Historisches und Zusätze.

XLVII. Historisches.

    Tatsachen im Gebiete der Psychophysik sind von jeher beobachtet worden, und man kann insofern nicht von einem bestimmten Anfange dieser Lehre sprechen. Wenn ich aber jemand nennen sollte, der eine Reihe solcher Tatsachen zuerst so aufgefaßt, so kombiniert, und selbst so viel neue Tatsachen in solchem Zusammenhange hinzugefügt hat, daß die Psychophysik in die Bahn gelenkt worden ist, eine zusammenhängende exakte Wissenschaft zu werden, so wüßte ich niemand anders, als E. H. Weber zu nennen, dem mit größerer Klarheit und in größerer Allgemeinheit als irgend Jemand vor ihm nicht nur überhaupt vorgeschwebt hat, daß hier ein Gebiet für Maße vorliege, sondern der auch diesen Gedanken in größerer Ausdehnung und erfolgreicher als Jemand vor ihm zur Ausführung gebracht hat. Abgesehen von der Bereicherung der Psychophysik durch viele spezielle Tatsachen, verdanken wir ihm den ersten zugleich klaren und etwas allgemeinen Ausspruch des psychophysischen Grundgesetzes mit erfahrungsmäßigen Bewährungen, und die erfolgreiche und fruchtbare Durchführung einer Methode des Maßes der Empfindlichkeit durch fast alle Kreise der Sinnesempfindung, welche zur Feststellung dieses Gesetzes selbst beigetragen hat.

    Seine Untersuchungen sind teils in seinen Programmata collecta, Fasc. III, 1851, teils hieraus zusammengestellt und vielfach erweitert in seiner Schrift über Tastsinn und Gemeingefühl (abgedruckt aus Wagner’s physiologischem Wörterbuch) enthalten, deren Titel viel zu eng für ihren Inhalt ist. Einige Nachträge finden sich in den Berichten der sächs. Societät, 1852, S. 85 ff.

    In soweit sich seine Angaben und Versuche auf das psychophysische Grundgesetz, dem ich seinen Namen beigelegt, beziehen, sind sie von mir im 9. Kapitel mitgeteilt, und eben da der anderweiten Verdienste früherer Beobachter um die Feststellung dieses Gesetzes, als namentlich Bouguer, Arago, Masson, Steinheil, welche sich sämtlich auf die Lichtempfindung beziehen, ausführlich gedacht worden. Sollte nun hier eine vollständige Geschichte der Psychophysik gegeben werden, so würden noch viele Namen zu nennen sein, die sich an schätzbare Untersuchungen im Gebiete der Psychophysik knüpfen. Und zwar dürfte unter den neuesten Forschern nach allgemeiner Übereinstimmung Helmholtz wegen seiner vielen scharfsinnigen Untersuchungen und wichtigen Entdeckungen im Gebiete des Lichtes, Schalles, der Nervenlehre, und Dubois wegen seiner bahnbrechenden Untersuchungen über die im Nervensysteme waltenden elektrischen Kräfte vor Allem zu nennen sein, indem des Letzteren Untersuchungen, wenn auch für jetzt erst in der Physiologie zu verwerten, doch einst auch zu den wichtigsten Unterlagen der inneren Psychophysik gehören dürften. Indem sich aber diese Schrift vorzugsweise auf die psychische Maßlehre bezieht, beschränke ich mich auch folgends darauf, das, was derselben darin vorausgegangen ist, sie selbst hervorgerufen und ihren Gang bestimmt hat, näher zu bezeichnen.

    Zu den experimentalen Präzedenzien derselben in dieser Hinsicht ist der mathematischen durch die schon im Vorworte zum ersten Teile dieser Schrift genannten Forscher Bernoulli (Laplace, Poisson), Euler (Herbart, Drobisch), Steinheil (Pogson) zu gedenken, sofern dieselben sämtlich die mathematische Funktion, wodurch psychische und physische Größen im Sinne des Weber’schen Gesetzes verknüpft werden, schon vorlängst aufgestellt haben, Bernoulli in Bezug auf die Abhängigkeit der fortune morale von der fortune physique, Euler in Bezug auf Abhängigkeit der Empfindung der Tonhöhen von den Schwingungszahlen, Steinheil in Bezug auf die der Sterngrößen, welche sich in Empfindungsgrößen übersetzen lassen, von den photometrischen Werten der Sterne.

