XLIV. Beobachtungen und Bemerkungen über das Verhältnis zwischen Nachbildern und Erinnerungsbildern insbesondere. Erinnerungsnachbilder, Phänomene des Sinnengedächtnisses, Halluzinationen, Illusionen, Träume.

    Ich stelle im Folgenden einiges Beobachtungsmaterial, teils eigenes, teils fremdes, über die in der Überschrift genannten Phänomene zusammen, was für theoretische Ansichten darüber eine nützliche Unterlage bieten kann, ohne jedoch den sehr weitschichtigen und sich weit verzweigenden Gegenstand erschöpfen zu wollen, wozu nicht ein Kapitel, sondern ein Buch gehören würde, und ohne selbst auf mehr als einige sehr allgemeine theoretische Ausführungen einzugehen, da sich für jetzt nicht mehr scheint geben zu lassen.

a) Erinnerungsbilder und Nachbilder in Beziehung zu einander.

    Die einmal von Außen gemachten Sinneseindrücke bestehen auch nach Wegfall des äußeren Reizes noch eine gewisse Zeit als Nachbilder, Nachklänge, allgemein als Nachempfindungen fort, die bei gesundem, kräftigen Zustande der Sinne weniger leicht wahrzunehmen, weniger intensiv und nachhaltig zu sein pflegen, als bei schwächlich reizbarem; und hinterlassen das Vermögen, in Erinnerungen oder mehr oder weniger umgestaltet in Phantasiebildern reproduziert zu werden. Beiderlei Nachwirkungen sollen hier hauptsächlich, wenn schon nicht ausschließlich, im Felde der Gesichtswahrnehmungen betrachtet werden, wo sie am meisten untersucht sind; doch findet hier das Gültige mehr oder weniger auch auf andere Gebiete der Sinnesempfindungen Anwendung.

    Die Hauptunterschiede zwischen den Nachbildern einerseits, Erinnerungs- und Phantasiebildern anderseits bestehen darin, daß die ersten stets nur mit einem Gefühle der Rezeptivität, nur in Kontinuität mit den gemachten sinnlichen Eindrücken, von Willkür und Vorstellungs-assoziation unabhängig, entstehen und bestehen und nach Maßgabe der unmittelbar vorhergegangenen sinnlichen Eindrücke auch von Willkür unabhängig, gesetzlich, ablaufen, indes die Erinnerungs- und Phantasiebilder mit dem Gefühle geringerer oder größerer Spontaneität noch längere Zeit nach vorausgegangenen sinnlichen Einwirkungen teils unwillkürlich durch Vorstellungsassoziation entstehen, teils willkürlich hervorgerufen, wieder verbannt und abgeändert werden können.

    Mit diesen charakteristischen Unterschieden stehen andere, jedoch im Allgemeinen weniger entschiedene, bei verschiedenen Personen mehr oder weniger variable und Übergängen Raum gebende, Verschiedenheiten in Verbindung, worüber sich das Folgende verbreitet.

    Um einen Ausgangspunkt zu gewinnen, stelle ich die Phänomene zuerst so dar, wie sie sich bei mir finden, der ich gewissermaßen am unteren Extreme der Skale stehe, durch welche sich Erinnerungsbilder sinnlichen Phänomenen, wie den Nachbildern, zu nähern vermögen. Es findet sich aber das, was ich bei mir gefunden habe, und wobei ich nach sorgsamer und oft wiederholter Beobachtung stehen bleiben muß, keineswegs Alles eben so bei Anderen wieder, wie man aus den weiter unten angeführten Fällen ersehen wird.

    Erinnerungs- und Phantasiebilder erscheinen mir im Allgemeinen immer wie etwas der Körperlichkeit Ermangelndes, Luftiges, Gehauchtes, dem gleichsam materielleren Eindrucke der Nachbilder gegenüber.

    So ist die Zeichnung der Erinnerungs- und Phantasiebilder bei mir ganz ohne Vergleich unbestimmter, verwaschener, als die der Nachbilder. Klare scharfe Umrisse vermag ich gar nicht, auch nur an den geläufigsten Erinnerungsbildern der Gegenstände, die mir täglich vor Augen sind, zu erhalten, indes die Nachbilder mit entsprechender Schärfe als direkt gesehene Gegenstände auftreten.

    Nachbilder im geschlossenen Auge sind je nach den Helligkeitsverhältnissen der angeschauten Objekte zu dem Grunde, auf dem sie erschienen, entweder tiefer schwarz oder lichter als der umgebende Grund des Auges und als das gleichförmige Schwarz des Sehfeldes. Erinnerungsbilder hingegen machen mir im Allgemeinen einen schwächeren Eindruck als das Schwarz selbst. Von Weiß zu Schwarz gibt es eine Skale kontinuierlich abgestufter Helligkeit und das tiefste Schwarz ist das reine Augenschwarz. Frage ich mich nun, wohin diese Skale führen würde, wenn ich sie noch unter das Schwarz fortgesetzt dächte, so wird man meines Erachtens auf den undeutlichen Eindruck der Erinnerungs- und Phantasiebilder geführt.

    Farben kann ich an den Erinnerungsbildern farbiger Gegenstände mit aller Bemühung nicht oder nur in flüchtigem, zweifelhaftem Scheine bei Erinnerung an sehr frappante Eindrücke reproduzieren 1); indes ich lebhafte farbige Nachbilder im offenen wie geschlossenen Auge erhalte. Auch träume ich nie in Farben, sondern alle meine Erlebnisse im Traume erscheinen mir wie in einer Art Dämmerung oder Nacht vorgehend.

1) So wenn ich an durchschnittene Eier auf Spinat denke, wo das Weiß, Gelb und Grün sehr scharf gegen einander absticht.
 
 
    Ich bin nicht im Stande, selbst das geläufigste Erinnerungsbild auch nur kurze Zeit stetig festzuhalten, sondern muß es, um es länger zu betrachten, gewissermaßen immer von Neuem wiedererzeugen; es ändert sich nicht sowohl von selbst, als es verschwindet immer wieder von selbst. Will ich es aber mit gleichgerichteter Intention oft hinter einander wiedererzeugen, so gelingt es bald gar nicht mehr, indem die Aufmerksamkeit oder Produktionstätigkeit sich schnell abstumpft. Dies ist aber keine Abstumpfung der Erinnerungstätigkeit überhaupt; denn ich bin — und dies scheint mir der Beachtung wert — nicht gehindert, statt dessen sofort ein anderes geläufiges Erinnerungsbild, so deutlich, als es mir überhaupt möglich ist, vorzustellen, und, wenn auch für dieses die Aufmerksamkeit oder Produktionstätigkeit sich erschöpft hat, zum ersten Bilde zurückzukehren, wo ich es wieder mit der anfänglichen Deutlichkeit produzieren kann. Dies gilt selbst von ganz verwandten Bildern; wie ich z. B. oft den Versuch mit zwei auf derselben Photographie befindlichen Portraitfiguren oder neben einander hängenden Portraits in meinem Wohnzimmer angestellt habe, deren keines ich oft hinter einander in Erinnerung reproduzieren kann, wohl aber beide in mehrfachem Wechsel. Setze ich jedoch diesen Wechsel etwas rasch oft hintereinander fort, so finde ich mich endlich für beide Bilder abgestumpft, kann aber zu einem dritten Bilde mit Erfolg übergehen.

    Nachbilder kann ich überhaupt nicht durch Willkür umwandeln. Erinnerungsbilder kann ich leicht nach Willkür mit anderen vertauschen, viel schwieriger allmälig in andere umwandeln oder phantastisch ändern.

    In keinem Falle stellen sich mir Gegenstände im Erinnerungsfelde in anderen Verhältnissen zu einander dar, als es den Formen der Anschauungen mit offenen Augen entspricht, und eben so kann meine Phantasie mit ihren Schöpfungen nicht aus diesen Grenzen heraus. So kann ich mir keinen Menschen zugleich en face und von seiner Rückseite vorstellen, obwohl mit der Vorstellung gleichsam um ihn herumgehen.

    Was mir sehr unerwartet war und ich doch bei wiederholten Beobachtungen nicht anders finden kann, ist, daß es mir leichter gelingt, Erinnerungsbilder mit einer, zwar stets nur sehr geringen, aber doch verhältnismäßig größeren Deutlichkeit bei offenen Augen als bei geschlossenen Augen zu erzeugen; nur muß ich dabei gänzlich die Aufmerksamkeit vom Äußeren abstrahieren; so daß es mir entschwindet, was mir an sich nicht schwer ist und um so leichter gelingt, wenn ich die Augen niederschlage und wie träumend gegen den Boden richte. Es kommt mir so zu sagen vor, als ob bei gänzlichem Schlusse der Augen der Lichtstoff fehlte, die Bilder daraus zu weben, als wenn das Augenschwarz nichts dazu hergäbe, und störender für ihre Wahrnehmung wirkte, als des Tages sanfte Helligkeit. — Hingegen bin ich zum abstrakten Denken niemals besser als früh Morgens im Dunkel im Bette aufgelegt.

    Nachbilder scheinen sich in gleicher Richtung mit zu bewegen, wenn man Kopf oder Augen bewegt; ob dasselbe mit Erinnerungsbildern der Fall sei, fällt mir wegen der großen Schwäche derselben und der Schwierigkeit, überhaupt noch etwas davon präsent zu erhalten, wenn ich zugleich etwas Anderes mit Bewußtsein vornehme, schwer zu beurteilen. Doch hat es mir immer geschienen, daß z. B. ein Turm, ein Baum, der Mond am Himmel, wenn ich mir sie nur (sei es mit offenen oder geschlossenen Augen) feststehend vorstelle, auch ihre Lage in der Vorstellung unverändert beibehalten, während ich Kopf oder Augen hin- und herbewege. Wie es sich mit nicht absichtlich durch Vorstellung fixierten Erinnerungsbildern verhält, vermag ich nicht zu sagen; sie verschwinden mir bei jeder Bewegung des Kopfes oder der Augen, wenn ich zugleich Acht geben will, ob sie bewegt oder nicht bewegt erscheinen; indem sie diese Teilung der Aufmerksamkeit nicht vertragen.

    Das Sehfeld, in welches sich die Nachbilder einzeichnen und das scheinbare Sehfeld der Erinnerungsbilder bieten für die Erscheinung folgende Unterschiede dar. Das Feld der Nachbilder bei geschlossenen Augen, das schwarze Sehfeld, scheint mir von sehr beschränkter Größe, ohne alle Tiefe, unmittelbar vor meinen Augen oder mit der Vertikalebene derselben selbst koinzidierend. Selbst wenn ich die Nachbilder sehr verschieden ferner Gegenstände zugleich im geschlossenen Auge habe, erscheinen sie mir doch wie auf einer Fläche neben einander und ihrer Größe nach nur durch den Gesichtswinkel bestimmt, unter dem die Objekte erschienen, welche das Nachbild gaben, so daß die Täuschung, die uns bei offenen Augen zur anderen Natur geworden ist, daß gleich große, verschieden ferne Gegenstände auch gleich groß erscheinen, in den Nachbildern dieser Gegenstände verschwindet, worüber ich positive Erfahrungen habe 2).

        2) Pogg. XLIV, 524.

    In allen diesen Hinsichten verhält sich die Erscheinung des Feldes der Erinnerungs- und Phantasiebilder bei mir ganz anders. Da wir die Gegenstände immer vor uns sehen, so bin ich allerdings auch von selbst geneigt, die Gegenstände, an die ich mich erinnere, vielmehr vor mir als hinter mir befindlich vorzustellen; aber ich kann sie nicht nur beliebig weit vor mir, sondern auch hinter mir, seitlich, über, unter mir befindlich vorstellen, kann mir selbst zugleich oder in schnellem Wechsel einen Turm vor mir und einen Turm hinter mir vorstellen, die Gegenstände vor mir ebensowohl hinter einander als neben einander vorstellen.

    Wenn ich früh Morgens nach hereingebrochenem Tage noch im Bette liege, und die ruhig gehaltenen offenen Augen etwa einmal schließe, stellt sich mir gewöhnlich das schwarze Nachbild des weißen Bettes unmittelbar vor mir und das weiße Nachbild des schwarzen Ofenrohres an der gegenüberstehenden, ziemlich entfernten Wand der langen Kammer, in der ich schlafe, zugleich mit großer Intensität dar. Beide erscheinen mir wie auf einer Fläche neben einander, und indes ich mit offenen Augen die ganze Länge des weißen Bettes zu erblicken meine, stellt sich mir im Nachbilde bei geschlossenen Augen nur ein verhältnismäßig schmaler schwarzer Streifen statt dessen dar, in Betracht der großen Verkürzung, in der ich das Bett gesehen. Statt dessen reproduziert das Erinnerungsbild die ganze Täuschung der Erscheinung bei offenen Augen.

    Kurz, während mir das schwarze Sehfeld mit seinem Inhalte von Nachbildern nur zwei Dimensionen ohne Tiefe zu haben scheint, scheint mir das Sehfeld der Erinnerungsbilder drei Dimensionen mit Tiefe wie das Sehfeld bei offenen Augen zu haben. Wenigstens gilt dies insofern, als ich mir eine ganze Gegend, einen Stadtteil, ein Zimmer oder dergleichen auf einmal vorstelle.

    Um das Nachbild eines begrenzten Gegenstandes, z. B. einer Lichtflamme, im geschlossenen Auge wahrzunehmen, muß ich die Aufmerksamkeit auf das schwarze Sehfeld des geschlossenen Auges richten. Das Nachbild nimmt eine bestimmte, nicht willkürlich von mir zu ändernde, Stelle dieses Sehfeldes ein, und wird von demselben so umgeben, daß die Verhältnisse seiner Helligkeit und Lage zu demselben unmittelbar aufgefaßt und beurteilt werden können. Hingegen, um ein Erinnerungs- oder Phantasiebild wahrzunehmen, muß ich die Aufmerksamkeit von dem schwarzen Sehfelde in demselben Sinne abziehen, als ich sie dazu von der Sphäre der Gehörs-, Getastempfindungen u. s. w. abziehen muß, und je mehr ich sie davon abziehe, desto deutlicher vermag mir ein Erinnerungs- oder Phantasiebild zu erscheinen.

    Manchmal zwar scheint es mir zu gelingen, ein Erinnerungs- oder Phantasiebild auf das schwarze Sehfeld zu projizieren, oder in dieses so zu sagen mit der Phantasie Bilder hineinzumalen. Aber es scheint dies nur darauf zu beruhen, daß ich am meisten geneigt bin, das Erinnerungsbild vorn zu suchen oder dahin zu verlegen; es gelingt mir doch nicht so, daß ich mir der Verhältnisse des Bildes zum Felde ruhig bewußt werden könnte; sondern ich fühle dabei eine eigentümliche Anstrengung, welche in dem Versuche zu beruhen scheint, den schnellen Wechsel zwischen dem Sehfelde der Nachbilder und Vorstellungsbilder in Koinzidenz zu verwandeln und werde mir auch nie eines vollkommenen Gelingens bewußt.

    Damit hängt Folgendes zusammen: Ich bin sehr wohl im Stande, ein größeres Erinnerungsbild, was eine Mehrheit unterscheidbarer Teile einschließt oder auch eine Mehrheit zusammenhängender Erinnerungsbilder gleichzeitig mit Bewußtsein aufzufassen, oder, insofern statt einer wirklichen Gleichzeitigkeit ein sehr schnelles Durchlaufen den Schein der Gleichzeitigkeit erwecken sollte, was streng zu unterscheiden nicht wohl möglich ist, das rasche sukzessive überschauen mit einem Gefühle vollkommener Kontinuität der Tätigkeit, als bleibe ich in demselben Felde, zu tun. Ganz eben so wie mit Erinnerungsbildern für sich verhält es sich mit Nachbildern für sich. Auch kann ich zwischen bewußter Auffassung von Nachbildern und Erinnerungsbildern sehr schnell wechseln, bin aber durchaus nicht im Stande, ein Nachbild und Erinnerungsbild gleichzeitig oder mit dem Scheine der Gleichzeitigkeit bewußt aufzufassen, und habe im Übergange von einem zum anderen nicht dasselbe Gefühl der Kontinuität, wie wenn ich im Anschauungsfelde der Erinnerungsbilder oder Nachbilder für sich bleibe.

    Bei Gelegenheit der (s. o.) angeführten Erfahrung in meinem Schlafzimmer habe ich versucht, das Erinnerungsbild, in dem ich Bett und Ofenrohr hinter einander zu sehen meine, aus dem Nachbilde, in dem Alles wie auf einer Fläche erscheint, herzustellen, indem ich es durch die Vorstellung selbst darein umzuwandeln suchte; und man könnte meinen, es müsse noch leichter gelingen, das Erinnerungsbild aus dem Nachbilde herzustellen, als es frisch zu erzeugen. Aber der Versuch gelang nicht, sondern die Aufmerksamkeit mußte erst ganz vom Nachbilde abgezogen werden, um das Erinnerungsbild mit dem Scheine des Vorn und Hinten herzustellen.

    Wenn wir die Aufmerksamkeit von einem Sinnesgebiete auf das andere wenden, so haben wir zugleich ein bestimmtes, nicht zu beschreibendes, aber von Jedem leicht in der Erfahrung zu reproduzierendes Gefühl der abgeänderten Richtung, was wir als das Gefühl einer verschieden lokalisierten Spannung bezeichnen können. Wir fühlen eine nach vorn gerichtete Spannung in den Augen, eine seitlich gerichtete in den Ohren, die mit dem Grade der Aufmerksamkeit wächst, je nachdem wir etwas aufmerksam fixieren, auf etwas aufmerksam horchen, weshalb man auch von einer Spannung der Aufmerksamkeit selbst spricht. Am deutlichsten fühlt man den Unterschied, wenn man mit der Richtung der Aufmerksamkeit zwischen Auge und Ohr schnell wechselt. Entsprechend verschieden in Beziehung zu den verschiedenen Sinnesorganen lokalisiert sich das Gefühl, je nachdem wir etwas fein riechen, schmecken, tasten wollen.

    Nun aber habe ich ein ganz analoges Gefühl der Spannung, als wenn ich etwas recht scharf mit Gesicht oder Gehör auffassen will, wenn ich mir ein Erinnerungs- oder Phantasiebild möglichst deutlich vergegenwärtigen will; und dieses ganz analoge Gefühl ist ganz anders lokalisiert. Während bei möglichst scharfer Auffassung von objektiven sichtbaren Gegenständen, so wie von Nachbildern, die Spannung deutlich nach vorn geht und bei Wendung der Aufmerksamkeit zu anderen Sinnesphären nur die Richtung zwischen den äußeren Sinnesorganen wechselt, indes der übrige Kopf nach dem Gefühle spannungslos ist, zieht sich bei der Beschäftigung der Erinnerungs- oder Phantasietätigkeit die Spannung dem Gefühle nach ganz von den äußeren Sinnesorganen ab, und scheint vielmehr den Teil des Kopfes, den das Gehirn ausfüllt, einzunehmen; und will ich mir z. B. eine Gegend oder Person vor mir recht lebhaft vergegenwärtigen, so wird sie um so lebhafter vor mir auftauchen, nicht je mehr ich die Aufmerksamkeit nach Vorn spanne, sondern je mehr ich sie so zu sagen dahinter zurückziehe. Noch Einiges hierüber weiter unten.

    Halluzinationen vor dem Einschlafen, wie sie so viele Personen haben, kommen bei mir nicht vor; und das lebhafte Lichtflackern, was ich wegen krankhaften Zustandes meiner Augen stets im geschlossenen Auge habe, gestaltet sich nie zu bestimmten Figuren, noch kann ich es durch Phantasietätigkeit dazu gestalten.

    Nach Allem stellen sich die Erinnerungs- und Phantasiebilder bei mir in einer, wie es scheint bei Anderen seltenen, Schwäche dar, selbst wenn ich die Erinnerungs- und Phantasietätigkeit noch so sehr anstrenge, indes sich Nachbilder mit größter Leichtigkeit und großer Intensität, oft lästig, bei mir einstellen; und ich keinen Anlaß habe, meinen Farbensinn bei offenen Augen für weniger entwickelt zu halten, als den von anderen Personen.

