XXXVIII. Übertragung des Weber’schen Gesetzes und der Tatsache der Schwelle
in die innere Psychophysik.1)

 
 
    Indem ich mit vorigem Kapitel der Besprechung allgemeiner Vorfragen genug getan zu haben glaube, wende ich mich zu dem, was ich nach dem hier eingeschlagenen Gange als den eigentlichen Eingang in die innere Psychophysik von dem im 36. Kapitel bezeichneten Punkte aus betrachte. 1) In Sachen S. 82 Revision S. 221.
 
 
    Die gesetzliche Beziehung zwischen Reiz und Empfindung setzt besprochenermaßen eine solche zwischen Reiz und psychophysischer Tätigkeit einerseits, zwischen psychophysischer Tätigkeit und Empfindung anderseits voraus.

    Insofern es nun bei Feststellung derselben gilt, von Größenbeziehungen der psychophysischen Tätigkeit zu sprechen, werden wir, um die innere Psychophysik im Zusammenhange mit der äußeren und mit der exakten Bewegungslehre zu erhalten, die psychophysische Tätigkeit mit demselben Maßstabe gemessen zu denken haben, mit dem wir die körperliche Tätigkeit, von der sie von Außen angeregt wird, oder den Reiz, sofern er als Tätigkeit faßbar ist, messen, d. i. durch die lebendige Kraft, worin noch gar nicht eingeschlossen liegt, daß sie so gemessen der lebendigen Kraft des Reizes proportional zu- und abnehme, was vielmehr erst zu untersuchen ist, ob und wiefern es der Fall ist. In der Tat hindert allgemein gesprochen nichts, daß zwei Größen mit derselben Elle gemessen werden, und doch weder gleich groß sind, noch einander proportional wachsen und abnehmen, wenn sie schon eine Funktion von einander sind. Die Anwendung derselben Elle hat bloß den formellen Vorteil, sich leichter und ohne Reduktion über die faktischen Verhältnisse beider verstehen zu können.

    Die Hauptfrage, um die es sich zunächst zu handeln hat, ist nun folgende:

    Ist das Weber’sche Gesetz, nach welchem die Empfindungszuwüchse konstant sind, wenn die relativen Reizzuwüchse konstant sind, und die Tatsache der Schwelle, wonach die Empfindung erst bei einem gewissen endlichen Reizwerte einen merklichen Wert erlangt, für die innere Psychophysik in eine Beziehung zwischen der Empfindung zur psychophysischen Tätigkeit zu übersetzen der Art, daß man den Reiz und seinen Zuwachs durch proportionale Werte psychophysischer Tätigkeit vertreten denkt, oder nicht vielmehr in eine Beziehung zwischen der psychophysischen Tätigkeit zum Reize der Art, daß man die Empfindung und ihren Zuwachs durch proportionale Werte psychophysischer Tätigkeit vertreten denkt. Mit anderen Worten: hängt die Empfindung von der psychophysischen Tätigkeit oder hängt die psychophysische Tätigkeit vom Reize im Sinne der Fundamentalformel und Maßformel ab, wonach erstenfalls die absoluten Zuwüchse der psychophysischen Tätigkeit denen des Reizes, zweitenfalls die der Empfindung denen der psychophysischen Tätigkeit proportional gehen müßten.

    Schon ein sehr allgemeiner Gesichtspunkt ist hinreichend, die Entscheidung zu Gunsten der ersten Annahme fällen zu lassen. Nach der wesentlichen Verschiedenheit zwischen physischem und psychischem Gebiete ist eine Abhängigkeit zwischen psychischer und physischer Tätigkeit im Sinne der Fundamentalformel und Maßformel sehr wohl denkbar, wogegen eine solche Abhängigkeit zwischen zwei körperlichen Tätigkeiten, wie sie einerseits durch die Reizwirkung, anderseits durch die psychophysische Tätigkeit repräsentiert wird, im Sinne der physikalischen und physiologischen Gesetze nicht denkbar ist.

    Auf der anderen Seite ist es die einfachste und natürlichste Voraussetzung, die wir im Sinne dieser Gesetze stellen können, daß die Zuwüchse der im Seh- und Hörnerven durch den Licht- und Schallreiz angeregten Tätigkeiten den Zuwüchsen des Reizes proportional gehen, so lange das Organ nicht leidet. Weiter aber ist die Proportionalität nicht in Anspruch zu nehmen, weil das Weber’sche Gesetz nicht weiter gilt.

