einer solchen Fähigkeit fügen. Lotze selbst bedient sich vergleichsweise des Ausdruckes zur Charakteristik der Lokalzeichen, "daß jede Erregung vermöge des Punktes im Nervensysteme, wo sie stattfindet, eine eigentümliche Färbung erhalte." Niemand ist sonst glücklicher, eine Ansicht treffend auszudrücken, als Lotze; aber die zusammengesetztesten Färbungen tragen nicht die Spur eines Vermögens in sich, von der Seele räumlich expliziert zu werden.

    Nach Lotze (p. 339) "ist die Isolation der Nervenfasern und die Lage ihrer zentralen Enden nur insofern von Belang, als beide ein Mittel sind, jeden einzelnen Nervenprozeß mit einem qualitativ bestimmten Lokalzeichen zu versehen, durch welches seine spätere Einordnung in den Raum bedingt wird, in welchem die Seele ihre intensiven Wahrnehmungen entfaltet." Aber was kann diese Isolation in den Primitivnervenfasern fruchten, wenn sie doch in der allgemeinen Verbindungsfaser, worein sie münden, und welche zum Seelensitze führt, eben so wieder aufgehoben werden muß, als wenn die Zweige desselben Tastempfindungskreises in eine gemeinsame Tastnervenfaser einmünden, wo sie trotz ihrer verschiedenen Lage, die ihnen wohl ein verschiedenes Lokalzeichen einprägen könnte, keineswegs im Stande sind, diskrete Raumempfindungen zu vermitteln, oder was hindert umgekehrt das Zustandekommen von Lokalzeichen bei den Zweigen desselben Empfindungskreises ?

    Lotze erhebt selbst den zweiten Einwand (Mikr. I, 323), "daß vor Allem die Fähigkeit der Seele, den Gliedern genau abgemessene Impulse zu Bewegungen mitzuteilen, einer solchen Anordnung (wie von ihm vorausgesetzt worden) entgegenstehe. Damit diese bestimmte Beugung oder Streckung des Armes geschehe, sei es nötig, daß diesem und keinem anderen motorischen Nerven diese und keine andere Größe des Anstoßes zugeführt werde; undenkbar, wenn nicht jeder dieser einzelnen Fäden sich ununterbrochen bis zum Orte der Seele erstrecke, damit sie ihn unmittelbar finden und erregen könne." Aber, entgegnet er (Mikr. 1, 325), die Qualität des Seelenzustandes ist es, "wovon nicht nur die Größe und Art, sondern auch der Ort der Wirkung abhängen, die der Naturlauf an ihn knüpft ....." "Von den unzähligen Schallwellen, welche die Luft durchkreuzen, wird jede ohne Zweifel in einer gespannten Platte, einer Fensterscheibe, welche sie trifft, irgend welche Erschütterungen hervorbringen, aber nur eine von ihnen wird die Platte zum Mittönen bringen, nur die nämlich, deren Schwingungen regelmäßig zu wiederholen die Platte durch ihre eigene Struktur und Spannung befähigt ist....." "Läge der Seele in der Tat die ganze Klaviatur der motorischen Nervenenden geordnet vor, so könnte die Art ihres Einflusses keine andere sein. Sie würde nicht in jedem Falle einen übrigens gleichartigen Stoß ausführen, dem sie nur eine bestimmte Richtung gäbe, und der nur bloß deswegen, weil er in dieser Richtung auf dieses, nicht auf jenes Nervenende trifft, auch nur diese, nicht eine andere Bewegung erzeugen müßte, sie kann für jede beabsichtigte Bewegung vielmehr nur einen eigentümlichen qualitativen Zustand, einen Ton von bestimmter Höhe in jenem Gleichnisse hervorbringen, und von der Wahlverwandtschaft, welche zwischen diesem Zustande und der eigentümlichen Leistungsfähigkeit eines bestimmten Nervenursprungs obwaltet, wird erst die räumliche Richtung abhängen, welche der Einfluß der Seele nimmt, und welche er nur täuschend von Anfange an schon inne zu halten schien ....."

    Aber, verstehe ich diese Auffassung recht, was vielleicht nicht ganz der Fall ist, so kann ich nur einen halben Rückgang auf die Ansicht vom ausgedehnten Seelensitze darin finden. Denn, da zugestandenermaßen die Nervenursprunge nicht unmittelbar, sondern nur mittelst eines zwischeneingeschobenen Parenchyms oder einer einfachen Bahn mit dem Seelensitze zusammenhängen, so kann nur ein zusammengesetzter Impuls oder eine zusammengesetzte Wellenbewegung vom Seelensitze aus sich zu den Nervenursprüngen fortpflanzen; und da er sich hier zwischen ihnen nach der Qualität der psychischen Anstöße teilen soll, so muß also die Qualität der Seelentätigkeit über den gemeinsamen Verbindungsweg hinaus die Austeilung dieser Anstöße bewirken, also doch die Weise der körperlichen Tätigkeit auf einmal in einer Mehrheit von Punkten bestimmen; und der Unterschied von dem, was die Ansicht vom ausgedehnten Seelensitze will, ist nur noch der, daß nach dieser die Qualität der Seelentätigkeiten nicht bloß die Austeilung von Impulsen an eine Mehrheit von Punkten, sondern gleich den Gang von Bewegungen in einer gewissen zusammenhängenden Ausdehnung des Körpers bestimmt. Indem man aber die Ansicht vom ausgedehnten Seelensitze halb zugibt, gibt man die Ansicht vom einfachen halb verloren.