    Das Bernoulli’sche Prinzip in Betreff der Abhängigkeit der fortune morale von der fortune physique, zuerst im J. 1738 von Bernoulli aufgestellt, ist Th. I, S. 236 besprochen, und der Nachfolge, welche Bernoulli darin durch Laplace und Poisson gefunden, gedacht worden.

    Vielleicht befremdet es, dies Prinzip hier für die Psychophysik in Anspruch genommen zu finden. In der Tat aber muß es einer hinreichend allgemeinen Fassung derselben untergeordnet werden. Denn eine fortune morale bedeutet doch, wie schon früher geltend gemacht, zuletzt nichts Anderes, als den Genuß, den die Seele von äußeren Glücksgütern hat, die fortune physique die Mittel, die von Außen her diesen Genuß bewirken, und erstere nimmt sonach ganz die Stelle der Empfindung, letztere die des Reizes ein; auch wird die fortune morale ganz in demselben Sinne als Funktion der fortune physique von Bernoulli behandelt, als von uns die Empfindung bezüglich des Reizes, und es ist dasselbe Gesetz, was beide verknüpft.

    Die Feststellung der Funktion für die Abhängigkeit der Empfindung der Tonintervalle von den Verhältnissen der Schwingungszahlen durch Euler ist in dessen Tentamen novae theoriae mus. 1739. p. 73 geschehen, also nur um eine Jahreszahl von späterem Datum als die Aufstellung des Bernoulli’schen Principes. Später ist Herbart 1) unabhängig von Euler zu derselben Auffassung der Tonintervalle gelangt, und diese endlich von Droblsch 2) nicht nur auf’s Neue in allgemeiner Weise begründet, sondern auch das Interesse derselben wiederholt hervorgehoben und weitere Entwickelungen daran geknüpft worden, von denen wir eine der interessantesten T. II, Kap. 30 reproduziert haben, ohne daß diese Untersuchungen bisher die verdiente Aufmerksamkeit gefunden.

1) Hauptpunkte der Metaphysik. Götting. 1807. §. 14. Werke III, 46.)

2) Abhandl. der Jablon. Gesellsch. 1846. S. 109 und Abhandl. d. Kön. Sächs. Gesellsch. 1852. Band IV, S. 1. (Pogg. Ann. XC. 375.)
 
 

    Die Verknüpfung der Sterngrößen mit den photometrischen Intensitäten der Sterne durch eine logarithmische Funktion ist unabhängig von einander durch Steinheil 3) (1837) und Pog-son 4) (1856) nicht zwar direkt auf das Weber’sche Gesetz, aber auf das damit zusammenhängende erfahrungsmäßige Statthaben einer geometrischen Reihe der photometrischen Intensitäten der Sterne zur arithmetischen Reihe der Größen gegründet worden. 3) Elemente der Helligkeitsmaße in den Abhandl. der baier. Akad. 1837. Band II, S. 22.

4) Notices of the royal astr. Soc. 1856. p. 14, hiernach in den Berichten der sächs. Soc. 1859. S. 68.
 
 

    Die Aufstellung der logarithmischen Funktion nach diesen Beziehungen ist von sämtlichen genannten Forschern freilich nicht aus dem Gesichtspunkte eines psychischen Maßes, sondern nach anderweiten partikulären Gesichtspunkten geschehen; und seither auch nicht auf ein psychisches Maß bezogen worden, was sich aus der Natur der Untersuchungen und Fälle, welche zur Aufstellung dieser Funktion führten, leicht erklärt.

    So ist selbstverständlich, daß, wenn der logarithmische Ausdruck für die Abhängigkeit der fortune morale von der fortune physique gegenwärtig als unter dem allgemeinen psychischen Maßprinzipe begriffen angesehen werden kann, dieses schon von anderer Seite her begründet sein mußte, aber nicht dadurch begründet werden konnte.

