XLII. Verhältnis zwischen dem Allgemeinbewußtsein und seinen Sonderphänomenen.
Das Wellenschema. 1)

    Nachdem wir das Verhältnis zwischen Bewußtsein und Unbewußtsein im Empfindungsgebiete eben so wie im Gebiete des Allgemeinbewußtseins insbesondere in Betracht genommen, wird sich jetzt handeln, Beides in Beziehung zu einander zu betrachten.

        1) Revision S. 218, 243, 264, 269 ff. Psychische Maßprinzipien S. 195, 207 ff.

    Knüpfen wir diese Betrachtung an einige tatsächliche Verhältnisse.

    Wir sehen einen Gegenstand heller, wenn der Lichtreiz, der von ihm herkommt, stärker ist, aber wir sehen ihn nicht ebenso heller, wenn wir ihn aufmerksamer betrachten. Wir vernehmen einen Ton als einen stärkeren, wenn der Schallreiz stärker ist; aber die verstärkte Aufmerksamkeit läßt uns demselben keine größere sinnliche Stärke beilegen. Mögen wir aufmerksamer hinsehen, hinhören, die Helligkeit, die Schallstärke scheint uns nicht sinnlich dadurch verstärkt. Wir fühlen allerdings die verstärkte Aufmerksamkeit als eine verstärkte Tätigkeit unserer Seele, aber wir vermögen auch sehr wohl zu unterscheiden, was Sache der verstärkten Aufmerksamkeit und was Sache der verstärkten Sinnesempfindung ist, und schlagen das, was wir als Verstärkung der ersten fühlen, keineswegs zugleich als eine Verstärkung der letzten an.

    Von der anderen Seite ist doch gewiß, daß bei mangelnder Aufmerksamkeit schwache Reize gar nicht gespürt werden, daß eine gewisse Aufmerksamkeit nötig ist, sich überhaupt merklich werden zu lassen. Wie soll nun Verschärfung der Aufmerksamkeit nichts wirken, sie merklicher werden zu lassen?

    Wir haben hier gewissermaßen den Gegenfall einer früher bemerkten Paradoxie. Wenn ein Reiz unter der Schwelle ist, wirkt er keine bewußte Empfindung; wir brauchen ihn nur zu verstärken, so wirkt er solche; also entsteht scheinbar durch Verstärkung von Etwas, was nichts wirkt, eine Wirkung. Jetzt sehen wir, daß durch Verstärkung von Etwas, was eine Wirkung erzeugt, keine Verstärkung der Wirkung erfolgt.

    Mit Vorigem hängt Folgendes zusammen: wir können inhaltlos schwache Vorstellungen doch mit großer Intensität haben, denken. Das intensivste Nachdenken operiert mit den verblaßtesten Schematen; ja wir können uns angestrengt auf etwas besinnen wollen, was uns gar nicht einfällt. Es muß also die Stärke der Vorstellung und die Stärke, mit der wir sie denken, auffassen, sich in gewissem Sinne unterscheiden lassen; doch besteht die Vorstellung für uns nur nach Maßgabe als wir sie denken, auffassen.

    Weiter aber: während die einer Sinnessphäre zugewandte Aufmerksamkeit noch sosehr verstärkt werden kann, ohne daß eine Sinnesempfindung erwacht, wenn kein Sinnesreiz da ist, kann hingegen ein Sinnesreiz nicht da sein und nicht verstärkt werden, ohne die Aufmerksamkeit anzuregen, und entweder der Schwelle näher zu bringen oder bei hinreichender Stärke darüber zu heben.

