XLVI. Frage nach der Natur der psychophysischen Bewegung.

    Haben wir auch die wichtigsten Fragen der inneren Psychophysik bis zu gewissen Grenzen behandeln können, ohne anderer Voraussetzungen über die Natur der psychophysischen Bewegung zu bedürfen, als daß sie als körperliche Bewegung die allgemeinsten Verhältnisse körperlicher Bewegung teilt, so mag doch zum Schlusse die Frage nach ihrer Natur noch mit ein paar Worten näher erwogen werden.

    Die Frage teilt sich wesentlich in zwei:

    1) Kann sich das Psychische nur an die Bewegungen eines besonderen Substrates knüpfen?

    2) Kann sich das Psychische nur an eine besondere Art, Anordnung, Form von Bewegungen knüpfen?

    Was nun die erste Frage anlangt, so kann man daran denken, und es haben viele daran gedacht, dem Psychischen ein ganz exklusives Substrat unterzulegen, welches eben nur dazu bestimmt sei, die dem Psychischen unterliegenden Bewegungen zu vollziehen, ohne mit irgend einem der bekannten physischen Substrate identifiziert werden zu können, und man hat diesem Substrate wohl den Namen Nervenäther beigelegt.

    Der Hauptgrund dazu ist wohl der, daß man keinem der bekannten physischen Agentien oder Substrate zugetraut hat, Träger des Psychischen zu sein; nur sieht man nicht ein, was ein unbekanntes physisches Agens, soll es anders noch unter den physischen Platz greifen, mehr leisten könnte, worauf sein psychischer Zauber ruhen soll. Will man es aber aus der Reihe der physischen Agentien ganz hinausrücken, so gerät man ganz ins Dunkle mit einem Worte, was weder Physisches noch Psychisches bedeuten soll, und verläßt die Grundvoraussetzung der Psychophysik selbst, welche die ist, daß die psychischen Veränderungen gesetzlich mit physischen zusammenhängen; auch hängen sie ja faktisch mit solchen zusammen; das Hinausrücken des Substrates in ein hyperphysisches Gebiet leistet also nichts Anderes, als uns den Boden unter den Füßen wegzuziehen, den wir haben.

    Unstreitig bleibt, ohne Rückgang auf sehr allgemeine Ansichten , wie wir sie im Eingange dieses Werkes aufgestellt haben, etwas Unerklärtes, und jedenfalls auf dem Gebiete der Psychophysik selbst, die sich bloß an faktische Gesichtspunkte hält, nicht Erklärliches dabei, wie überhaupt ein physisches Substrat durch seine Bewegungsweise Träger, ja nur äußerer Anreger von Bewußtseinsphänomenen werden kann; aber die Erklärlichkeit wird nicht vermehrt, sondern das Rätselhafte nur um ein Rätsel mehr vermehrt, wenn wir ein neues physisches Agens als seinen Träger fingieren wollen, ohne angeben zu können, was es vor den andern dazu geeignet machen soll, und ohne einen anderen Grund für sein Dasein zu haben, als das Bedürfnis zu erklären, was doch nicht dadurch erklärbar ist.

    Bemerken wir weiter: wie soll der supponierte eigentümliche Nervenäther in die Nerven kommen, und wie soll er im Tode dieselben verlassen, wenn ihm nicht eine allgemeinere Verbreitung über die Nerven und die Organismen überhaupt beigelegt wird? Soll er erstenfalls neu entstehen, letztenfalls vergehen? Dann hört er auf, ein Physisches zu sein.

    Allen diesen Schwierigkeiten entgeht man, wenn man annimmt, daß die Bewegungen desselben allgemeinen Äthers, der durch die äußere Natur wie durch die Organismen verbreitet ist, unter gewissen, in unseren Organismen erfüllten, Bedingungen Empfindung, allgemeiner Bewußtseinsphänomene mitführen können. Auch ist dies wohl die Ansicht der meisten von denen, die überhaupt eine klare Ansicht in diesen Dingen haben.

    Vorzugsweise ein imponderables Agens vor den ponderablen Substraten hierzu in Anspruch zu nehmen, können wir durch folgende Punkte veranlaßt werden.

    Durch die Erfahrung sind wir gebunden, das Nervensystem als Hauptherd unserer psychischen Phänomene zu betrachten. Die Einrichtung desselben ist aber nicht geeignet, ähnliche Bewegungen des Wägbaren, als das Blut in unsern Adern vollzieht, zuzulassen, indes nichts hindert, irgendwelche Bewegungen eines imponderabeln Agens darin anzunehmen. Die Erregbarkeit aller Nerven durch Elektrizität, mancher auch durch Licht und Wärme, läßt vermuten, daß das durch die Bewegung des Imponderabeln anregbare Spiel auch selbst das Unwägbare betreffe; die Phänomene der elektrischen Fische und die Dubois’schen Untersuchungen treten von anderer Seite unterstützend hinzu. Auch erscheint das Nervensystem nur als eine Ergänzung des Kreislaufsystems, welches tropfbare Flüssigkeiten führt, und des Atemsystems, welches Luft führt, wenn wir es wesentlich bestimmt halten, den Schauplatz für die Bewegungen eines unwägbaren Agens darzubieten.