    Die Empfindung der Tonintervalle nach ihrer Abhängigkeit von den Verhältnissen der Schwingungszahlen zu messen, konnte natürlich überhaupt kein Anlaß sein, da die Empfindung der Tonintervalle, ausnahmsweise von anderen psychischen Größen, ihr Maß schon in sich hat; Niemand aber eine Elle, auf der die Zolle schon abgeteilt stehen, durch eine andere erst zu messen sucht, wo sie nicht abgeteilt stehen. Anstatt, daß es sich also hier handeln konnte, ein Maß des Psychischen durch das Physische erst zu suchen, galt es nur, ein schon unabhängig von einander gegebenes physisches und psychisches Maß auf einander zu beziehen. So ist in der Tat die Aufgabe von Euler gefaßt worden, als welcher vor Eingehen auf diese Beziehung, nach Rücksprache mit den Verhältnissen der Empfindung, sagt (p. 72): "Ex quo intelligitur, intervallum ita esse definiendum, ut sit mensura discriminis inter sonum acutiorem et graviorem", und sich unabhängig von der Rücksicht auf die Schwingungsverhältnisse zu zeigen bestrebt, daß die Summe der empfundenen Intervalle zwischen den Tönen a und b, b und c dem Intervalle zwischen a und c gleich gesetzt werden könne.

    Auch Herbart und Drobisch machen zwar von der mathematischen Beziehung zwischen der Empfindung der Intervalle und den Schwingungsverhältnissen Gebrauch, ohne aber das Maß der ersten erst darin zu suchen und diese Beziehung in ihrer mathematischen Psychologie im Sinne eines psychischen Maßes zu verwerten: es dürften aber die Entwickelungen von Drobisch Alles enthalten, was sich für die Lehre der Tonintervalle insbesondere aus dieser Beziehung folgern läßt.

    Was von den Tonintervallen, gilt in gewissem Sinne auch von den Intervallen der Sterngrößen. Das geübte Auge der Astronomen hatte nach einer anderen Exzeption diese Intervalle schon ohne Rücksicht auf die unterliegenden photometrischen Verhältnisse zu bestimmen vermocht; es galt nicht erst, das Maß der Lichtempfindung, sondern nur seine Beziehung zu dem von anderer Seite gegebenen physischen Maße zu finden und für die Astronomie praktisch zu verwerten; und nach der konventionellen Weise, die Sterngrößen zu reihen, nahm der Ausdruck dieser Beziehung sogar gerade den entgegengesetzten Sinn an, als es hätte der Fall sein müssen, wäre die Bedeutung eines Empfindungsmaßes darin gesucht worden, sofern die Sterngrößen danach abnehmen, während die photometrischen Intensitäten zunehmen.

    Hiernach darf man sagen, daß das Problem des psychischen Maßes in gewissem Sinne früher gelöst als gestellt war, sofern in der Aufstellung der logarithmischen Funktion durch die genannten Forscher die Lösung doch schon enthalten war.

    Bis zu gewissen Grenzen freilich nur; denn einmal bezog sich die Lösung bloß auf einige beschränkte Gebiete, ohne Gesichtspunkte und Tatsachen, welche eine Verallgemeinerung gestattet hätten; zweitens stützte sich die Lösung schlechthin nur auf das Weber’sche Gesetz ohne Rücksicht auf die Beschränkungen, denen dasselbe unterliegt, und ohne ein verallgemeinerndes Prinzip auch für solche Fälle, wo dieses Gesetz nicht gilt; drittens war, wegen fehlender Rücksichtnahme auf die Tatsache der Reiz- und Unterschiedsschwelle, das Maß bloß für Empfindungsunterschiede, nicht für absolute Empfindungen und empfundene Unterschiede gegeben, hiernach bloß die Unterschiedsformel, nicht Maßformel und Unterschiedsmaßformel aufgestellt; und viertens fehlte es an Gesichtspunkten, das Maß oder Maßprinzip aus der äußeren in die innere Psychophysik zu übertragen und hiermit an Grundgesichtspunkten für diese selbst.

    Nach diesen Beziehungen, so wie durch eine genauere Feststellung und Erweiterung der psychophysischen Maßmethoden, glaube ich, daß die Psychophysik in dieser Schrift erweitert worden ist; mit dieser Erweiterung haben sich eine Menge neuer Aussichten, aber zugleich neue Probleme aufgetan, die zum Teil hier angegriffen sind, wie die Elementarkonstruktion des Empfindungsmaßes, die Untersuchung, an welchen inneren physischen Verschiedenheiten die psychischen Verschiedenheiten der verschiedenen Sinnesgebiete hängen, die Repräsentation einiger Hauptverhältnisse der inneren Psychophysik, aber noch weit entfernt sind von einer vollständigen Lösung.