    Freilich ist diese Voraussetzung keine ganz notwendige, denn der Reiz löst die organischen Tätigkeiten nicht nach dem Prinzipe des Stoßes aus, und wir kennen noch nicht hinreichend die Weise, wie er solche auslöst, um den proportionalen Gang derselben mit den äußeren Anregungen in den Normalgrenzen der Sinnestätigkeit ohne Weiteres behaupten zu können. Wenn aber nur die Wahl zwischen dieser einfachsten und natürlichsten und einer gegenteiligen ganz unwahrscheinlichen Voraussetzung ist, und wenn sich diese Voraussetzung noch überdies durch andere Gründe stützen läßt, so kann die Entscheidung nicht zweifelhaft sein.

    Dabei haben die Abweichungen von der Proportionalität zwischen den Zuwüchsen des Reizes und der psychophysischen Tätigkeit, welche der Versuch bei Überschreitung gewisser Grenzen zeigt, nichts Befremdendes; denn selbst bei einfachen Stoßwirkungen treten entsprechende Abweichungen ein, wenn gewisse Grenzen überschritten werden, um so leichter kann es erwartet werden beim Eingriffe des Reizes in die komplizierte organische Maschinerie. Die lebendige Kraft einer Saite oder Platte und mithin die physische Schallstärke wird der Fallhöhe eines darauf fallenden Körpers so lange proportional gehen (T. I, S. 179 f.), als die Elastizitätsgrenze nicht überschritten ist; ist dies der Fall, erfährt die Saite oder Platte eine dauernde Dehnung, Zusammendrückung oder Zerreißung durch den darauf fallenden Körper, so erleidet diese Proportionalität einen Abbruch. Die Zuwüchse der physischen Tonstärke hängen immer noch nach derselben Funktion von den Zuwüchsen der lebendigen Kraft der schwingenden Saite oder Platte ab, nicht mehr aber von denen der Fallhöhe des fallenden Körpers. So wird auch nach Überschreitung der Grenzen der Gültigkeit des Weber’schen Gesetzes durch die Stärke eines Reizes die Empfindung unstreitig immer noch in derselben Weise von der psychophysischen lebendigen Kraft der Nerven, nicht mehr aber von der des Reizes, abhängen.

    Auch das Parallelgesetz (T. I, Kap. 12) verträgt sich nur mit der ersten Annahme und kann selbst als eine Folgerung derselben angesehen werden. Nach diesem Gesetze ändert sich die Größe des empfundenen Unterschiedes zwischen zwei Reizen nicht, wenn die Empfindlichkeit sich für beide gleichmäßig abstumpft. Aber sie müßte sich mindern, wenn der empfundene Unterschied vielmehr dem absoluten Unterschiede der psychophysischen Tätigkeit als dem relativen proportional ginge; denn wenn jeder beider Reize vermöge abgestumpfter Empfindlichkeit bloß noch eine halb so starke psychophysische Tätigkeit hervorruft, so ist auch der Unterschied derselben auf die Hälfte reduziert.

    Sollte übrigens selbst eine logarithmische Abhängigkeit der Stärke der durch Licht- und Schallreiz angeregten Bewegungen von der Stärke des Reizes im Sinne der zweiten Voraussetzung als möglich erachtet werden, so würde dies nicht genügen, sondern, da die Empfindung der Höhe der Töne nach entsprechendem Gesetze erfolgt, als die der Stärke, so würde man auch die Schwingungszahl der psychophysischen Bewegung in diesem Verhältnisse von der Schwingungszahl des Reizes abhängig denken müssen, was in der Tat undenkbar ist.

    Nach dem Zusammenhange, in welchem die Tatsache der Schwelle mit dem Weber’schen Gesetze durch die Maßformel steht, entscheidet sich mit der Frage, wie dies Gesetz in die innere Psychophysik zu übertragen ist, unstreitig zugleich die Frage für jene Tatsache. Doch untersuchen wir noch besonders bezüglich der letzteren die Frage: ob eben so wie der Reiz auch die durch ihn ausgelöste psychophysische Bewegung eine gewisse Stärke erreichen muß, ehe sich Empfindung daran zu knüpfen vermag, wonach der Schwellenwert des Reizes der sein würde, der die psychophysische Bewegung bis zu ihrer Schwelle zu treiben vermag, oder ob der Reiz vielmehr erst eine gewisse Stärke erreichen muß, ehe die psychophysische Bewegung überhaupt beginnt, und mit Beginn der psychophysischen Bewegung auch die Empfindung sofort beginnt.

