XL. Schlaf und Wachen1).

    Während die psychophysischen Verhältnisse der Empfindung den leichtesten Angriffspunkt für die äußere Psychophysik von der Erfahrungsseite her gewährten, scheint mir hingegen das Phänomen von Schlaf und Wachen den geeignetsten Angriffspunkt von dieser Seite für die innere darzubieten, einmal, sofern es der Erfahrung noch soweit zugänglich ist, um der Übertragung der Fundamente der äußeren Psychophysik in die innere, welche im 38. Kapitel auf allgemeine Gesichtspunkte begründet wurde, direkte Erfahrungsstützen zuzufügen, zweitens, sofern es das ganze Bewußtsein des Menschen, Höheres und Niederes in Eins betrifft, indes die Empfindungen bloß ein Spezialphänomen, und zwar das von niederster Stufe innerhalb des Allgemeinbewußtseins sind, wodurch wir einerseits die wichtigste Verallgemeinerung, anderseits einen Ansatz zum Fortschritte gewinnen, indem sich hiermit die psychophysische Betrachtung des Verhältnisses zwischen dem Allgemeinbewußtsein und seinen Sonderphänomenen einleitet.

        1) Revision S. 284—290.

    Verfolgen wir zunächst das Phänomen von seiner psychischen Seite.

    Während des Schlafes schweigt das Bewußtsein; mit dem Momente des Erwachens ist es plötzlich da, doch nicht sofort in voller Stärke; nur allmälig ermuntert sich der Mensch 2); doch steigt die Helligkeit des Bewußtseins rasch bis zu einem Gipfel an, auf dem sie sich, nach der Weise der Maxima, eine Zeit lang nahe unverändert erhält. Allmälig sinkt sie wieder und der Mensch schläft ein, wie er erwacht war.

2) "Anfangs erscheint Alles noch dunkel und verworren, dann deutlicher; aber noch nicht nach seiner wirklichen Bedeutung; man erinnert sich nicht sogleich des Vergangenen und kann das, was gesprochen wird, noch nicht recht fassen." (Burdach’s Physiol. III, S. 455.)
 
 
    Vom Einschlafen an vertieft sich der Schlaf nach einem ähnlichen nur umgekehrten Gange, als erst das Bewußtsein im Aufsteigen über die Schwelle nahm, mehr und mehr, d. h. — und hierin liegt das Tatsächliche für den Ausdruck Vertiefung des Schlafes — es erfordert stärkere und immer stärkere Reize, den Schläfer zu wecken 3), bis nach erreichter größter Tiefe das Bewußtsein sich wieder bis zur Schwelle hebt, um von da an in weiter steigende Werte überzugehen.     3) Ein Zuhörer von mir (Kohlschütter) sprach die Idee aus, mit dem Th. I, S. 179 beschriebenen Schallpendel Versuche über die Tiefe des Schlafes in den verschiedenen Epochen vom Einschlafen an und unter verschiedenen Umständen anzustellen, indem die Stärke des Schalles, welche nötig ist, den Schläfer zu wecken, zur Messung der Tiefe des Schlafes dienen kann. Ob diese Idee zur Ausführung kommen und der Versuch nicht an den großen Schwierigkeiten der Herstellung vergleichbarer Umstände scheitern werde, lasse ich dahinge-stellt; jedesfalls sieht man hier ein Prinzip, der ganz negativen Zuständlichkeit der Tiefe des Schlafes doch mit Maßen beizukommen.     Es ist, um die Oszillation des Psychischen durch ein physisches Bild zu erläutern, eine ähnliche Oszillation, wie die der Sonne, welche vom Horizonte, der Schwelle des Tages, rasch emporsteigt, um Mittag eine Zeit lang nahe dieselbe Höhe behält, dann wieder niedersteigt, zum Horizonte sinkt, tiefer und tiefer unter denselben herabgeht, um nach erreichter größter Tiefe wieder bis zum Horizonte und darüber emporzusteigen.