    Wo möglich noch schwerer als im Felde des Gesichtssinnes produziere ich Erinnerungen im Gebiete anderer Sinne. So bin ich noch weniger im Stande, mir den Klang der Stimme meiner Frau oder anderer Personen, mit denen ich täglich umgehe, mit irgend welcher Deutlichkeit in der Erinnerung zu reproduzieren, als ihr Gesicht, wenn schon ich dieselben Personen bei wirklichem Hören ihrer Stimme im Dunkeln unter Tausenden wiedererkennen würde. Gar nicht gelingt mir die Reproduktion mit Geruchs- und Geschmacks-Empfindungen. Einfache Melodien jedoch kann ich nach öfterem Hören wohl merken und mir die Erinnerung daran durch ein leises Nachsingen oder leise Bewegungen des Kehlkopfes, als sänge ich, erleichtern. Das Lokalgefühl des Besinnens auf Empfindungen in anderen Sinnesgebieten als dem des Gesichtes scheint mir mit dem Lokalgefühle in diesem übereinzustimmen; manche rauschende Musik jedoch glaube ich ohne Besinnen in der Erinnerung doch mehr wie mit den Ohren zu hören.

    So weit zunächst die eigenen Beobachtungen. Mit diesen fand ich die Wahrnehmungen Anderer, welche ich zur Selbstbeobachtung veranlaßte, im Allgemeinen um so mehr übereinstimmend, je mehr sie in der Schwäche der Erinnerungs- und Phantasiebilder mit mir übereinstimmten, konstatierte aber dabei leicht die beiden Tatsachen, daß die Lebhaftigkeit dieser Bilder bei verschiedenen Personen ausnehmend verschieden ist, und daß, je mehr sich diese Phänomene sinnlichen Phänomenen als wie den Nachbildern in der Stärke nähern, um so mehr auch die anderen angegebenen Verschiedenheiten derselben davon schwinden, so daß schließlich nur der wesentliche Unterschied der spontanen und nicht spontanen Erzeugung und Abänderung zwischen beiden übrig zu bleiben scheint.

    Es würde von Interesse sein, diesen Gegenstand statistisch zu bearbeiten, und ich bedauere, die früher wirklich beabsichtigte derartige Verfolgung des Gegenstandes doch über anderen Gegenständen vernachlässigt zu haben, so daß mir gegenwärtig kein so ausgedehntes Material zur Vergleichung zu Gebote steht, als ich selbst wünschte. Vielleicht jedoch würde aus einer größeren Zahl von Fällen auch nicht viel mehr zu lernen sein, als aus den folgends mitzuteilenden, verhältnismäßig wenigen, die ich noch in letzter Zeit gesammelt habe. Übrigens liegt auf der Hand, daß es überhaupt schwer ist, genaue, zuverlässige Angaben in diesem Gebiete zu erhalten, da es schon schwer ist, solche zu geben und nur die rechten Ausdrücke dabei zu finden. Eine sorgfältige und wiederholte Selbstbeobachtung mit Abhaltung von Selbsttäuschungen, und eine bestimmte Fragestellung, wenn man Angaben von Anderen verlangt, mit Vorsicht, ihnen nicht Antworten in den Mund zu legen, wird dabei vorausgesetzt. Auch wird sich eine objektive Garantie, daß man bei Befragung Anderer recht verstanden worden sei und recht verstanden habe, und daß überall ganz vergleichbare Umstände der inneren Beobachtung stattgefunden haben, bezüglich mancher Punkte kaum geben lassen.

    Unstreitig ist in letzter Hinsicht nötig, auf vergleichbare Objekte der Erinnerung Bezug zu nehmen, um vergleichbare Antworten erwarten zu können, ohne daß mir doch ein Halten an ganz bestimmten Gegenständen von Nutzen scheint. Nur hat man zu unterscheiden, ob es sich um geläufige oder nicht geläufige Erinnerungen, um beschränkte Erinnerungsbilder, wie von einer Rose, einem Gesichte, einem Turme, die ich gewöhnlich als Beispiele anwende, oder unbeschränkte, wie von einer ganzen Gegend, handelt, und ob die Erinnerungen unter Zuziehung dieser oder jener Assoziationsmittel gewonnen sind. Um nicht mit Komplikationen zu beginnen, scheint mir zweckmäßig, vorerst Erinnerungen an Anschauungen auszuschließen, die unter Mithilfe eigener Tätigkeit gewonnen sind, deren Erinnerung dann assoziationsweise mit der des angeschauten Objektes zusammenwirkt, wie wenn der Maler sich malend, ein Spaziergänger durch die Gegend, die er vorstellt, sich gehend denkt. Eine weitere Fortsetzung dieser Beobachtungen würde übrigens wahrscheinlich noch auf manche Rücksichten und Unterscheidungen führen, die dabei zu machen sind, und bei diesem ersten Versuche, dies Gebiet einer genaueren Beobachtung zu unterwerfen, noch nicht sich dargeboten haben.

    Ich will nun zunächst die speziellen Angaben einiger mehr oder weniger ausführlich von mir befragten Personen mitteilen, dann einiges Allgemeine über den Gegenstand bemerken. Hoffentlich wird man den Raum, den diese Mittheilungen in Anspruch nehmen, nicht zu sehr bedauern; da Detailangaben über das Verhalten der Phänomene bei verschiedenen Personen doch der einzige Weg sind, der überhaupt zu Etwas führen kann, und es bisher an dieser Erfahrungsunterlage fast ganz fehlte. Denn fast nur die Fälle, wo die Erinnerungsbilder sich Halluzinationen nähern oder in solche übergehen, haben bis jetzt die Aufmerksamkeit auf sich gezogen; unstreitig aber gilt vor Allem, erst nachzusehen, wie sieh die Erscheinungen in Normalfällen verhalten.

    Die folgenden Fälle sind nach dem aufsteigenden Grade der Annäherung an sinnliche Phänomene, den sie mir nach der Schilderung zu haben scheinen, geordnet.

    1) Ch. H. Weisse, Prof. der Philosophie, mit mir in gleichem Alter (59 Jahre), scheint bezüglich der Erinnerungsbilder sich auf einer ganz ähnlichen Stufe als ich zu befinden, indem er eben so wenig deutliche Farbe oder Zeichnung daran produzieren kann. Er hat, wenn er die Augen schließt, eben so wenig wie ich ein rein schwarzes Gesichtsfeld, sondern allerlei farbloses Licht darin, woraus sich aber, je länger er die Augen geschlossen hält, um so bestimmter geformte Phantome weben, was bei mir nicht der Fall ist. Um sie zu beobachten, muß er die Aufmerksamkeit ganz entsprechend richten, als wenn er mit offenen Augen äußere Gegenstände betrachten will, sie vertreten ihm in dieser Hinsicht (eben so wie bei mir das Lichtflackern) ganz die Stelle derselben; wogegen er, um Erinnerungsbilder zu erhalten, eben so wie ich, die Aufmerksamkeit ganz von diesem Felde zurückziehen muß, durchaus die Erinnerungsbilder mit jenen sinnlichen Bildern nicht zugleich ins Auge fassen oder in das Feld derselben hineinmalen kann, was bei ihm so entschieden der Fall ist, daß er die unten folgenden entgegengesetzten Angaben Anderer als auf unrichtiger Auffassung des Sachverhaltes beruhend anzusehen geneigt war.
    2) A. W. Volkmann, Professor der Anatomie und Physiologie, ebenfalls 59 Jahre alt, kann ebenfalls nur "überaus schwache und undeutliche Erinnerungsbilder" produzieren, sowohl was Form als Farbe anlangt, doch scheint ihm der Grad der Deutlichkeit merklich variieren zu können, ohne daß er die Umstände, von denen dies abhängt, anzugeben vermöchte. Vor dem Einschlafen hat er häufig, aber in sehr verschiedener Deutlichkeit, die bekannten Halluzinationen, "unter Umständen so deutlich, daß die Phantasiebilder den objektiven Bildern an Deutlichkeit der Kontur und Intensität der Farben kaum nachstehen", nicht minder erscheinen ihm im Traume Gegenden und andere Gegenstände mit Farben3). Hingegen sieht er nicht leicht Nachbilder und hat beim Schlusse der Augen normalerweise ein rein schwarzes (ob ganz lichtstaubloses?) Sehfeld. Beim Versuche, Erinnerungsbilder festzuhalten, entschwinden sie periodisch, oder, wie er sich lieber ausdrücken möchte, "werden periodisch zu einem bloßen Gedankendinge." Die Lage des Erinnerungsbildes im absoluten Raume ändert sich mit der Augenstellung, so daß er sich beim Erheben der Augen das Erinnerungsbild auch oben vorstellt 4). Er kann sich die Erinnerungsbilder nur vor sich vorstellen. Er findet keinen wesentlichen Unterschied in der Leichtigkeit der Erzeugung der Erinnerungsbilder bei offenem und geschlossenem Auge. Gilt es Erinnerungsbilder bei geschlossenem Auge zu produzieren, so muß er die Aufmerksamkeit dermaßen in dem Erinnerungsbilde konzentrieren, daß ihm "darüber die Empfindung des schwarzen Sehfeldes an Deutlichkeit verliert", und es gelingt ihm nicht, ein einzelnes Erinnerungsbild so in das schwarze Sehfeld hineinzumalen, daß es von demselben umgeben schiene, wie es bei einem Nachbilde der Fall ist. Jedoch scheint ihm "die gleichzeitige Auffassung eines Erinnerungsbildes und Nachbildes wohl möglich, wenn nicht etwa die Empfindungen des Nachbildes und Erinnerungsbildes so schnell alternieren, daß man sie für gleichzeitig bestehend hält. Aber das ohnehin in Form und Farbe äußerst undeutliche Erinnerungsbild wird durch die gleichzeitige Gegenwart des Nachbildes noch undeutlicher und die Reflexion auf dasselbe anstrengender." Er findet bei Produzierung der Erinnerungsbilder "eine gewisse Anstrengung im Kopfe unverkennbar, in den Augen keine"; eben so scheint ihm "Erinnerung an Gehörtes eine Anstrengung des Kopfes zu veranlassen, und das Lokalgefühl der Erinnerungen an Sichtbares und Hörbares ungefähr gleich." Das Gefühl im Kopfe bei angestrengtem Besinnen "ähnelt einem inneren Drucke."

3) Hierzu folgende Bemerkung: "In meinen Träumen sind, glaube ich, die Gehörwahrnehmungen konstanter lebhaft als die Farben. Geruchsträume kann ich mich nicht erinnern gehabt zu haben. Geschmacksträume habe ich bestimmt nie. Ich esse im Traume gar nicht selten, aber stets ohne Geschmacksempfindung."

4) Es ist versäumt worden, die Frage darauf zu stellen, ob dies auch noch der Fall ist, wenn er den Gegenstand der Erinnerung während der Bewegungen der Augen oder des Kopfes absichtlich als feststehend vorstellt.
 
 

    3) W. Hankel, Prof. der Physik, 46 Jahre alt, erinnert sich, daß er als Knabe Erinnerungsbilder willkürlich mit sinnlicher Lebhaftigkeit, als wenn er sie mit Augen sähe, erzeugen und diese Bilder abändern konnte; doch ist dies jetzt nicht mehr der Fall. Immer noch aber vermag er sich deutlich Gegenstände mit ihren Farben (so z. B. das Farbenspektrum) und mit ihrer Form vorzustellen; aber nicht mehr mit dem Charakter sinnlicher Phänomene, nicht mehr, als wenn er sie mit Augen sähe. Von einem bestimmten Orte, wo sie ihm erschienen, kann er nicht sprechen, oder eine bestimmte Beziehung derselben zum schwarzen Sehfelde bei geschlossenen Augen angeben, von dem er vielmehr bei Erzeugung eines Erinnerungsbildes die Aufmerksamkeit eben so abstrahieren muß, wie von äußeren Gegenständen. Auch kann er Erinnerungsbilder nicht so in das schwarze Sehfeld hineinmalen, daß sie wie Nachbilder von demselben umgeben erschienen. Nachbilder sieht er nicht eben schwierig, hat vor dem Einschlafen keine Halluzinationen, aber im Schlafe viel Träume. Sein Sehfeld bei im Dunkeln geschlossenen Augen ist rein schwarz, nur mit dem wohl überall normalen, jedoch ohne besonders darauf gerichtete Aufmerksamkeit leicht zu übersehenden, sparsam eingestreuten Lichtstaube. Er produziert im Ganzen leichter Erinnerungsbilder bei offenen als geschlossenen Augen. Er kann solche festhalten, ohne daß sie sich unwillkürlich ändern, wobei sich nur, wie selbstverständlich, die Aufmerksamkeit allmälig abstumpft. Einen Turm kann er sich eben so leicht hinter sich als vor sich vorstellen, ein Farbenspektrum leichter vor sich als hinter sich. Ob die Erinnerungsbilder bei Bewegung des Kopfes und der Augen sich mit bewegen, schien ihm schwer zu entscheiden. Die Erzeugung von Erinnerungsbildern scheint ihm von einem hinter der Stirn lokalisierten Gefühle der Intention begleitet; dieses Gefühl aber beim Besinnen auf Melodien weiter rückwärts liegend als beim Besinnen auf Sichtbares. Das Anstrengungsgefühl beim Besinnen scheint ihm mehr expansiv, als kontrastiv.

    4) M. W. Drobisch, Professor der Mathematik und Philosophie, einige Jahre jünger als ich, erzeugt leicht farbige Erinnerungsbilder von farbigen Gegenständen, indes ihm nicht leicht gelingt, eine feste bestimmte Zeichnung derselben zu erhalten oder die Bilder stetig festzuhalten, da vielmehr die Phantasie solche so zu sagen alsbald zerspielt. Im Traume sieht er manchmal Gegenden mit orientalischer Farbenpracht. Auch Nachbilder erscheinen ihm sehr leicht, so daß sie bei Schluß seiner Augen (von denen das linke in der Sehkraft gelähmt ist) noch eine Zeit lang sein Gesichtsfeld zu erfüllen pflegen; jedoch endlich dasselbe leer lassen. Vor dem Einschlafen hat er oft die bekannten Gesichtshalluzinationen. Darüber, ob er die Erinnerungsbilder leichter bei offenen oder geschlossenen Augen erzeugt, mochte er sich nicht entscheiden. Um Erinnerungsbilder bei Schluß der Augen zu produzieren, muß er die Aufmerksamkeit vom schwarzen Sehfelde abwenden, kann die Bilder nicht auf dasselbe projizieren, noch mit Nachbildern zugleich auffassen. Die Sehfelder der Erinnerungs- und Nachbilder scheinen ihm verschieden und das Augenschwarz entschwindet seinem Bewußtsein, während er sich mit sichtbaren Gegenständen beschäftigt. Doch scheint ihm, als wenn er beim Schauen geläufiger Erinnerungsbilder die Augen brauchte, nicht den Kopf dahinter; eben so wie er auch beim Erinnern an geläufige Gehörseindrücke ein Gefühl wie vom Gebrauche der Ohren, beim Erinnern an Geschmackseindrücke wie vom Schmecken der Zunge hat. Um ein nicht geläufiges Erinnerungsbild erst sich deutlich zu machen, fühlt er jedoch die Anstrengung vielmehr wie im Kopfe hinter den Augen, als in den Augen. Beim Gefühle des Besinnens, als wenn er sich den Kopf über etwas zerbrechen wollte, hat er nicht sowohl (wie ich) ein Gefühl der Zusammenziehung der Kopfhaut, sondern als wenn der Kopf von Innen heraus zersprengt werden sollte, und der Schädel dem Drucke von Innen Widerstand leistete. Er erzeugt Erinnerungen in anderen Gebieten als dem des Gesichtes eben so leicht als in diesem selbst.

    In Betreff der speziellen Frage, ob die Erinnerungsbilder sich mit Kopf und Augen zu bewegen scheinen, erklärte er sich nach meiner Bitte um nähere schriftliche Aufzeichnung so:

    "Ich kann eigentlich nicht so unbedingt, uneingeschränkt sagen, daß Erinnerungsbilder mir mit Kopf und Augen sich zu bewegen scheinen, daß ich ihre Bewegung wahrnehmen könnte, vielmehr verhält sich die Sache so. Ich stehe am Fenster meines Zimmers, sehe von da den Paulinerturm nach seiner Lage gegen das Kirchendach, das Bibliothekgebäude etc. und dies alles wieder eingerahmt von dem Fenster. Von diesem Ganzen bleibt mir nun ein Erinnerungsbild, das mir innerlich ganz eben so vor Augen schwebt, wie es, wenn ich es an jener Stelle sehe, vor Augen steht. Nun kann ich mich umdrehen, in das Nebenzimmer gehen etc., so wird, wenn ich mich jener Ansicht erinnere, das Bild immer in derselben Lage gegen meinen Körper vor mir schweben, wie die gesehenen Gegenstände vor mir standen, und das bleibt sich gleich, wenn ich auf- und abgehe, mich drehe. Eben deshalb weil das Bild in Bezug auf meinen Körper oder wenigstens den Kopf und die Augen insbesondere seine Lage nicht ändert, kann ich nicht sagen, daß ich eine Bewegung des Bildes beobachtete, sondern ich komme nur durch Reflexion dazu, eine solche Bewegung anzunehmen, wenn ich mir bewußt werde, daß die Stellung meiner Augen und meines Körpers eine andere geworden ist. Stelle ich mir vor — abwärts vom Fenster gehend —: ""die Kirche liegt hinter dir, indes der Thomasturm vor dir liegt"", so kann ich mir das ""hinter mir"" zwar vorstellen, aber nicht auf einmal mit dem ""vor mir"", sondern mir ist’s, als müßte ich mich erst zu diesem Zwecke umsehen.

    5) Meine eigene, vielfach von mir ausgefragte, Frau, Clara Maria, Schwester des Prof. Volkmann, 51 Jahre alt, mit in jeder Hinsicht sehr scharfen und gesunden Sinnen, und von sehr lebhaftem Erinnerungsvermögen, kann auf’s Deutlichste Farben und Gestalt der Gegenstände in Erinnerung reproduzieren, sieht auch im Traume manchmal Gegenden in Farben und Sonnenglanz, anderemale nur nächtig, wie grau in grau, und hat vor dem Einschlafen nicht selten die bekannten Halluzinationen, wogegen sie von gelegentlich entstehenden Nachbildern nichts weiß und solche auch bei absichtlichen Versuchen sehr schwer erhält. Das Sehfeld bei geschlossenen Augen ist rein schwarz, nur mit dem normalerweise eingestreuten sparsamen Lichtstaube. Sie kann Erinnerungsbilder recht wohl stetig mit der Aufmerksamkeit festhalten, ohne daß dieselben entschwinden, fluktuieren, sich ändern. Bei Bewegungen des Kopfes scheinen ihr Erinnerungsbilder, wenn sie solche als feststehend vorstellt, sich durchaus nicht mit zu bewegen, dies hingegen der Fall zu sein, wenn sie solche nicht mit der Vorstellung fixiert. Sie sieht bei geschlossenen Augen die Erinnerungsbilder lebhafter als bei offenen. Sie kann einzelne Erinnerungsbilder, wie das einer Rose, in das Schwarz des geschlossenen Auges hineinzeichnen, so daß sie davon umgeben scheinen , doch kostet ihr dies viel mehr Anstrengung, als wenn sie das Erinnerungsbild unabhängig davon zu produzieren sucht, wobei ihr vielmehr der innere Kopf, als die Augen tätig zu sein scheint. Die Bilder scheinen ihr zwar im Allgemeinen vor den Augen zu schweben, doch kann sie dieselben auch seitlich und mit einer gewissen Schwierigkeit rückwärts vorstellen, indem es ihr aber dabei ist, als müsse sie sich umkehren oder richtete wirklich die Augen dahin, eine Äußerung, die sie unabhängig von Drobisch und ohne darauf geführt zu sein, tat. Wenn sie sich eine ganze Gegend bei geschlossenen Augen vorstellt, so meint sie diese in Farben mit Hintergrund und Vorgrund deutlich vor sich zu sehen, wie in Wirklichkeit, wobei das Schwarz des Auges ganz verschwindet, aber es ist ihr doch, als wenn sie dieselben mehr mittelst einer Tätigkeit des ganzen Inneren des Kopfes als der Augen sähe. Das Gefühl der Anstrengung, wenn sie sich auf etwas besinnen will, scheint ihr ein Gefühl der Zusammenziehung, wie es scheint, sehr ähnlich als bei mir, zu sein, ohne daß meine Angabe vorausgegangen war. Auch Gehörseindrücke, wie den Klang der Stimme eines bekannten Menschen, Blumengerüche, Geschmacksempfindungen vermag sie leicht und deutlich in Erinnerung zu reproduzieren. Ein Veilchengeruch, ein Nelkengeruch z.B. kommt ihr auf das Deutlichste wieder.