    Die letzte Annahme erschiene unstreitig aus allgemeinem Gesichtspunkte sehr wohl möglich. Wenn ein Pferd einen schweren Wagen auf schlechtem Wege anzieht, so wird es nicht gelingen, ihn in Bewegung zu setzen, bis die Kraftanstrengung eine gewisse Größe übersteigt, von da an kommt er in Gang. So wie er nun in Gang kommt, führt er auch seine Last mit, und die kleinste Geschwindigkeit des Wagens führt auch von selbst eine entsprechende der Last mit. So, kann man sagen, ist freilich eine gewisse Stärke des Reizes nötig, die psychophysische Bewegung in Gang zu bringen, nicht aber erst eine gewisse Stärke der psychophysischen Bewegung, um Empfindung mitzuführen; sondern die kleinste derartige Bewegung wird auch eine kleinste Empfindung mitführen.

    Aber diese Deutung wird schon dadurch unhaltbar, daß sie nicht auf die Unterschiedsschwelle übertragbar ist, und unstreitig muß dasselbe Erklärungsprinzip für beide Schwellen ausreichen. Wenn ich von den Sternen im Tageslichte absolut nichts erkenne, auf einer rasch gedrehten Scheibe mit weißen und schwarzen Sektoren absolut keine Ungleichförmigkeit entdecken kann, so kann ich weder sagen, es sei kein psychophysischer Eindruck gemacht, noch, es sei kein verschiedener Eindruck gemacht, da größere spürbare Verschiedenheiten nur durch Summation solcher kleinen nicht spürbaren zu Stande kommen können. Also bleibt nichts übrig, als anzunehmen, daß ein wirklicher Unterschied psychophysischer Eindrücke doch nicht als Unterschied aufgefaßt werden kann, unbewußt bleibt, wenn er nicht eine gewisse Größe übersteigt; ist dies aber von Unterschieden zuzugestehen, so wird es nach dem Zusammenhange der Tatsachen der Reiz- und Unterschiedsschwelle auch für absolute Größen zuzugestehen sein. Außerdem will ich an einige ganz einfache Tatsachen erinnern, welche zeigen, daß der Wagen der psychophysischen Tätigkeit allerdings angezogen sein kann, ohne schon Empfindung mitzuführen; oder vielmehr, daß das Beispiel mit dem Wagen auf unseren Fall keine Anwendung findet. Genauer werden sich diese Tatsachen freilich erst erläutern lassen, wenn wir uns später zur spezielleren Betrachtung der Aufmerksamkeit wenden.

    Früh im Bette pflege ich über Allerlei nachzudenken. Dem Bette gegenüber ist ein schwarzes Ofenrohr an einer hellen Wand. Da der Kopf still liegt, so imprimiert sich, wenn ich nach eingebrochenem Morgenlichte mit offenen Augen liege, der Eindruck des schwarzen Rohres stark im Auge, aber ich denke an ganz Anderes, und dieser Eindruck ist mir völlig unbewußt. Sehr oft aber bin ich, wenn ich dann einmal die Augen schloß, durch ein sehr intensiv weißes Nachbild des Ofenrohres frappiert worden. Der physische Eindruck war also in solcher Form gemacht, daß die Gesichtsempfindung entstehen konnte, aber er war, so lange die Aufmerksamkeit abgelenkt war, unbewußt geblieben, und konnte doch nachmals noch in das Bewußtsein treten.

    Ähnliches berichtet Scoresby 2). Er nahm oft Teile eines Gegenstandes im Nachbilde wahr, welche ihm beim Betrachten mit offenen Augen gar nicht zum Bewußtsein gekommen waren. Wenn eine Stelle einer in größeren Lettern ausgeführten Druckschrift ausschließlich fixiert worden war, so gibt Scoresby an, daß es ihm gelungen sei, auch die angrenzenden Zeichen im Nachbilde zu lesen.

2) Instit. 1854. 154; hier nach Liebig’s u. Kopp’s Jahresber. 1854. 185.
 
 
    Entsprechende Erfahrungen kann man in der Sphäre des Gehöres machen.