    Zwar mag es sein, daß das Aufsteigen der psychischen Sonne relativ schneller geschieht als das der physischen und vielleicht ist auch (die Zeit als Abszisse gedacht) das Aufsteigen steiler als das Absteigen, denn es scheint, daß der Mensch bald nach dem Erwachen am muntersten ist, und von da die Munterkeit nur ganz allmälig, lange nicht merklich, sinkt; eben so scheint der Schlaf bald nach dem Einschlafen am tiefsten, und von diesem Maximum der Abfall zum Aufwachen sehr allmälig 4); indes haben uns diese Partikularitäten hier nicht zu kümmern, sondern bloß das Aufsteigen und Absteigen der Bewußtseinshelligkeit im Ganzen, für welche das Bild immer etwas Treffendes behält. Übrigens soll uns das Bild nichts beweisen, sondern nur zur Erläuterung dienen.

4) Burdach sagt geradezu (Physiol. III, S. 454) "der Schlaf ist in seinem Anfange am tiefsten, in seinem Fortgange sanft und ruhig, gegen sein Ende am leisesten." Inzwischen ist es sicher leichter, einen Schläfer unmittelbar nach dem Einschlafen, als einige Zeit nachher zu wecken.
 
 
    Wenn wir nun, wie natürlich und ohne Rücksicht auf irgend ein Bild, die Schwelle des Bewußtseins, wo das Erwachen und Einschlafen erfolgt, mit einem Nullwerte der psychischen Intensität zu bezeichnen haben, so werden wir eben so natürlicherweise und ohne Rücksicht auf unsere im Gebiete der äußeren Psychophysik schon festgestellte Auffassung das Aufsteigen der Bewußtseinshelligkeit darüber mit positiven Werten zu bezeichnen haben, die vom Erwachen an erst zunehmen, dann nach dem Einschlafen zu wieder abnehmen, und werden dann auch nicht umhin können, die zunehmende Vertiefung des Schlafes unter die Schwelle eben so mit wachsenden negativen Werten zu bezeichnen, womit sich unsere frühere Auffassung negativer Bewußtseinswerte als unbewußter Werte von der Empfindung auf das Gesamtbewußtsein überträgt, und eine Verallgemeinerung und Verstärkung der früheren Auffassung zugleich erwächst. Folgende Erörterungen können beitragen, diese fundamentale Auffassung für unseren jetzigen Fall zu sichern.

    Der Zustand des Schlafes hängt mit dem Zustande des Wachens kausal zusammen. Die Seele bedarf selbst des Schlafes, um nachher wachen zu können, und muß hinreichend gewacht haben, um schlafen zu können; ja normalerweise entspricht der Tiefe des Schlafes der nachherige Grad der Munterkeit. Man kann sich den Schlaf eine Zeit lang versagen, oder er flieht uns von selbst, wenn der Geist ungewöhnlich angespannt oder aufgeregt ist; dann aber folgt normalerweise ein um so längerer und tieferer Schlaf. Es ist hiermit ganz wie bei einer Welle; die Tiefe des Sinkens und die Höhe des Aufsteigens einer Welle bezüglich zum Niveau entsprechen sich und bedingen sich; man kann nicht vom Sinken unter das Niveau als von Nichts abstrahieren; sondern hat zu angemessener Repräsentation die Verhältnisse des Sinkens unter das Niveau und des Steigens über das Niveau, jenes als Übergang in negative, dieses als Übergang in positive Werte bezüglich zum Nullwerte der Höhe im Niveau zu fassen. Und so kann man auch vom Schlafe nicht als von einem Nichts für die Seele abstrahieren, die Lebensoszillation der Seele nicht allein auf das Wachen beziehen; sondern das Wachsein der Seele ist die Oszillationshöhe über, der Schlaf die Oszillationstiefe unter der Schwelle des Bewußtseins, und bezeichnen wir die Bewußtseinshöhe mit positiven Werten, so werden wir eben so notwendig die Tiefe des Schlafes mit negativen Werten zu bezeichnen haben.