    6) Dr. M. Busch, 39 Jahre alt, bekannt als Reisender, Verfasser verschiedener Reiseschriften, die sich durch Anschaulichkeit der Schilderungen auszeichnen, und Redakteur des Grenzboten, sieht leicht und lebhaft Erinnerungsbilder mit deutlichen Umrissen und in ihren vollen Farben, wußte aber nichts von Nachbildern, träumt zwar selten, aber lebhaft und sieht auch im Traume Farben, hat vor dem Einschlafen niemals Halluzinationen und bei Schluß der Augen ein dunkles, gleichförmiges, etwas bläuliches Gesichtsfeld. Er kann deutliche Erinnerungsbilder auch mit Stetigkeit festhalten. Bei wiederholten Versuchen findet er, daß die Erinnerungsbilder den Bewegungen des Auges und Kopfes folgen; gefragt jedoch, ob dies auch dann noch stattfinde, wenn er die Gegenstände der Erinnerung absichtlich als feststehend vorstelle, findet er, daß sie dann auch festbleiben. Er richtet die Aufmerksamkeit bei geläufigen Erinnerungsbildern sichtbarer Gegenstände bei geschlossenen Augen geradezu auf das schwarze Sehfeld, malt mit Leichtigkeit begrenzte Erinnerungsbilder farbig und in festen Konturen hinein, so daß sie davon umgeben scheinen oder stellt sich eine ganze Gegend vor die Augen, fühlt die Tätigkeit, mit der er sie sieht, wie in den Augen, nicht im Gehirne; eben so ist es ihm bei Erinnerungen an Gehörtes, was er nicht minder deutlich als Gesehenes zu reproduzieren vermag, als wenn er das Ohr dazu brauchte. Jedoch findet, entsprechend wie bei Drobisch, dieses Gefühl, als wenn er die äußeren Sinnesorgane bei Erinnerungen brauchte, nur insofern statt, als er sich geläufige Erinnerungsbilder vorstellt, wogegen ihm bei der Tätigkeit des Besinnens, um ein nicht geläufiges Erinnerungsbild erst zusammenzubringen, auch vielmehr das Gehirn als die Augen tätig zu sein scheint, bis das Bild in voller Deutlichkeit da ist, wo es sich wie die anderen verhält. Das Anstrengungsgefühl beim Besinnen ist ein kontraktives, wie von Zusammenziehung der Kopfhaut.

    Busch vermag sich auch aus seiner Kindheit vom 4. Jahre her noch mit größter Deutlichkeit die häusliche Einrichtung und Personen seiner Umgebung zu vergegenwärtigen; indes ihm von den Schuljahren und Universitätsjahren keine so deutlichen Erinnerungsbilder zurückgeblieben sind. Merkwürdig, daß eine doppelte Portion Haschisch, die er auf seiner orientalischen Reise zu sich nahm, doch nicht anschlug, ihm keine Phantasien erweckte. Eben so wenig gelang das Ätherisieren trotz verhältnismäßig langer Einatmung bei einer Zahnoperation. Bewußtsein und Schmerzgefühl blieben.

    In dem letzten der hier mitgeteilten Fälle nähern sich die Erinnerungsbilder sowohl Seitens ihrer Lebhaftigkeit als anderer Umstände schon sehr den sinnlichen Phänomenen. Doch kann die Annäherung noch weiter gehen; und um den Klimax zu vollenden. teile ich einige Beispiele der Art nach anderen Autoren mit 5).

5) Die folgende kleine Zusammenstellung mit Ausnahme des von Brierre de B. mitgeteilten ist aus J. Müller, über phant. Ges. (S. 27. 82) entlehnt.
 
 
    Goethe sagt in s. Beiträgen zur Morphologie und Naturwissenschaft:

"Ich habe die Gabe, wenn ich die Augen schließe und mit niedergesenktem Haupte mir in die Mitte des Sehorganes eine Blume denke, so verharrt sie nicht einen Augenblick in ihrer ersten Gestalt, sondern sie legt sich auseinander und aus ihrem Inneren entfalten sich wieder neue Blumen aus farbigen, auch wohl grünen, Blättern; es sind keine natürlichen Blumen, sondern phantastische, jedoch regelmäßig, wie die Rosetten der Bildhauer. Es ist unmöglich, die hervorsprossende Schöpfung zu fixieren, hingegen dauert sie so lange, als mir beliebt, ermattet nicht und verstärkt sich nicht. Dasselbe kann ich hervorbringen, wenn ich mir den Zierrath einer buntgemalten Scheibe denke, welcher dann ebenfalls aus der Mitte gegen die Peripherie sich immerfort verändert, völlig wie die Kaleidoskope."

    Cardanus (de varietate rer. lib. VIII. p. 160 seq., de subtilitate XVlll, p. 519 seq.) erzählt von sich selber, daß er sich, was er gewollt, habe leuchtend vorstellen können. — Gruithuisen (Anthropol. § 449) teilt den Fall eines Mannes mit, der in seiner Jugend seinen Vater sich leuchtend vorstellen konnte, was ihm später minder gut gelang. — J. Müller (phant. Ges. §. 117, S. 149) gedenkt eines Malers H., dem es oft gelang, das, was er mit Willen im dunkeln Sehfelde sich einbildete, leuchtend und farbig zu sehen. Die willkürlichen Phantasmen entwickelten und verwandelten sich aber sofort ohne Willensbestimmungen.

    Brierre de Boismont (Des halluc, p. 39) teilt folgenden Fait mit:

    "On peintre, qui avait hérité en grande partie de la clientèle du célèbre sir Josué Reynoids, et se croyait d'an talent supérieur lau sien, était si occupé qu'il m'avoua, dit Wigan, avoir peint dans une année 300 portraits grands et petits. Ce fait paraît physiquement impossible; mais le secret de sa rapidité et de son étonnant succès était celui-ci; il n'avait besoin que d'une séance pour représenter le modèle. Je le vis exécuter sous mes yeux en moins de huit heures le portrait en miniature d'un Monsieur que je connaissais beaucoup ; il était fait avec le plus grand soin et d'une ressemblance parfaite.

    Je le priai de me donner quelques détails sur son procédé, voici ce qu'il me répondit: "Lorsqu'un modèle se présentait, je le regardais attentivement pendant une demi-heure, esquissant de temps en temps sur la toile. Je n'avais pas besoin d'une plus longue séance. J'enlevais la toile et je passais à une autre personne. Lorsque je voulais continuer le premier portrait, je prenais l'homme dans mon esprit, je le mettais sur la chaise, où je l'apercevais aussi distinctement que s il y eût été en réalité: et je puis même ajouter avec des formes et des couleurs plus arrêtées et plus vives. Je regardais de temps à autre la figure imaginaire, et je me mettais à peindre; je suspendais mon travail pour examiner la pose, absolument comme si l'original eût été devant moi; toutes les fois que je jetais les yeux sur la chaise, je voyais l'homme."

    Allmälig kam dieser Maler dahin, seine Phantasiebilder mit Wirklichkeit zu verwechseln, verfiel in eine dreißigjährige Geisteskrankheit, von der er jedoch endlich hergestellt wurde, wonach sein Erinnerungsvermögen und Malertalent sich noch fast ungeschwächt zeigte. Doch starb er bald nachher.

    Einige andere hieher gehörige Beispiele berichtet Brierre de B. p. 58 f. und 479 seines Werkes.

    Besonders sorgfaltig hat H. Meyer in s. Physiologie der Nervenfaser S. 239 ff. die von ihm selbst beobachteten, willkürlich erzeugten Sinnesphantasmen beschrieben, und ich teile seine Beschreibung hier speziell mit, weil sie von einem exakten Beobachter herrührt und dabei auf die besonderen Verhältnisse ihrer Erzeugungsweise genauere Rücksicht genommen ist, um so lieber, als sie nicht sehr bekannt worden zu sein scheint.

    "Durch vielfache Übung habe ich es dahin gebracht, daß es mir möglich ist, subjektive Gesichtsempfindungen willkürlich zu erwecken. Ich stellte alle Versuche bei Tag oder Nacht mit geschlossenen Augen an. Anfangs war es mir sehr schwierig. In den ersten Versuchen, welche mir gelangen, zeigte sich das ganze Bild leuchtend, die Schatten waren durch weniger starkes, etwas bläuliches Licht gegeben. Bei weiteren Versuchen sah ich die Gegenstände dunkel und mit hellen Umrissen, oder vielmehr nur Umrisszeichnungen derselben durch helle Linien auf dunklem Grunde gebildet. Ich kann diese Zeichnungen weniger einer Kreidezeichnung auf einer schwarzen Tafel vergleichen, als einer Phosphorzeichnung auf einer dunkeln Wand in der Nacht, abgerechnet jedoch die leuchtenden Dämpfe des Phosphors. Wollte ich z. B. ein Gesicht sehen, ohne daß ich jedoch dabei an eine bestimmte Person gedacht hätte, so sah ich die Grenzlinie eines Profils leuchtend in dem schwarzen Grunde des Dunkels; so erschienen mir auch, als ich Darwin’s Versuch (Zoonomie I, 1. S. 378) nachmachen wollte, nur die Ränder des Würfels als leuchtende Linien im dunkeln Grunde, mehrmals jedoch sah ich den Würfel wirklich weiß und seine Ränder schwarz, er war dann in einem helleren Grunde; ich konnte sogar nach Willkür einen weißen Würfel mit schwarzen Rändern in hellerem Felde und einen schwarzen Würfel mit weißen Rändern in dunklerem Felde sehen und kann dieses noch jeden Augenblick. Nach längerer Übung erst gelangen mir die Versuche vollständiger und besser. Ich kann jetzt fast einen jeden Gegenstand, welchen ich will, als subjektive Erscheinung sehen, und zwar in seiner natürlichen Farbe und Beleuchtung. So habe ich mir schon Gegenstände der verschiedensten Art vor die Augen gerufen. Ich sehe sie immer auf einem mehr oder weniger hellen oder dunkeln, meist dämmerigen, Grunde. Sogar bekannte Gesichter habe ich schon in aller Lebendigkeit mit der Farbe der Wangen und des Haares ganz scharf gesehen. Von den Ergebnissen dieser Versuche habe ich noch Folgendes besonders zu bemerken:

    1) Einige Zeit nach dem Entstehen verschwinden die Figuren oder wandeln sich in andere um, ohne daß ich im Stande wäre, dieses zu verhindern.

    2) Wenn die Farbe nicht integrierend zu einem Gegenstande gehört, so habe ich dieselbe nicht immer vollkommen in meiner Gewalt. Ein Gesicht erscheint mir z. B. nie blau, sondern stets in seiner natürlichen Farbe, dagegen statt des gedachten roten Tuches wohl einzelne Male auch ein blaues erscheinen kann; überhaupt ist die Produzierung einer bestimmten Farbe schwieriger, als einer bestimmten Gestalt, und die erste gelang mir bei meinen anfänglichen Versuchen noch nicht, da mir schon die letzte gelang.

    3) Reine Farben ohne Objekte zu sehen, ist mir einzelne Male gelungen, sie füllten dann das ganze Sehfeld aus.

    4) Gegenstände, welche mir nicht bekannt sind, also bloße Phantasiebilder, sehe ich häufig nicht, und statt derselben erscheinen mir bekannte Gegenstände derselben Art; so wollte ich z. B. einmal einen Degengriff von Messing mit einem messingenen Korbe sehen, sah aber statt dessen das mir geläufigere Bild eines Rappierkorbes.

    5) Die meisten dieser subjektiven Erscheinungen, namentlich wenn sie hell waren, lassen, wenn die Augen während des Verweilens der Erscheinung schnell geöffnet werden, Nachbilder zurück; so dachte ich z. B. einen silbernen Steigbügel, und nachdem ich denselben eine Zeit lang betrachtet hatte, öffnete ich die Augen und sah noch lange das dunkle Nachbild desselben.

    Am besten stelle ich die Versuche in ruhiger Rückenlage und mit geschlossenen Augen an; Lärmen darf nicht um mich herum sein, weil dieser es hindern würde, daß die Anschauung zu der nötigen Intensität gesteigert wird. Mir gelingen die Versuche jetzt so leicht, daß ich mich wundern muß, daß sie mir nicht gleich Anfangs gelungen sind, und daß ich meine, es müsse es ein Jeder ebenfalls können. Die Hauptsache ist, daß man die Anschauung intensiv genug werden läßt durch ausschließliche Richtung der Aufmerksamkeit auf dieselbe und Entfernung aller Störung."

    Das bisher Angeführte betraf Gesichtswahrnehmungen. Meyer stellte auch Versuche an, um durch die Kraft der Aufmerksamkeit Gehörs-, Geruchs-, Geschmacks-Empfindungen hervorzubringen, welche den sinnlichen an Stärke und Charakter gleich wären. Dies glückte ihm zwar hier nicht, wohl aber mit Empfindungen auf der Haut, worüber er Folgendes mittheilt:

    "Auf der Haut gelingt es mir leicht, an welcher Stelle ich will, subjektive Empfindungen hervor-zubringen. Weil aber längere Unterhaltung der Anschauung dazu notwendig ist, kann ich nur solche Empfindungen erwecken, welche längere Zeit andauern, wie Wärme, Kühle, Druck; schnell vorüber-gehende dagegen, wie von einem Stiche, Schnitte, Schläge u. s. w. vermag ich nicht hervorzurufen, weil es mir nicht gelingt, die entsprechenden Anschauungen so ex abrupto in der gehörigen Intensität zu erwecken. Die erstgenannten Empfindungen kann ich aber recht gut an beliebigen Hautstellen erregen, und sie können so lebhaft werden, daß ich, ich mag wollen oder nicht, mit der Hand über die Hautstelle hinstreichen muß, wie man es in Fällen örtlicher Hautempflndungen zu tun pflegt."

    Daß übrigens unter günstigen Umständen doch selbst auch heftige Schmerzen durch eine sehr lebhaft gewordene Vorstellung erzeugt werden können, dafür spricht folgender, ebenfalls von Meyer mitgeteilter Fall:

    "Ein gebildeter Mann des Handelsstandes erzählte mir (Meyer) einmal, er sei eines Tages bei seinem Nachhausekommen von einem seiner kleinen Kinder dadurch erschreckt worden, daß dasselbe gerade bei seinem Eintreten sich einen Finger zwischen die Türe gequetscht habe; im Augenblicke des Schreckens habe er einen heftigen Schmerz an der entsprechenden Stelle des gleichen Fingers seines eigenen Körpers gefühlt und dieser Schmerz habe ihn 3 Tage lang nicht verlassen."

    Hiernach wende ich mich zu einigen allgemeinen Bemerkungen. Lotze 6) nennt die durch Erinnerung produzierten Farbenvorstellungen schlechthin farblos, und mir selbst, so wie Weisse und Volkmann erscheinen sie angegebenermaßen so ziemlich so; aber nicht nur die übrigen Personen, deren Angaben ich vorhin speziell mitgeteilt habe, sondern bei Weitem die größte Mehrzahl der vielen Personen, die ich gelegentlich wegen dieses speziellen Umstandes befragt habe, versicherten mit größter Bestimmtheit, die Farben der Gegenstände deutlich noch in Erinnerung reproduzieren zu können. Manche schilderten die Lebhaftigkeit der Farben ihrer Erinnerungsbilder, z. B. vom Regenbogen, den Blumen, einer sonnenhellen Gegend, selbst mit lebhaften Farben und wollten gar nicht glauben, daß man solche nicht in Erinnerung zu reproduzieren vermöge. Ja man hat mich wiederholt lebhaft bedauert, daß mir mit dem Farbenreize der Erinnerungswelt ein Hauptreiz abgehe, den sie gewähre.

        6) In seinem Artikel Seele in Wagner’s Wörterb. S. 169.

    Sehr wahrscheinlich hängt die größere oder geringere Fähigkeit, deutliche Erinnerungsbilder zu erzeugen, von einer Seite mit der durch Anlage, Beruf, Lebensverhältnisse herbeigeführten Gewöhnung zusammen, seine Aufmerksamkeit mehr auf die Außenwelt zu richten oder davon zu abstrahieren, und wenigstens trifft dies sehr auffällig bei Lotze 7), Weisse und mir selbst zu. Von mir muß ich gestehen, daß ich mich gewöhnlich erst besonders anregen oder angeregt sein muß, zu sehen und zu hören, was um mich vorgeht, und nach Spaziergängen manchmal nicht sicher gewußt habe, welchen von zwei ganz verschiedenen Zweigwegen ich gegangen bin. Hankel hingegen, der so viel lebhaftere Erinnerungsbilder als ich hat, ist gewohnt, scharf die Außendinge ins Auge zu fassen, und selbst, wenn er während seiner Vorlesungen ganz mit seinem Gegenstande beschäftigt ist, entgeht ihm Nichts in seinem Zuhörerkreise. Busch, bei dem unter den von mir befragten Personen die Erinnerungsbilder die stärkste Annäherung an sinnliche Phänomene verraten, sagt selbst, daß die Tendenz, auf seinen Reisen die Gegenstände getreu und für eine Wiedergabe deutlich aufzufassen, möglicherweise sein, wie es scheint, schon in der Jugend lebhaftes, durch Studium aber außer Übung gekommenes, Erinnerungsvermögen für äußere Gegenstände wieder aufgefrischt haben könne. Auch stimmt gut dazu, daß Frauen, deren Aufmerksamkeit der Außenwelt im Ganzen viel mehr zugewandt ist, als die der Männer, so viele ich ihrer auch gefragt habe, leicht deutliche und farbige Erinnerungsbilder erzeugen können. Doch schreibt mir Volkmann, was mir nicht ohne Interesse scheint, daß bei seiner Frau die absichtlich produzierten Erinnerungsbilder sehr undeutlich und blaß sind, während sie bisweilen mit einer fast erschreckenden Lebhaftigkeit vor die Seele treten, so das Bild einer entfernten Tochter während Vornahme weiblicher Arbeiten in höchster Deutlichkeit nach Form und Farbe.

        7) Nach den kurzen Angaben in s. Artikel Seele in Wagner’s Wörterb.

    Inzwischen kann die Neigung, auf die Außendinge zu reflektieren, möglicherweise auch umgekehrt durch die Leichtigkeit, sie innerlich zu reproduzieren, mitbedingt werden; und unstreitig kann nicht Alles auf Gewöhnung ankommen, sondern es müssen auch angeborene Unterschiede der Produktivität in diesem Felde stattfinden. Die fast der meinigen entsprechende Schwäche der Erinnerungsbilder bei Volkmann hängt doch mit keiner entsprechend einseitigen Abstraktion von der Außenwelt zusammen, wenn schon ich glaube, daß die Wendung nach Innen auch bei ihm überwiegt; und der dem meinigen ähnliche Beruf bei Drobisch würde nicht so viel lebhaftere Erinnerungsbilder erwarten lassen, wenn schon er unstreitig auch weniger von der Außenwelt abstrahiert, als es bei mir der Fall ist.

    Das Beispiel Hankel’s und Busch’s, so wie die Beispiele, welche J. Müller (phant. G. S. 45. 82) von sich und nach Gruithuisen von einem Anderen anführt, fordern übrigens auf, zu untersuchen, ob nicht bei Kindern, die, wie die Frauen vorzugsweise der Außenwelt zugewandt sind, die Erinnerungs- und Phantasiebilder überhaupt durchschnittlich lebhafter sind, als bei Erwachsenen; nur wird es meist schwer sein, sichere Vergleiche nach Erinnerung an sich selbst anzustellen und sichere Angaben von Kindern zu erlangen.