    Unstreitig erscheinen diese Verhältnisse von vorn herein sehr schwierig, und wenn es schon auf rein psychologischem Gebiete, wo uns doch die unmittelbare Beobachtung zu Gebote steht, schwer fällt, Klarheit darüber zu erzeugen, könnte es vielleicht unmöglich scheinen, eine geeignete psychophysische Repräsentation dafür zu finden; anderseits aber ist vielleicht auch die Klarheit auf psychologischem Gebiete nur unter Mitbezugnahme auf eine geeignete psychophysische Repräsentation erst möglich. Jedenfalls dürfte es einer psychophysischen Theorie eben so sehr zu Statten kommen, wenn sie überhaupt auf ihrem Gebiete die Möglichkeit einer in sich zusammenhängenden Lösung dieser Schwierigkeiten aus einfachen Grundvoraussetzungen bietet, als wir von der anderen Seite dadurch zu diesen Voraussetzungen uns genötigt sehen, wodurch die Theorie an Entwickelung gewinnt.

    Das Folgende ist ein erster Versuch einer solchen Theorie.

    Wesentlich ist es nur dasselbe Prinzip, daß die psychophysische Tätigkeit des Menschen im Ganzen eine gewisse Stärke übersteigen muß, damit überhaupt Bewußtsein, Wachen stattfinde, und daß während des Wachens jede besondere, sei es durch einen Reiz zu bewirkende oder spontan entstehende, Bestimmung dieser Tätigkeit, die fähig ist, eine besondere Bestimmung des Bewußtseins zu geben, eine gewisse Stärke übersteigen muß, um wirklich bewußt zu werden, und Beides, wie der Zusammenhang von Beidem, wird durch die schon geltend gemachten Tatsachen bewiesen.

    Dieses rein faktische und an sich keines Bildes bedürfende Verhältnis können wir doch durch ein Bild oder Schema zugleich erläutern und die Darstellung der sich daran knüpfenden faktischen Verhältnisse abkürzen. Denken wir uns die gesamte psychophysische Tätigkeit des Menschen wie eine Welle, und die Größe dieser Tätigkeit durch die Höhe dieser Welle über einer horizontalen Grundlinie oder Fläche dargestellt, wozu jeder psychophysisch tätige Punkt eine Ordinate beiträgt. Insofern es ein räumlich ausgedehntes System ist, was die Tätigkeit äußert, und diese Tätigkeit sich durch die Zeit forterstreckt, können wir das Schema ebensowohl auf das Räumliche für sich, als das Zeitliche für sich, anwenden, Ersteres, indem wir allen im Raume neben einander tätigen Punkten Ordinaten für denselben Zeitpunkt, Letzteres, indem wir einem und demselben im Raume tätigen Punkte Ordinaten für die sukzessiven Zeitpunkte beilegen, und können so ebensowohl den Zusammenhang der Tätigkeiten im Raume für viele Punkte, als die zeitliche Folge derselben für einen Punkt durch ein solches Schema darstellen. Um aber die Repräsentation für Raum und Zeit zu verbinden, haben wir immer nur das Gleichzeitige auf einmal in das Schema zu fassen, die Form und Höhe des Wellenzuges aber sich in der Zeit ändernd zu denken. So wird die ganze Gestaltung und der ganze Gang der Bewußtseinstätigkeit von der gegenwärtigen und folgends sich entwickelnden Form, dem Steigen und Fallen, dieser Welle, die Intensität des Bewußtseins zu jeder Zeit von der jeweiligen Höhe derselben abhängen, und die Höhe dieser Welle irgendwo und irgendwie eine gewisse Grenze, die wir die Schwelle nennen, übersteigen müssen, damit überhaupt Bewußtsein, Wachen stattfinde.

    Diese Welle heiße die Gesamtwelle, Hauptwelle, Totalwelle, und die zugehörige Schwel-le die Hauptschwelle.

    Nach Erfahrung, in soweit wir nach Gesichts- und Gehörsempfindung schließen können, lassen sich die Tätigkeiten, an denen unsere besonderen Bewußtseinsphänomene hängen, durch Bewegungen von kurzer Periode (Schwingungen) repräsentieren, welche in eine Bewegung von langer Periode eingreifen, an welcher der Stand und Gang unseres Bewußtseins im Allgemeinen hängt, eine Periode, die normalerweise mit der Tagesperiode zusammenfällt, sofern Schlaf und Wachen sich, abgesehen von Zufälligkeiten, danach richten, und beide periodische Bewegungen sind bis zu gewissen Grenzen einer abgesonderten Betrachtung fähig.