    Da Lotze eine Zerlegbarkeit der beim Seelensitze verbunden anlangenden Impulse durch das Wirken der Seele statuiert, so kann allerdings die Annahme einer damit parallel gehenden Zerlegbarkeit der von der Seele ausgehenden zusammengesetzten Impulse nicht befremden, und es ist diese Annahme überhaupt fundamental für die ganze Ansicht vom einfachen Seelensitze. Denn nicht nur hängt daran die Möglichkeit, unterschiedene Sinnesempfindungen zugleich zu haben und den Muskeln geordnete Anstöße zu erteilen, sondern auch die Möglichkeit, der mit dem Wachstume des geistigen Vermögens wachsenden Verwickelung des Gehirnes eine vernünftige Bedeutung beizulegen. Denn was kann der Anhang der ungeheuer verwickelten großen Hirnhemisphären am einfachen Seelensitze beim Menschen wollen, wenn von allen verwickelten Bewegungen darin zuletzt nur eine zusammengesetzte Resultante durch das Parenchym oder die Verbindungsfaser beim Seelensitze anlangt; wofern nicht abermals diese Zerlegbarkeit zu Hilfe genommen wird.

    Die wichtigsten Schwierigkeiten werden durch eine so einfache Annahme wie mit einem Zauberschlage gehoben; aber die Verbindungsfaser gewinnt dadurch auch ganz den Charakter einer Zauberrute, welche alle noch so große Schwierigkeiten mit demselben einfachen Schlage zu überwinden sich vermißt, ohne eines Naturgesetzes dabei zu bedürfen oder zu achten.

    Was die Tatsache anlangt, daß ein in Eins empfindendes Tier durch Teilung in zwei dergleichen zerfallen kann, so scheint sie freilich weder nach Herbart’s noch Lotze’s Auffassung eine sonderliche Schwierigkeit zu bieten, sofern der ganze Körper nach ihnen aus schlummernden Seelen besteht, und die Trennung Anlaß zum Erwachen einer neuen Seele sein kann. Aber wenn ein symmetrisch gebautes Tier symmetrisch geteilt wird, in welchem beider Teile soll die alte Seele bleiben, und in welchem die neue erwachen? Natürlich, wird man sagen, die alte Seele bleibt in dem Teile, wo sie ist, im anderen erwacht eine neue; oder auch, die alte Seele stirbt, und es erwachen zwei neue. Aber beides geht nicht, denn ich kann das Tier von der einen Seite und ich kann es von der Gegenseite her durch allmäliges Wegschneiden bis auf die Hälfte herabbringen, und es besteht immer die Kontinuität des alten Lebens fort, ich denke wenigstens, daß sich die Erscheinungen so ausnehmen, denn selbst freilich habe ich keine Versuche darüber angestellt. Wie aber soll man dies mit einer Ansicht vereinbaren, nach der die Seele doch nur auf einer Seite auf einmal sitzen kann? Nach der Ansicht vom ausgedehnten Seelensitze ist das ganz einfach. Die einander gleichen Teile des ausgedehnten Seelensitzes unterstützen sich in derselben psychischen Leistung, so lange sie zusammenhängen, und geben die gleiche Leistung getrennt, wenn sie nicht mehr zusammenhängen, nur anfangs schwächer, bis jede Hälfte die fehlende ersetzt hat, wie in einem künftigen Kapitel ausführlicher besprochen wird. Dazu bedürfen wir keiner Hypothese eines wunderbaren Einflusses der mechanischen Trennung eines Tieres, sondern bloß des für den ganzen Organismus faktisch geltenden Principes des solidarischen Zusammenwirkens und der solidarischen Vertretung, dessen Anwendbarkeit auf den engeren Seelensitz bezüglich der psychischen Leistungen durch Flouren’s Versuche am Gehirne überdies direkt bewiesen ist, so daß eigentlich hier gar nichts von Hypothese übrig bleibt. Es müsste freilich nicht so sein, aber es ist so, und weil es so ist, muß der Seelensitz ein ausgedehnter sein.

    Blicken wir zurück: die Ansicht vom einfachen Seelensitze will sich durch Erfahrungen stützen. Sie sucht den Ort im Gehirne, von dem alle Nerven auslaufen, in dem alle zusammenlaufen; ein solcher Ort ist nicht zu finden. Sie sucht den Punkt, mit dessen Zerstörung die Seele aus dem Leben fällt, einen solchen Punkt gibt es nicht. Sie setzt voraus, es werde eine Verbindungsfaser zum Seelensitze und eine Fähigkeit der Seele geben, das, was in einer Faser verschmolzen anlangt, zu trennen; weder die Verbindungsfaser, noch ein solches Vermögen ist zu finden. Sie will durch Spaltung eines Tieres den Teil mit dem Seelensitze vom Teile ohne Seele trennen, und beide Teile bleiben beseelt.

    Eine solche Ansicht kann nicht zur Grundlage exakter Untersuchungen über die Beziehung von Leib und Seele gemacht werden, indem sie sich selbst nur auf die Voraussetzung einer Unmöglichkeit exakter Forschung in diesem Gebiete stützen kann; denn alles, was im Sinne einer solchen zu benutzen wäre, eine Ansicht zu begründen, wird hier beiseitegesetzt, und eine Ansicht auf gegenteilige Voraussetzungen gestützt, die der Forschung teils unzugänglich sind, teils ihren Resultaten widersprechen.

    Unstreitig ruht eine Ansicht, die sich so zu den Tatsachen stellt, überhaupt nicht auf Betrachtung der Tatsachen selbst, sondern auf allgemeineren Gründen, und es ließe sich allgemein gesprochen denken, daß hier das Bindende läge, was wir auf dem Gebiete der Tatsachen vermissen. Dies ausführlich zu diskutieren, ist diese Schrift nicht geeignet, da sie nur auf Tatsachen fußen kann, und auf den Streit der philosophischen Systeme einzugehen, hier weder die Absicht noch von Erfolg sein kann. Nachdem jedoch mit den vorigen Erörterungen der dringenderen und hier allein wesentlichen Aufgabe, den Vorzug, den wir der Ansicht vom ausgedehnten Seelensitze erteilen werden, auf Faktisches zu gründen, entsprochen ist, möge einigen beiläufigen Zusatzerörterungen über die allgemeineren Fragen, von denen man unsere Frage etwa abhängig machen könnte, der Raum noch gegönnt werden, mit Rücksicht, daß das hier maßgebende Interesse an der Frage doch nicht das allein maßgebende ist, was bei der Entscheidung derselben in Betracht kommt, sondern aus allgemeinem Interesse allerdings auch die allgemeinen Fragen, womit sie zusammenhängt, in Mitrücksicht zu ziehen sind.