    Der Unterschied, ob Erinnerungsbilder leichter bei offenen oder geschlossenen Augen erhalten werden, dürfte auch wesentlich mit von dem verschiedenen Vermögen abhängen, die Aufmerksamkeit von der Außenwelt zu abstrahieren. Wo dies schwer gelingt, da werden die Außendinge stets störend wirken; wo es leicht gelingt — und dies könnte sich selbst bei demselben Individuum nach Umständen verschieden verhalten — mag die allgemeine Anregung durch das Licht oder vielleicht auch die Gewohnheit, daß wir die Dinge doch nur mit offenen Augen sehen, eher begünstigend als nachteilig wirken. Frauen scheinen allgemein leichter bei geschlossenen als offenen Augen Erinnerungsbilder zu produzieren; wenigstens erklärten sich drei andere, die ich außer meiner Frau darum befragte, freilich nur nach sehr beiläufiger Beobachtung, in demselben Sinne. Prof. Ed. Weber fand es hingegen, wie Hankel und ich, leichter, Erinnerungsbilder bei offenen als geschlossenen Augen zu produzieren.

    Das verschiedene Verhalten verschiedener Personen in diesem Bezuge erinnert daran, daß auch bei manchen Personen sich Halluzinationen leichter bei offenen als geschlossenen Augen einstellen, indes es bei anderen umgekehrt ist (s. unten).

    Zu der größeren oder geringeren Leichtigkeit der Entstehung von Nachbildern scheint die Leichtigkeit der Produktion von Erinnerungsbildern ganz bezugslos. Drobisch und ich z. B. sehen beide sehr leicht Nachbilder, aber indes bei ihm die Erinnerungsbilder lebhaft sind, sind sie bei mir ganz schwach, Übrigens hat man bekanntlich bei Nachbildern die von Nachdauer überwiegend abhängige erste positive Phase, und von Abstumpfung überwiegend abhängige zweite negative Phase zu unterscheiden und es würde erst noch näherer Untersuchung bedürfen, ob vielleicht verschiedene Individuen sich in Betreff des Verhältnisses beider Phasen unterscheiden, wonach dann auch das Verhältnis der Erinnerungsbilder zu den Nachbildern in Betreff beider Phasen besonders zu untersuchen wäre.

    Die Frage, wie sich Erinnerungsbilder bei Bewegungen des Kopfes und der Augen verhalten, scheint nur mit Rücksicht auf die besonderen Umstände ihrer Erzeugung und Betrachtung zu beantworten. Wenn man sie bei der Bewegung feststehend vorstellt, so scheinen sie auch nach Busch’s und meiner Frau Angaben, und wie es mir selbst vorkommt, festzustehen; hingegen wenn man sie nicht absichtlich fest vorstellt, scheinen sie deshalb, weil man von Natur geneigt ist, sie vor sich zu denken, auch mit der Lage des Kopfes und der Augen ihre Lage im Raume aber nicht zu uns zu ändern, wie dies am bestimmtesten aus Drobisch’s Angaben hervorgeht.

    Hierbei ist mit an das Verhalten der unwillkürlichen Halluzinationen zu erinnern. J. Müller 8) sagt von den vor dem Einschlafen und sonst bei Schluß der Augen unwillkürlich entstehenden Halluzinatio-nen, die unten ausführlicher beschrieben werden: "Auch habe ich bei geschlossenen Augen nie bewirken können, daß sie sich mit den Augen wie die Blendungsbilder bewegten." Er hebt (S. 38) ihren Unterschied in dieser Hinsicht von den Blendungsbildern (d. i. Nachbildern nach intensivem Lichteindrucke) noch ausdrücklich hervor, indem er sagt: "Die Blendungsbilder ändern mit der Bewegung der Augen ihr relatives Ortsverhältnis zu unserer eigenen Körperlichkeit; die phantastischen Bilder behaupten bei aller Bewegung der geschlossenen Augen eine beständige Stelle im Verhältnisse zu unserer eigenen Räumlichkeit, wenn sie sich nicht aus inneren Gründen ihrer Räumlichkeit bewegen."

8) Über phantastische Ges. E. S. 35.
 
 
    In der Regel scheint das Erinnerungsvermögen da, wo es im Gebiete des Gesichtssinnes schwach oder stark ist, auch sich entsprechend in den anderen Sinnesgebieten so zu verhalten; wenigstens habe ich bis jetzt noch keine Ausnahme in dieser Hinsicht gefunden; doch wird es wahrscheinlich solche geben; und namentlich werden Künstler in den verschiedenen Fächern und überhaupt Solche, welche sich mit einer gewissen Einseitigkeit mit Gegenständen, deren Auffassung einem besonderen Sinnesgebiete angehört, beschäftigen, zu befragen sein; wozu ich bisher die Gelegenheit versäumt habe. Überhaupt habe ich andere Sinnesgebiete nur beiläufig und obenhin berücksichtigt; und es würde z. B. in Bezug auf Gehörswahrnehmungen erst besonders zu untersuchen sein, ob ein gutes Erinnerungsvermögen z. B. für den Klang von Stimmen und Instrumenten auch immer mit einem solchen für Tonhöhe und Melodie zusammenfällt.

    Das Spannungsgefühl der Aufmerksamkeit beim Gebrauche der verschiedenen Sinnesorgane scheint mir nur ein Muskelgefühl zu sein, indem wir die mit den verschiedenen Sinnesorganen in Beziehung stehenden Muskeln beim Gebrauche der Sinne unwillkürlich durch eine Art Reflex mit in Tätigkeit setzen. Man kann dann fragen, an die Zusammenziehung welcher Muskeln das Spannungsgefühl der Aufmerksamkeit beim angestrengten Besinnen geknüpft sein soll? Hierüber gibt mir mein Gefühl sehr entschieden Auskunft; es erscheint mir ganz entschieden nicht wie das Gefühl einer Spannung im Inneren des Schädels, sondern wie das einer Spannung der Kopfhaut mit einer Zusammenziehung derselben und einem von Außen nach Innen gehenden Drucke auf den ganzen Schädel, unstreitig erzeugt durch eine Zusammenziehung der Muskeln der Kopfhaut, was ganz gut mit dem Ausdrucke harmoniert, sich den Kopf zerbrechen, den Kopf zusammennehmen. Bei einem früheren krankhaften Zustande, wo ich nicht das geringste anhaltende Nachdenken vertrug und noch gar keine Theorie mich bestimmen konnte, nahmen die deutlich in der Kopfhaut, namentlich des Hinterkopfes, gespürten Muskelgefühle bei jedem Versuche des Nachdenkens einen krankhaften Charakter an.

    Wie ich, fanden auch Busch, meine Frau, außerdem Rüte und einige Andere, die ich noch befragt habe, das Gefühl des Besinnens kontraktiv; hingegen Drobisch und Hankel expansiv. Dieser Unterschied ist bemerkenswert und dürfte seinem Grunde nach noch näher zu untersuchen sein.

    Auf einige allgemeinere Betrachtungen gehe ich noch im Abschnitte e) ein, und wende mich jetzt zu verschiedenen Phänomenen, die gewissermaßen Übergangsglieder zwischen Nachbildern und Erinnerungsbildern darstellen, indem sie sich von gewisser Seite oder nach Umständen mehr den einen oder anderen nähern.

b) Erinnerungsnachbilder.

    Bei Darstellung der Erinnerungsphänomene habe ich bisher mit Fleiß von einer Erzeugungsweise derselben abstrahiert, nach welcher sie sich auch solchen, die, wie Volkmann und ich, dieselben sonst nur äußerst schwach zu erzeugen vermögen, mit verhältnismäßig deutlichen Formen und Farben darstellen; eine Erzeugungsweise, welche einfach darin besteht, daß man das Erinnerungsbild sofort nach momentanem Anschauen eines Gegenstandes produziert. Personen freilich, welche sehr leicht Erinnerungsbilder produzieren, finden keinen besonderen Vorteil von dieser frischen Erzeugungsweise derselben; denn Drobisch wie meine Frau erklärten, daß sie die ihnen geläufigen Erinnerungsbilder von nicht kurz vorher gesehenen Gegenständen mindestens eben so leicht und deutlich, als nach frischem kurzen Anschauen produzieren könnten; hingegen ist bei mir wie bei Volkmann der Vorteil der frischen Anschauung sehr auffällig und wahrscheinlich eben so bei Jedem, der nur schwer deutliche Erinnerungsbilder produziert. Auch Hankel erkannte den Vorteil der frischen Erzeugung an und es scheint mir nicht ohne Interesse, etwas Näheres über die zum Teil eigentümlichen Verhältnisse dieser auf frischer Tat erzeugten Erinnerungsbilder, die ich der Kürze halber Erinnerungsnachbilder nennen will, mitzuteilen. Ich gebe ihnen diesen Namen, weil sie gleich den Nachbildern sofort nach Anschauung der Objekte erfaßt werden und sich ihnen in Deutlichkeit nähern, ja bei manchen Personen (Rüte) mit solchen zusammenzufallen scheinen, indes sie so, wie sie sich mir, Volkmann’ und Hankel’n darstellen, alle wesentlichen Charaktere der Erinnerungsbilder tragen.

    Ich erhalte ein Erinnerungsnachbild, wenn ich irgend einen Gegenstand, hellen oder dunklen, farbigen oder nicht farbigen, momentan scharf anschaue, dann sofort die Augen schließe oder wegwende, welches Letztere ich auch hier noch vorteilhafter als Ersteres finde, und sofort, am besten noch während des Augenschließens oder Wegwendens, die Erinnerungstätigkeit in der sonst gewöhnlichen Weise in Kraft setze. Ich sehe dann das Bild einen Moment ziemlich deutlich mit der Zeichnung und selbst Farbe des angeschauten Objektes, wie ich es nie von Gegenständen, die ich vor längerer Zeit gesehen, zu erhalten vermag; nur verlöscht seine Bestimmtheit und Farbe sehr schnell und macht der gewöhnlichen Undeutlichkeit Platz.

    Unstreitig wird man von vorn herein geneigt sein, hierin eben nichts als ein gewöhnliches von Nachdauer abhängiges Nachbild zu sehen, und ich selbst hegte nach den ersten oberflächlichen Versuchen diese Meinung. Aber es gibt vier Umstände, durch die sich bei mir ein solches Erinnerungsnachbild in gleich schlagender Weise von gewöhnlichen Nachbildern unterscheidet und den, nur schwächeren, eigentlichen Erinnerungsbildern, wie ich sie sonst von früher gesehenen Gegenständen erhalte, gleichstellt.

    1) Nachbilder entstehen, mag man die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand gerichtet haben oder nicht (vergl. Kap. 38). Um hingegen ein Erinnerungsnachbild zu erhalten, muß ich eben so wie um ein gewöhnliches Erinnerungsbild zu erhalten, die Aufmerksamkeit zuvor auf den betreffenden Gegenstand gerichtet haben. Je schärfer ich beim Betrachten die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand zuspitze, desto deutlicher vermag mir nachher das Erinnerungsnachbild zu erscheinen; daher ich kein deutliches Erinnerungsnachbild von einer ganzen Gegend auf einmal zu erhalten vermag, sondern nur von begrenzten Gegenständen, wie einem Menschen, einer Blume, wobei ich nichts von der Umgebung des Gegenstandes im Erinnerungsnachbilde reproduzieren kann, wenn ich nicht beim Sehen die Aufmerksamkeit auf die nächste Umgebung mit erstreckt habe; wogegen sich im eigentlichen Nachbilde die Umgebung mit dem Gegenstande unwillkürlich darstellt, mag man sie mit gleicher Aufmerksamkeit betrachtet haben oder nicht.

    2) Wenn ich nach momentanem Anschauen eines Gegenstandes in gewöhnlicher Tagesbeleuchtung die Aufmerksamkeit bei geschlossenen Augen auf das schwarze Sehfeld, oder bei offenen auf den objektiven Grund vor mir richte, und das, was ich da erblicke, bloß rezeptiv aufnehmen will, was die Bedingungen sind, unter denen mir ein Nachbild zu erscheinen vermag, so sehe ich nichts, ich muß vielmehr, damit das Erinnerungsnachbild erscheine, die Aufmerksamkeit ganz eben so vom äußeren Sinne abwenden und das Bild innerlich aktiv hervorrufen wollen, wie wenn ich ein gewöhnliches Erinnerungsbild hervorrufen will. Auch sehe ich es um so deutlicher, je mehr ich die Erinnerungstätigkeit in der sonst gewöhnlichen Weise anstrenge. Unwillkürlich spanne ich dabei die Kopfhaut, wie ich sonst bei angestrengtem Besinnen zu tun pflege (s. o.).

    Ferner kann ich, wenn das Erinnerungsnachbild erloschen oder undeutlich geworden ist, was bemerktermaßen schnell geschieht, dasselbe oft wiederholt, wenn schon mit abnehmender Deutlichkeit, neu beleben, wenn ich die immer bald von selbst nachlassende Erinnerungstätigkeit eine neue Anstrengung machen lasse.

    3) Während mir ein eigentliches Nachbild bis zu gewissen Grenzen um so deutlicher und intensiver erscheint, je länger und stetiger ich den Gegenstand fixiert habe, finde ich bei den Erinnerungsnachbildern merkwürdigerweise gerade das Gegenteil. Sie erscheinen mir am deutlichsten, wenn ich nur einen schnellen, aber möglichst aufmerksamen Blick auf den betreffenden Gegenstand geworfen habe, indem es mir scheint, als wenn bei einer längeren Betrachtung der Reiz für die Aufmerksamkeit, der zur Entstehung des Erinnerungsnachbildes nötig ist, sich abstumpft, hingegen beim kürzesten am frischesten wirkt.

    Hiermit mag es zusammenhängen, daß, wenn ich ein Erinnerungsnachbild z. B. von einem Menschen, der Holz hackt oder rasch vorschreitet, erwecke, es mir zwar in der Attitüde eines sich bewegenden (also wie der Bildhauer den Menschen darstellen würde), aber doch nicht sich wirklich bewegend darstellt, indem der Moment der schärfsten Aufmerksamkeit bestimmend für die Erscheinung des Bildes scheint. Doch ist diese Erfahrung nicht ganz unzweideutig, weil der Blick auf den Gegenstand überhaupt bei mir nur kurz sein darf, soll ich das Erinnerungsnachbild deutlich erhalten, in welcher kurzen Zeit keine große Bewegung vollführt werden kann, eine volle Deutlichkeit des Bildes auch nicht stattfindet.

    Gelegentlich kann man hierbei erinnern, daß auch, wenn die Scheibe des Thaumatrops, auf deren einer Seite z. B. ein Vogel, auf der anderen ein Käfig gemalt ist, mittelst des zwischen den Fingern gedrehten Axenfadens rasch um ihren Diameter rotiert, Käfig und Vogel dem Auge sukzessiv in allen möglichen Verkürzungen dargeboten werden, doch aber der Vogel in dem Käfige zu sitzen scheint, als wenn von den unendlich vielen Erscheinungen bloß eine einzige (die mir im Ganzen etwas verkürzt erscheint) zur Geltung käme. Dies hängt aber hier wohl davon ab, daß bei Bewegung durch die Lage, wo der Gesichtsstrahl senkrecht auf der Scheibe ist, die Erscheinung sich am langsamsten ändert.

    4) Die Nachbilder, die ich von nicht selbst leuchtenden Gegenständen in der gewöhnlichen Tagesbeleuchtung erhalte, indem ich z. B. ein farbiges Objekt einige Zeit fixiere, dann den Blick auf einen weißen Grund wende oder solchen vorschiebe, stellen mir das Objekt nicht in seiner eigenen, sondern der dazu komplementären Farbe dar, indem die Nachdauer des primären Eindruckes zu kurz ist, um bemerkt zu werden, indes die Erinnerungsnachbilder das Objekt stets in seiner eigenen Farbe ohne komplementären Nachklang wiedergeben.

    Nach vorigen Unterschieden habe ich jedoch eines Punktes zu gedenken, worin sich das Erinnerungsnachbild dem eigentlichen Nachbilde auffällig anschließt. Wenn das mit offenen Augen gesehene Erinnerungsnachbild bei mir erloschen ist, und ich die Intention, es zu sehen, immer in derselben Richtung forterhalte (was zum Erfolge wesentlich ist), ohne sie aber aufs Neue zu verstärken, so reicht ein momentaner Augenzuschlag hin, es momentan schwach wiederzubeleben, als wenn ich die Intention verstärkte; ein Versuch, den ich oft hinter einander wiederholen kann. Daß auch bei Nachbildern dies Mittel zur Wiederbelebung wirkt, habe ich in Pogg. XLIV, 528 angeführt; bei Erinnerungsbildern früher gesehener Gegenstände aber nützt mir der Augenzuschlag nichts zu ihrer Belebung. Es ist übrigens nicht die Verdunkelung des Gesichtsfeldes durch den Augenzuschlag, was bei den Erinnerungsnachbildern die Wiederbelebung bewirkt; denn ein plötzliches Augenaufreißen oder gewaltsames Seitwärtswenden der Augen leistet dasselbe, sondern unstreitig nur eine nach Innen sich fortpflanzende Anregung, die durch die Bewegung gegeben wird.

    Volkmann, dem ich diese Erfahrungen über die Erinnerungsnachbilder mitgeteilt 9), schreibt mir, er finde sie durchaus bestätigt; nur bemerkt er, daß ihm, entgegen der unter 4) gemachten Angabe bezüglich der gewöhnlichen (durch längere Fixation erhaltenen) Nachbilder, diese Anfangs, vor Übergang in die Komplementärfarbe, ebenfalls in der primären Farbe erschienen, und in der Tat kann dies je nach der Individualität verschieden sein.

9) Mit Ausnahme dessen, was ich nach späteren Beobachtungen vorhin über den Erfolg des Angenzuschlages hinzugefügt.
 
 
    Unter gewöhnlichen Umständen gewährt mir ein momentanes Anschauen eines Objektes angegebenermaßen überhaupt kein Nachbild, d. h. ohne besondere Anspannung der Erinnerungstätigkeit wahrnehmbares Bild. Auf folgende Weise jedoch gelingt es mir, nach momentanem Anblicke einer Farbe eine Nachfarbe ohne solche Anspannung so zu sagen zu ertappen, die aber auch der primären nicht gleich, sondern komplementär dazu ist.

    Ich nehme eine inwendig schwarze Röhre vor ein Auge und richte diese auf einen farbigen Grund, neben welchem ein weißer Grund liegt. Ich schließe erst eine Zeit lang beide Augen, öffne dann das Auge, vor dem sich die Röhre befindet, so daß mir der Farbengrund momentan ins Auge fällt und wende sofort die Röhre auf den weißen Grund. Bei der großen Empfindlichkeit, die ich für subjektive Phänomene habe, sehe ich, trotzdem daß ich den objektiven Farbengrund nur momentan gesehen hatte, doch momentan auf dem weißen Grunde die Nachfarbe dieses Grundes; aber sie ist stets komplementär dazu.

    Inzwischen kann ich doch nicht umhin, zu bemerken, daß ich sehr gut die Erscheinung des Thaumatropes in den Farben der darauf gemalten Bilder wahrnehme, was nur vermöge einfacher Nachdauer des Eindruckes der Fall sein kann. Aber die Umstände sind hier andere als bei Erzeugung des Erinnerungsnachbildes. Die beiden Bilder auf Vorderseite und Kehrseite der Scheibe treten beim Thaumatrop in schnellstem Wechsel oft wiederholt vor das Auge, so daß sich die Eindrücke summieren können; indes das Erinnerungsnachbild mittelst eines einzigen Blickes gewonnen wird.

    Bei alle dem glaube ich selbst, mit Rücksicht auf die unter e) hinzuzufügenden allgemeinen Erörterungen, daß mein Erinnerungsnachbild nur vermöge einer unmittelbaren Fortsetzung der, dem gewöhnlichen Nachbilde unterliegenden, Tätigkeit in das Feld der Vorstellungsbilder hinein zu Stande kommt, wo es noch durch Erinnerungstätigkeit von mir ergriffen werden kann; nachdem es schon im Anschauungsfelde erloschen ist, während beim Versuche mit dem Thaumatrop das um einen Moment vorausgegangene Bild sich mit dem folgenden noch im Anschauungsfelde selbst zusammensetzt.