    Hiernach dürfte es noch einiges Interesse und selbst manche Punkte der Belehrung darbieten, wenn ich den Anfang und Gang, den diese ganze Untersuchung genommen, etwas näher bezeichne.

    Um mit einem Vergleiche anzufangen: man denke sich Jemand, der auf einer Kreisperipherie steht; er sucht eine Sache, sie liegt einen Schritt von ihm; aber er steht mit dem Rücken dagegen und durchläuft den ganzen langen Kreis, bis er endlich, nach Überwindung vieler Mühen bei der gesuchten Sache angelangt, mit Verwunderung sieht, daß er sich nur umzudrehen brauchte, um sie gleich zu haben, und freilich nicht ganz dasselbe darin zu haben, als er sich anfangs dachte. So erging es mir mit der Aufsuchung des psychischen Maßes. Doch darf ich den Weg, den ich dazu zurückgelegt, nicht bedauern; denn dieser Weg hat mich die ganze Tragweite des Maßprinzips erkennen lassen, was der kurze Weg vom Weber’schen Gesetze und der Euler’schen Formel zum allgemeinen psychischen Maßprinzipe nicht vermocht hätte. Soweit ich danach rückwärts gehen mußte, soweit führt es vorwärts.

    Von jeher der Ansicht von einem durchgreifenden Zusammenhange zwischen Leib und Seele zugetan und diesen in der Form einer doppelten Erscheinungsweise desselben Grundwesens vorstellend, wie ich im 1. Kapitel dieser Schrift kurz dargelegt habe, stellte sich mir im Laufe der Abfassung einer Schrift (Zend-Avesta), welche auf dieser Ansicht fußt, die Aufgabe dar, ein funktionelles Verhältnis zwischen beiden Erscheinungsweisen zu finden, oder mit anderen Worten, in entsprechender Weise, als die Physik das Abhängigkeitsverhältnis der Far-be und Intensität des Lichtes, der Tonhöhe und Tonstärke von äußeren physischen Verhältnissen festgestellt hat, so dasselbe von den inneren physischen Verhältnissen festzustellen, an welche sich die Empfindung unmittelbar knüpft.

    Zunächst die Aufmerksamkeit auf die quantitativen Verhältnisse richtend, sofern auch die Physik alle Qualitäten von quantitativen Verhältnissen abhängig macht, und ohne noch eine klare Vorstellung vom Maße psychischer Größen zu haben, dachte ich zuerst daran, die Intensität der geistigen Tätigkeit könne wohl der Änderung der Stärke der ihr unterliegenden körperlichen Tätigkeit, die ich durch ihre lebendige Kraft als gemessen ansähe, proportional gehen. Diese Idee trug ich lange mit mir herum; aber sie führte zu nichts, und ich ließ sie endlich liegen. Später kam ich darauf, gewisse Grundverhältnisse zwischen Leib und Seele und zwischen niederem und höherem Geistigen durch das Verhältnis zwischen arithmetischen Reihen niederer und höherer Ordnung schematisch zu erläutern (vgl. Zend-Avesta II, 334); zu demselben Zwecke boten sich, in mancher Beziehung noch passender, geometrische Reihen dar. Die Idee, statt einer bloß schematischen, gewisse Verhältnisse wohl erläuternden, aber nicht exakt treffenden Darstellung den Ausdruck für das wirkliche Abhängigkeitsverhältnis zwischen Seele und Körper zu gewinnen, drängte sich mir hierbei von Neuem auf; aber das Schema der geometrischen Reihen führte mich nun (22. Okt. 1850 Morgens im Bette) durch einen etwas unbestimmten Gedankengang darauf, den verhältnismäßigen Zuwachs der körperlichen lebendigen Kraft, oder , wenn ß die lebendige Kraft bedeutet, zum Maße des Zuwachses der zugehörigen geistigen Intensität zu machen. Hierzu fiel mir ein, daß, wenn die lebendige Kraft des Körpers durch Summation ihrer absoluten Zuwüchse von einem bestimmten Anfangswerte an entstanden gedacht werden kann, auch wohl die Seele das den verhältnismäßigen Zuwüchsen der körperlichen Bewegung in ihr Zugehörige summieren werde, die psychische Intensität also als Integral absoluter psychischer Zuwüchse angesehen werden könne, welche den verhältnismäßigen Zuwüchsen auf körperlicher Seite zugehören. Hiermit war die Fundamentalformel und als Integral derselben die Maßformel sofort gegeben. Als erste Bestätigung fiel mir gleich ein, daß die Verstärkung der Lichtempfindung nach alltäglicher Erfahrung hinter der Verstärkung des physischen Lichtreizes zurückbleibt und überhaupt gegebene Zuwüchse zu Reizen um so schwächer empfunden werden, zu je stärkeren Reizen sie entstehen, ohne daß ich noch den genauen Ausdruck dieser Tatsache im Weber’schen Gesetze kannte, womit erst eine scharfe Bewährung der Formel möglich wird. Doch schien sich mir mit dieser ersten noch sehr im Allgemeinen sich haltenden Bestätigung auf einmal, ich gestehe es, eine ungeheure Perspektive zu eröffnen; und noch heute sehe ich diese Perspektive vor mir, nachdem mit dieser Schrift erst ein kleiner Schritt in das Gebiet getan ist, das sie eröffnet.