    Hauptsächlich ist es die Ansicht von der einfachen Natur der Seele, die selbst wieder ihre hier nicht zu verfolgenden Wurzeln hat, in welcher die Ansicht vom einfachen Sitze derselben wurzelt. Nun kann man es zuvörderst in Frage stellen, ob nicht Einheit der treffendere Ausdruck für die Natur der Seele sei, als Einfachheit, und diese Frage scheint mir zu bejahen, da die Seele eine so große Mannigfaltigkeit von Momenten in sich einschließt und entfaltet, was dem Begriffe der Einfachheit, aber nicht der Einheit widerspricht. Denn der Unterschied der Einheit von der Einfachheit liegt eben darin, daß jene als eine Verknüpfung oder ein Verknüpfendes faßbar ist, wie denn selbst die Zahleneinheit noch in unzählige Bruchteile zerlegbar ist. Warum aber sollte die Seele als einheitliches, eine Mannigfaltigkeit in sich verknüpfendes, Wesen nicht vielmehr an ein körperliches System, was seinerseits die Verknüpfung eines Mannigfaltigen ist, als einen Punkt in diesem Systeme gebunden sein. Jenes deckt sich mehr als dieses; und eine metaphysische Schwierigkeit liegt jedenfalls hier nicht vor, außer die man sich selbst macht.

    Nun kann man freilich, und so geschieht es in den monadologischen Systemen, die Einheit der Seele von der metaphysischen Einfachheit eines Grundwesens hinter der Mannigfaltigkeit der Seelenerscheinungen abhängig machen. Aber sei es, daß eine Metaphysik dereinst gefunden werde, welche den Begriff dieser Einheit und die Abhängigkeit der Einheit von der Einfachheit klarer und widerspruchsloser als seither begründet — ich selbst habe nie Frucht in den Erklärungen des Wirklichen durch das Hinterwirkliche finden können — so wäre hiermit noch nichts weniger als der einfache Seelensitz begründet. Denn an sich könnte nichts hindern, einer metaphysisch einfachen Seele eben so das Vermögen zuzutrauen, durch ihr Wirken gleichzeitig ein System von Bewegungen verschiedener auseinanderliegender Körperteile zu vermitteln, ohne nach dem Prinzipe des Stoßes die Bewegung von den einen zu den anderen erst sukzessiv überzupflanzen, als die Sonne vermöge ihrer Gravitationswirkung faktisch ein solches besitzt; und es ist nicht abzusehen, wiefern eine metaphysische Einfachheit die Seele nötigen könnte, vielmehr von einem bestimmten physischen Punkte, als von einem körperlichen Zusammenhange aus den Angriff auf die übrige Körperwelt zu nehmen.

    Dies allgemein gesprochen; aber besondere Auffassungen können freilich dazu nötigen. Das Herbart’sche System könnte vielleicht noch stehen, trotzdem, daß die Ansicht vom einfachen Seelensitze fällt, sollte es sonst bestandfähig sein; weil es nicht an diese Ansicht streng gebunden sein mag, wenn sich gleich ihr Urheber daran gebunden hat; anders aber scheint es mit dem Lotze’schen Systeme. Denn Lotze 17) identifiziert die einfachen Seelenwesen mit den einfachsten Elementen der Körperwelt, als welche innerlich die Seelenerscheinungen zu geben vermögen, indes sie nach außen nur physische Erscheinungen vermitteln; und unsere Seele selbst ist bloß ein seinem Wesen nach gleichartiges, seiner Stellung und inneren Entwickelung nach bevorzugtes Atom inmitten des Systems der an sich ihm ebenbürtigen gleich seelischen Körperatome 18). Hier wird die Ansicht vom einfachen Seelensitze eine notwendige, da zuzugestehen ist, daß ein einfaches Atom für sich allein nicht Kraft haben kann, auf merkbare Strecken einen Zusammenhang ausgedehnter merkbarer Bewegungen zu unterhalten, wonach (bei Ausschluß mystischer Vermittelungen) nur das Prinzip des auf Molekularwirkung rückführbaren Stoßes an die Nachbaratome und von Seiten der Nachbaratome her übrig bleibt, den Zusammenhang zwischen der Seele und ihrem Körper zu vermitteln.

            17) Mikrosk. I, 371 ff.

  18) Wie mir gesagt worden, hat Drosbach in den Schriften "die Harmonie der Ergebnisse der Naturforschung mit den Forderungen des menschlichen Gemütes" und "die Genesis des Bewußtseins nach atomistischen Prinzipien" unabhängig von Lotze eine ähnliche Ansicht aufgestellt; doch kenne ich diese Schriften nicht aus eigener Ansicht.
 