    Ist dem so, kann es nicht unerwartet sein, wenn dasselbe Phänomen, was sich bei mir nach seinen Hauptmomenten als Erinnerungsbild verhält, bei einem Anderen vielmehr als Nachbild verhält. So scheint es bei Prof. Rüte der Fall zu sein, der überhaupt sehr leicht deutliche Nachbilder erhält, aber auch leicht gewöhnliche deutliche Erinnerungsbilder produziert, und aus dessen mir gemachten Angaben ich Folgendes entnehme: wenn er einen Gegenstand auch nur momentan ins Auge gefaßt hat, erscheint ihm ebenfalls derselbe momentan aufs Deutlichste in seiner ursprünglichen Farbe und Gestalt und verlöscht schnell; aber er bedarf keiner willkürlichen Anstrengung der Aufmerksamkeit dazu; sondern, so wie er die Augen schließt oder den Blick abwendet, erscheint ihm das Nachbild, er mag wollen oder nicht, und geht beim Verlöschen aus dem Positiven in das Negative über, trägt also alle Charaktere der gewöhnlichen Nachbilder. Er findet dies eben so bestimmt, als ich meinerseits es bestimmt nötig finde, die Erinnerungstätigkeit besonders in der sonst gewohnten Weise zu Hilfe zu nehmen, um das Erinnerungsnachbild zu sehen. Auch die Helmholtz’sche Erzeugungsweise lebhafter positiver Nachbilder 10) mittelst momentanen Anschauens eines Gegenstandes, nachdem zuvor die Augen längere Zeit geschlossen wurden, über die mir keine hinreichenden eigenen Erfahrungen zu Gebote stehen, gibt nach Helmholtz’s Darstellung das Phänomen ohne besondere Anspannung der Erinnerungstätigkeit. Gerade durch diese Verschiedenheiten aber scheint mir das Erinnerungsnachbild sein besonderes Interesse zu gewinnen, indem sich hiermit besonders deutlich zeigt, wie dasselbe Phänomen je nach Individualität und Umständen zwischen dem Charakter des Erinnerungsbildes und Nachbildes schwanken kann.

        10) Amtl. Bericht über die 34. Versamml. der deutschen Naturforscher in Karlsruhe. S. 225.

    Nachdem das Vorige schon vollständig niedergeschrieben war, ward ich erst aufmerksam auf eine Stelle in Purkinje’s Beitr. zum subjektiven Sehen S. 166, welche beweist, daß er die Erinnerungsnachbilder mit ähnlichen Charakteren als ich schon früher beobachtet hat; indem er sie aber unter dem bloßen Namen Nachbilder den von Nachdauer des Sinneseindruckes abhängigen Blendungsbildern (die ich unter den Nachbildern begriffen habe) entgegengesetzt. Da seine Angaben sich mit den obigen teils wechselseits bestätigen, teils ergänzen, lasse ich sie wörtlich hier folgen: "Oft wunderte ich mich, daß das Blinzen der Augen das Sehen nicht störe, indem ich mir vorstellte, daß während demselben eine gänzliche Finsternis eintreten müßte. Bei näherer Beobachtung fand ich aber, daß das Gesichtsfeld des offenen Auges mit allen seinen Lichtern und Bildern noch eine kurze Zeit vor dem Sinne verharre, nachdem die Augenlider geschlossen worden. Je aufmerksamer ich ein einfaches, nicht zu sehr ausgedehntes, Bild auffasse, desto länger vermag ich es bei geschlossenen Augen vor dem Sinne festzuhalten. Dieses Nachbild ist genau von dem Blendungsbilde zu unterscheiden. Das Nachbild wird nur durch freie Tätigkeit längere Zeit festgehalten, und verschwindet, sobald der Wille nachläßt, kann aber von demselben wieder hervorgerufen werden; das Blendungsbild schwebt unwillkürlich dem Sinne vor, verschwindet und erscheint wieder aus objektiven Gründen."

    "Die topisierende Tätigkeit des Sinnes, der Tastsinn des Auges, fährt fort das Nachbild außerhalb des Organs zu setzen, eben so, wie es beim wirklichen Sehen stattfand, auch stereometrisch begrenzte Bilder kann es darstellen, und selbst beim Bewegen und Drehen des ganzen Körpers behauptet das Nachbild seine ursprüngliche Stelle und Lage. Das Blendungsbild hingegen stellt nur Flächen dar, hat seinen Ort nur im Auge und folgt dessen Bewegungen. Die Lebhaftigkeit des Nachbildes ist nach Verschiedenheit der Stimmungen verschieden. Besonders lebhaft ist es bei erhöhter Seelentätigkeit nach Genuß geistiger Getränke oder narkotischer Substanzen, oder bei besonderem Interesse am Gegenstande; bei fieberhafter Aufregung des Blutes, besonders bei Hirnaffektionen ist es oft bis zu einer unvertilgbaren Objektivität gesteigert. Das Blendungsbild hingegen pflegt bei nervöser Stimmung, im asthenischen Zustande länger nachzuhalten und verschwindet desto schneller, je energischer das Organ vom Leben durchströmt wird. Ferner ist das Nachbild desto deutlicher und objektiver, je näher es dem Momente der Auffassung des Urbildes steht, und in jedem folgenden Momente wird es immer schwerer, dasselbe in gleicher Klarheit vor dem Sinne zu erhalten. Das Blendungsbild hingegen von mild leuchtenden Gegenständen ist in den ersten Momenten nach dem Anschauen verwirrt und bildet sich erst nach und nach vollkommen vor dem Sinne aus, der dabei nur einen passiven Zuschauer abgibt."

c) Erscheinungen des Sinnengedächtnisses und Reaktionserscheinungen nach Anschauung von Bewegungen.

    Wenn die Erinnerungsnachbilder in der Gestalt, wie sie sich mir darstellen, ein Über-gangsglied zwischen Erinnerungsbildern und Nachbildern darstellen, welches sich vielmehr den ersten als letzten anschließt, so bieten hingegen die Phantome des sogenannten Sinnenge-dächtnisses ein anderes Übergangsglied dar, welches sich umgekehrt vielmehr den Nachbil-dern als Erinnerungsbildern anschließt. Sie fordern nämlich die Richtung der Aufmerksamkeit auf das schwarze Sehfeld, um aufgefaßt zu werden, und sind keine Sache willkührlicher Erzeugung und Abänderung, wie die Erinnerungs- und Phantasiebilder; stellen sich jedoch nicht bloß als Nachklänge eben vorübergegangener Sinneseindrücke im unmittelbaren Gefolge derselben wie die Nachbilder dar, sondern kehren freiwillig im Dunkeln wieder, nachdem das Auge inzwischen lange mit anderen Eindrücken im Hellen beschäftigt war, und reproduzieren nicht bloß den Eindruck ruhender Objekte, sondern auch von Bewegungen.

    Naturforscher haben häufig Gelegenheit, Erfahrungen, welche hierher gehören, zu machen, obwohl solche nicht oft beschrieben sind 11). Die früheste mir bekannte Schilderung darüber rührt von Henle 12) her. Er erzählt, daß sich ihm, als er Vormittags Stunden lang an einem Arterien- und Nervenpräparate gearbeitet hatte, spät am Abend, in der Dunkelheit und beim Reiben des Auges oder bei Kongestion nach demselben während des Hustens, Schnäuzens u. s. w. plötzlich das leuchtende Bild jenes Präparates in allen seinen Einzelheiten unter Umständen gezeigt habe, wo sonst vielleicht ein Blitz das Sehfeld rasch erleuchtet haben würde. Die Erscheinung war momentan und unwillkürlich und konnte auch absichtlich nicht wieder hervorgerufen werden. Desgleichen erschienen ihm zu anderer Zeit, wo er mehrere Tage anhaltend die flimmernden Schläuche der Branchiobdella untersucht hatte, Abends unter dem Wirrwarr von Fäden, die dem ruhigen Auge vorschweben, auch wieder die flimmernden Streifen, leuchtend, scharf begrenzt und mit derselben lebhaft rieselnden Bewegung, wie sie ihm das Mikroskop gezeigt hatte.

11) Rüte sagt mir z.B., daß ihm die Phantome des Sinnengedächtnisses nach vorgangigen Beobachtungen oft bis zum Lästigwerden namentlich Abends im Bette vorgekommen sind.

12) Casper’s Wochenschr. 1838. No. XVIII.
 
 

    Ähnliche (obwohl in einigen Punkten modifizierte) Erfahrungen habe ich selbst wiederholt gemacht, besonders auffallend in einer Zeit, wo meine Augen und mein ganzes Nervensystem an einer krankhaften Reizbarkeit litt, die später in mehrjährige Lichtscheu ausschlug.

    Ich entnehme meinen Aufzeichnungen darüber Folgendes:

    Als ich die physikalische Professur in Leipzig noch verwaltete, wurden im physikalischen Kabinette daselbst magnetische Intensitätsbeobachtungen mit dem Gauss’schen Apparate angestellt, wobei man einen schwarzen Faden im Fernrohre über einer weißen Skala mit schwarzen Teilstrichen und Gradzahlen wandern sieht und zugleich auf den Schlag des Sekundärzählers Acht gibt. Wenn ich diese Beobachtungen während zweier Stunden hindurch angestellt hatte, so brauchte ich nachher nur die Augen zu schließen oder auch offen ins Dunkel zu richten, so sah ich den schwarzen Faden samt der weißen Skala mit den schwarzen Teilstrichen und Zahlen ganz von selbst im Gesichtsfelde auftauchen, und zwar den Faden in derselben ruhig wandernden Bewegung über der Skala, die er bei der Beobachtung hatte. Dies habe ich zu sehr oft wiederholten Malen nach sämtlichen in jene Zeit fallenden Beobachtungsterminen erfahren. Teilstriche und Faden waren gut unterscheidbar (wenn schon bei Weitem nicht so deutlich als in der Wirklichkeit), die Zahlen jedoch nie so deutlich, um ihren Wert zu erkennen. Leuchtend habe ich die Züge nie gesehen. Selbst noch 24 Stunden nach einer solchen Beobachtungsreihe wiederholte ich das Phänomen bei jedem Schluße der Augen, ohne daß ich es irgend durch Aufmerksamkeit hervorgelockt hätte. Es war nicht bloß momentan, aber auch nicht stetig dauernd, sondern wurde abwechselnd vom Dunkel verschlungen, um wieder aufzutauchen, ohne daß ich dies irgendwie in meiner Gewalt hatte.

    Ein ganz ähnliches Phänomen erfuhr ich im Zusammenhange mit dem vorigen am Gehöre. Wenn ich nach einer solchen Beobachtungsreihe Abends im Bette lag, und selbst noch am anderen Morgen, wenn Alles ganz still war, hörte ich auf das allerdeutlichste (fortgehends) den Schlag des Sekundenzählers mit seinem eigentümlichen Takte, etwa so, als wenn eine Pendeluhr im Nebenzimmer ginge, so daß ich mich besonders überzeugen mußte, daß keine derartige äußere Ursache wirklich vorhanden sei.

    In derselben Zeit stellte ich oft anhaltend Beobachtungen am Multiplikator an, wobei es galt, die über einer Kreiseinteilung spielende Nadel mit Aufmerksamkeit zu verfolgen; auch dieses Bild mit der Bewegung der Nadel habe ich unter ähnlichen Umständen als vorhin sich oft reproduzieren sehen.

    Auch noch nach Wiederherstellung von meiner Lichtscheu haben sich ähnliche Phänomene oft bei mir wiederholt, und kehren noch heutzutage, wenn schon seltener als früher, gelegentlich nach anhaltenden Beschäftigungen, wo es gilt, oft mit den Augen zu denselben Gegenständen zurückzukehren, wieder 13). Besonderes Interesse aber scheint mir folgende Beobachtung zu haben, sofern sie zeigt, daß für das Sinnesgedächtnis eben so wie für das gewöhnliche Erinnerungsvermögen die Bedingungen ganz verschiedener Bilder ohne wesentliche Störung koexistieren können.

13) Noch einige Beispiele in dieser Hinsicht s. in meinem Zentralbl. f. Naturwiss. 1853. S. 777. 780.
 
 
    Den 21. Febr. 1847 sah ich nach Tische längere Zeit dem Spiele mit einer Anzahl großer sogen. Firle (Borle, Tirltanze, d. i. Scheiben mit einem Stifte durch die Mitte, welche nach Art eines Kreisels in rasche Drehung auf der Spitze des Stiftes versetzt werden) zu, welches zur Unterhaltung von Anderen getrieben wurde, und nahm selbst gelegentlich Teil. Den größeren Teil des übrigen Nachmittags und selbst Abends bis nach 11 Uhr beschäftigte ich mich damit, aus mehreren in Zahlen ausgedrückten Beobachtungsreihen die Mittel zu ziehen. Als ich mich endlich zu Bette legte, tauchten alsbald sowohl bei geschlossenen als auch offenen Augen in der dunkeln Kammer ganze Zahlenreihen, von der Form derer, mit denen ich zu tun gehabt hatte, schwarz im dämmerigen Grunde des Gesichtsfeldes auf, so daß ich sie recht wohl lesen konnte, wenn gleich sie nie große Schärfe und Deutlichkeit hatten. Das Phänomen war ebenfalls nicht fix, sondern wurde immer bald vom Dunkel verschlungen, um dann einer anderen Zahlenreihe Platz zu machen. Die Aufmerksamkeit hatte auch hier gar keinen Einfluß; und obwohl mir die Rechnungen noch im Kopfe herumgingen, hatten doch die auftauchenden Zahlenreihen keinen Bezug dazu, hatten durchaus den Charakter von etwas Gesehenem, nicht Gedachtem. Das Merkwürdige aber war dies, daß mitunter auch statt der Zahlenphantasmen das Phantasma eines sich drehenden Firls eintrat, ungeachtet ich, lebhaft mit den Rechnungen beschäftigt, gar nicht mehr an jenen gleichgültigen Zeitvertreib während des Nachmittags oder Abends gedacht hatte oder jetzt dachte, außer sofern mich jetzt die Erscheinung unwillkürlich daran erinnerte. Bald war es dieser, bald jener Firl (sie hatten verschiedene Größe und Form), der im Gesichtsfelde auftauchte, sich drehte und umfiel; wie es in der Wirklichkeit gewesen. Die Erscheinung war unzweideutig, obwohl schwächer als das Zahlenphantasma. Diese Abwechselung der Phantasmen, von denen jedoch die Zahlenphantasmen viel öfter erschienen, dauerte über eine Stunde, bis ich einschlief.

    Mit Rücksicht auf die Henle’schen Erfahrungen habe ich sehr oft versucht, durch rasches Schütteln des Kopfes oder rasches Zukneipen der Augenlider oder sonst starke absichtliche Erschütterung des Kopfes oder Körpers, diese unwillkürlich im Gesichtsfelde auftauchenden und wieder schwindenden Erscheinungen willkürlich hervorzurufen in Zeiten, wo sie nach anhaltender Beschäftigung mit feinen Gegenständen wiederholt von selbst eintraten; es ist mir aber nie gelungen. Eben so wenig leisteten absichtliche leise Erschütterungen. Dennoch möch-te ich einen Einfluß der Erschütterung nicht ganz leugnen, ohne ihn aber bestimmt fixieren zu können. Es hat mir doch geschienen, daß die betreffenden Phänomene vorzugsweise leicht bei gelegentlichem Zuschlagen der Augenlider, öfters bei einem leisen unwillkürlichen Zwinkern derselben eintraten, ohne daß ich aber durch willkürliches Nachtun dasselbe wieder erreichen konnte. Auch erinnert man sich hierbei (s. o.) bei den Erinnerungsnachbildern erwähnten Erfahrungen.

    Es wäre erwünscht, wenn die Erscheinungen des Sinnengedächtnisses namentlich bezüglich der Reproduktion von Bewegungen von der zufälligen Beobachtung zum Versuche erhoben würden. Nach dem, was man gelegentlich beobachtet hat, kann es nicht unwahrscheinlich scheinen, daß man bei angemessener Versuchsweise auch das unmittelbar nach der Beobachtung erhaltene Nachbild bewegter Gegenstände gesetzlich bewegt sehen würde; ja für eine gewisse Form von Bewegungen ist die Frage schon entschieden. Wo freilich die Bewegung so schnell geschieht, daß die Nachdauer des Eindruckes den beschriebenen Weg als einen mit dem Gesichtseindrucke kontinuierlich erfüllten erscheinen läßt, wie bei dem elektrischen Funken, der rasch geschwungenen glühenden Kohle, nimmt natürlich auch das Nachbild diese Gestalt an; wenn anderseits das Auge einem sich langsam bewegenden Gegenstande so mit eigener Bewegung folgt, daß es denselben beständig fixiert hält, wie es uns natürlich ist, stimmt eben so natürlich die Erscheinung des Nachbildes mit der eines ruhenden Körpers überein. Aber es gibt noch einen dritten Fall, der zu untersuchen ist, daß man nämlich das objektive Bild langsam über die Netzhaut wandern läßt. Nur wird man, weil jede Stelle der Netzhaut dann nur einen kurzen Eindruck empfängt, die Bewegung oft wiederholt, oder mit sehr starkem Lichteindrucke vorzunehmen oder Beides zu vereinigen haben. Hierbei sind als die einfachsten Fälle folgende zwei zu unterscheiden: l) daß die objektive Bewegung immer in derselben Richtung geht, 2) daß sie pendulierend hin- und hergeht. Für den ersten Fall lehren die folgenden Tatsachen, daß die objektive Bewegung sich subjektiv in der entgegengesetzten Richtung reproduziert; für den zweiten Fall lassen die angeführten Tatsachen des Sinnengedächtnisses vermuten, daß sich die pendulierende Bewegung subjektiv wiederholen würde.

    Beispiele des ersten Falles, die sich leicht im gewöhnlichen Leben darbieten, sind, daß die Gegenstände am Wege, welche während des Fahrens sich neben dem Wagen zu bewegen scheinen, im Augenblicke des Anhaltens eine entgegengesetzte Bewegung anzunehmen scheinen, und daß, wenn man von einer anhaltend betrachteten Stromschnelle den Blick auf den Sand und die Steinchen am Wege wendet, sich diese im entgegengesetzten Sinne der Wasserbewegung zu bewegen scheinen. Speziellere Beobachtungen über dieses Phänomen sind einerseits von Plateau 14), anderseits von Oppel 15) angestellt, und das Merkwürdige, daß die Richtung der Bewegung in der subjektiven Nacherscheinung der objektiv angeschauten entgegengesetzt ist, mit der Entstehung komplementärer Nachbilder verglichen worden. Oppel, der die Erscheinung besonders sorgfältig untersucht und selbst einen Apparat zur sicheren Hervorbringung angegeben hat, stellt folgende 6 Bedingungen als zum sicheren Gelingen des Versuches unerläßlich heraus.

            14) Pogg. LXXX, 287.

  15) Pogg. XCIX, 540.
 
 
    "1) Die betrachtete Bewegung muß gleichmäßig und in gleicher Richtung andauern.

    2) Sie muß im Ganzen eine ziemlich schnelle, darf jedoch nicht so rasch sein, daß sie dem Auge das Unterscheiden der einzelnen bewegten Punkte unmöglich macht; — was natürlich nicht von der absoluten, sondern nur von der Winkelgeschwindigkeit in Bezug auf die Stellung des Auges, also auch namentlich von der Entfernung der letzteren von dem bewegten Gegenstande abhängt.

    3) Sie muß eine gute Weile, — d. h. durchschnittlich wohl eine Minute lang, im Allgemeinen bis beinahe zur Ermüdung des Auges (welche Dauer freilich für verschiedene Augen ziemlich verschieden sein wird) betrachtet werden.

    4) Das Auge muß dabei, so wie beim darauf folgenden Fixieren eines ruhenden Bildes, selbst in (relativer) Ruhe, und darf namentlich nicht durch zufällige Bewegungen des Körpers oder Kopfes unregelmäßig erschüttert sein.

    5) Der zu fixierende ruhige Gegenstand muß eine durch Abwechselung der Farben oder der Schattierung seiner Teile mannigfach modifizierte Oberfläche darbieten.

    6) Sowohl beim Betrachten des bewegten wie des ruhenden Bildes muß das Auge unverrückt einen bestimmten Punkt fixieren, und darf sich also namentlich nicht verleiten lassen, im ersteren Falle der Bewegung mehr oder minder zu folgen, oder den Umrissen des bewegten Bildes entlang hin und her zu schweifen."