    Wollte man hiergegen die Oszillation der psychischen Intensitäten mit dem wachen Zustande abschließen, und die Intensität im Schlafzustande überall nur mit Null bezeichnen, so würde das Leben der Seele durch lauter in der Zeit von einander abgesonderte, durch Nullzustände des Bewußtseins getrennte, Oszillationen repräsentiert werden, statt daß bei Repräsentierung des Schlafzustandes durch negative Intensitäten die Oszillation des Lebens der Seele kontinuierlich zusammenhängend in sich und in kontinuierlichem Bezuge zu dem Körperleben, an das sie im Wachen geknüpft ist, fortgeht. Unstreitig kann man nur letztere, nicht erstere Vorstellungsweise angemessen finden.

    Wenden wir uns nun zur Betrachtung der physischen Seite des Schlafes.

    Die lebendige Kraft unseres ganzen Körpers erscheint im Schlafe herabgesetzt 5). Puls und Atem gehen langsamer, die Temperatur des Körpers ist erniedrigt, die Ausscheidung des Harnes, der Kohlensäure, der Ausdünstung vermindert, und was die Tätigkeiten des Gehirnes insbesondere anlangt, welche wir als Träger bewußter Phänomene anzusehen haben, die psychophysischen Tätigkeiten, so spricht schon das Aufhören dieser Phänomene und aller willkürlichen Bewegungen selbst für die Herabsetzung jener Tätigkeiten, außerdem ist dadurch, daß das Gehirn im Schlafe einsinkt, was man bei Schädelverwundungen und durch die Schädelfontanellen kleiner Kinder zu beobachten Gelegenheit hat, konstatiert, daß weniger Blut als im Wachen zum Gehirne zuströmt, und der langsamere Puls spricht auch für einen langsameren Blutumtrieb im Gehirne. Überall aber sehen wir, wenigstens bis zu gewissen Grenzen, mit der Fülle und Lebhaftigkeit des Blutumtriebes in einem Organe dessen Funktionen steigen und sinken.

5) Vgl. u. A. hierüber Purkinje in Wagner’s Wört. Art. Wachen, Schlaf, S. 426.
 
 
    Kurz, die Herabsetzung der körperlichen Tätigkeiten, welche den bewußten Phänomenen unterliegen, kann für zweifellos gelten; aber es könnte sich fragen, ob diese Herabsetzung nicht bis zum wirklichen Aufhören geht. Zwar hört sicherlich nicht die ganze Gehirntätigkeit auf; aber es könnten doch diejenigen Tätigkeiten, welche ihrer Natur nach geeignet sind, dem Bewußtsein zu dienen, die psychophysischen, im traumlosen Schlafe möglicherweise ganz aufhören; ja diese Ansicht mochte zeither als die natürlichste erscheinen.

    Inzwischen spricht zuvörderst hiergegen das Bedürfnis, für die zunehmende Vertiefung des Schlafes den psychophysischen Zusammenhang mit der Erhöhung des Bewußtseins im Wachen fortzuerhalten. Erlischt die psychophysische Tätigkeit ganz mit dem Momente des Einschlafens, so ist der psychophysische Zusammenhang mit Eintritt des Schlafes unterbrochen, wogegen, wenn die psychophysische Tätigkeit mit dem Einschlafen nur bis zu einer gewissen Grenze, einer Schwelle sinkt, die Vertiefung des Schlafes ihren dem Aufsteigen des Bewußtseins entsprechenden Ausdruck in dem Herabgehen der psychophysischen Tätigkeit unter diese Schwelle findet. Diesem formellen Bedürfnisse kommen Erfahrungen zu Hilfe, welche sich auf das Aufwachen und Einschlafen beziehen. Und wenn sie nicht für sich allein ganz bindend sein sollten, so sind sie es doch in Verbindung mit dem vorigen Gesichtspunkte und mit Rücksicht auf das, was wir schon bei dem Spezialphänomen der Empfindung zu statuieren uns gedrungen fanden.