    Stellen wir nun die Bewegung von langer Periode durch eine je nach dem allgemeinen Zustande unserer Munterkeit und der Richtung unserer Aufmerksamkeit langsam auf- und abschwankende und den Ort ihres Gipfels wechselnde Welle, wir wollen sie die Unterwelle nennen, für sich dar, so werden die Bewegungen von kurzen Perioden, an welchen unsere besonderen Bewußtseinsphänomene hängen, durch kleinere Wellen auf der Unterwelle dargestellt, wir wollen sie Oberwellen nennen, welche abändernd in die Oberfläche der Unterwelle eingreifen; so daß die, durch die Oberwelle abgeänderte Unterwelle die Totalwelle oder Hauptwelle ist.

    Je größer nun die Stärke der Bewegungen von kurzer Periode (die Amplitude der Oszillationen) ist, desto höhere Berge werden die zu ihrer Repräsentation dienenden Wellen über die Unterwelle erheben, und desto tiefere Täler in sie eindrücken (je nachdem die Richtung ihrer Bewegung gleich oder entgegengesetzt mit der der Unterwelle ist), Hebungen und Senkungen, welche ihrerseits eine gewisse Grenze der Größe, wir nennen sie die Oberschwelle, übersteigen müssen, damit das Sonderphänomen, was sich an sie knüpft, in das Bewußtsein trete.

    Mit diesem Schema ist eben nichts Anderes getan, als graphisch dargestellt, was oben mit Worten gesagt ist, daß die besonderen Bewußtseinsphänomene an besonderen periodischen Bewegungsformen hängen, die als Abänderungen einer allgemeineren periodischen Bewegungsform anzusehen, an welcher der allgemeine Stand und Gang des Bewußtseins hängt, und daß die besonderen Tätigkeiten wie die Gesamttätigkeit ihre Schwelle haben.

    Dabei haben wir uns zu erinnern, daß nicht nur unser Allgemeinbewußtsein in jedem Momente von einem Systeme von Bewegungen getragen wird, sondern daß auch alle Phänomene, die sich als besondere vom Grunde des Allgemeinbewußtseins abheben, wenn schon sie für das Bewußtsein einfach erscheinen, doch nicht an einfachen Bewegungsmomenten einzelner Teile hängen, sondern an dem Zusammenwirken einer Mehrheit von Teilchen und Momenten. (Vgl. Kap. 32g)

    Die Mathematik hat einen scharfen Ausdruck für die Zusammensetzung zweier Wellen zu einer resultierenden Hauptwelle, wie wir sie hier durch die Zusammensetzung der Unterwelle und ihrer Oberwelle zu einer Totalwelle repräsentierten, in der Zusammensetzung demgemäßer periodischer Glieder mit besonderer Amplitude und Periode. Unser Schema kann als die graphische Darstellung einer solchen Zusammensetzung betrachtet werden, wodurch es der Unbestimmtheit, die sonst nach mehrfacher Beziehung übrig bleiben würde, enthoben wird.

    Des Näheren kann jeder Punkt des psychophysisch tätigen Systems für den Moment, wo wir das System betrachten, als in der Bewegung von langer und kurzer Periode zugleich begriffen gedacht werden. Indem wir diese Bewegung für eine bestimmte Richtung verfolgen (was freilich für eine vollständige Betrachtung nicht hinreichen würde), denken wir uns die resultierende Geschwindigkeit in dieser Richtung für jeden Punkt durch eine Ordinate vorgestellt, die er zur Totalwelle beiträgt, diese Ordinate aber aus zweien zusammengesetzt, deren eine die Geschwindigkeit der einen, die andere die Geschwindigkeit der anderen Bewegung, hiermit die eine die Ordinate der Unterwelle, die andere die Ordinate der Oberwelle vorstellt. Je nachdem nun beide Geschwindigkeiten in gleicher oder entgegen-gesetzter Richtung gehen, ist die Ordinate der Oberwelle auf die der Unterwelle aufzutragen oder von ihr abzutragen, oder ist die Ordinate der Totalwelle als die Summe oder Differenz der komponierenden Ordinaten zu nehmen. Geschieht nun dies für alle Punkte des psychophysischen Systems in einem gegebenen Momente, so erhalten wir durch die Gipfelreihe der resultierenden Ordinaten die ganze Gestalt der Hauptwelle für diesen Moment bestimmt. In jedem Falle wird durch die Oberwelle die Unterwelle an gewissen Punkten erhöht, wenn schon sie an anderen dadurch erniedrigt wird, so daß, wenn wir die Höhe der Totalwelle nach der Erhebung ihrer höchsten Punkte beurteilen, was bei der Frage, ob und um wie viel sie überhaupt die Schwelle übersteigt, in Betracht kommt, die Höhe der Totalwelle als die Summe der in gleicher Richtung genommenen Höhen von Unterwelle und Oberwelle betrachtet werden kann.