    Über den zweiten, nach s. o. in Betracht zu ziehenden, Fall fehlt es noch ganz an Versuchen. Ganz beiläufig schob ich einen Fleck weißen Papiers auf schwarzem Grunde vor dem fixierten Auge wiederholt hin und her; aber ungeachtet ich sehr leicht Nachbilder und Erscheinungen des Sinnengedächtnisses habe, erhielt ich doch kein Resultat; es erschien nichts. Eben so wenig konnte ich mittelst stroboskopischer Scheiben ein Resultat erhalten. Die Versuche aber längere Zeit mit starken pendulierenden Lichteindrücken und unter erforderlichen Abänderungen anzustellen, wo sich wahrscheinlich ein Resultat erhalten lassen würde, verbietet mir der Zustand meiner Augen, da diese Versuche nicht anders als sehr anstrengend werden können.

d) Unwillkürliche Halluzinationen und Illusionen 16).

    Unter Halluzinationen versteht man überhaupt Täuschungen, die ganz oder beinahe den Charakter von Außen erweckter Sinneswahrnehmungen für den Getäuschten annehmen, ohne daß in der äußeren Wirklichkeit etwas zu ihrer Anregung vorhanden ist. Eine scharfe Abgrenzung derselben von den zu höchster Lebhaftigkeit gesteigerten Erinnerungs- und Phantasiebildern einerseits, den Erscheinungen des Sinnengedächtnisses anderseits wird sich nicht ziehen lassen; doch sind viele Halluzinationen keine Sache willkürlicher Erzeugung wie die Phantasiebilder und willkürlich zurückgerufenen Erinnerungsbilder, und viele reproduzieren nicht sklavisch früher gehabte Sinneserscheinungen, wie die Erscheinungen des Sinnengedächtnisses. Von diesen noch nicht behandelten Formen wird daher vorzugsweise im Folgenden die Rede sein 17). Unter Illusionen werden von Manchen Sinnestäuschungen jeder Art verstanden, indes Andere, so wie es hier geschehen mag, Illusionen und Halluzinationen insofern unterscheiden, als sie unter Illusionen Täuschungen verstehen, wozu allerdings ursächliche Objekte vorhanden sind, welche aber falsch aufgefaßt werden, indes es bei den Halluzinationen an äußeren ursächlichen Objekten der Erscheinung überhaupt fehlt. So ist es ein Beispiel einer Illusion, wenn man einen Gegenstand, der wirklich da ist, mit falscher Farbe oder verzerrten Zügen sieht, dagegen einer Halluzination, wenn man einen Gegenstand sieht, der gar nicht da ist.

16) Die Literatur über Halluzinationen und Illusionen ist sehr groß, und hier nicht zu erschöpfen. Ich begnüge mich, die mir bekannt gewordenen neuen Schriften, welche vorzugsweise darauf Bezug nehmen, anzuführen, von denen ich jedoch 4, 6 und 7 nur nach den Titeln kenne. Übrigens handeln nicht nur alle Werke über Geisteskrankheiten u. a. auch von den Halluzinationen, sondern außerdem unzählige Abhandlungen und Berichte einzelner Fälle:
    1) Hibbert, Andeutungen zur Theorie der Geistererscheinungen, a. d. Engl. Weimar 1825. – 2) J. Müller, über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz 1826. – 3) Hagen, über Sinnestäuschungen. 1837. – 4) Griesinger, die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten. Stuttg. 1845. – 5) Moreau, du Hachisch et de l'aliénation mentale. Paris 1845. – 6) Michéa, du délire des sensations. Paris 1846. – 7) Szafkowski, Recherches sur les Hallucinations. Montpellier 1849. – 8) Brierre de Boismont, des Hallucinations. Paris 1852. – 9) Leubuscher, über die Entstehung der Sinnestäuschungen. Berlin 1842.

17) Es wäre erwünscht, die, abgesehen von der Entstehungsweise einander so sehr gleichenden, willkürlich, erzeugten Phantasmen, von denen im Abschnitte a) im Anschlusse an die Erinnerungsbilder die Rede war, und die unwillkürlich entstehenden Phantasmen, von welchen folgends die Rede sein wird, durch bezeichnende Namen unterscheiden zu können, doch haben mir keine recht passenden beifallen wollen.
 
 

    Einfache Fälle der Halluzinationen sind Funken vor den Augen, Ohrenklingen, wie sie so häufig bei Kongestivzuständen nach den betreffenden Sinnesorganen vorkommen; aber auch gestaltete Phänomene, wie menschliche Figuren, Reden können durch Halluzinationen in die Erscheinung treten. Hierher gehören die Phantasien vieler Fieberkranken und Wahnsinnigen, die Erscheinungen des Alpdrückens, die Halluzinationen nach dem Genusse narkotischer Substanzen, die Phantasmen, die viele Personen vor dem Einschlafen haben. Aber auch bei geistig gesunden Personen, im vollen Wachen, bei offenen Augen können unter Umständen sehr entwickelte Halluzinationen vorkommen, ja die Anzahl merkwürdiger Fälle der Art, welche berichtet worden sind, ist sehr groß. Zu den zugleich glaubwürdigsten, interessantesten, instruktivsten und ausführlichst beschriebenen Fällen dieser Art, mit dessen Physiognomie die sehr vielen anderen Fälle übereinstimmen, gehört der Fall des ehemals berühmten Buchhändlers und Schriftstellers Nicolai, von ihm selbst in der Berliner Monatsschr. 1799. Mai und im ersten Bande seiner philos. Abhandl. S. 58 ff. beschrieben, auch in Hibbert’s Schrift reproduziert, dessen spezielle Wiedergabe jedoch die hier zu steckenden Grenzen zu sehr überschreiten würde.

    Auch scheint mir, daß zum Anschlusse an die unter a) beschriebenen Phänomene vor solchen auffälligen Halluzinationsformen, wie sie der Nicolai’sche Fall darbietet und welche unstreitig immer mit körperlichen Krankheitszuständen zusammenhängen, die bei gutem Gesundheitszustände von so Vielen zu beobachtenden Halluzinationen vor dem Einschlafen 18) eine vorzugsweise Beachtung verdienen, in Bezug auf welche ich nichts Besseres glaube tun zu können, als die so schöne auf Selbstbeobachtung gegründete Beschreibung von J. Müller aus seiner Schrift über Gesichtsphantasmen nach ihrem Wesentlichsten zu reproduzieren.

18) Sie sind näher u. a. von Nasse in s. Zeitschr. f. Anthropol. 1825. 3. S. 166 ff., und wesentlich übereinstimmend damit von J. Müller in s. Schrift "Über die phantastischen Gesichtserscheinungen" 1826. S. 20 ff. beschrieben; so viel ich mich erinnere auch in einigen Abhandlangen von Maury und von Baillarger in den Ann. méd. psychol., deren Stelle ich nicht mehr angeben kann, und unstreitig noch mehrfach sonst.
 
 
    §. 34. "Es ist selten, daß ich nicht vor dem Einschlafen bei geschlossenen Augen in der Dunkelheit des Sehfeldes mannichfache leuchtende Bilder sehe. Von früher Jugend auf erinnere ich mich dieser Erscheinungen; ich wußte sie immer wohl von den eigentlichen Traumbildern zu unterscheiden; denn ich konnte oft lange Zeit noch vor dem Einschlafen über sie reflektieren. Vielfache Selbstbeobachtung hat mich denn auch in den Stand gesetzt, ihre Erscheinung zu befördern, sie festzuhalten .... Wenn ich diese leuchtenden Bilder beobachten will, sehe ich bei geschlossenen, vollkommen ausruhenden Augen in die Dunkelheit des Sehfeldes; mit einem Gefühle der Abspannung und größter Ruhe in den Augenmuskeln versenke ich mich ganz in die sinnliche Ruhe des Auges oder in die Dunkelheit des Sehfeldes. Allen Gedanken, allem Urteile wehre ich ab, ich will bei einer vollkommenen Ruhe des Auges wie des ganzen Organismus in Hinsicht der äußeren Eindrücke nur beobachten, was in der Dunkelheit des Auges als Reflex von inneren organischen Zuständen in anderen Teilen erscheinen wird.

    §. 35. "Wenn nun im Anfange immer noch das dunkle Sehfeld von einzelnen Lichtflecken, Nebeln, wandelnden und wechselnden Farben reich ist, so erscheinen statt dieser bald begrenzte Bilder von mannigfachen Gegenständen, anfangs in einem matten Schimmer, bald deutlicher. Daß sie wirklich leuchtend und manchmal auch farbig sind, daran ist kein Zweifel. Sie bewegen sich, verwandeln sich, entstehen manchmal ganz zu den Seiten des Sehfeldes mit einer Lebendigkeit und Deutlichkeit des Bildes, wie wir sonst nie so deutlich etwas zur Seite des Sehfeldes sehen. Mit der leisesten Bewegung der Augen sind sie gewöhnlich verschwunden, auch die Reflexion verscheucht sie auf der Stelle. Es sind selten bekannte Gestalten, gewöhnlich sonderbare Figuren, Menschen, Tiere, die ich nie gesehen, erleuchtete Räume, in denen ich noch nicht gewesen. Es ist nicht der geringste Zusammenhang dieser Erscheinungen mit dem, was ich am Tage erlebt, zu erkennen. Ich verfolge diese Erscheinungen oft halbe Stunden lang, bis sie endlich in die Traumbilder des Schlafes übergehen.

    §. 36. "Nicht in der Nacht allein, zu jeder Zeit des Tages bin ich dieser Erscheinungen fähig. Gar manche Stunde der Ruhe, vom Schlafe weit entfernt, hab’ ich mit geschlossenen Augen zu ihrer Beobachtung zugebracht. Ich brauche mich oft nur hinzusetzen, die Augen zu schließen, von Allem zu abstrahieren, so erscheinen unwillkürlich diese seit früher Jugend mir freundlich gewohnten Bilder. Ist nur der Ort recht dunkel, bin ich nur geistig ganz ruhig, ohne leidenschaftliche Stimmung, hab’ ich nur eben nicht gegessen oder geistiges Getränk genommen, so darf ich, wenn gleich an Schlaf gar nicht zu denken ist, der Erscheinung gewiß sein.

    §. 37. "Häufig erscheint das lichte Bild im dunkeln Sehfelde, häufig auch erhellt sich vor dem Erscheinen der einzelnen Bilder nach und nach die Dunkelheit des Sehfeldes zu einer Art von innerem matten Dämmerlichte. Gleich darauf erscheinen dann auch die Bilder. . . .

    §. 39. "Ich kann es auf das Bestimmteste unterscheiden, in welchem Momente das Phantasma leuchtend wird. Ich sitze lange da mit geschlossenen Augen: Alles, was ich mir einbilden will, ist bloße Vorstellung, vorgestellte Begrenzung im dunkeln Sehfelde, es leuchtet nicht, es bewegt sich nicht organisch im Sehfelde, auf einmal tritt der Moment der Sympathie zwischen dem Phantastischen und dem Lichtnerven ein, urplötzlich stehen Gestalten leuchtend da, ohne alle Anregung durch die Vorstellung. Die Erscheinung ist urplötzlich, sie ist nie zuerst eingebildet, vorgestellt und dann leuchtend. Ich sehe nicht, was ich sehen möchte; ich kann mir nur gefallen lassen, was ich ohne alle Anregung leuchtend sehen muß.

    §. 40.... "Ich kann stundenlang mir einbilden und vorstellen, wenn die Disposition zur leuchtenden Erscheinung nicht da ist, nie wird dieses zuerst Vorgestellte den Schein der Lebendigkeit erhalten. Und urplötzlich erscheint ein Lichtes, nicht zuerst Vorgestelltes gegen meinen Willen, ohne alle erkennbare Assoziation ....

    §. 41. "Am leichtesten treten diese Phänomene ein, wenn ich ganz wohl bin, wenn keine besondere Erregung in irgend einem Teile des Organismus geistig oder physisch obwaltet, und besonders wenn ich gefastet habe. Durch Fasten kann ich diese Phänomene zu einer wunderbaren Lebendigkeit bringen. Nie habe ich sie bemerkt, wenn ich Wein vorher getrunken hatte ....

§. 66. "Nie habe ich bei geschlossenen Augen bewirken können, daß sich die phantastischen Bilder mit den Augen wie die Blendungsbilder bewegten.

    §. 147. "So leicht bei mir die Phantasiebilder unwillkürlich eintreten, so habe ich doch bei der größten Anstrengung fast nie willkürlich ein bestimmtes Phantasma von bestimmter Beleuchtung und Färbung erzeugen können. Ich habe halbe Tage in dieser Willensübung im Dunkeln zugebracht. Die Phantasiebilder waren immer ein dem Willen trotzendes Phantastisches, was ich nicht hervorzurufen, nicht festzuhalten vermochte. So leicht ich subjektive Farben sehe, nie vermochte ich mit Willen ein Rot ein Blau ins Sehfeld zu bannen und zu fixieren«....

    §. 87. "Die Traumbilder sind nichts Anderes als die leuchtenden Phantasmen, welche bei geschlossenen Augen in der Sehsinnsubstanz erscheinen. In der Regel bestehen sie mit Anerkennung ihrer Objektivität, oft auch mit dem Bewußtsein, daß nur Traumbilder gesehen werden. Im letzteren Falle sind die Traumbilder gar nicht von den Phantasiebildern vor dem Einschlafen verschieden. In den Selbstbeobachtungen vor dem Einschlafen habe ich mich häufig über dem Anfange des wirklichen Traumes überrascht. Der wirkliche Traum, mit Einschläfern der Reflexion und Anerkennung der Objektivität der Phantasiebilder, tritt am leichtesten und unmittelbarsten dann ein, wenn an die Stelle der Dunkelheit nach und nach die innere subjektive Erhellung des Sehfeldes getreten ist." (Es folgt im Originale noch eine etwas ausgeführtere Schilderung hierüber.)

    Was die Halluzinationen anlangt, die mit Krankheitszuständen in Beziehung stehen, so tragen diese im Allgemeinen den Charakter von Aufregungen des Nervensystemes und Gefäßsystemes, und vielleicht liegen ihnen immer Kongestivzustände im Gehirne zu Grunde. Dies spricht sich teils in ihren ursächlichen Momenten, teils begleitenden Symptomen, teils Heilmitteln aus. Ich erinnere, abgesehen von Nicolai’s Fall, der hierzu sowohl in Betreff der ursächlichen Entstehung als Heilung einen Beleg liefert, an ihr habituelles Vorkommen in Fiebern, bei manchen Arten Wahnsinn, wie dem Säuferwahnsinne (bei dem man häufig eine Übererfüllung des Gehirnes mit venösem Blute nach dem Tode findet), nach dem Genusse von Narkotizis, durch welche der Puls außerordentlich gesteigert werden kann u. s. w. Leuret und Metivié 19) fanden nach zahlreichen Beobachtungen in der Salpetrière, daß unter allen daselbst vorkommenden Wahnsinnigen die mit Halluzinationen behafteten durchschnittlich den häufigsten Puls hatten; er war selbst häufiger als bei den mit Manie behafteten. Doch finde ich auch einen Fall berichtet, wo nach den stärksten Blutverlusten die Halluzinationen fortdauerten 20).

        19) Fror. Not. XXXVII, 137.

        20) Brierre de Boismont p. 613.

    Nach Baillarger und Moreau begünstigt horizontale Lage die Halluzinationen, unstreitig, weil das Blut dabei mehr nach dem Kopfe strömt; und auch Pinel berichtet von einem melancholischen Frauenzimmer, wo die Halluzinationen des Gehöres sogleich aufhörten, wenn es saß.

    Die Bilder, welche bei der Halluzination im Wahnsinne und in extatischen Zuständen erscheinen, sind ihrer Beschaffenheit nach meist in deutlicher Abhängigkeit von früheren äußeren Lebensverhältnissen und Beschäftigungen, aber auch dem früheren Vorstellungsleben der Personen, was natürlicherweise beides selbst so zusammenhängt, daß eine reine Trennung bei Beurteilung der ursächlichen Momente der Halluzinationen nicht wohl möglich ist. (Belege s. u. a. in Hagen S. 16 ff.)

    Von anderer Seite bestehen die Halluzinationen, wie schon oben bemerkt, oft in gestaltlosen Lichtphänomenen; und auch die gestalteten Phänomene fangen oft damit an oder sind davon begleitet, ein Beweis, daß, abgesehen von allem Einflusse des Vorstellungsvermögens, in der Sinnessphäre eine Disposition dazu vorhanden sein muß. (Vgl. Hagen S. 253.)

Häufig verknüpfen sich die Halluzinationen mehrerer Sinne und dann nicht selten so, wie es Gesetzen der Assoziation entspricht.

    "L'observation paraît avoir tabli que les hallucinations sont rarement bornées à un seul sens, tout en reconnaissant la vérité de ce fait, sur lequel M. Foville insiste beaucoup, on peut affirmer, qu'en général les hallucinations de tel ou tel sens dominent sur celles des autres sens. C'est surtout dans les maladies aiguës, qu'on observe en même temps plusieurs hallucinations réunies .... Quand il existe des hallucinations de plusieurs sens, ces hallucinations ont ordinairement entre elles des rapports étroits. Ainsi on a pu remarquer dans l'observation de l'halluciné qui léchait les murailles, parcequ'elles lui paraissaient couvertes d'oranges délicieuses (voyez page 139), qu'il sentait en même temps l'odeur et la saveur de ces fruits..... M. Baillarger a apporté l'observation d'une femme qui reçut un pot de fleurs sur la tête et entendit immédiatement le bruit que faisait ce pot en se brisant en éclats sur le pavé. Pins tard; elle sentait vingt fois par jour le même coup et entendait le môme bruit." (Brierre de Boismont p. 557.)

    Häufig auch fehlt es den Halluzinationen an allem vernünftigen Zusammenhange, und Nicolai sagt z. B.: "Wenn gleich mein Nervensystem so sehr angespannt, so sehr schwach, kurz so verstimmt war, daß dergleichen Gestalten erscheinen konnten, so folgten doch bei mir diese Blendwerke keinem bekannten Gesetze der Vernunft, der Einbildungskraft und der sonst gewöhnlichen Assoziation der Ideen."

    Die Täuschung durch Halluzinationen, als ob äußere Gegenstände der Wahrnehmung vorhanden wären, kann nach Umständen mehr oder weniger vollständig sein, und ist jedenfalls in vielen Fällen vollkommen. In der Tat scheinen hier alle mögliche Gradationen stattzufinden. Manche Halluzinierende sind sich ihres Zustandes und der Täuschung vollkommen bewußt; erkennen die Phantasmen wirklich als Phantasmen, sei es, daß sie in irgend einer Hinsicht nicht den vollen Charakter der Wirklichkeit haben, sei es, daß sie mit dem Zusammenhange der wirklichen Verhältnisse, der sich von anderer Seite her geltend macht, unvereinbar gefunden werden, sobald nur sonst die volle Bedingung da ist.

    "Ich konnte, versichert Nicolai, so wie ich überhaupt in der größten Ruhe und Besonnenheit war, jederzeit Phantasmen von Phänomenen genau unterscheiden, wobei ich mich nicht ein einziges mal geirrt habe. Ich wußte genau, wenn es mir bloß erschien, daß die Türe sich öffne und wenn die Türe wirklich geöffnet ward und Jemand wirklich zu mir trat." Auch sah er die Farben etwas blässer, als in Wirklichkeit. Ähnlich in einem von Bonnet 21) berichteten Falle.

        21) Bonnet, essay analytique sur l'âme. Chap. 23 p. 426; Hagen’s Sinnestäusch. S. 47.

    In anderen Fällen hingegen verhält es sich anders. "Ich sah, sagte ein geheilter Kranker dieser Art zu Esquirol, ich hörte so genau, wie ich Sie sehe und höre." — "Wenn meine Wahrnehmungen irrig sind, sagte ein sinnesgetäuschter Priester zu Foville, so muß ich auch an Allem zweifeln, was Sie mir sagen, ich muß zweifeln, daß ich Sie sehe, daß ich Sie höre."

    Ein Patient sagte zu Leuret 22): "Vous dites, que je me trompe, parceque vous ne comprenez pas comment ces voix que j'entends arrivent jusqu'à moi, mais je ne comprends pas plus que vous comment cela se fait; ce que je sais bien, c'est qu'elles arrivent, puisque je les entends: elles sont pour moi aussi distinctes que votre voix, et si vous voulez que j'admette la réalité de vos paroles, laissez-moi admettre aussi la réalité des paroles; qui me viennent, je ne sais d'où, car la réalité des unes et des autres est également sensible pour moî."