    Es spricht beispielsweise Jemand mit uns; wir sind aber zerstreut und hören nicht (nicht bewußt), was er gesagt hat. Den Augenblick darauf aber sammeln wir uns, und das, was er gesagt hat, tritt in unser Bewußtsein. Unstreitig mußten also die Bewegungen, an die sich das Hören knüpft, schon vorher entstanden sein, und die Sammlung der Aufmerksamkeit hatte nur den Erfolg, sie über die Schwelle zu heben.

    Auf diese Weise kann unter Umständen sogar ein früher geschehener Eindruck erst später zum Bewußtsein kommen, als ein später geschehener, wenn die Aufmerksamkeit erst mehr auf den späteren als den früheren gerichtet war. Hierdurch erklärt sich eine sehr paradoxe Erfahrung, die Dr. Hadekamp in der preuß. Vereinszeitung 3) mitteilt: "Es ist mir (berichtet er) beim Aderlassen mit dem Schnepper einigemale vorgekommen, daß das Blut aus der Ader hervorsprang, ehe der Schnepper losging. Das heißt, ich will natürlich nicht behaupten, daß diese zeitliche Umkehrung der beiden hier zur Sprache kommenden Akte wirklich stattgefunden habe; aber ich sah sie; ich spreche von Dem, was das Auge dem Gehirne referierte. Mein Auge berichtete meinem Gehirne: soeben ist der Blutstrom aus der Ader hervorgequollen und einen Augenblick später ist auch die Fliete des Schneppers in die Ader gefahren. Diese paradoxe Erscheinung hat sich mir wenigstens ein halbes Dutzend mal präsentiert. Allemal wurde ich davon überrascht, denn, wenn ich vorher daran dachte, blieb sie stets aus. Ich wüßte sie daher auch nicht willkürlich herzustellen. Der Zeitunterschied zwischen den beiden Akten war natürlich ein unnennbar kleiner, aber er war doch jedesmal groß genug, daß ich die Richtigkeit meiner Beobachtung als unzweifelhaft behaupten kann.... Vor einiger Zeit teilte mir Hr. Dr. Schmeisser mit, daß ihm dieselbe Erscheinung ebenfalls einmal vorgekommen sei. Er sah zuerst den Blutstrom aus der Ader hervorquellen, sah dann den Schnepper losgehen, und dann hörte er dessen Schlag." Der Verf. bemerkt noch weiterhin: "ich möchte glauben, daß ich in allen Fällen, wo mir die Täuschung begegnete, auf den Blutstrom sehr gespannt war."

3) Hier nach Fechner’s Centralbl. 1854. S. 422.
 
 
    Wahrscheinlich von ähnlicher Natur als vorige Erfahrung ist folgende, welche Hartmann 4) bei Gelegenheit von Versuchen machte, die er zur Erörterung der Verhältnisse der sog. Personaldifferenz mittelst eines eigens dazu konstruierten Apparates anstellte. 4) Grunert’s Arch. f. Mathem. XXXI, S. 17.
 
 
    Ein künstlicher Stern ging mit gleichförmiger Bewegung längs einer Skale vor einem Faden vorbei; der Weg, den er in 1 Sec. beschrieb, war gerade in 10 Teile geteilt. Wurde nun der Skalenteil abgelesen, wo der Stern bei dem letzten Schlage vor dem Faden war, so mußte er beim nächsten Schlage um 10 Skalenteile weiter sein.

    "Bei dieser Art zu beobachten, — sagt der Verf. — hatte ich eine eigentümliche Erscheinung. Wenn ich den Skalenpunkt, bei welchem der Stern beim Sekundenschlage sein mußte, vorher wußte, so glaubte ich den Lichtpunkt doch beim Eintritte des Schlages noch etwa 0,5 Skalenteile (zwischen 0,3 und 0,8 wechselnd) vor dem richtigen Orte zu sehen, wodurch also die Angaben um ca. 0°,05 zu groß ausfallen würden. Bemühte ich mich namentlich, recht scharf zu sehen und recht aufmerksam zu sein, so schien es, als wenn der sich stetig nähernde Stern an jenem Punkte einen Moment still stehe, so daß ich versucht ward, zu meinen, es müsse der Ort, wo der Stern beim Eintritte des Schlages stehe, äußerst scharf bestimmbar sein. Oftmals aber schien der Stern auch wieder ohne Stillstand in stetigem Flusse während des Sekundenschlages fortzugehen; er flog dann während des Schlages gleichsam durch den richtigen Punkt hindurch und die Angabe wurde richtig. Dies geschah meist am Ende der Beobachtungsreihe, wenn ich gleichsam schon ermüdet war, oder wenn ich die Beobachtungen etwas nonchalant machte. Dieselbe Erscheinung hatte ich auch bei noch langsamerer und schnellerer Bewegung, z. B. bei einem schwarzen Punkte auf der Papierscheibe, der in der Sek. 8 par. Zoll durchlief. Der antizipierte Raum war auch hier derselbe, zirca 1/20 des in 1 Sek. durchlaufenen Weges."