    Wollte man statt der Geschwindigkeit die lebendige Kraft in diese Konstruktion einführen, so würden die Oberwellen bloß Wellenberge ohne Täler auf der Unterwelle bilden; aber das richtige Verhältnis der Komponenten zur Hauptwelle würde damit verloren gehen. Bei jeder Welle für sich ist es in Betreff der Repräsentation der allgemeinen Verhältnisse gleichgültig, ob man die Geschwindig-keit oder lebendige Kraft einführt.

    Wenn die Amplituden und Perioden der komponierenden Bewegungen, deren Zusammensetzung im Schema wir betrachten, für gegebene Verhältnisse als konstant anzusehen sind, so hindert doch nichts, sie variabel nach Umständen zu denken. So fällt unter Voraussetzung von Normalverhältnissen die lange Periode unserer psychophysischen Tätigkeit mit der Tagesperiode zusammen; indem sich Wachen und Schlaf danach richten, und die Intensität unseres Allgemeinbewußtseins erhebt sich und sinkt nach einem gewissen Normalgange; aber durch viele Umstände kann die Periode verlängert und verkürzt, die Intensität abnorm gesteigert oder vermindert werden. Auch kann es Umstände geben, welche gemeinsam auf beide Bewegungen oder bloß auf die eine influieren. Diese Verhältnisse sind nicht aus dem Schema oder dem mathematischen Ausdrucke, den es repräsentiert, abzuleiten, sondern aus der Erfahrung und den allgemeinen Bewegungsgesetzen, und das Schema selbst danach näher zu bestimmen und auszulegen. Dasselbe kann überhaupt nichts beweisen, sondern nur ganz im Allgemeinen zeigen wollen, wie sich, durch kombinierte Bezugnahme auf die Tatsache der beiden Schwellen, zu dem, was psychisch zusammenhängt, auch ein psychophysischer Zusammenhang finden läßt, was viel leichter durch ein in sich zusammenhängendes Schema, als mit abstrakten Worten möglich ist, ungeachtet sich Alles, was das Schema sagt, auch in Worten sagen lassen muß.

    Um so besser wird unser Schema den Zweck dieser Erläuterung erfüllen, wenn wir es selbst erst noch durch einige Hinweise auf die Wirklichkeit erläutern.

    Nicht bloß das System der psychophysischen Bewegungen im Menschen, sondern das System der ganzen irdischen Bewegungen unterliegt der Tagesperiode, indem sich die ganze Erde in 24 Stunden einmal um ihre Achse dreht. Unzählige Teile der Erde aber haben ihre besonderen periodischen Bewegungen, so das Meer in seiner Ebbe und Flut, die Atmosphäre in periodischen Regen und Winden, die Organismen in ihren inneren Kreisläufen. Es hindert aber nichts, trotzdem daß diese Teile auch an der Rotation der Erde Anteil haben, diese allgemeine periodische Bewegung der Erde und die besonderen periodischen Bewegungen ihrer Teile in gewissem Sinne und bis zu gewissen Grenzen besonders aufzufassen, zu behandeln, der Rechnung zu unterwerfen.