    Ein Schlafender kann durch einen lokalen Reiz erweckt werden, welcher Art er auch sei und durch welchen Sinnesnerven er auch Zugang finde. Rütteln, Stechen, Stossen, Kitzeln, ein Tropfen heißes Siegellack irgendwo auf die Haut, Kälte beim Aufdecken, ein Knall, plötzliches grelles Licht, was durch die Augenlider scheint, selbst ungewohnte Gerüche 6) können den Schläfer wecken. Gleichen Erfolg hat der Reiz, welchen die allmälig zunehmende Anhäufung von Kot und Urin während des Schlafes bewirkt. Was ist nun der allgemeine Erfolg solcher Anregungsmittel? Dieser, daß eine Erregung des Nervensystems entsteht, welche sich zum Gehirne fortpflanzt. Auf die Stelle und die Weise kommt an sich nichts an, soweit sich aus Erfahrungen schließen läßt, sondern nur auf die Stärke, mit Rücksicht, daß ein starker Unterschied von Reizen selbst einen starken Reiz vertritt, mithin starke Verminderung eines gewohnten Reizes nicht minder aufweckend wirken kann, als ein starker Reiz, und selbst ein schwacher Reiz 7) leicht weckend wirken kann, wenn er im Wachen geeignet ist, eine starke Erregung mit sich zu assoziieren. Sonst ist jeder Reiz wirkungslos, bis er einen gewissen Grad der Stärke übersteigt, und bewirkt unzweifelhaft Erwachen, wenn er solchen übersteigt, so lange der Mensch überhaupt noch fähig ist zu erwachen. Doch wird ein leiser Reiz eine, nur minder starke Wirkung derselben Art hervorbringen, als die ist, an die sich das Erwachen knüpft. Also kommt es nicht sowohl darauf an, daß eine Erregung besonderer Art und besonderen Ortes, sondern hinreichender Stärke irgendwo und irgendwie im Felde der psychophysischen Tätigkeit geschehe, damit das Erwachen erfolge; gerade so wie es zur Erweckung einer besonderen Sinnesempfindung während des Wachens erst einer gewissen Stärke des Reizes bedarf. Ehe aber die erforderliche Stärke erreicht ist, muß hier wie dort die unterliegende psychophysische Tätigkeit bis dahin wachsen, und um zu wachsen doch vorhanden sein.

    6) "Wie es denn nicht selten vorkommt, daß Menschen durch den brandigen Geruch einer Feuersbrunst geweckt werden." (Burdach, Physiol. III, S. 460.)

    7) Z. B. das leise Rühren eines Kindes neben der schlafenden Mutter.
 
 

    Burdach sagt in gewissem Sinne triftig (Physiol. III, S. 460): "wenn man nicht im Schlafe selbst, sondern erst nach dem Aufwachen hörte und fühlte, so könnte man überhaupt nicht geweckt werden." Hörte und fühlte man aber im Schlafe schon eben so, wie im Wachen, so wäre kein Unterschied zwischen der Zeit vor dem Aufwachen und nach dem Aufwachen. Nun kann der Unterschied nur darin liegen, daß bis zum Aufwachen die psychophysische Tätigkeit noch unter der Schwelle bleibt, mit dem Aufwachen über die Schwelle tritt. Dasselbe aber, was durch sukzessives Wachstum eines Reizes bis zum Hervorbringen des Erwachens erfolgt, muß auch in der freiwilligen Annäherung an das Erwachen erfolgen, so daß man höchstens im Momente der größten Tiefe des Schlafes ein gänzliches Aufhören der psychophysischen Tätigkeit als möglich, wenn auch durch keinen Umstand als wahrscheinlich gemacht, ansehen kann.

    Burdach bemerkt weiter (S. 461): "wenn man beim Anhören eines Gespräches oder einer Rede oder Vorlesung eingeschlummert ist, und man wird geweckt, so weiß man die letzten Worte, welche vor dem Aufwachen gesprochen worden waren, z. B. den letzten Satz, wenn er kurz war; aber ohne Zusammenhang mit dem Früheren .... Noch allgemeiner ist es, daß man weiß, wodurch man geweckt wird, ungeachtet das Weckende nach dem Aufwachen nicht mehr perzipiert werden kann." Dies sind offenbar Tatsachen, welche eine psychophysische Affektion wahrend des Schlafes beweisen, die analog mit der sein mag, welche stattfindet, wenn wir eine Rede in der Zerstreuung überhören und uns nachher derselben noch erinnern; wovon bereits die Rede war.