22) Leuret, fragments de la folie. p. 203.
 
 
    Auch sieht man ja sehr oft Wahnsinnige und Fieberkranke Handlungen vornehmen, welche beweisen, daß sie die Sinnestäuschungen durchaus mit Wirklichkeit verwechseln.

    Bei manchen Personen findet sich angegeben, daß ihre Visionen verschwanden, wenn sie die Augen schlossen, dagegen bei anderen, daß es hinreichte, die Augenlider niederzulassen, um Halluzinationen eintreten zu lassen. Bei noch Anderen machte es keinen Unterschied, ob sie die Augen öffneten oder schlossen. Nicolai sagt: "Übrigens erschienen mir die Gestalten zu jeder Zeit und unter den verschiedensten Umständen gleich deutlich und bestimmt; wenn ich allein und in Gesellschaft war, bei Tag und in dunkler Nacht, in meinem Hause und in fremden Häusern. Wenn ich die Augen zumachte, so waren bisweilen die Gestalten weg, zuweilen waren sie auch bei geschlossenen Augen da. Blieben sie aber alsdann weg, so erschienen nach Öffnung der Augen wieder ungefähr die vorher gesehenen Figuren." Dr. Crichton bat bemerkt 23), "daß Patienten, wenn sie bei Fiebern zuerst zu phantasieren anfangen, dies nur tun, wenn das Zimmer verfinstert ist, oder wenn sie ihre Augen schließen: öffnen sie sie aber, oder ist das Zimmer hinlänglich erhellt; so hört das Phantasieren auf, und sie sagen oft selbst, wenn sie sich der Dinge erinnern, die sie sahen, daß sie überzeugt wären, sie hätten phantasiert." Verschiedene Fälle, wo durch Schluß der Augen die Halluzinationen verschwanden, s. in Rüte’s Ophthalmol. I, S.193 u. Griesinger’s Schrift S. 72.

23) Hibbert S. 285.
 
 
    In Konflikt mit äußeren Sinneswahrnehmungen verhalten sich die Halluzinationen so, daß sie nach Umständen von diesen verdrängt werden können, oder umgekehrt dieselben zu verdrängen oder sich mit denselben zusammenzusetzen vermögen.

    Nach Baillarger 24) können manche Halluzinierende ihre Halluzinationen unterbrechen, wenn sie ihre Aufmerksamkeit auf äußere Eindrücke wenden; indes andere dies nicht vermögen. Daher öfters Halluzinierende während der Anwesenheit des Arztes ihre Halluzinationen verlieren, welche gleich nach Entfernung des Arztes wiederkehren.

24) Schmidt’s Jahrb. 1849. S. 77.
 
 
    Oft zeigt sich, daß, wenn Phantasmen einen gleichgültigen Hintergrund verdecken, sie dagegen verschwinden, wenn ein Gegenstand, der die Aufmerksamkeit frappiert, sich an ihren scheinbaren Ort stellt oder auch ein Hindernis des Sehens sich zwischen den Visionen und den scheinbaren Ort der Vision einschiebt.

    J. Müller (phant. G. S. 35) bemerkt im Allgemeinen: "Diejenigen, welche phantastische Bilder im wachenden Zustande mit geöffneten Augen gesehen, bezeugen, daß man von ihnen die Augen nicht abwenden könne, d. h., daß sie, wenn sie etwa in der Mitte des Sehfeldes sind, mit allen Gegenständen zusammenfallen, welche bei abwendender Bewegung der Augen in die Sehachse fallen. Beobachtungen dieser Art hat Gruithuisen (Beitr. z. Physiognosie S. 238. 259) aus eigener und fremder Erfahrung gesammelt."

    In einem Falle, den Scott in s. Demonology berichtet, hatte ein übrigens ganz vernünftiger Mann, nach manchen anderen vorausgegangenen Halluzinationen, die Erscheinung eines Skelets, welche er durchaus nicht zu bannen vermochte, ungeachtet er sich immer von Neuem vorhielt, es sei nur ein Schemen. "Ist denn dieses Skelet, fragte der Arzt, Ihnen immer vor Augen?" Der Kranke bejahte es. "Also auch jetzt?" Allerdings erwiederte der Patient. "Und wo sehen Sie es?" Unmittelbar am Fuße meines Bettes, und wenn die Vorhänge ein wenig offen gelassen werden, so füllt das Skelet, wie es mir vorkommt, diesen leeren Raum aus .... Der Arzt stellte sich zwischen die zwei halb aufgezogenen Vorhänge am Fuße des Bettes, die ihm als der Ort bezeichnet waren, welchen die Erscheinung einnahm. Er fragte nun, ob das Gespenst noch sichtbar sei? Nicht ganz, erwiderte der Patient, weil Ihre Person zwischen ihm und mir steht; aber ich sehe den Schädel des Gespenstes über Ihrer Schulter."

    In einem von Dr. Brach mitgeteilten Falle hatte ein 12 jähriges Mädchen durch Schreck vor einem seltsam ausstaffierten Menschen mit roter Mütze, der an einem Knochen nagte, sich ein krampfhaftes Übel und eine öfter wiederkehrende Vision zugezogen, in der ihr jener Mensch als Phantasma wiedererschien. Als sie das erstemal auf das Phantom zuging oder nach ihm greifen wollte, wich es einige Schritte von ihr weg. Dr. Brach stellte etwa 14 Tage nach dem ersten Anfalle folgende Versuche an: Er ließ Patientin einige Male auf die Erscheinung zugehen bis gegen eine Wand und fragte nun, ob sie den Menschen auch noch durch die Wand hindurch erblicke? Dies war der Fall nicht; denn ließ man sie bis auf einen Schritt vor die Wand treten, so schwand die Erscheinung. Ließ man sie hingegen bis dicht vor ein Fenster treten, so floh die Erscheinung zum Fenster hinaus und sah sie durch das Fenster an. Ließ man sie in einen Spiegel sehen, so sah sie die Erscheinung nicht, sondern ihr eigenes Bild. Trat Jemand zwischen sie und die Stelle hin, wo, ihrer Angabe nach, der Mann sich befand, so sah sie ihn teilweise, insofern er nicht von der dazwischengetretenen Person bedeckt wurde. Stellte sich Jemand gerade auf die Stelle hin, wo das Scheinbild stand, so schwand dieses das eine Mal ganz, doch stellte es sich ein anderes Mal auch seitwärts. Unter Anwendung geeigneter Nerventropfen nahmen allmälig die krampfhaften Zufälle ab und das Phantom fing an zu bleichen und zu weichen. Zuerst wurde die rote Mütze gelb und allmälig blasser, dann wurden die Umrisse der ganzen Figur undeutlicher, hierauf schwand der Mann und nur Gesicht, Mütze und Hand, in der er den Knochen hielt, blieben zurück, dann blieb auch Gesicht und Hand weg und Patientin sah nur noch den Knochen und die Mütze darüber, die auch fortwährend weißer und blässer wurde. Nach 5 Wochen aber war Trugbild und Veitstanz verschwunden. (Med. Zeit. v. Vereine f. Heilk. in Pr. 1837. No. 5.)

    Als ein Konflikt mit objektiven Anschauungen ist es unstreitig auch zu betrachten, wenn die Phantasmen mehrfach durchsichtig oder durchscheinend erscheinen, wo sie sich dann ähnlich zu verhalten scheinen, wie wenn man ein Doppelbild, z. B. einer Oblate, auf einem Bogen mit Druck oder Schrift erzeugt, die dann durch das Doppelbild durchscheint. Solcher Angaben finde ich mehrere.

    Dem Cardanus schienen die verschiedenen Gestalten aus kleinen Ringen wie die Glieder von Panzerhemden zu bestehen. "Alles war durchsichtig, wiewohl nicht so, als ob es gar nichts zu sein schiene" (Hagen S. 47). Einer, welcher den Leichnam eines Sezierten vor sich sah, sah durch die Gestalt desselben hindurch einen Kupferstich. (London med. gaz. März 1843.) Ein Anderer bemerkt, daß die Halluzinationen bei ihm um so lebendiger gewesen seien, je mehr sich die Seele in einem untätigen oder leidenden Zustande befand, so daß wirkliche Objekte im Zimmer nicht gesehen wurden. "Wurde aber die Aufmerksamkeit durch eine Art von Anstrengung erweckt und in Tätigkeit gesetzt, so fingen die Phantasmen an, gleichsam durchsichtig zu werden, und die Gegenstände der Empfindung (Objekte) nahmen sich so aus, als wenn sie hinter den Phantasmen befindlich gesehen würden. Es war nicht im Mindesten schwer, den einen oder den anderen Gegenstand nach Belieben sichtbar zu machen, denn die Phantasmen verschwanden beinahe, so lange die Aufmerksamkeit fest auf wirkliche Gegenstände gerichtet war." (Hibbert S. 286.)

    Als eine Art Zusammensetzung von Halluzinationen mit äußeren Sinneseindrücken können die Illusionen, in dem angegebenen Sinne verstanden, gelten, von denen sich unzählige Beispiele anführen ließen, was jedoch teils überflüssig, teils zu weit führend sein würde.

    Ungeachtet die durch Halluzinationen erzeugten Bilder im Allgemeinen alle Farben der wirklichen Welt tragen, so läßt sich doch der schon in Meyer’s Erfahrungen hervortretende Umstand, daß die innere Produktion von Farben schwerer als die von Formen ist 25), auch an manchen Erfahrungen bezüglich der Halluzinationen erkennen. Nicolai sah, da seine Phantasmen zu verschwinden anfingen, die Farbe derselben zuerst erblassen und die Gestalten schon ganz weiß geworden, als ihre Umrisse noch sehr bestimmt waren, und auch im Falle jenes Mädchens, welches den seltsam ausstaffierten Menschen wiederholt als Phantasma sah, wurde bei allmälig eintretender Genesung die rote Mütze zuerst gelb, allmälig blässer.

25) Die Angabe von Drobisch (s. o.) stimmt allerdings hiermit nicht ganz, betrifft aber weniger entschiedene Phänomene.
 
 
    Brewster hat als Probe, ein Phantasma von einem wirklichen Objekte zu unterscheiden, angegeben, daß man den einen Augapfel drücken solle, um zu sehen, ob ein Doppelbild entstehe, welches nur unter Voraussetzung eines wirklichen Objektes entstehen könne. Doch berichtet Paterson 26) von einem Falle, wo ein entschiedenes Phantasma bei Verschiebung des Augapfels mit dem Finger sich verdoppelt haben soll. Unmöglich wäre dies insofern nicht, als der Gedanke der Verdoppelung selbst unstreitig ein doppeltes Bild in der Phantasie gibt, was bei einem zur Halluzination Geneigten sich als solche gestalten kann; hiermit aber erscheint die ganze Probe unzuverlässig.

        26) London med. gaz. 1843. März.

    Von Wichtigkeit ist die Bemerkung, daß nicht wenige Fälle bekannt sind, wo lebhafte Halluzinationen stattfanden, indes die Kranken am schwarzen Star litten, ja wo bei der Sektion die Sehnerven sich beide vollkommen atrophisch zeigten. Eine Verzeichnung solcher Fälle gibt J. Müller, über phant. Ges. S. 31 ff. und Rüte in s. Ophthalmol. I, S. 194.

e) Allgemeine Betrachtungen.

    Aus der Gesamtheit der Tatsachen, welche über das Verhältnis der Erinnerungsbilder und Nachbilder und die zwischen beide sich einschiebenden Übergangsglieder mitgeteilt sind, empfängt man den Eindruck, daß die Vorgänge, welche den Erinnerungsbildern und Nachbildern unterliegen, an sich nicht wesentlich verschieden sind, daß es vielmehr derselbe psychophysische Vorgang ist, der, je nachdem er unmittelbar von Innen heraus oder von Außen herein angeregt ist, ein Erinnerungsbild oder ein Nachbild, ersteres als späteren Wiederklang, letzteres als unmittelbaren Nachklang eines objektiven Bildes gibt. Mit dieser verschiedenen Erzeugungsweise kann dann die Verschiedenheit in der Stärke, der Gegensatz im Gefühle der Spontanität und Rezeptivität und das verschiedene Lokalgefühl für beide Phänomene wie folgt in Zusammenhang gebracht werden.

    Durch welche innere Vermittelungen auch die Widerklänge der von Außen herein erzeugten Bilder in Erinnerungen zu Stande kommen, worüber wir so viel wie nichts wissen, erscheint es doch ganz natürlich, daß sie, insofern sie nur späte Nachwirkungen dieser Bilder sind, die Intensität derselben bei vergleichbar bleibendem Zustande des Organismus als obere Grenze behalten, und es scheint schwerer erklärlich, daß sie sich in, doch immer nur exzeptionell bleibenden, Fällen dieser oberen Grenze in soweit nähern, ja scheinbar dieselbe erreichen können, als daß sie soweit dahinter zurückbleiben, wie es die Regel ist. Wenn sie aber in manchen extatischen Zuständen die äußeren Bilder sogar an Lebhaftigkeit zu übertreffen scheinen, so ist dies nur insofern der Fall, als der aufgeregte Zustand, in dem sich der Organismus bei der inneren Wiedererzeugung befindet, mit dem, in dem er sich bei der Aufnahme befindet, unvergleichbar ist.

    Der Unterschied im Gefühle der Spontanität, was wir bei Erzeugung der Erinnerungsbilder haben, und der Rezeptivität, womit wir die Nachbilder auffassen, kann leicht bei denen, die geneigt sind, die Seelenphänomene in solche zu scheiden, welche wesentlich an physischen Vorgängen hängen, und solche, welche nicht wesentlich daran hängen, Anlaß sein, mindestens den Akt der Erzeugung der Erinnerungsbilder, wenn nicht sie selbst auf die erste Seite, und die objektiven Bilder und deren Nachklänge auf die zweite Seite zu legen. Doch scheint mir unklar und schon darum unhaltbar, sei es die Tätigkeit der Erzeugung oder die der Auffassung der Bilder von den Bildern selbst in der Art zu scheiden, daß jene abstrakt in der Seele vorgehen können, indes diese nicht abstrakt darin vorgehen können. Ohne auf den Streit mit Auffassungen, welche einem auf die Ansicht vom ausgedehnten Seelensitze gestützten Systeme widerstreiten, überhaupt zurückkommen zu wollen, haben wir uns unserseits zu erinnern, daß das Erinnerungsbild wie das Nachbild und objektive Bild weder psychisch noch physisch im Leeren schweben, sondern besondere Bestimmungen der allgemeinen Bewußtseinstätigkeit einerseits, des diesem unterliegenden allgemeinen psychophysischen Prozesses anderseits sind. Im Sinne des Schema und mit Rücksicht auf schon Gesagtes stelle ich dies so vor: wir haben bei den Erinnerungsbildern das Gefühl der Spontanität, weil bei der Erzeugung von Innen heraus die Totalwelle stärker durch die Erhebung der Unterwelle als Oberwelle gehoben wird; bei der Erzeugung von Außen her umgekehrt; aber die Gestaltung der Oberwelle ist beidesfalls dieselbe. Inzwischen liegt prinzipiell nichts vor, was Fälle ausschlösse, wo auch von Innen her die Totalwelle stärker durch Erhebung der Oberwelle als Unterwelle steigt; dann hat man die, doch nur als Ausnahme zu betrachtenden, unwillkürlichen Halluzinationen; und überhaupt sind hier viele Übergänge möglich, wie wir sie in den Erinnerungsnachbildern, Erscheinungen des Sinnengedächtnisses u. s. w. betrachtet haben.

    Die zwischen Erinnerungsbildern und Nachbildern in Frage kommenden Örtlichkeitsbeziehungen anlangend, so stellt sich allgemein aus den mitgeteilten Beobachtungen heraus, daß bei der Erweckung nicht geläufiger Erinnerungsbilder die Aufmerksamkeit bei offenen Augen von der Außenwelt und bei geschlossenen Augen vom schwarzen Sehfelde abgewendet und dem Gefühle nach dahinter zurückgezogen sein muß, und da, wo die Erinnerungsbilder schwach bleiben, können sie auch fortgehends nur in solcher Abstraktion vom äußeren Sinne wahrgenommen und festgehalten werden, in ähnlicher Weise, wie man auch von einem Sinnesgebiete abstrahieren muß, um sich der Wahrnehmungen in einem anderen bewußt werden zu können. Dies spricht dafür, daß das Feld der Erinnerungsbilder in statu nascenti und so lange sie schwach bleiben, und das Feld der Nachbilder, welches mit dem schwarzen Sehfelde zusammenfallt, in ähnlichem Sinne verschieden im Gehirne lokalisiert sind, als die verschiedenen Sinnesgebiete selbst.

    Anderseits findet man, wenn man ein Nachbild im geschlossenen Auge oder das schwarze Sehfeld selbst aufmerksam betrachtet, die Spannung der Aufmerksamkeit dem Gefühle nach ganz eben so gegen die Außenwelt gewendet, als wenn man mit offenen Augen äußere Gegenstände betrachtet. Dies spricht dafür, daß das Feld der Nachbilder und der äußeren Anschauungen als zusammenfallend angesehen werden müssen.

    Weiter findet man, daß man, um sich auf etwas Hörbares, Riechbares zu besinnen, dessen Erinnerung uns nicht geläufig ist, die Aufmerksamkeit ganz eben so vom äußeren Sinne zurückwenden muß, als um sich auf etwas Sichtbares zu besinnen, ohne daß sich das Gefühl einer verschiedenen Lokalisation je nach der Verschiedenheit des Empfundenen, auf das man sich besinnt, kund gibt; wonach anzunehmen, daß die gesamten Vorstellungsbilder in ihrem Ursprunge ein gemeinsames, von dem der Sinnesbilder verschiedenes Feld einnehmen, so daß die Aufmerksamkeit zwischen diesen beiden Feldern eben so wie zwischen verschiedenen Sinnesfeldern selbst wechseln kann.

    Diese Betrachtung wird nicht dadurch ungültig, daß das Spannungsgefühl der Aufmerksamkeit, auf dem wir hierbei fußen, wahrscheinlich ein reflektorisches Muskelgefühl ist (s. o.); denn eine Verschiedenheit durch Reflex erregter motorischer Fasern weist auf eine Verschiedenheit primär erregter sensibler Fasern zurück.

    Die räumliche Verschiedenheit des Gebietes der Erinnerungsbilder und Nachbilder ist jedoch als keine Geschiedenheit zu betrachten; vielmehr hängen beide Gebiete natürlicherweise organisch zusammen, sind gemeinsam in dem allgemeinen Nexus des Gehirnes inbegriffen, pflanzen Wirkungen in einander über und assoziieren Tätigkeiten mit einander.

    Der äußere Lichtreiz ruft mächtige Tätigkeiten im Felde der äußeren Anschauungen hervor; die Fortwirkungen derselben erstrecken sich in das Feld der Vorstellungsbilder hinein, und hinterlassen darin die uns unbekannten Bedingungen, an denen die Möglichkeit der willkürlichen und assoziationsweisen Erregung der schwächeren Erinnerungs- und Phantasiebilder gebunden ist. Umgekehrt müssen wir nach den Erscheinungen, welche die Erinnerungs- und Phantasiebilder bei größerer Lebhaftigkeit darbieten, glauben, daß die Hervorrufung von Vorstellungsbildern im einen Felde Fortwirkungen in das andere Feld, das der Sinnesbilder hineinerstreckt, der Art, daß wirkliche Sinnesbilder darin über die Schwelle treten können, sofern solche die wesentlichen Charaktere der objektiven Anschauungen und Nachbilder erlangen und dieselbe Richtung der Aufmerksamkeit fordern.