    Die Rotationsbewegung der Erde repräsentiert hier die Unterwelle, die besonderen periodischen Bewegungen auf der Erde die Oberwellen, das, was aus der Zusammensetzung beider als Wirklichkeit hervorgeht, die Hauptwelle oder Totalwelle. Stellen wir die Geschwindigkeit jedes Punktes der Erde durch eine Ordinate vor, so stellt sich für einen gegebenen Parallelkreis der Erdoberfläche die Unterwelle als eine horizontale gerade Linie dar, sofern alle Teile der Erdoberfläche, abgesehen von den Spezialbewegungen derselben, dieselbe Rotationsgeschwindigkeit haben; indem aber die Spezialbewegungen auf der Erdoberfläche mit oder gegen die allgemeine Rotationsgeschwindigkeit gehen können, erzeugen sie Wellenberge und Wellentäler in dieser Linie.

    Das Meer bietet uns gewissermaßen für sich die Wirklichkeit unseres Schema dar. Da gibt es Wellen, die durch eine allgemeine Ursache wie der Wind erzeugt werden, aber auf denen sich durch speziale Ursachen Kräuselungen, Oberwellen bilden, welche als Störungen einer unabhängig von der spezialen Störung bestehenden Form, welche die Unterwelle gibt, angesehen werden können; indes die ganze Welle, wie sie ist, die Hauptwelle oder Totalwelle darstellt.

    Obwohl nun solche Beispiele, entnommen von nicht psychophysischen Systemen, nichts an sich für psychophysische Systeme beweisen können, so beweisen sie doch in den allgemeinen Bewegungsgesetzen begründete Möglichkeiten, von denen es uns nicht mehr befremden kann, sie auch in den psychophysischen Systemen verwirklicht zu finden, und es wird also gestattet sein, unser Schema in diesem Sinne anzuwenden, in soweit die Wirklichkeit demgemäße Verhältnisse zeigt.

    Nun stellt unser Schema zuvörderst in allgemeinster Weise die beiden faktischen Hauptverhältnisse dar, auf die es begründet war: 1) daß die Form und der Größenwert besonderer Bewußtseinsphänomene innerhalb des Bewußtseins an der Form und Größe besonderer Tätigkeiten hängt, welche in eine allgemeine Tätigkeit eingreifen, und in gewissem Sinne einer gesonderten Auffassung von derselben fähig sind.

    2) Daß ebenso zum Erwachen des besonderen Phänomens die Überschreitung einer gewissen Größe Seitens der unterliegenden besonderen Tätigkeit nötig ist, als zum Erwachen des Bewußtseins überhaupt Seitens der Gesamttätigkeit.

    Mit der Repräsentation dieser allgemeinsten Verhältnisse hängt nun aber die Repräsentation vieler besonderen zusammen, die uns teils in früheren Kapiteln, teils Eingangs des jetzigen beschäftigten.

    Ist die Hauptwelle überall unter ihrer Schwelle, so haben wir Schlaf, ist sie irgendwo darüber, so haben wir Wachen; sie ist aber im Wachen nie in allen der Erhebung über die Schwelle fähigen Teilen zugleich über der Schwelle, und der Grad der Erhebung derselben über die Hauptschwelle in irgend welchen besonderen Gebieten bestimmt den Grad der Aufmerksamkeit, der darin tätig ist. Alle Verhältnisse des Wechsels der Aufmerksamkeit, wovon im 41. Kapitel die Rede war, lassen sich als ein Wellenschlag der Hauptwelle fassen.

    Die nach ihren höchsten Punkten beurteilte Höhe der Hauptwelle und hiermit die Höhe der in irgend einem Sondergebiete tätigen Aufmerksamkeit hängt weder allein von der Höhe der Oberwellen noch der Unterwelle darin, sondern gemeinsam von beiden ab, kann aber bald mehr von dieser, bald mehr von jener Seite her bestimmt sein. Wenn ein Knall unsere Aufmerksamkeit plötzlich erregt, so ist es das plötzliche Steigen einer Oberwelle, was die Haupt-welle in die Höhe treibt; die Aufmerksamkeit findet sich hier unwillkürlich von der Sinnesseite her bestimmt; wenn wir angestrengt auf etwas horchen, ohne daß ein Schall da ist, so ist sie ohne Dasein einer Oberwelle im Gebiete des Gehöres nur durch das Steigen der Unterwelle in die Höhe getrieben; sie ist hier unabhängig von sinnlicher Bestimmung aus inneren Gründen willkürlich gerichtet und gehoben.