    Von der anderen Seite darf man jedoch nicht übersehen, daß durch die Natur der Nerven molekulare Schwingungen des Wägbaren so wenig ausgeschlossen werden, als des Unwägbaren, und daß in einem Systeme aus wägbaren und unwägbaren Teilen nicht wohl Schwingungen des einen stattfinden können, ohne solche des anderen mitzuführen; daß ferner das Nervensystem nicht ohne Mitwirkung des Kreislaufes tätig sein kann, und eine erhöhte Tätigkeit desselben eine vermehrte Tätigkeit des Kreislaufes und der dadurch unterhaltenen chemischen Prozesse voraussetzt, bei welchen notwendig wägbare Teile konkurrieren; endlich, daß die Natur der Reize nichts entscheidet, indem die Nerven auch durch mechanische und chemische Reize erregt werden können; und es eben so möglich ist, durch Bewegung unwägbarer Agentien das Wägbare als durch Bewegung wägbarer Agentien das Unwägbare in Bewegung zu setzen.

    Ich glaube daher, daß in der Erfahrung keine entscheidenden Gründe vorliegen, die Tätigkeit des Nervensystems überhaupt und mithin auch die psychophysische Tätigkeit desselben allein an das Imponderable zu knüpfen. Hätten aber auch die unwägbaren Agentien einen Vorzug, so bliebe es immer wahrscheinlich, daß sie ihn nicht durch eine Eigentümlichkeit ihrer Substanz, sondern nur durch ihre Bewegungsweise erhalten, insofern weder so schnelle Schwingungen noch so schnelle Bewegungsfortpflanzungen im Gebiete des Wägbaren als Unwägbaren bekannt sind. Der Umstand, daß aus den psychophysischen Elementarformeln die Masse verschwindet und bloß der Bewegungszustand eingeht (T. II, Kap. 16), ist in der Tat sehr geeignet, die Voraussetzung zu unterstützen, daß es überhaupt nur auf den Bewegungszustand in diesem Gebiete ankommt. Außerdem ist auch die Möglichkeit nicht streng abgewiesen, daß die wägbaren und unwägbaren Stoffe ihren letzten Elementen nach gar nicht verschieden sind, und ihre Verschiedenheit selbst nur auf Verhältnissen der Anordnung und Bewegung ruhe.

    Vermutungen über diese Punkte weiter auszuführen, wäre nutzlos; es genügt, an die Möglichkeiten erinnert zu haben. In jedem Falle, wenn auch die unwägbaren Substanzen durch ihre Bewegungsweise eine bevorzugte Bedeutung für die psychischen Phänomene behalten sollten, wird den wägbaren immer die wichtigste Bedeutung für die Organisation der Systeme bleiben, wodurch die Form dieser Bewegungen bestimmt wird. Und gewiß wird in einer künftigen allgemeinsten mathematischen Fassung beides, Organisation und Bewegung, nicht unabhängig von einander zu fassen und zu behandeln sein.

    Nach jeder Ansicht, die wir hegen mögen, bleibt das Substrat des Psychischen ein durch die ganze Welt verbreitetes und durch allgemeine Kräfte zu einem System verknüpftes, und die zweite Frage tritt uns nun entgegen, ob sich das Psychische nur an eine besondere Art, Anordnung, Form von Bewegungen knüpfen kann.

    Da wir wissen, daß Bewegungen, die faktisch geeignet sind, Bewußtseinsphänomene mitzuführen, doch nur unter einen gewissen Grad der Lebhaftigkeit zu sinken brauchen, damit das Bewußtsein erlösche; so bietet sich uns hiermit natürlicherweise die Möglichkeit dar, die Quantität des Bewußtseins, wozu Dasein und Nichtdasein gehört, überhaupt nur von der Quantität, nicht aber von der Qualität der psychophysischen Tätigkeit abhängig zu machen, diese vielmehr nur mit der Qualität der Bewußtseinsphänomene in Beziehung zu setzen.

    Hiernach würde jede Bewegung, unter welcher Form und an welchem Substrate sie auch auftritt, wenn. sie mit ihrer Geschwindigkeit entweder erster oder zweiter Ordnung (wo zwischen nach dem 30. und 32. Kapitel noch die Wahl ist), einen gewissen Wert übersteigt, einen Beitrag zum Bewußtsein, sei es zu unserm oder anderm oder einem allgemeinen Bewußtsein geben; und jede besondere Bewegungsform, d. h. Zusammenordnung und Folge von Geschwindigkeitsmomenten im Stande sein, ein psychisches Phänomen von zugehöriger Form zu tragen, wenn die in diese Form eingehenden Momente gemeinsam einen gewissen Größenwert übersteigen.

    Auf solche Weise ersparen wir uns den magischen Zauber, die qualitas occulta, welche nur diese oder jene exzeptionelle Bewegungsform zur psychischen Leistung befähigen soll, und wird eine allgemeine, nicht bloß partikulär für Menschen und Tiere gültige, Psychophysik möglich werden, in entsprechendem Sinne, als wir eine allgemeine, für die ganze Welt gültige Physik und Mechanik haben. Wir werden die Gesetze der Psychophysik am Menschen erforschen und werden sie auf die Welt übertragen können. Bewußtes und Bewußtloses in der Welt wird nur zwei Fälle derselben Formel darstellen, welche zugleich maßgebend für ihr Verhältnis und ihren Übergang in einander ist.

    Eine solche Auffassung wird sich freilich nicht anders beweisen lassen, als dadurch, daß sie in einer entwickelten Psychophysik volles Genügen gewährt.

    Diesen Beweis kann ich nicht schon jetzt führen; doch glaube ich, daß er sich mit fortschreitender Entwickelung der Psychophysik von selbst führen wird, deren ersten Versuch ich mit dieser fernen Aussicht schließe.