    Das Phänomen des Einschlafens führt, nur in umgekehrter Richtung, zu demselben Ergebnisse. Es erfolgt um so leichter, je mehr alle lokale äußere Reize abgehalten werden, und je weniger überhaupt, sei es durch lokale Schmerzen oder besonders gerichtete und gespannte Aufmerksamkeit sich die dem Bewußtsein unterliegende Tätigkeit des Nervensystems, respektiv Gehirnes, lokal steigert, je mehr sie sich und je gleichförmiger zugleich sie sich verteilt. Dies kann nun nicht an sich den Erfolg haben, daß sie irgendwo null wird, wohl aber versteht sich, wie der bei der Annäherung an das Einschlafen sich immer mehr ins Enge ziehende, zuletzt nur noch ganz schwach über die Schwelle erhobene Gipfel der psychophysischen Tätigkeit durch die Ausgleichung mit dem, was schon unter der Schwelle ist, selbst unter die Schwelle sinken und damit Einschlafen erfolgen kann. Hängt das Wachsein nur noch an einer solchen lokalen Steigerung, so muß die Verteilung selbstverständlich hinreichen, Einschlafen zu bewirken. In der Tat brauchen wir bei Schläfrigkeit unsere Aufmerksamkeit nur eben auf nichts Besonderes mehr zu richten, so schlafen wir wirklich ein. Im vollen Wachen, wo die psychophysische Tätigkeit hoch geht, gelingt dies nicht, wenn schon der Mensch seine Aufmerksamkeit ganz in derselben Weise verteilt, weil die Ausgleichung des erhobenen Gipfels mit dem Übrigen die Tätigkeit nicht unter die Schwelle herabzubringen vermag, indes umgekehrt bei sehr tiefem Schlafe selbst starke lokale Reize ungenügend werden können, einen Punkt über die Schwelle zu heben und damit Erwachen zu bewirken.

    Hiermit steht dann auch die erweckende Wirkung der Entziehung gewohnter Reize in Beziehung. Ein starkes Geräusch erweckt uns; aber der Müller erwacht eben so, wenn der Gang der Mühle stockt, der Schläfer in der Kirche, wenn der Prediger zu sprechen, das von der Amme eingesungene Kind, wenn die Amme zu singen aufhört, der bei Nachtlicht zu schlafen Gewöhnte, wenn das Nachtlicht erlischt, der im Wagen Fahrende, wenn der Wagen still steht. Bei ermüdenden Märschen schlafen die Soldaten wohl gar im Gehen und wachen auf, wenn Halt gemacht wird. Nun gehört der Einfluß gewohnter Reize auch während des Wachens dazu, eine derartige gleichförmige Höhe und Verteilung der psychophysischen Tätigkeit zu unterhalten, daß wir uns keiner Empfindung vor der anderen bewußt werden. Wird irgendwo etwas von diesem Reize entzogen, und vertieft sich hiermit die psychophysische Tätigkeit lokal, so steigt sie nach einem früher erörterten Gesetze, was unstreitig mit der Erhaltung der Kraft zusammenhängt, von selbst im Übrigen und kann dadurch über die Schwelle getrieben werden.