 
    Die Ansicht Lotze’s über die Natur der Seelen und ihre Beziehung zur Körperwelt ist unstreitig philosophisch möglich; aber es stehen ihr so viele andere philosophische Ansichten darüber entgegen, daß die Entscheidung zwischen ihnen erst zu suchen, ehe eine Entscheidung danach zu fällen ist. Ich glaube selbst, daß man, um weder bei einer Halbheit noch Einseitigkeit stehen zu bleiben, noch in der Orientierung über die Wirklichkeit zu einer unfaßlichen Hinterwirklichkeit zurückzugehen, in letzter Instanz nur zwischen den zwei fundamental entgegengesetzten Ansichten zu wählen hat, entweder die ganze Seelenwelt der Zerspaltung der daran geknüpften Körperwelt gemäß bis in das Letzte in Lotze’s Sinne zu spalten und wieder durch etwas, was geistähnlich, doch nicht Geist ist, zu verkitten, oder die ganze Welt in unserem Sinne von vorn herein einheitlich durch einen Geist zu verknüpfen und zu gliedern. Die eine wie die andere dieser Ansichten kann konsequent in sich entwickelt, mit unseren allgemeinsten Interessen in Bezug gesetzt werden 19); man kann sich in die eine und die andere so hineinleben, daß sie ganz natürlich, die gegenteilige ganz unnatürlich scheint. Woher soll dann die Entscheidung kommen? 19) Es ist von Lotze in seinem Mikrokosmus, von mir in meiner Schrift Zend-Avesta versucht worden.
 
 
    Ich glaube, es wird hier sein, wie es in der Physik mit der Undulations- und Emissionstheorie gewesen: jede hat sich konsequent in sich zu einer vollständigen Theorie entwickelt; jede hat ihre Vertreter gehabt, noch jüngst stand Biot für die eine, indes Fresnel für die andere; woher ist endlich die Entscheidung doch gekommen? Daher, daß die Forderungen, welche beide Theorien an die Erfahrung stellten, in gewissen Punkten auseinander wichen, in wenigen, jedoch fundamentalen; und die Erfahrung hat der einen Recht gegeben. Solche Punkte aber scheinen mir bezüglich des Streites, um den es sich hier handelt, in denen vorzuliegen, welche sich auf die Frage nach der Einfachheit oder Ausdehnung des Seelensitzes beziehen, und ich halte es für einen günstigen Umstand, daß sich hier einmal die so seltene Möglichkeit zeigt, zwischen philosophischen Systemen durch Tatsachen zu entscheiden.

    Der Hauptvorteil der monadologischen Systeme, wozu das Lotze’sche gehört, möchte darin liegen, daß es ihnen am leichtesten fällt, die Unzerstörbarkeit der Seele zu behaupten, indem die Einfachheit der Monade kein Zerfallen erlaubt. Nun können einfache Mittelpunkte, Schwerpunkte zwar nicht zerfallen, aber doch verschwinden, wenn das, wozu sie gehören, zerfällt; und insofern schiene diese Sicherstellung doch nur scheinbar, aber indem jene Systeme eine Selbständigkeit der Monaden oder einfachen Wesen postulieren oder durch das einfache Atom hypostasieren, erscheint auch die Unsterblichkeit der Seele auf die einfachste Weise gesichert. Nach Erfahrung zwar kann die Seele trotz ihrer vorausgesetzten Selbstbestandfähigkeit nur unter besonderen Bedingungen der Leiblichkeit tätig und wach sein, und hiermit kehrt im Grunde für die monadologische Ansicht die ganze Schwierigkeit jeder anderen Ansicht wieder, wie es nun möglich werde, nach dem Tode das ohne Leib zu leisten, was sie im Leben nur mit einem Leibe leisten konnte, oder wo sie einen neuen Leib finden könne. Jedoch die nächstliegende Schwierigkeit ist einfach überwunden.

    Aber die einfachsten Wege sind nicht immer die triftigsten und die erste und einfachste Befriedigung nicht immer die zulänglichste. So unzerstörbar ein Punkt ist, so unzerstörbar ist der Zusammenhang des Ganzen und die kausale Auseinanderfolge in dem Ganzen, dessen Teil unser System ist. Und wenn unsere Seele schon im Diesseits nicht von einem Punkte, sondern von einem sich stets ändernden und wechselnden und bis zu gewissen Grenzen wachsenden Teile des ganzen Zusammenhanges getragen wird, so kann sie im Jenseits auch von einem anderen und weiteren Kreise dieses unzerstörbaren Zusammenhanges getragen werden. Aber ich habe anderwärts hierüber genug gesagt 20) und es ist hier nicht der Ort, mehr darüber zu sagen.

20) Zend-Avesta, 3. Teil.
 
 
    Mag die monadologische Ansicht hier den Vorteil der einfacheren, wenn auch nicht zulänglicheren, Antwort auf eine schwere Frage behalten, so fällt ihr dagegen um so schwerer die Antwort auf eine andere schwere Frage. Wenn jeder Geist in einem Punkte sitzt, sitzt auch der göttliche in einem Punkte? und sitzt aller Geist in Punkten, was bindet die Welt, den Zusammenhang der Punkte? Die Ansicht vom ausgedehnten Seelensitze der endlichen Geister braucht sich selbst nur konsequent zu bleiben, um zur Ansicht eines allgegenwärtigen bewußten Gottes zu werden, und in ihm das Band aller Dinge zu sehen. Die monadologische Ansicht kann es nicht wagen, ohne ein fabelhaftes Ansehen zu gewinnen, Gott an einen Punkt unter anderen Punkten zu knüpfen, und so kehrt ihr nur die gesteigerte Aufgabe an den Scharfsinn wieder, die Ansicht dieses fabelhaften Aussehens zu entkleiden, Gott dennoch oder irgendwie ein Substitut für Gott zu finden und sich leidlich dadurch mit dem religiösen Glauben abzufinden, oder die ganze Frage in’s Dunkel und in den Hintergrund zu schieben.

    Die monadologischen Vorstellungsweisen von Leibniz und Herbart will ich hier nicht reproduzieren; ersterer hat sein Band der Dinge und der Wesen in der prästabilierten Harmonie; letzterer hat kein eigentliches Band der Dinge.