    Die Aufmerksamkeit ist überhaupt um so mehr unwillkürlich durch die Stärke der besonderen Bewußtseinsphänomene oder unabhängig von solchen, d. i. willkürlich, bestimmt, je nachdem die Erhebung der Totalwelle mehr von einer großen Erhebung der Oberwellen oder der Unterwelle im betreffenden Gebiete abhängt.

    Wenn ein intensives Nachdenken mit verblaßten Schematen operiert, so spielen auf einer hohen Unterwelle sehr schwache Oberwellen. Wenn wir ohne Anspannung der willkürlichen Seite unserer Aufmerksamkeit ganz rezeptiv in einer starken sinnlichen Empfindung aufgehen, so wird eine starke Oberwelle von einer verhältnismäßig niederen Unterwelle getragen. Es können aber auch beide zugleich hoch erhoben oder gesunken sein.

    Die Aufmerksamkeit in einem Sinnesgebiete kann steigen, ohne daß die Empfindung an Stärke zunimmt, insofern die Hauptwelle durch die willkürliche Erhebung der Unterwelle allein steigt, wogegen die Empfindung nicht steigen kann, ohne die schon wache Aufmerksamkeit zu steigern oder die nicht wache dem Erwachen näher zu bringen, weil durch Steigerung der Oberwelle die Hauptwelle so gut wächst, als durch Steigerung der Unterwelle.

    Wie Oberwellen, welche niedrig genug sind, um ihre eigene Schwelle nicht zu erreichen, doch durch hohen Stand der Unterwelle mit über die Hauptschwelle gehoben sein, d. h. einer darüber erhobenen Hauptwelle angehören können, ohne ihre eigentümlichen Bewußtseinsphänomene zu geben, so können umgekehrt Oberwellen, welche hoch genug sind, ihre eigene Schwelle zu übersteigen, durch tiefen Stand der Unterwelle unter die Hauptschwelle herabgedrückt sein, d. h. einer darunter erniedrigten Hauptwelle oder einem darunter erniedrigten Teile der Hauptwelle angehören, und werden dann aus diesem entgegengesetzten Grunde ebenfalls nicht ins wache Bewußtsein treten, aber nur noch der Erhebung der Hauptwelle durch hinreichende Steigerung der Unterwelle bedürfen, um hineinzutreten.

    Im Falle sie bloß einem, unter die Hauptschwelle erniedrigten Teile der Hauptwelle angehören, indes diese anderwärts über der Schwelle ist, also im Falle des allgemeinen Wachens, haben wir den Fall des wegen Zerstreuung oder abgelenkter Aufmerksamkeit nicht gehörten Wortes, das bloß noch der willkürlichen Steigerung der Aufmerksamkeit bedarf, um nachträglich noch gehört zu werden, oder eines Schmerzes, den wir so lange nicht fühlen, als wir die Aufmerksamkeit gewaltsam abzulenken vermögen, ungeachtet seine innere Ursache fortbesteht; oder des Schwarz im geschlossenen Auge oder habituellen Ohrenbrausens, an dem manche Personen leiden, deren wir unter gewöhnlichen Umständen nicht gewahr werden, aber sofort gewahr werden können, wenn wir die Aufmerksamkeit willkürlich darauf richten.