    Alles dies hängt durch die Vorstellung zusammen und dürfte sich im Zusammenhange nur durch die Vorstellung repräsentieren lassen, daß die psychophysische Tätigkeit, welche unserem Gesamtbewußtsein unterliegt, im Schlafe unter eine Schwelle sinkt, ohne deshalb aufzuhören. Wollte man hingegen die Ansicht festhalten, daß das Erwachen an einen eigentümlichen Vorgang im Gehirne geknüpft sei, der im Momente des Erwachens erst überhaupt entsteht, so müßte man annehmen, daß die schwachen Reize, die das Erwachen noch nicht bewirken, nicht im Stande seien, ein gewisses Hindernis zu überwältigen, was sieh in irgend einer Form der Entstehung dieser Tätigkeiten entgegensetzt, eine Ansicht, die wir schon früher in Bezug auf Empfindungen am Bilde eines anzuziehenden Wagens erläutert und mit Tatsachen bestritten haben. Vielleicht aber nimmt man hier ein anderes Bild zu Hilfe. Könnte es nicht sein, wie bei einer Dampfmaschine, wo eine gewisse Kraft dazu gehört, ein Ventil zu drehen, um sie in Betrieb zu setzen; bis diese Kraft erreicht ist, steht die Maschine still. Könnte der Reiz, der das Aufwachen bewirkt, nicht dieses Drehen des Ventils vertreten? In der Tat hat eine solche Auffassung an sich nichts Unmögliches; aber es stehen ihr zwei tatsächliche Punkte entgegen: einmal, daß die Erweckung durch einen Reiz an keine bestimmte Form und Örtlichkeit der Reizung gebunden ist; wie es das Erwecken der Tätigkeit einer Dampfmaschine durch Drehung eines Ventils ist; in welcher Hinsicht namentlich das Erwecken durch Entziehung irgend eines gewohnten Reizes und das Erwecken selbst durch ganz schwache Reize, die aber fähig sind, sich mit einer starken Anregung der Aufmerksamkeit im Wachen zu assoziieren, ganz unverständlich sein würde; zweitens, daß mit Steigerung des Reizes über den Punkt hinaus, wo er das Erwachen bewirkt, die psychophysische Tätigkeit sich ferner steigert, was eine funktionelle Beziehung zwischen beiden direkt beweist, die man also auch Anlaß hat, bis unter den Punkt des Erwachens zu verfolgen, wogegen die Kraft, welche das Ventil einer Dampfmaschine dreht und sie dadurch in Tätigkeit setzt, durch ihre Verstärkung dann nichts weiter zur Verstärkung der Kraft der Maschine beiträgt, also keine funktionelle Beziehung zwischen Reiz und psychophysischer Tätigkeit über den Punkt des Erwachens hinaus erwarten lassen würde, die doch faktisch besteht.

    Ziehen wir das bisher Erörterte in Betracht, so können wir die Maßformel dadurch allein schon mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf dem Gebiete der inneren Psychophysik für die Totalität des Bewußtseins begründet halten; und nehmen wir die strengere Begründung hinzu, die sie auf dem Gebiete der äußeren für das Spezialphänomen der Empfindung gefunden hat, so ergibt sich dadurch zugleich eine wechselseitige Verstärkung und Verallgemeinerung beider Begründungen.

    In der Tat, Schlaf und Wachen sind nach vorstehenden Erörterungen mit negativen und positiven Werten auf psychischem Gebiete einzuführen; die Grenze zwischen beiden tritt nicht bei einem Nullwerte, sondern endlichen Werte der unterliegenden körperlichen Tätigkeit ein. Insofern also überhaupt eine Funktion zwischen Seelentätigkeit g und dem Maße der unterliegenden körperlichen Tätigkeit b besteht, muß die Funktion eine derartige sein, daß diese Verhältnisse dadurch repräsentiert werden. Solcher Funktionen lassen sich unstreitig unzählige aufstellen; allein läßt man sich durch die Rücksicht bestimmen, ein fundamentales Verhältnis von größtmöglicher Einfachheit zu gewinnen, wie es im Sinne der anderweiten Grundgesetze der Existenz ist, so kann man nur bei der Formel g = k log  stehen bleiben. Wirklich suchte ich, bevor mir die Erfahrungsdaten des Weber’schen Gesetzes zu Gebote standen, in den so gefaßten Phänomenen von Schlaf und Wachen eine Hauptunterlage der Formel, die sich, wie ich im historischen Kapitel erzähle, überhaupt zuerst bei mir auf Gesichtspunkte der inneren Psychophysik begründet hat. Aber die strengere Begründung wird allerdings nur durch das Weber’sche Gesetz mit Hinzunahme der Tatsache eines endlichen Schwellenwertes des Reizes möglich sein.