    "Eine Erklärung dieser Erscheinung möchte ich noch nicht wagen. Es ist so, als widme man einmal den regelmäßig erfolgenden Sekundenschlägen überwiegende Aufmerksamkeit. Dadurch antizipiere man einen solchen vielleicht selbst, wie man einen erwarteten Stoß gleichsam früher fühlt, als er wirklich erfolgt, während man den wandernden Stern, den man weniger beachtet, immer an einem neuen Orte sich zum Bewußtsein zu bringen habe, wobei die Seele, der es schwer halte, zwei heterogene Geschäfte, zu hören und zu sehen, zugleich zu verrichten, gleichsam in der Vorstellung des gesehenen Lichtpunktes nachhinke, bis ein andermal man, die Schläge weniger beachtend, den wandernden Stern mit größerem Interesse verfolge, und ihn so ohne Stillstand in freiem Zuge durch den Schall hindurchfliegen, ja ihm sogar vorauseilen sehe."

    "Für Lichtblitze hält es weit schwerer, eine ähnliche sichere Beobachtungsmethode einzurichten. Etwas Ähnliches sollte man hier vermuten, die Sekundenschläge als erwartete Phänomene gleichsam voraus, den Blitz aber als eine überraschende Erscheinung nach zu empfinden. Dies habe ich aber, der größeren Unsicherheit dieser Beobachtungen wegen, direkt nicht konstatieren können, auch stellte sich indirekt bei den Beobachtungen eine daraus folgende Verspätung — zu große Angaben der Erscheinungszeiten — nicht bestimmt heraus."

    Zu vorigen direkten Gründen stelle ich noch folgenden allgemeinen Gesichtspunkt auf. Da die Verhältnisse der psychophysischen Bewegungen unserer unmittelbaren Erfahrbarkeit entzogen sind, müssen wir uns bei der Wahl zwischen verschiedenen möglichen Annahmen an diejenige halten, welche die Tatsachen am einfachsten und vollständigsten im Zusammenhan-ge zu repräsentieren gestattet.

    Nun wird sich zeigen lassen, wie die Verhältnisse zwischen bewußtem und unbewußtem Vorstellungsleben, Schlaf und Wachen, allgemeinen und besonderen Bewußtseinsphänomenen, kurz die allgemeinsten Verhältnisse des Seelenlebens eine sehr einfache und befriedigende psychophysische Repräsentation auf Grund der Voraussetzung, daß der Schwellenbegriff auf die psychophysische Bewegung übertragbar sei, zulassen, welche nicht möglich ist, wenn man der gegenteiligen Annahme huldigt.

    Nach all’ dem halte ich es nicht für eine unsichere Hypothese, sondern für eine Forderung der ganzen tatsächlichen Sachlage, auf welcher wir zu fußen haben, daß vielmehr die Empfindung von der psychophysischen Tätigkeit, als diese vom Reize im Sinne der Fundamentalformel und Maßformel abhängt, wonach es nur noch gelten wird, die psychophysische Tätigkeit statt des Reizes b nach einem entsprechenden Maße in diese Formeln einzuführen.