    Dabei ist es doch nicht dasselbe, ob etwas vom Sinne Gefaßtes nur wegen mangelnder Aufmerksamkeit nicht gefaßt wird, oder ob es den Sinn zu schwach, oder gar nicht berührt. Daß es über seiner Schwelle (der Oberschwelle) ist, gibt ihm immer einen positiven Wert im Bewußtsein; aber es tritt, während das Hauptbewußtsein dafür nicht wach, jedoch für Anderes wach ist, als unbewußte Mitbestimmung dessen, wofür das Hauptbewußtsein wach ist, auf, eine Mitbestimmung, die nach Umständen störend oder harmonisch sein kann. So äußert beim in Gedanken gehenden Spaziergänger der Sonnenschein, das Grün, der Vogelgesang eine unbewußte Mitbestimmung; er sieht und hört nichts von alle dem und fühlt sich doch anders, und sein Gedankenlauf wird anders sein, als wenn er im dunkeln Zimmer dächte; — so auf den Horchenden in der Oper der Glanz der Szene, auf den Zuschauer in der Oper die Musik. Jede Anschauung von Dingen, die wir durch das Leben kennen, eines Hauses, einer Person, zieht durch Assoziation eine Menge anderer Vorstellungen mit, die im Unbewußten bleiben, und doch so unbewußt die Bedeutung des Hauses, der Person für uns konstituieren, welche ohnedem bloß als Farbenfleck für das Auge zählen würden. Sie hängen an Oberwellen, die sich mit der auf dem Gipfel der Hauptwelle durch äußere Ursache erhobenen im Zusammenhange erheben, aber unter der Hauptschwelle bleiben, indes jene über die Hauptschwelle treten.

    Vom jetzt betrachteten Falle haben wir den Fall zu unterscheiden, wo die ganze Haupt-welle unter die Schwelle sinkt, unterhalb dieser Schwelle aber doch Oberwellen auf der niedrigen Unterwelle spielen, die ihre eigene Schwelle übersteigen. Dies ist unstreitig der Fall der Träume, die vermöge des Standes der Totalwelle unter der Schwelle natürlicherweise charakterisiert sind durch den Mangel willkürlicher Richtung der Aufmerksamkeit und hauptsächlich auf einer assoziationsweisen Hervorrufung durch einander und zufällige äußere Reize beruhen. 1)

1) Vgl. In Sachen S.218 f.
 
 
    Der Traum hat mit unserem wachen Leben in der Außenwelt eine bedeutungsvolle Ähnlichkeit, welche beiträgt, zu erklären, daß der Traum uns nicht als das Spiel von Vorstellun-gen, was er doch ist, sondern als äußere Wirklichkeit erscheint. Beim Vorstellungsleben in Abziehung vom Äußeren während des Wachens ist die Hauptwelle verhältnismäßig stärker durch die Unterwelle als Oberwelle gehoben, beim Leben in der Außenwelt unter dem Einflusse ihrer, unsere Aufmerksamkeit beschäftigenden, Anregungen ist es umgekehrt, und die Wirklichkeit macht sich um so mehr als solche geltend, je mehr sie die Oberwellen im Verhältnisse zur Unterwelle steigert. Dasselbe aber, was im Wachen durch überwiegendes Steigen der Oberwellen eintritt, tritt im Schlafe durch überwiegendes Sinken der Unterwelle ein.

    Auf demselben Umstande möchte beruhen, daß Halluzinationen, Phantasmen auch im vollen Wachen den vollen Charakter der Wirklichkeit annehmen können; es wird dann sein, wenn die Oberwellen, an denen sie hängen, in abnormem Verhältnisse die Unterwelle überwachsen.

    Dabei kann man von der Natur der Träume noch eine doppelte Ansicht hegen. Man kann sich denken, daß die Träume, während wir sie Nachts haben, in demselben Sinne unbewußt sind, als ein in der Zerstreuung überhörtes Wort im Wachen, und erst nachträglich beim Erwachen wie dieses in Erinnerung treten, bewußt in der Erinnerung reproduziert werden. Man kann sich aber auch denken, und ich halte dies für wahrscheinlicher, daß wir die Träume schon während der Nacht in ähnlichem Sinne bewußt haben, als wir nach Erinnerung glauben, sie gehabt zu haben, und daß der Unterschied, den sie in dieser Hinsicht von den unbewußten Mitbestimmungen des Bewußtseins während des Wachens darbieten, eben nur daran hängt, daß nichts Bewußtes da ist, was sie mitbestimmen könnten, sofern Alles unter der Hauptschwelle des Bewußtseins liegt. Doch kann dies noch ein Gegenstand des Zweifels sein. Auf einen anderen, die Träume betreffenden, Punkt, der ebenfalls bis jetzt nur Sache der Vermutung ist, komme ich noch im 44. Kapitel.