    Man kann fragen, was wir bei unserer Auffassung des Schlafes mit den Träumen anfangen. Unstreitig hat man in ihnen eine Art Wachsein und doch kein eigentliches Wachsein. In gewissem Sinne erscheint das Bewußtsein unter der Schwelle, und in gewissem Sinne ist es doch darüber. Läßt sich eine psychophysische Repräsentation hiefür finden?

    Meines Erachtens allerdings, aber um sie zu geben, muß erst das Verhältnis des Allgemeinbewußtseins zu seinen Sonderphänomenen, wozu die Traumvorstellungen wie die wachen Vorstellungen gehören, aus allgemeinem Gesichtspunkte erörtert sein, und so wird erst in einem späteren Kapitel (42) darauf einzugehen sein.

    Nicht unerwähnt darf bei Betrachtung des Schlafes die Tatsache bleiben, daß angemessen angebrachter Druck auf das Gehirn sicher Schlaf herbeiführt, und Nachlaß dieses Druckes ihn wieder aufhebt. Unstreitig kann der Druck auf das Gehirn nichts Anderes bewirken, als daß er Wege sperrt und Bedingungen aufhebt, wovon der lebendige Gang der psychophysischen Tätigkeiten abhängt, und es wäre voreilig, zu schließen, daß das natürliche Einschlafen auch auf Druck beruhe, da vielmehr das Einsinken des Gehirnes beim natürlichen Schlafe hiergegen spricht, und nicht minder durch Erschütterung des Gehirnes als durch Druck Bewußtlosigkeit entstehen kann. Doch ist dieser künstliche Weg, die psychophysische Tätigkeit herabzu-drücken, immerhin bemerkenswert genug und vielleicht nicht ohne Beziehung dazu, daß hinreichend starker Druck auf einen Nerven auch die Zuleitung eines Empfindungsreizes zum Gehirne und hiermit das Bewußtwerden der Empfindung unterbricht. Es könnte dies darauf deuten, daß der empfindungszuleitende und der empfindungstragende Vorgang nicht wesent-lich verschieden sind. Vielleicht aber ist vielmehr die Kompression der Gefäße das Wirksame, sofern unstreitig der Blutzufluß und die Blutströmung zur Unterhaltung der psychophysischen Prozesse wesentlich sind.

    Wenn man eine, durch den Trepan oder irgend eine Verletzung des Schädels entblößte, Stelle des Hirnes mit der Hand anhaltend drückt, so tritt der bemerkte Erfolg des Einschlafens ein. Auch an Tieren gelingt nach Haller dieser Versuch, wenn man nur stark und anhaltend genug drückt. Er brachte Hunde dadurch bis zum Schnarchen 8). Eben so bewirkte Foderé 9) bei Tieren durch einen allmäligen und gleichförmigen Druck auf den mittleren Teil des Gehirnes Betäubung. Denselben Erfolg hat, wie leicht zu erachten, jeder unabsichtliche Druck auf das Gehirn, wie er durch angehäuftes oder ausgetretenes Blut oder Blutwasser oder Eiter oder eingedrückte Stellen des Schädels hervorgebracht wird. Der Grund der Bewußtlosigkeit bei Schlagflüssen liegt in der Regel eben in solchen Umständen. Ein Mann ließ sich sehen, dessen Schädel nicht vollkommen verknöchert war, so daß man sein Gehirn drücken und ihn in einen Zustand von Schlagfluß bringen konnte, der ihm jedoch nichts schadete, (W. Philipp in Phil. transact. f. 1833.) Auch bei Spina bifida soll Schlaf durch einen Druck mit der Hand auf die Rückengeschwulst entstehen, indem der Druck durch das angesammelte Wasser nach dem Gehirne fortgepflanzt wird. (Darwin’s Zoon. L 410.)

8) Haller, elem. physiol. IV. 301.

9) Magendie, Journ. III. p. 195.