    Lotze sucht das Bedürfnis eines allgemeinen Bandes der Dinge (Mikr. I, 413 ff. II, 45 ff.) durch die Ansicht einer "unendlichen Substanz" oder eines "substantiellen Unendlichen" zu erfüllen, in dessen Wesen alle Gesetze, aller Kausalzusammenhang der Dinge mit diesen selbst begriffen sind, und welches in den einzelnen Erscheinungen und Dingen seinem Wesen nach überall voll gegenwärtig sei; aber doch dieses Wesen in keinem voll kund gebe. "Was (p. 418) jedes einzelne Element leistet, das vermag es nicht, sofern es dieses Einzelne ist, sondern nur, sofern es dies Einzelne als Erscheinung dieses Allgemeinen ist." Man kann versucht sein, diese unendliche Substanz für Gott zu halten, und, wenn ich nicht irre, muß sie oder die Idee des Guten, welche für Lotze das letzte Prinzip ihres Wirkens und Webens ist, Gottes Stelle vertreten; obwohl es eine empfindliche Lücke bleibt, die doch vielleicht im letzten erst noch zu erwartenden Teile seines Werkes ausgefüllt werden wird, daß er sich nie klar darüber ausspricht. Wenn er mancher Orten (I, p. 424. 432. 435) der unendlichen Substanz Willen, Absichten beizulegen scheint, solche sich selbst Gesetze geben läßt, so findet man anderwärts (Mikr. l, 418) das Wesen der unendlichen Substanz ausdrücklich nur mit dem Wesen der Seele verglichen, doch nicht identifiziert; auch könnte dies ohne Abbruch der Konsequenz nicht wohl geschehen. Nun scheint mir aber, wenn ich einmal so vielfach genötigt bin, das Wesen der unendlichen Substanz als Bandes aller Punkte mit dem bewußten Seelenwesen zu vergleichen, die Konsequenz zu fordern, daß man umgekehrt die Natur des Seelenwesens jenem Vergleiche mit der unendlichen Substanz gemäß vorstelle, d. h. sie nicht an einen Punkt binde, sondern als Band der Punkte fasse, und dann natürlich umgekehrt das Band der Dinge nicht als bewußtlose Substanz mit dem Wesen des bewußten Geistes bloß zu vergleichen, sondern wirklich demselben gemäß vorzustellen. So scheint mir auch hier die Ansicht notgedrungen halb auf den Weg einzugehen, den sie nur ganz zu gehen hatte, um sich konsequent zu bleiben, hiermit aber freilich aufzuheben.

    Gesetzt nach Allem, der Scharfsinn feierte den Triumph der Überwindung aller Schwierigkeiten, welche der Ansicht vom einfachen Seelensitze Seitens der Erfahrung entgegenstehen, die Kunst der Darstellung vermöchte die ganze Schwierigkeit zu beschwichtigen oder zu verhehlen, die sich einer befriedigenden oder nur möglichen Fassung göttlichen allgegenwärtigen bewußten Daseins bei dieser Ansicht entgegensetzt, was aber wäre für die Psychophysik damit gewonnen ? nur die Überwindung eines Berges von Schwierigkeiten, um in eine für sie dunkle Sackgasse zu gelangen und beim nächsten Schritte an die Wand zu stoßen; indes die Ansicht vom ausgedehnten Sitze der endlichen Geister, mit der Ansicht vom ausgedehntesten Sitze des unendlichen Geistes in Rückhalt, in ein offenes und fruchtbares Feld erfahrungsmäßiger Untersuchung tritt, wo der Scharfsinn auch Aufgaben findet, aber Aufgaben, deren Lösung wirklich vorwärts führt.

    In der Tat kann auf den ganzen Gang, den wir im Folgenden gehen werden, Seitens der Ansicht vom einfachen Seelensitze von vorn herein gar nicht einmal eingegangen werden; vielmehr nur einfach gesagt werden: hier ist nicht mehr zu gehen. Aber wenn wir doch wirklich an der Hand unserer Ansicht gehen, mit Erfolg und Aussicht weiterer Erfolge gehen können, warum sollten wir nicht gehen?

    Demgemäß wird dem Folgenden die Ansicht vom ausgedehnten Seelensitze zu Grunde gelegt werden.

    Man kann es vielleicht befremdend finden, daß ich in voriger Auseinandersetzung vielmehr auf Lotze, als auf Herbart Bezug genommen. Herbart’s Ansicht ist mir nicht so fremd, daß es nicht eingänglicher hätte geschehen können21); aber ich hielt es nicht am Platze. Denn Herbart’s einfache Wesen sind hyperphysische oder hinterphysische, sein intelligibler Raum ist es nicht minder, das Verhältnis desselben zu dem wirklichen Raume hat er selbst für seine erklärtesten Anhänger nicht zu einer in sich widerspruchslosen Klarheit zu erheben vermocht, wonach die ganze Frage nach dem Orte der Seele einen unklaren Hintergrund behält; auf die anatomischen und physiologischen Schwierigkeiten der Frage geht er nicht ein, und ein Streit mit seiner Metaphysik ist natürlich keine Sache dieser Schrift. Hiergegen bietet Lotze’s Ansicht und Darstellungsweise seiner Ansicht von vorn herein klare und bestimmte gegensätzliche Gesichtspunkte gegen die Gesichtspunkte dieser Schrift, welche direkt in das Erfahrungsgebiet eingreifen, und ohne Verweisung auf eine erst zu studierende Metaphysik, wie sie von Herbart an die Physiologen gerichtet wird (Werke V, 114), eine Auseinandersetzung mit ihm gestatten. Übrigens hat die Lotze’sche Ansicht, abgesehen von der bestimmten physischen Hypostasierung der Seelen und dem Bande durch das substantiell Unendliche, was freilich wichtige und nach anderer Seite hin folgenreiche Unterschiede sind, bezüglich des Verhältnisses der Seele zum Körper alle wesentlichen Züge mit der Herbart’schen Ansicht völlig gemein, und das Meiste, was gegen Lotze’s Auffassung geltend gemacht ist, würde sich nicht minder gegen Herbart’s geltend machen lassen.