    Anfangs machte mir der Umstand zu schaffen, daß nach der Maßformel die Empfindung y schon eher verschwindet, als die lebendige Kraft ß, wovon sie abhängt, bis ich in den Phänomenen des Schlafes und der unbewußten Empfindungen diesen Umstand repräsentiert und hiermit eine neue auffallende Bestätigung der Formel fand, welche meine Überzeugung von der Triftigkeit und Fruchtbarkeit derselben erheblich verstärkte. Dazu erinnerte ich mich aus der Abhandlung von Drobisch (1846), daß Euler, Herbart und Drobisch zwar nicht für Intensität der Empfindung, aber für Höhe der Töne zu wesentlich derselben Funktion gelangt waren, auf die ich durch jene Betrachtungen geführt worden, und wenn schon Beides nicht gleichbedeutend erschien, so lag immerhin ein unterstützendes Moment darin, da doch auch die Höhe der Töne ein quantitatives Moment enthält. Durch die gemeinsame Unterordnung der Höhe und Stärke unter dieselbe Funktion erschien mir zugleich die Sicherheit und Allgemeinheit derselben verstärkt.

    Mit all’ dem war freilich noch kein psychisches Maß begründet; sondern die ganze Betrachtung litt vielmehr an dem Mangel eines scharfen Fundamentalbegriffes für das psychische Maß. Ich nahm an, die Zuwüchse der Empfindung gehen den relativen Zuwüchsen der lebendigen Kraft der psychophysischen Bewegung oder des sie anregenden Reizes proportional; aber womit beweist sich, ja was ist überhaupt nur darunter zu verstehen, daß sie ihnen proportional gehen, so lange wir noch keinen psychischen Maßstab haben; was bedeuten die auf eine solche Annahme gegründeten Formeln  und  so lange dies nicht der Fall ist?

    In der Aufstellung der Funktion für die Tonhöhen durch Euler und seine Nachfolger war diese Schwierigkeit nicht gehoben, weil sie dabei noch gar nicht zu Tage trat. Euler’s Formel bezieht sich überhaupt nicht auf absolute Größe der Empfindung, sondern auf Unterschiede derselben, nicht auf Stärke, sondern auf Höhe; die Unterschiede der Tonhöhe haben aber, wie schon bemerkt, sehr verschieden hierin von den Unterschieden der Intensität, ihr deutliches Maß in sich; niemand zweifelt, daß der Unterschied der Empfindung von einer Oktave zur anderen gleich groß ist, und die Anwendung dieser Zolle des musikalischen Maßstabes mit ihren Unterabteilungen ist jedem geläufig. Daher genügte es auch für Euler, um zu zeigen, daß die Summe der empfundenen Intervalle zwischen den Tönen a und b, b und c dem Intervalle zwischen a und c gleich gesetzt werden könne, sich auf die unmittelbare Erfahrung eines Jeden zu berufen, wie von ihm geschieht. Aber auf welche Erfahrung ließ sich provozieren, wenn es galt, die entsprechende Beziehung für die Intensität der Empfindung in Anspruch zu nehmen, um ein Maß derselben, welches sie nicht von selbst in sich trägt, auf diese Beziehung zu begründen? Die Untersuchung Steinheil’s über die Sterngrößen war mir noch nicht bekannt, und würde hier wenig gefruchtet haben, da sie nicht sowohl auf einem Gesetze, als auf einer Konvention über die Reihungsweise der Sterngrößen fußte, von welcher nicht bewiesen war, daß sie mit einem psychophysischen Gesetze zusammentrifft; wie denn Steinheil selbst seine Formel nicht mit dem Weber’schen Gesetze in Beziehung gesetzt hat.