    Mit dieser Übersetzung der Abhängigkeit der Empfindung vom äußeren Reize in eine Abhängigkeit von den Verhältnissen der psychophysischen Bewegung wird unsere Lehre prinzipiell genommen von allen prekären Bedingungen und Beschränkungen befreit, denen sie noch im Felde der äußeren Psychophysik unterliegt. Wir haben von vorn herein anerkennen müssen, daß unsere auf das Weber’sche Gesetz gegründeten Formeln sich bei der Beziehung auf den äußeren Reiz nur innerhalb gewisser Versuchsgrenzen, nur mit mehr oder weniger großer Annäherung, nur für eine gleiche äußere Anbringungsweise des Reizes und einen gleichen inneren Zustand der Empfindlichkeit bewähren lassen; daß die Konstanten b, v unserer Formeln nicht wahrhaft konstant sind, sondern sich nach Änderung dieser Verhältnisse ändern. Aber es hindert nicht nur nichts anzunehmen, sondern, falls es überhaupt eine wesentliche funktionelle Beziehung zwischen Körper und Geist gibt, sind wir genötigt anzunehmen, daß die Gültigkeit der Gesetze, welche die Größe und Art der Empfindung mit der Größe und Art der psychophysischen Bewegung verknüpfen, eine unbedingte und unbeschränkte sei, so gut als die Gültigkeit des in der Natur wesentlich begründeten Gravitationsgesetzes, so daß, wenn und wo auch dieselbe Größe und Art psychophysischer Bewegung vorhanden ist, immer dieselbe Größe und Art zugehöriger Empfindung vorhanden ist, und daß alle Abweichungen, die wir von der Gültigkeit des Weber’schen Gesetzes und der darauf gegründeten Formeln bei Beziehung auf den äußeren Reiz finden, nur darin ruhen, daß derselbe äußere Reiz nicht unter allen Umständen dieselbe Größe psychophysischer Tätigkeit erzeugt.

    Hiermit wird auch erst das Abhängigkeitsverhältnis zwischen b und g in unseren Formeln ein wahrhaft reziprokes und bindendes. Dann werden wir wirklich eben so gut sagen können: die psychophysische Bewegung b kann nicht vorhanden sein als nach Maßgabe wie die bewußte oder unbewußte Empfindung g vorhanden ist, wie wir sagen können, die Empfindung g kann nicht vorhanden sein, als nach Maßgabe wie die Bewegung mit dem Werte b vorhanden ist, wogegen, so lange wir beim äußeren Reize stehen bleiben, der äußere Reiz und die erforderliche Reizbarkeit da sein, und doch keine Empfindung entstehen kann, wenn nicht der Reiz auch unter angemessenen äußeren Verhältnissen einwirkt, umgekehrt innere Empfindungen da sein können, ohne daß äußere Reize dazu da sind.

    Hiergegen mag sich allerdings ein Einwand erheben lassen.

    Man bezweifelt nicht, daß eine gegebene sinnliche Empfindung nicht ohne eine gegebene körperliche Veränderung zu Stande kommen kann; aber setzt das Zustandekommen dieser körperlichen Veränderung auch umgekehrt die gegebene Empfindung voraus? Können nicht dieselben Bewegungen, welche eine Empfindung braucht, um zu Stande zu kommen, unter anderen Umständen auch vorgehen, ohne daß sie eine Empfindung mitführen, oder unter anderen Umständen auch andere Empfindungen mitführen; so namentlich, je nachdem sie in Organismen oder in der Außenwelt, oder je nachdem sie in verschiedenen Organismen vorgehen?

    Unstreitig, nur daß man dann die anderen Umstände selbst mit zu dem zu rechnen hat, wovon die Empfindung bedingt wird, abhängt, oder nach unserem Ausdrucke Funktion ist. Da sie überhaupt nicht an einem Punkte hängt und noch gar nichts entschieden ist, an welcherlei Zusammenhang sie hängt, so bleibt auch die Möglichkeit noch frei, daß gegebene Bewegungen in gegebenem Zusammenhange eine Empfindung mitführen, indem sie den Zusammenhang zur vollen Bedingung der Empfindung ergänzen, indes sie in einem anderen keine mitführen, indem sie den Zusammenhang nicht dazu ergänzen.

    Auch läßt sich die Sache unter folgendem Gesichtspunkte betrachten: wenn eine Saite, ohne an der Violine befestigt zu sein, in dieselbe Art Schwingungen versetzt werden könnte, als da sie an der Violine befestigt ist, so würde sie auch denselben Ton geben; aber sie kann eben nur an dem Violinenkasten so schwingen und solche Resonanz erzeugen, wie es der Fall ist. Und so würden auch irgend welche Stränge, wenn sie außerhalb des Organismus solche Bewegungen annehmen und solche Mitbewegungen finden könnten, als die Nerven im Organismus, eben solche Empfindungen geben (die man in den Weltgeist verlegen könnte, um sie nicht ins Leere zu verlegen, da ja auch die Schwingungen noch in der Welt vorgehen würden), aber sie können es eben nicht; jeder Organismus ist vielmehr eine besondere Art Instrument, der nach den Besonderheiten seiner Einrichtung besondere Arten Bewegung erzeugen kann, die kein anderer erzeugen kann, woran sich auch entsprechende Besonderheiten psychischer Zuständlichkeiten knüpfen.