21) Das wesentlichste hierher Gehörige findet sich in s. Lehrb. d. Psychol. sämtl. Werke. T. V, 114 und T. VI, 390 f.
 
 
d) Frage nach der Erstreckung des ausgedehnten Seelensitzes.

    Nach Feststellung, daß der Seelensitz im engeren Sinne nicht als ein einfacher anzusehen sei, tritt die zweite Hauptfrage auf, wie weit sich seine Ausdehnung erstrecke, ob bloß auf das Gehirn und wie weit im Gehirne?

    Ein großes Material von Tatsachen liegt vor, was mit dieser Frage in Beziehung gesetzt werden kann, namentlich in den Versuchen an geköpften Tieren. Ich halte es jedoch für bedenklich, auf eine ausführlichere Zusammenstellung und Diskussion dieses Materiales hier einzugehen, um zuletzt mit dem Geständnisse zu schließen, daß bisher kaum etwas mehr mit Sicherheit daraus hervorgeht, als daß nach Maßgabe als die Organisations- und Seelenstufe der Tiere sich vereinfacht, die verhältnismäßige Ausdehnung des engeren Seelensitzes wächst, und daß nicht das ganze Nervensystem, respektiv Gehirn gleich bedeutungsvoll für die Seelenfunktionen ist, ohne daß sich bisher irgendwie scharfe Grenzbestimmungen ziehen lassen. Nach hinreichend bekannten Erfahrungen 22) dürften Wenige geneigt sein, enthaupteten Insekten Empfindung abzusprechen; und bei Tieren, wo kein Gehirn vorhanden ist, kann selbstverständlich auch die Empfindung nicht daran geknüpft werden. Die Hauptfrage aber, die noch dem Streite unterliegt, dreht sich um die Wirbeltiere, und in dieser Beziehung halte ich es am rätlichsten, die Diskussion der Tatsachen und den Streit um ihre Auslegung vorerst noch denen zu überlassen, die diese Tatsachen herbeischaffen, d. i. den Physiologen, bis sie sich entweder mehr geeignet zeigen, der Psychophysik Aufklärung zu gewähren, oder die Psychophysik mehr geeignet sein wird, solche zu leisten. Nur einige allgemeine, wenn auch nicht neue, kritische Gesichtspunkte mögen hier Platz finden.

22) Treviranus Biol. V, 439. Desselben Erscheinungen und Gesetze des org. Lebens II, 192. Froriep’s Tagesber. 1852. Febr. Nr. 467.
 
 
    Die Deutung aller Zeichen, welche für das Dasein von Empfindung und Willkür in enthaupteten Tieren zu sprechen scheinen, erfordert große Vorsicht, und behält stets eine gewisse Unsicherheit, in Betracht der Möglichkeit, dieselben auch als Folgen einer organischen Einrichtung oder eines Mechanismus anzusehen, der, so lange das Gehirn da ist, mit dessen Empfindung und Willkür in Beziehung tritt, aber nach Wegfall des Gehirnes sein Spiel in Folge äußerer oder innerer Anregungen auch noch ohne Empfindung und Willkür in ähnlicher Weise vollzieht.

    Weder vermag eine scheinbare Freiwilligkeit der Bewegungen, noch die Zweckmäßigkeit und zweckmäßige Abänderung derselben nach Maßgabe der Verschiedenheit einwirkender Reize, worauf man hauptsächlich sein Augenmerk gerichtet hat, sichere Zeichen von Empfindung und Willkür zu gewähren; denn, wenn scheinbar freiwillige Bewegungen in geköpften Tieren ohne Einwirkung äußerer Reize entstehen, so ist, abgesehen davon, daß öfters der Reiz der Luft auf den verwundeten Teil solche erzeugen kann, auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß die in Folge eines organischen Lebensrestes noch fortgehenden und durch die Verwundung selbst hervorgerufenen inneren unzuberechnenden Veränderungen als innere Reize die betreffenden Bewegungen auslösen, die dann den Bewegungen des ganzen Tieres sehr ähnlich sein können, weil noch der ganze frühere Bewegungsapparat fortbesteht, ohne daß sie notwendig mit Empfindung und empfundenem Triebe in Beziehung stehen. Die Zweckmäßigkeit und zweckmäßige Abänderung der Bewegungen nach Umständen aber kann, soweit sie noch vorhanden ist, in der zweckmäßigen Einrichtung des Organismus selbst begründet sein, indem schon manche unserer zusammengesetzten Maschinen ihr Spiel von selbst zweckmäßig nach Umständen abändern, die zweckmäßige Einrichtung der so viel komplizierteren Organismen aber in dieser Hinsicht unstreitig viel weiter geht.

    Was hiernach den Einen als Zeichen von Willkür oder Empfindung gilt, gilt den Anderen nur als Spiel eines Mechanismus, sei es eines einfachen Reflexmechanismus oder eines noch komplizierteren Mechanismus, der im unversehrten Tiere mit dem bewußten Gehirne in Beziehung steht, davon Einfluß erfährt und darauf Einfluß äußert. Fällt das Gehirn weg, so kann das Spiel gemäß den einmal vorhandenen Einrichtungen dazu noch eine Zeit lang fortgehen, oder sich unter dem Einflusse von Reizen, die den Einfluß des Gehirnes ersetzen, erneuen, ohne aber ferner mit Bewußtsein in Beziehung zu stehen. Die Zeichen der Willkür sind dann nur scheinbar. Der etwaige Schein der Freiheit hängt an der Unberechenbarkeit, wie zufällige äußere und innere Reize in den komplizierten Mechanismus eingreifen, der Schein der Absicht, sich gegen Reize zweckmäßig zu stellen und zu benehmen, Schädlichkeiten zu beseitigen und zu vermeiden, an der Zweckmäßigkeit, mit welcher der Mechanismus für den Angriff gewöhnlicher Reize und die Abwehr gewöhnlicher Schädlichkeiten vorweg eingerichtet ist. Gewöhnung und Übung im Leben kann selbst viel beitragen, den Mechanismus einzurichten und den nachherigen Schein seines absichtlichen Gebrauches zu vermehren.