    Die Fundamentalformel und Maßformel wenn schon aufgestellt, schwebten also so zu sagen noch in der Luft.

    Von vorn herein nun suchte ich der Schwierigkeit durch folgende Betrachtung zu begegnen. Abnahme und Zunahme, Gleichheitsfälle, Grenzfälle im Empfindungsgebiete lassen sich beurteilen, ohne noch ein Maß der Empfindung zu haben, unsere Formeln aber schließen manche Folgerungen bezüglich solcher Fälle ein, wie, daß die Empfindung bei einem endlichen Reizwerte verschwindet und bei hohen Reizgraden für einen gegebenen Reizzuwachs verhältnismäßig wenig wächst. Sofern sich nun diese Folgerungen der Formeln noch ohne Maß der Empfindung in der Erfahrung bestätigen, können wir ein Maß auf diese Formeln selbst gründen, indem ein allgemeines Zutreffen in jenen Beziehungen selbst nur unter Voraussetzung von richtigen, d. h. uns richtig in der Erfahrung orientierenden, Maßbeziehungen zwischen Reiz und Empfindung in den Formeln stattfinden kann. Es wird also, so sagte ich mir, nur darauf ankommen, die schon ohne Maß bewährbaren Folgerungen der Formeln möglichst gut und in möglichst weiter Ausdehnung zu konstatieren, um damit auch die Maßbeziehung zwischen Reiz und Empfindung, welche in den Formeln mit eingeschlossen ist, für konstatiert zu halten.

    Noch jetzt halte ich diese Betrachtung im Wesentlichen nicht für unstatthaft, doch fehlte es ihr, wie ich gern gestehe, an der Schärfe, welche ich schließlich (Kap. 7, 17, 31) der Begründung des psychischen Maßes glaube durch die Zurückführung auf die Beobachtung von Gleichheitsfällen kleiner Empfindungsdifferenzen in den verschiedenen Teilen der Reizskala gegeben zu haben; auch waren die schon ohne Maß bewährbaren allgemeinen Folgerungen der Formeln bei Weitem nicht so ausgedehnt, um den Gegenstand als hinreichend gestützt anzusehen.

    Inzwischen übersandte ich, nachdem der Gegenstand so weit gediehen war, schon im Jahre 1850 dem Prof. W. Weber in Göttingen eine Abhandlung darüber, mit der Bitte um ein Urteil darüber, wobei ich unter Anerkenntnis der noch sehr großen Mangelhaftigkeit in Begründung und Ausführung des Gegenstandes doch die Hoffnung aussprach, die Idee möge "eine glückliche" sein.

    Unstreitig wird man nicht ohne Interesse und Belehrung einen Passus seiner Erwiderung darauf lesen, der für mich selbst maßgebend im ganzen Fortgange der Untersuchung geworden ist.