    Im Bisherigen hat sich noch kein besonderer Anlaß dargeboten, auf eine gemeinsame oder gegenseitige Abhängigkeit der Unterwelle und Oberwelle von einander Bezug zu nehmen, und faktisch besteht bis zu gewissen Grenzen eine Unabhängigkeit derselben von einander; doch nur bis zu gewissen Grenzen, und es gilt auch, diejenigen Verhältnisse in Betracht zu ziehen, welche nur durch ihre gemeinsame oder gegenseitige Abhängigkeit zu erklären sind.

    Wenn ein Reiz in ein Sinnesgebiet einwirkt, so steigt die Oberwelle darin, und indem mit dem Steigen der Oberwelle die Hauptwelle steigt, scheint dies schon zu genügen, die für dieses Gebiet stärker in Anspruch genommene Aufmerksamkeit zu erklären. Aber auch wenn der Reiz wegfällt, pflegt die Aufmerksamkeit noch mehr oder weniger in diesem Gebiete zu verharren; der durch einen Knall erweckte Schläfer schläft selten sofort wieder ein, und es scheint nicht, daß dies allein durch eine Nachdauer der durch den Reiz hervorgerufenen und assoziationsweise etwa mit entstandenen Oberwellen erklärt werden könne; sondern jede Erhebung einer Oberwelle durch einen Reiz ist, so scheint es, zugleich als Reiz für eine Erhebung der Unterwelle zu betrachten.

    Von der anderen Seite sehen wir zwar die Lebhaftigkeit von Sinnesempfindungen im Allgemeinen nicht durch verstärkte Aufmerksamkeit wachsen, aber es gibt doch Fälle, wo durch eine sehr anhaltende, intensive und so zu sagen auf einen besonderen Punkt zugespitzte willkürliche Richtung der Vorstellung Vorstellungsbilder bis zur Intensität wirklicher sinnlicher Anschauungen gesteigert werden konnten, und hier muß umgekehrt die starke Hebung der Unterwelle mit einer Hebung der Oberwelle in Verbindung stehen; so bei den interessanten Versuchen von H. Meyer, von welchen im 44. Kapitel die Rede sein wird.

    Dies sind keine Widersprüche gegen die vorherige Darstellung und gegen die Triftigkeit des Schema; es wird immer im Stande sein, die Verhältnisse der Unabhängigkeit und Abhängigkeit, soweit sie nun eben bestehen, zu repräsentieren.

    Noch Manches ließe sich am Schema erläutern, worauf ich aber hier nicht ausführlich eingehen will, da solche Ausführungen im Grunde nichts fördern, wenn sie keine neuen Gesichtspunkte eröffnen oder nur auf Vermutungen ruhen. So liegt es nahe, die Bildung von Begriffen aus Einzelvorstellungen oder Anschauungen durch Interferenzen der ihnen unterliegenden Oberwellen zu repräsentieren; so ließe sich denken, daß Lust oder Unlust entsteht, je nachdem die Unterwelle durch Zutritt der Oberwellen im Ganzen gehoben oder deprimiert und in dieser Hinsicht eine gewisse Grenze (Schwelle der Lust und Unlust) überschritten wird, mit Rücksicht, daß die Oberwellen zwar notwendig an gewissen Punkten die Unterwelle erhöhen, indes sie aber zugleich dieselbe an anderen Teilen eindrücken, was sich unter Umständen kompensieren, unter anderen vielleicht nicht kompensieren kann. Doch diese für jetzt nur unbestimmte und vielleicht unrichtige Vermutung bleibe für jetzt dahingestellt.