    Inzwischen kann die Gesetzlichkeit, mit welcher Bewegungen in enthaupteten Tieren erfolgen, und die Zurückführbarkeit derselben auf Reflexphänomene (deren Begriff von Verschiedenen in sehr verschiedener Weite gefaßt wird), auch nicht sicher gegen damit assoziierte Empfindung beweisen, insofern teils eine nachweisliche Gesetzlichkeit und Zurückführbarkeit auf Reflexmechanismus nicht überall besteht, teils kein Hindernis ist, daß sich Empfindung und psychischer Trieb eben so gesetzlich an Reflexaktionen nach der Enthauptung als vor der Enthauptung knüpfen. Allerdings erfolgen nach Unterbrechung der Leitung vom Rückenmarke zum Gehirne durch Schnitte oder pathologische Zerstörungen noch Bewegungen in den vom Rückenmarke mit Nerven versorgten Teilen nach den Gesetzen der Reflexaktion, ohne daß das Hauptbewußtsein, was mit dem Gehirne in Beziehung steht, etwas davon empfindet; aber man setzt das zu Beweisende voraus, wenn man annimmt, daß nicht in dem Teile, dessen Kontinuität mit dem Gehirne unterbrochen ist, noch Empfindung für sich entstehen und sich eben so gut an die Reflexaktionen knüpfen könne, als es bei Dasein des Gehirnes der Fall, da zumal die Phänomene der teilbaren Tiere lehren, daß eine psychische Einheit durch Trennung des Organismus, an den sie geknüpft ist, zwei getrennte Einheiten geben kann, deren keine empfindet, was die andere empfindet. Hiermit verlieren die Erfahrungen und Gesichtspunkte, auf welche die Gegner der Empfindung in enthaupteten Tieren sich hauptsächlich stützen, ihre Beweiskraft.

    Endlich sind noch zwei Hauptgesichtspunkte als von großer Wichtigkeit hervorzuheben. Erstens. Wenn selbst erweisbar sein sollte, daß sich an ein vom Gehirne abgetrenntes Rückenmark keine Empfindung und kein psychischer Trieb mehr zu knüpfen vermag, so würde damit doch noch nicht im Geringsten erwiesen sein, daß es, so lange es mit dem Gehirne in Verbindung steht, nicht Anteil an dessen psychischer Funktion, d. h. an den Bewegungen, welche mit den psychischen Funktionen in unmittelbarem Verhältnisse der Wechselbedingtheit stehen, hat, indem sein Zusammenhang mit dem Gehirne nötig, aber auch hinreichend sein könnte, ihm diesen Anteil zu verleihen. Da wir einmal anerkennen müssen, daß der engere Seelensitz ein ausgedehnter ist, so ist damit jedenfalls auch die prinzipielle Möglichkeit seiner Mitausdehnung auf das Rückenmark gegeben, so lange dies in Verbindung mit dem Hauptsitze dieser Bewegungen ist, ohne daß dasselbe auch für sich fähig zu sein braucht, solche Bewegungen zu erzeugen oder in sich fortzuerhalten.

    Auch sogar jeder Teil des Gehirnes, wenn er vom übrigen abgetrennt ist, vermag nichts mehr für die psychische Funktion zu leisten, indes er im Zusammenhange mit den übrigen dazu beiträgt, und man würde konsequenterweise eben so jedem Teile des Gehirnes als dem Rückenmarke den Anteil an den psychischen Funktionen absprechen müssen, wenn man Versuche an Stücken, die vom Übrigen abgetrennt sind, als maßgebend für das, was sie im Zusammenhange zu den Funktionen des Ganzen beitragen, halten wollte. Im Prinzipe des organischen Zusammenhanges liegt vielmehr, daß, wie jeder Teil im Zusammenhange des Ganzen zu dessen Funktionen beiträgt, so auch durch diesen Zusammenhang in seinen Funktionen gestützt und gehalten oder selbst erst dazu befähigt werde. Hiernach kann man behaupten, daß Versuche an enthaupteten Tieren, sollten sie auch Andeutungen über das, was ein abgetrenntes Rückenmark zu leisten oder nicht zu leisten im Stande ist, gewähren können, gar keine Beweiskraft haben für das, was es im Zusammenhange mit dem Gehirne zu den psychischen Funktionen beiträgt.

    Zweitens. Eben so wenig kann der Umstand, daß man die psychischen Funktionen des Gehirnes ungestört fortbestehen sieht, wenn eine Unterbrechung zwischen Gehirn und Rückenmark eingetreten ist, wovon mehrfache pathologische Erfahrungen an Menschen und physiologische an Tieren vorliegen, beweisen, daß das Rückenmark an den psychischen Funktionen des Gehirnes nicht mit Anteil nehme, so lange es damit in Verbindung ist, indem derselbe Beweisgrund eben so konsequenterweise wieder gegen den Mitanteil jedes Teiles des Gehirnes selbst an den psychischen Funktionen geltend gemacht werden müßte, da nach früher angeführten Versuchen sogar eine ganze Gehirnhemisphäre entfernt werden kann, ohne daß die psychischen Funktionen des rückbleibenden Gehirnes gestört erscheinen. Vielmehr liegt in dem Prinzipe der solidarischen Vertretung, welches im Organismus gültig ist, begründet, daß selbst der Verlust der wesentlichsten Teile für die psychischen Funktionen nicht gespürt wird, so lange noch Mittel zu ihrer Vertretung da sind, ohne daß sie deshalb müßig sind, so lange sie da sind.