    "Es macht mir (schreibt er unter dem 12. Dez. 1850) ein Privatvergnügen, Ihre Arbeit zu lesen, und Ich lasse dabei für mich die Frage ganz dahingestellt, welchen Eindruck die Arbeit auf Andere hervorbringe und maße mir noch weniger an zu beurteilen, in wiefern die Wissenschaft dadurch wesentlich weiter gefördert werde. Soll ich darüber etwas sagen, so scheint mir die Grundidee im Ganzen richtig und scharfsinnig durchgeführt, aber ich würde vor der Hand noch Bedenken tragen, sie eine glückliche zu nennen. Unter glücklich verstehe ich nämlich, wenn die Idee mit der Entdeckung neuer Fakta zusammentrifft, die einer präzisen Auffassung fähig sind und der Idee zur besonderen Stütze gereichen. Die Idee der Wellentheorie des Lichtes, wie sie Euler vortrug, nenne ich scharfsinnig und richtig, aber nicht glücklich; dieselbe Idee, wie sie von Fresnel reproduziert wurde und mit der Entdeckung der Interferenzerscheinungen zusammentraf, nenne ich glücklich. In Ihrem jetzigen Gebiete ist die Entdeckung solcher Fakta vielleicht sehr unwahrscheinlich, aber doch möglich, wie vorhandene Fakta beweisen, z. B. daß Quinte und Quarte sich zur Oktave, große Terz und kleine Terz genau zur Quinte ergänzen, die auf unmittelbarer Tonempfindung beruhend von allen akustischen Theorien unabhängig dastehen. Nur durch solche Fakta, durch die sie gestützt werden, fassen jene Ideen wirklich festen Fuß in der Wissenschaft. Wie nun aber Euler die Idee der Wellentheorie entwickelt hat, ehe solche besonders stützende Fakta vorlagen, eben so ist Ihnen die Entwickelung Ihrer Idee und die Benutzung des Vorhandenen zu Ihrer Unterstützung gestattet! Der wirkliche Erfolg wird aber davon abhängen, ob Sie das Glück haben, daß die stützenden neuen Fakta sich bald dazu finden. So lange dies nicht der Fall ist, muß die Entwickelung selbst mehr allgemein gehalten werden."

    Frappiert durch die Triftigkeit dieser von einer tiefen Einsicht diktierten Bemerkungen begnügte ich mich damals, jene Idee beiläufig und kurz in einer Schrift mitzuteilen, welche nicht den Charakter exakter Untersuchung beansprucht 5), suchte aber seitdem immer nach jenen Faktis, welche W. Weber mit Recht forderte, die Idee zu einer glücklichen zu machen, lange, ohne solche finden zu können. Endlich fielen mir als Fundamentalversuche zur genaueren Bewährung der, früher auf unbestimmtere Betrachtungen begründeten, Formel , welche als Fundamentalformel den Ausgangspunkt des Maßes bildet, jene Versuche mit dem Lichte ein, die man im 9. Kapitel dargestellt findet; daran knüpfte ich bald entsprechende Gewichtsversuche, welche mich seitdem mehrere Jahre beschäftigt haben; dann entdeckte ich, daß das, was ich suchte und erst mühsam erarbeitet zu haben glaubte, in dem von mir bisher übersehenen klaren Ausspruche und erfahrungsmäßigen Beweise des Gesetzes, um was es mir zu tun war, durch den Bruder dessen, der mir jenen Wink gegeben, schon bis zu gewissen Grenzen vorhanden war; die Unterstützung Volkmann’s, der Fund der Masson’schen Versuche, das Resultat der Untersuchung der Schätzung der Sterngrößen, trat hinzu, das Gebiet der erfahrungsmäßigen Bewährungen des Weber’schen Gesetzes zu erweitern, und die Berücksichtigung eines wenig beachteten Datums alltäglicher Erfahrung, an dem doch die ganze Nachtseite der Seele hängt, hat die noch fehlende Ergänzung zu den erfahrungsmäßigen Unterlagen geliefert, welche mir nötig schienen, die psychophysische Maßfunktion zu begründen. Dazu gelang es, die Methode der richtigen und falschen Fälle und die Methode der mittleren Fehler zu psychophysischen Maßmethoden zu erheben und als solche zu verwerten, und hiermit die Mittel zur allgemeineren Feststellung der experimentalen Unterlagen zu erweitern.

4) Zend-Avesta II, S. 368.
 
 
    Möchte nun dieser mühevolle Weg hingereicht haben, die Idee des psychischen Maßes zu einer "glücklichen" zu machen.