    Der Unterschied, daß Erinnerungsbilder nach Maßgabe als sie lebhafter sind, auch leichter in das Augenschwarz hineingemalt werden können, der sich als eine Art gegensätzlicher zwischen mir und Busch wie Meyer dargestellt hat, beruht vielleicht nur darauf, daß sie um so leichter den Eindruck des Augenschwarz, der selbst noch einem Lichteindrucke äquivalent ist, überwiegen. Wenigstens ich selbst finde die Schwierigkeit oder Unmöglichkeit, Erinnerungsbilder in das Augenschwarz hineinzumalen, in sehr natürlichem Connex damit, daß mir das Augenschwarz einen viel intensiveren Eindruck macht, als die in Abgezogenheit der Aufmerksamkeit vom Augenschwarz erzeugten Erinnerungsbilder. Will ich versuchen, sie in dasselbe einzutragen, so erlöschen ihre blassen Lineamente ganz darin, erscheinen dagegen in ihrer eigentümlichen Schwäche, wenn ich, die Aufmerksamkeit vom Augenschwarz abziehend, dieselben gleichsam ins Leere eintrage. Wo, wie bei Busch, die Erinnerungsbilder von Natur sehr lebhaft, oder wie bei Meyer, durch Übung zu großer Lebhaftigkeit gesteigert sind, fällt dies Hindernis natürlich weg, und mag es ganz natürlich werden, dieselben vorzugsweise in dem Felde aufzufassen, wo die objektiven Bilder und Nachbilder aufgefaßt werden.

    Auch der scheinbare Widerspruch, daß ich und manche Andere beim Schauen der Erinnerungsbilder vielmehr den Teil des Kopfes, welchen das Gehirn einnimmt, zu gebrauchen meine, indes es Anderen mehr scheint, als wenn sie Augen, Ohren dazu brauchten, hängt unstreitig mit der verschiedenen Stärke der Erinnerungsbilder zusammen. Ich selbst kann die Erinnerungsbilder nie so stark machen, daß sie von ihrem Ursprungssitze aus merklich in das Sinnesgebiet hinein influierten: sondern habe Mühe, sie in ihrer ersten Entstehung festzuhalten; so wie ich mit der Tätigkeit des Besinnens nachlasse, erlöschen sie, und ich habe daher auch immer das Spannungsgefühl der Aufmerksamkeit, was an das Besinnen geknüpft ist. Wo hingegen die Erinnerungsbilder Kraft und Dauer gewinnen, in das Sinnesgebiet übergreifen, assoziiert sich auch von selbst das zugehörige Spannungsgefühl der Aufmerksamkeit.

    Man kann es nicht unwahrscheinlich finden, daß die Tätigkeit, welche vom äußeren Lichte zunächst im Sehnerven angeregt wird und sich erst von da weiter zum Gehirne fortpflanzt, bei den Nachbildern auch noch in dem Sehnerven selbst fortklingt und bei den Vorstellungsphänomenen, wenn sie bis zu sinnlicher Lebhaftigkeit gedeihen, sich wieder rückwärts bis dahin erstreckt, während dies nicht bei schwächeren Vorstellungsbildern der Fall ist. Doch läßt sich über die Triftigkeit dieser speziellen Fassung der Lokalisationsansicht nicht entscheiden.

f) Einige Bemerkungen über Träume.

    Über den Traum, die mannigfachen Wendungen und Gestalten, die er annehmen kann, seine ursächlichen Momente, seine Übergänge in somnambule Zustände u. s. w. liegt viel zerstreutes Erfahrungsmaterial vor 27). Doch muß ich auf eingehendere Mitteilung wegen der Ausdehnung des Gegenstandes verzichten, und es wird dies um so eher gestattet sein, als ich von vorn herein auf Vollständigkeit in diesem ganzen Felde verzichtet habe und verzichten mußte. Hier will ich nur zu dem, was ich (Kap. 43) über die Träume gesagt habe, noch einige ergänzende Bemerkungen im Anschlusse an das Vorige fügen.

27) Zu den reichhaltigeren Komplikationen gehört die von Burdach in s. Physiologie, III, S. 460 ff., und wahrscheinlich ist auch in folgendem ausführlichen Werke, das ich aber nicht aus eigener Ansicht kenne, viel darüber zu finden: L e m o i n e, du sommeil au point de vue physiologique et psychologique. 1855. Baillière. 410 pag.
 
 
    Nach den, im Abschnitte a) dieses Kapitels mitgeteilten Tatsachen und unter e) angestellten Erörterungen haben wir Anlaß, den Schauplatz der psychophysischen Tätigkeit, welche der Entstehung der Vorstellungsbilder und diesen Bildern selbst, so lange sie schwach bleiben, unterliegt, zwar nicht für einen geschiedenen, aber für einen verschiedenen von dem Felde der Tätigkeit zu halten, welche den sinnlichen Bildern unterliegt, so jedoch, daß sich Tätigkeiten in beiden Feldern mit einander assoziieren und Wirkungen in einander überpflanzen können. Ich vermute, daß auch der Schauplatz der Träume ein anderer, als der des wachen Vorstellungslebens ist, bei sehr lebhaften Träumen aber entsprechende Reflexe in die Sphäre der Sinnes- und Bewegungstätigkeit erfolgen, als dies bei lebhaften Vorstellungen im Wachen der Fall ist.

    An sich hat es nichts Unwahrscheinliches, daß die zeitliche Oszillation der psychophysischen Tätigkeit unseres Organismus mit einer räumlichen Oszillation oder Kreislaufsbewegung in ähnlicher Weise kausal zusammenhängt, als wir es auch bei periodischen Phänomenen in der äußeren Natur zu finden gewohnt sind; daß also der unter die Schwelle herabgedrückte Gipfel der Hauptwelle unserer psychophysischen Tätigkeit im Schlafe normalerweise eine andere Stelle einnimmt, als der Gipfel darüber im Wachen, und hiermit koinzidierend der Spielraum der ihre Schwelle übersteigenden Oberwellen, an denen die Traumvorstellungen hängen, ein anderer ist, als im Wachen.

    Wäre es nicht so, so schiene mir die Zusammenhangslosigkeit, in welcher das Traumleben vom wachen Vorstellungsleben erscheint und der wesentlich verschiedene Charakter beider nicht erklärbar. Sollte der Schauplatz der psychophysischen Tätigkeit während des Schlafes und des Wachens derselbe sein, so könnte der Traum meines Erachtens bloß eine, auf einem niederen Grade der Intensität sich haltende, Fortsetzung des wachen Vorstellungslebens sein, und müßte übrigens dessen Stoff und dessen Form teilen. Aber es verhält sich ganz anders:

    "Nie wiederholt sich (im Traume) das Leben des Tages mit seinen Anstrengungen und Genüssen, seinen Freuden und Schmerzen; vielmehr geht der Traum darauf aus, uns davon zu befreien. Selbst wenn unsere ganze Seele von einem Gegenstande erfüllt war, wenn tiefer Schmerz unser Innerstes zerrissen, oder eine Aufgabe unsere ganze Geisteskraft In Anspruch genommen hatte, gibt uns der Traum entweder etwas ganz Fremdartiges, oder er nimmt aus der Wirklichkeit nur einzelne Elemente zu seinen Kombinationen, oder er geht nur in die Tonart unserer Stimmung ein und symbolisiert die Wirklichkeit. So sind schon die Schlummerbilder fast nie bekannte Gestalten, sondern Figuren, wie wir sie fast nie gesehen haben, wunderliche Bildungen und Formen, dergleichen nicht leicht in der Außenwelt sich finden." (Burdach’s Physiol. III, S. 474.)

    "Nicht leicht ist im Traume Erinnerung: Alles ist, als ob es jetzt geschähe, und nie stellt sich im Traume etwas dar, was uns einst wirklich begegnet ist; nur Geträumtes wiederholt sich vielleicht. Phantasiebilder von Gegenden sieht man, bekannte Gegenden überhaupt selten, und dann nicht ohne Veränderung. Eben so kommen uns im Traume keine bekannten Melodien, wohl aber neue, sei es, daß wir nach dem Erwachen uns ihrer als geträumter Melodien erinnern, oder daß die in dem Momente des Erwachens und in halbwachem Zustande uns bewußt werdende Melodie sich als eine solche erkennen läßt, welche aus dem Schlafe herüber kommt. Als dem Nachtleben angehörig bezeichnet diese Melodien schon der Umstand, daß sie nach dem Erwachen nicht festzuhalten sind. Sie gleichen Träumen, und wieder einem Denken im Schlafe, was wir überhaupt nicht genau sondern können. Was der Traum aus der Wirklichkeit nimmt, pflegt er zu verfälschen. Häufig erscheinen die Personen in ihren früheren, nicht in ihren jetzigen Verhältnissen. Verschiedene Zeitpunkte werden unter einander gemischt. Man vermißt in dem Vorgange Zusammenhang zwischen Vorher und Nachher." (Über den Geist und sein Verhältnis zur Natur, von einem ungenannten Verfasser. Berlin 1852. S. 209.)

    Die Erfahrungen, die wir im Wachen selbst über den Erfolg der Abwendung der Auf-merksamkeit von irgend welchen Gebieten machen können, beweisen, daß die bloße Herab-drückung unter die Hauptschwelle im Sinne unseres Schema nur den Grad, nicht die Art und Ordnung des bewußten Lebens ändert. Die unzähligen Handlungen, die wir im Unbewußtsein während des Wachens vollführen, daß wir uns z. B. waschen, anziehen, hantieren, indes wir dabei an ganz Anderes denken, sind ganz in demselben Sinne und Geiste, gleich vernünftig, als die, die wir mit vollem Bewußtsein vollführen und in vollem Zusammenhange damit. Nicht so mit dem, was wir im Traume tun und vorstellen. Auch läßt sich das eben so wenig daraus erklären, daß wir uns wegen des Schlusses der äußeren Sinne nicht mehr an der Außenwelt orientieren können und daher auch innerlich zu irren anfangen, sonst müßte Stille der Nacht und Schluß der Augen denselben Erfolg äußern; indes hierdurch der Geist während des Wachens nur um so gesammelter wird. Weder die einfache Herabdrückung des bewußten Seelenlebens unter die Hauptschwelle, noch die Abziehung von den Einflüssen der Außenwelt genügt also, die Eigentümlichkeit des Schlaflebens dem wachen Leben gegenüber zu erklären. Statt einer bloßen Herabdrückung der psychophysischen Tätigkeit unter Verschluß der äußeren Sinne ist es vielmehr, als ob die psychophysische Tätigkeit aus dem Gehirne eines Vernünftigen in das eines Narren übersiedelte; weil aber beide Gehirne oder vielmehr Teile des Gehirnes unmittelbar zusammenhängen und die Bewegung selbst eine zusammenhängende und aus einander folgende ist, besteht auch der allgemeine psychische Zusammenhang dazwischen fort.

    Unstreitig hängt die Ordnung der psychophysischen Tätigkeit und des daran geknüpften Vorstellungslebens nicht bloß von der Anlage, sondern auch von der Ausarbeitung ab, die ihr Organ unter ihrem eigenen Einflusse erfahren hat, daher die Weise, wie die Vorstellungen, die Gefühle eines Erwachsenen, eines Gebildeten sich assoziieren und aus einander folgen, auch bei gleicher ursprünglicher Anlage ganz anders geordnet ist, als bei einem Kinde, einem Ungebildeten; die Beschaffenheit der Einzelvorstellungen aber, die wir jetzt haben, hängt mit der Beschaffenheit der Nachklänge zusammen, die unser früheres Leben und Denken hinterlassen hat. Nun hat sich der Sitz, den die psychophysische Tätigkeit des Vorstellens im Wachen einnimmt, unter dem vollen und wirksamen Einflusse eines zusammenhängenden vernünftigen Lebens mit Menschen und Welt demgemäß ausgearbeitet, indem die psychophysische Tätigkeit selbst unter diesem Einflusse gestanden und ihren Sitz demgemäß organisiert hat. Nicht so mit dem Sitze der psychophysischen Tätigkeit im Schlafe, in welchen sich nur die Nachklänge dieses Lebens unter der Schwelle hinüberziehen. Statt ihn mit dem Gehirne eines Narren zu vergleichen, werden wir ihn daher noch triftiger mit dem Gehirne eines Kindes oder Wilden vergleichen, nur mit der Rücksicht, daß er mit dem eines Erwachsenen, eines Gebildeten in solcher Verbindung steht, daß beim Übergange aus Wachen in Schlaf und demgemäßer Verrückung des Wellengipfels der psychophysischen Tätigkeit die Nachklänge von dessen Empfindungs- und Vorstellungsleben sich als Traumwellen in den neuen Sitz hinüberziehen. Indem sie nun hier keiner durch die Erziehung ausgearbeiteten Organisation mehr begegnen, fangen sie an zu irren; so wie ein Kind oder Wilder nicht versteht, was ihm ein Erwachsener oder Gebildeter vorerzählt, untriftige Folgerungen daraus zieht und ungeregelte Phantasiebilder daraus webt. Oder auch, es ist, wie wenn man aus einer Stadt mit festen Straßen, Häusern mit Hausnummern etc. etc. in eine naturwüchsige Wildnis ohne Wege tritt; da wird der Gang unbestimmt; es taucht bald hier, bald da ein Wild auf, aber der geordnete Gang hört auf. Schließt man bloß die Augen im Wachen, so ist dies anders; die vorher mehr in der Richtung nach Außen beschäftigte psychophysische Tätigkeit sammelt sich, konzentriert sich in dem Sitze des vernünftigen inneren Lebens, in den die Wege der Sinne unmittelbar überführen, siedelt aber nicht in einen anderen über.

    Im Übrigen, wenn das Traumleben ein relativ zusammenhangsloseres, nicht so vernünftig geordnetes ist, als das wache Leben, hat es doch seinen Zusammenhang eigentümlicher Art. So setzt sich nicht selten, wenn wir nach Zwischenerwachen wieder einschlafen, der Traum des ersten Schlafes in dem zweiten fort, ohne daß die zwischenfallenden Vorstellungen des Wachseins interkurrieren, was auch dafür spricht, daß waches und Traumleben einen verschiedenen Schauplatz haben. Besonders ist das bei Nachtwandlern gewöhnlich, so daß sie, wie bei jedem Erwachen zu den täglichen Geschäften, bei jedem Schlafe zu der gewohnten Art des Traumlebens zurückkehren. (Burdach III, S. 474.) So kann man auf der Stadt und auf dem Lande leicht eine ganz verschiedene Lebensart führen, und im Übergange von einem zum anderen Aufenthaltsorte immer wieder zu derselben in sich zusammenhängenden Lebensart zurückkehren. Unmöglich aber wäre es, an demselben Aufenthaltsorte mit der Lebensart gleicherweise zu wechseln. Was hier vom umsiedelnden Menschen gilt, gilt von der umsiedelnden psychophysischen Tätigkeit im Menschen.

    Jedoch kann der Umstand, daß der Gang der Vorstellungen im Traume nicht an so feste Wege gebunden, hiermit freier und die Ordnungslosigkeit doch nicht absolut, sondern nur relativ zu verstehen ist, unter Umständen auch wohl ausnahmsweise größere Leistungen im Traume möglich machen, als im Wachen, die Phantasie namentlich im Traume zuweilen etwas hervorbringen, was sie im Wachen nicht vermocht hätte. (Beispiele s. in Burdach’s Physiol. III, S. 469.) Hierzu trägt die Abziehung vom Äußeren bei. Der Träumende ist ein Dichter, der seiner Phantasie die Zügel ganz und gar schießen läßt, und ganz in eine innere Welt versunken und verloren ist, so daß ihm die Erscheinung Wahrheit wird.

    Lassen wir die Betrachtung noch einen letzten Schritt tun. Indem der Gipfel der psychophysischen Tätigkeit, mehr und mehr sich erniedrigend, zugleich mehr und mehr einem, den Sinnesreizen weniger zugänglichen, Teile sich zuwendet, wird er doch aber eben hiermit eine Erhöhung des Inneren, wohin er sich wendet, gegen die Zeit des Wachens bewirken, so daß die psychophysische Hauptwelle zwar im Ganzen gesunken und unter der Schwelle bleibt; aber doch an einer Stelle im Inneren gegen die Zeit des Wachens gestiegen und diese Stelle dem Erwachen näher gerückt ist. Und so ist es auch möglich, daß im abnormen und extremen Falle dies bis zum wirklichen Erwachen geht, und damit ein, durch Schlaf vom gewöhnlichen Wachen geschiedenes und durch Schlaf wieder darein übergehendes, neues Erwachen erfolgt, was dann aber notwendig mit einem um so tieferen Einschlafen des gewöhnlichen Sitzes wachen Lebens in Beziehung steht. Dies könnte das Erwachen zum Somnambulismus sein.

    Wenn das somnambule Wachen vernünftiger als der Traum scheint, könnte dies daher rühren, daß die doch immerhin fremde und oft mit Visionen bevölkerte innere Welt bei dem helleren Bewußtseinslichte des neuen Wachens von selbst auch so zu sagen klarer überschaulich wird.

    Ich halte es aber für bedenklich, den Versuch, die Erscheinungen des Schlafes psychophysisch zu repräsentieren, noch weiter auf die partikulären Erscheinungen des Somnambulismus auszudehnen. Nicht, daß sich nicht hoffen ließe, die Psychophysik werde auch in dieser Hinsicht ein bis jetzt noch vermißtes Licht geben; nicht, daß sich nicht allgemeine Gedanken darüber schon jetzt entwickeln ließen. Aber um zu etwas Sicherem zu führen, wird vorher noch Manches in diesem Felde Seitens der Tatsachen wie der psychophysischen Gesetze sicher gestellt sein müssen, was zur Zeit noch nicht sicher steht.

    Daß die Traumvorstellungen Reflexe in das Gebiet der äußeren Muskeltätigkeit und äußeren Sinnesempfindungen mitführen können, geht einerseits daraus hervor, daß Schlafende nicht selten in Folge von Träumen sich bewegen, anderseits, daß nach mehrfachen Angaben lebhafte Traumvorstellungen selbst nach dem Erwachen noch als Nachbilder, Nachempfindungen fortbestehen können. Mehrere eigene und fremde Erfahrungen der Art, Gesichts-, Gehörs-, Geschmackssinn betreffend, berichtet Gruithuisen in s. Beiträgen zur Physiognosie und Eautognosie 1812. S. 237 ff. u. 286, welche Burdach in s. Physiologie III, S. 465 und J. Müller in s. Schrift über phant. Ges. S. 36 zum Teil reproduziert hat. Folgende Beispiele eigener Erfahrung teilt H. Meyer in s. Physiologie der Nervenfaser S. 309 mit.

    "Ich ging im Traume in einem finsteren, engen Tale neben einem Kanale hin, in welchem das Wasser trübe und schwarz floß; da kam plötzlich ein kleiner hellgelber Mops und bellte mich heftig an, indem er mich immer zu beißen drohte; ich wehrte denselben ab, indem ich mich, wie er auch herumsprang, immer nach seiner Seite kehrte; darüber erwachte ich, es war bereits ziemlich helle Morgendämmerung, und ich sahe noch längere Zeit das deutliche schwarze Nachbild des Mopses vor meinen Augen schweben.

    Ein ander Mal träumte mir von einer Gesellschaft; das Gewirre war bunt und die Bedienten liefen mit den Teebrettern hin und her; ich faßte gerade einen, welcher mit großer Behendigkeit zur Türe hinaus ging, ins Auge, da wachte ich auf, es war schon dämmerig, und ich sah noch längere Zeit das dunkle Bild des Bedienten, welcher in etwas vorgebogener Stellung das Teebrett hielt, vor mir.

    Eine gleiche Erscheinung hatte ich von einem Kapuziner, der eine Pistole in der Hand hielt.

    Diese Nachbilder erschienen mir alle als dunkle Schatten mit etwas verwaschenen Rändern."

    Hiernach dürfte auch der wesentliche Unterschied der unwillkürlichen, leicht in Träume übergehenden, Halluzinationen vor dem Einschlafen von den willkürlich erzeugten Sinnesphantasmen des Abschnittes a) nur darauf beruhen, daß jenes Reflexe aus dem Sitze, welchen der Gipfel der psychophysischen Hauptwelle unter der Schwelle im Schlafe einnimmt, dieses aus dem Sitze des Gipfels über der Schwelle im Wachen in die Sinnessphäre hinein sind, von welchen erstere selbst schon bei Annäherungen an den Schlaf erfolgen können. So erklärt sich, daß jene unwillkürlich mit phantastisch traumartigen Bildern, auch wenn sie noch nicht Träume sind, in das wache Leben hineinspielen, indes diese durch Willkür und Assoziation nach den Gesetzen des Wachens bestimmt sind.