    Hiernach scheint mir auch durch die bekannte Tatsache, daß nach Amputation von Gliedmaßen noch das Gefühl des Besitzes derselben vorhanden ist, und selbst scheinbar noch Schmerzen in denselben gefühlt werden, keineswegs streng erwiesen, daß nicht, so lange diese Gliedmaßen vorhanden sind, die psychophysischen Tätigkeiten, auf welchen jene Gefühle beruhen, sich in den Nerv hinein erstrecken und zu jenen Gefühlen solidarisch beitragen.

    Die Frage, ob der engere Seelensitz, anstatt sich auf das ganze Gehirn bei Wirbeltieren zu erstrecken, nicht auf einen besonderen Teil desselben einzuschränken sei, leidet an gleichen Schwierigkeiten, als die Frage, ob er sich nicht mindestens bei manchen Tieren darüber hinaus erstreckt; so daß eben so wenig bis jetzt eine bestimmte Entscheidung stattgefunden hat. Nur das haben, wie schon Eingangs bemerkt, physiologische Versuche entschieden, daß nicht alle Teile des Gehirnes von gleicher Bedeutung für die Seelenfunktionen sind, indem z. B. nur mit Entfernung des großen, aber nicht des kleinen Gehirnes die Seelentätigkeiten überhaupt leiden23), indes das Vermögen bestimmter Sinnesempfindungen an die Integrität der Zentralteile geknüpft ist, in welche die Sinnesnerven einmünden. Die Weise, wie Gall die Anknüpfung der Seelentätigkeiten an bestimmte Hirnteile dargestellt hat, kann weder durch Erfahrung noch aprioristische Betrachtungen als hinreichend begründet angesehen werden.

23) Vergl. über die Bezugslosigkeit des kleinen Gehirnes zu den bewußten Seelentätigkeiten insbesondere die neuen Untersuchungen von Wagner in den götting. gel. Anz. 1860. Nachr. Nr. 4.
 
 
e) Resumé und Schluß.

    Das Vorige zusammengefaßt, kann man durch erfahrungsmäßige Tatsachen und Gesichtspunkte als wohl begründet ansehen:

    1) Daß die Erhaltung der Seele im diesseitigen Leben nicht auf der Erhaltung eines besonderen Punktes oder kleinsten Körperteiles, sondern auf dem solidarischen Zusammenwirken aller Teile und Tätigkeiten des Körpers in wechselseitiger Ergänzung und mit der bis zu gewissen Grenzen reichenden Möglichkeit wechselseitiger Vertretung beruhe, daß demnach der hierauf bezogene weitere Sitz der Seele im ganzen Körper zu suchen sei.

    2) Daß die körperlichen Tätigkeiten, von welchen Empfindung und bewußte psychische Tätigkeiten überhaupt abhängen, nicht erst durch Anstoß an einen bestimmten Punkt des Körpers solche erwecken, sondern während ihres Vorganges in einer bestimmten Ausdehnung solche mitführen, daß demnach der hierauf bezogene engere Seelensitz in einer gewissen Ausdehnung im Körper zu suchen sei.

    3) Daß nach Maßgabe als die Organisations- und Seelenstufe einfacher ist, die verhältnismäßige Ausdehnung des engeren Seelensitzes wächst.

    4) Daß nicht alle Teile des Gehirnes gleiche Bedeutung für die Seelenfunktionen haben.

    Hingegen ist über die Fragen, ob er in Geschöpfen, die ein Gehirn haben, den Wirbeltieren namentlich, allein darin zu suchen sei, ob und wie weit er sich etwa über das Gehirn hinaus und im Gehirne selbst erstrecke, nichts entschieden, indem jedem daher entnommenen Grunde und jeder Schwierigkeit nach einer Seite Gegengründe und Ablehnungen der Schwierigkeit von der Gegenseite entgegengesetzt werden können. Noch weniger ist philosophischerseits eine Entscheidung in dieser Hinsicht gegeben, so daß schließlich die Ansicht darüber Glaubenssache eines Jeden bleibt, die nach dem Zusammenhange seiner übrigen Ansichten zu stellen ist.

    Nach dem Zusammenhange unserer eigenen Ansichten und mit Rücksicht auf die Erörterungen der folgenden Kapitel erscheint uns selbst Folgendes als das Wahrscheinlichste.

    Der Ort der körperlichen Tätigkeiten, mit denen bewußte Seelentätigkeiten in funktioneller Abhängigkeit verknüpft sind, oder kurz der engere Seelensitz ist nicht nur durch die Reihe der verschiedenen Geschöpfe, sondern auch in demselben Geschöpfe kein fest umschriebener, indem, je nachdem diese oder jene Sphäre der Sinnestätigkeit oder auch höheren geistigen Tätigkeit in Anspruch genommen ist, der Hauptherd der Bewegungen, welche dem Bewußtsein unterliegen, kurz psychophysischen Tätigkeit oberhalb der Schwelle, seine Stelle und Ausdehnung wechselt. Zu jeder Zeit wird es eine Stelle im Nervensysteme, wo ein solches vorhanden ist, respektiv Gehirn, geben, wo diese Tätigkeit am stärksten ist, und hier kann man den jeweiligen Hauptsitz der Seele oder Seelensitz im engsten Sinne suchen. Von diesem Punkte aus werden die Bewegungen mit abnehmender Stärke durch den ganzen Trakt nervöser Fasern im Gehirne, Rückenmarke, Nerven gehen, der damit in Verbindung steht, und in soweit sie über einen gewissen Grad der Stärke, die Schwelle reichen, auch beitragen, das Bewußtsein über die Schwelle zu heben; was nach Umständen bis zu verschiedener Weite sein mag. Ob nun Rückenmark und Nerv auch nach Abtrennung vom Gehirne noch psychische Funktionen vermitteln können, wird darauf ankommen, ob sie nachher noch psychophysische Bewegungen von hinreichender Stärke, um die Schwelle zu übersteigen, erzeugen können, was ebenfalls nach Umständen verschieden sein mag, und nach den bisherigen Versuchen nicht sicher entscheidbar ist.