    Wie man sieht, war der Gang, der zum psychischen Maßprinzipe geführt hat, der umgekehrte, als den seine Darstellung hier eingeschlagen hat. Es war ein Gesichtspunkt der inneren Psychophysik, der dazu den ersten Anlaß gab, und die Tatsachen der äußeren Psychophysik wurden Anfangs bloß subsidiär zugezogen, jenen Gesichtspunkt zu stützen. Hier ist der Ausgang von vorn herein von der äußeren Psychophysik genommen und nur zuletzt einige Schritte in die innere Psychophysik hineingetan worden. Die Aufgabe stellte sich Anfangs gar nicht unter dem Gesichtspunkte dar, ein psychisches Maß zu finden, sondern eine funktionelle Beziehung zwischen Physischem und Psychischem zu suchen, welche die allgemeinen Abhängigkeitsverhältnisse derselben von einander zutreffend repräsentiert. Hier ist das psychische Maß, was auf diesem Wege gefunden ward, zur Unterlage einer Lehre von diesen Beziehungen gemacht worden, was unstreitig der angemessenere und triftigere Gang ist.

    So wenig ich das Glück, hatte, diesen Gang von vorn herein einzuschlagen, so wenig ist es mir gelungen, die einfachsten Grundpunkte desselben gleich Anfangs zu dem Grade der Klarheit und Evidenz zu bringen, den wenigstens der größere Teil derselben hier, wie ich hoffe, darbieten wird, und schwerlich wird man es den meisten Kapiteln dieser Schrift ansehen, wie viele Mühe und Umarbeitung es dazu gekostet hat. Auch hierüber will ich Einiges anführen.

    Die Deutung des positiven und negativen Vorzeichens der psychischen Werte auf Bewußt und Unbewußt bot sich leicht als eine notwendige dar, und so glaubte ich Anfangs, sie als eine allgemein anwendbare fassen zu müssen. Aber auf den allgemeinen Fall der Empfindungsunterschiede paßt diese Deutung nicht; und dies erschien mir als eine bedenkliche mathematische Inkongruenz, die doch, wie ich glaube, in den Erörterungen des 23. Kapitels sich vollkommen gehoben zeigt. — Lange machte es mir Verlegenheit, daß die Summation positiver mit negativen Bewußtseinswerten für verschiedene Punkte, Räume oder Zeiten unbrauchbare Resultate gibt, indes doch die Summation positiver und negativer Werte für sich geschehen kann. Aber die Erörterungen des 20. Kapitels zeigen meines Erachtens einleuchtend genug, daß dies vielmehr in die bekannten Anwendungsweisen der Mathematik so vollkommen hineintritt, daß man selbst eine Stütze ihrer Anwendbarkeit auf psychische Größen darin sehen konnte. — Daß der Zuwachs eines Reizes ganz verschieden zu fassen sei, je nachdem er dem Reize auf demselben Punkte oder auf einem anderen Punkte zuwächst, erstenfalls als Zuwachs unter dem Logarithmuszeichen, zweitenfalls als Logarithmus des Zuwachses, hat sich mir erst nach mancher vergeblichen Bemühung, diesen Unterschied zur Klarheit zu bringen, herausgestellt (vgl. das 22. Kapitel). — Eine der schwersten und die längste Zeit mich verwirrenden Unklarheiten, die selbst erst im Laufe des Druckes dieses Werkes vollständig verschwunden ist, doch glücklicherweise keinen wesentlichen Einfluß auf die früheren Kapitel desselben gehabt hat, lag darin, daß ich die, nach der Darstellung im 22. Kapitel vielleicht ganz selbstverständlich erscheinende, Unterscheidung zwischen Empfindungsunterschieden im engeren Sinne und empfundenen Unterschieden nicht klar zu machen wußte, ohne welche Unterscheidung die Bedeutung der Unterschiedsschwelle unklar blieb, und die Unterschiedsmaßformel neben der Unterschiedsformel nicht sicher aufzustellen war. In der Elementarkonstruktion des psychischen Maßes und den Hauptkapiteln der inneren Psychophysik habe ich vielfach über Grundvorstellungen geschwankt, und ich darf mich nicht rühmen, hier alles Schwanken beseitigt zu haben; muß vielmehr anerkennen, daß hierin erst Anknüpfungspunkte zu genaueren, allgemeineren und sichereren Feststellungen gegeben sind.