Vorwort zum zweiten Teil.

    Den allgemeinen Vorbemerkungen im Vorworte zum ersten Teile halte ich nützlich, noch einige orientierende Bemerkungen über den Inhalt dieses zweiten Teiles im Besonderen zuzufügen.

    Derselbe enthält, — abgesehen von einem historischen Kapitel, worin ich die Präzedenzien, den Ursprung und Gang dieser Untersuchungen verzeichnet habe, einigen Zusätzen und einem Register der in dieser Schrift gebrauchten neuen oder besonders definierten Ausdrücke, — in drei Hauptabteilungen:

        1) Formeln und Polgerungen des psychischen Maßes;
        2) spezielle Untersuchungen über einige Sinnesgebiete;
        3) innere Psychophysik.

    Die erste dieser Abteilungen enthält wesentlich nur die mathematische Darstellung und Verknüpfung dessen, was von Gesetzen und Tatsachen im ersten Teile vorliegt, und wird sonach dem Physiologen und Psychologen keinen neuen sachlichen Inhalt bieten. Auch wird man, nach einem Blicke auf die Masse Formeln, welche in dieser Abteilung enthalten sind, wahrscheinlich fragen, was überhaupt damit eigentlich gewonnen ist. Ich habe dies bezüglich einer der Hauptformeln, der Maßformel, kurz im Kap.16 dargelegt, und bei den anderen Formeln nicht verfehlt, auf die Anwendungen hinzuweisen, die sie versprechen oder schon gewähren. So geben die Verteilungsformeln der Empfindung im 21. Kapitel zu manchen interessanten Folgerungen Anlaß, die Anwendung der Unterschiedsmaßformel auf die Schätzung der Sterngrößen und der Lagenformeln auf die Beurteilung der Verhältnisse konstanter Fehler sind in besonderen Kapiteln (25. und 27.) besprochen, und die Auflösung, welche in Kap. 30. von dem Rätsel der Oktave in der Tonlehre gegeben worden ist, darf vielleicht ein besonderes Interesse in Anspruch nehmen.

    Das Hauptinteresse aber, was sich an diese Formeln für jetzt knüpft, bleibt immer das theoretische, ein bisher vermißtes Maß nicht nur für einfache Empfindungen begründet, sondern auch zur Repräsentation funktioneller Verhältnisse derselben in Anwendung gesetzt zu sehen, und die Prinzipien der Behandlung dieses Gegenstandes sind viel wichtiger, als die Formeln, welche nur Spezialfälle der Anwendung der Prinzipien sind. Die Prinzipien, wie sie im Kap. 6, 7, 18, 22, 30, 31 und 32 dargelegt sind, dürften nach ihrem Wesentlichen auch für den der Mathematik wenig Kundigen verständlich sein, und auf ihrer Haltbarkeit beruht die Haltbarkeit der in dieser Schrift vorgetragenen Lehre. Was die Formeln anlangt, so können sie noch mancherlei Abänderungen unterliegen. Daß sie, so wie sie hier aufgestellt sind, überall nur eine Approximation sind, so lange man im Gebiete der äußeren Psychophysik davon Gebrauch machen will, habe ich schon früher, so wie gleich im Eingange dieses Teils erklärt, und hebe es hier nochmals mit besonderem Gewichte hervor. Diese Formeln werden für verschiedene Sinnesgebiete, ja für verschiedene Anwendungsweisen der Sinne verschiedener Modifikationen oder Korrektionen bedürfen, die aber, auch wenn sie schon mit größerer Sicherheit festgestellt wären, als zur Zeit der Fall, bei der allgemeinen Behandlung des Gegenstandes hier nicht Platz finden konnten, nicht nur, weil sie für verschiedene Gebiete verschieden sein müßten 1), sondern auch, weil sie für die innere Psychophysik unstreitig überhaupt wegfallen müßten. Aber auch für die äußere und hiermit experimentelle Psychophysik werden meines Erachtens die hier gegebenen Formeln das bleiben, an was die weitere Entwickelung und genauere Feststellung des mathematischen Teiles der Empfindungslehre anzuknüpfen hat, wie denn ein, bezüglich der Lichtempfindung jüngst schon gemachter Fortschritt, dessen ich in den Zusätzen zu gedenken habe, wirklich daran angeknüpft hat.

1) So zeigt das Weber’sche Gesetz in seiner Anwendung auf die Empfindlichkeit für Gewichtsunterschiede nach Th. I, S. 197. 200 eine Abweichung an der unteren Grenze, welche mit der bei Lichtunterschieden nach Th. I, S. 165 stattfindenden nicht gleicher Natur ist, und eine andere Berücksichtigung in den Formeln der äußeren Psychophysik fordern würde, um dadurch gedeckt zu werden.
 
 
    Daß ich den wichtigsten Formeln besondere Namen gegeben habe, kann man vielleicht als eine anspruchsvolle Spielerei tadeln; und in der Tat, wenn in allen mathematischen Untersuchungen jeder Formel ein besonderer Name gegeben werden sollte, würde die Mathematik bald mit der Botanik und Zoologie an Reichtum der Namen wetteifern; aber bei dem vielfältigen Rückbezuge, den ich auf die Hauptformeln zu nehmen hatte, und der künftig anderwärts wird darauf zu nehmen sein, falls die hier vorgetragene Lehre Platz greift, wird man den dadurch erlangten Vorteil der Kürze und Ersparung von Verweisungen nicht unerheblich finden.

    Die zweite Abteilung kann leicht Anlaß geben, zu fragen, warum einige Gegenstände so ausführlich darin behandelt, und so Vieles was gleichen Anspruch hätte in einer Psychophysik behandelt zu werden, ganz übergangen ist. Meine Antwort ist einfach. Ich habe die Gegenstände, auf die sich von der hier vorgetragenen Lehre aus ein neues Licht werfen ließ oder deren Behandlung in das Allgemeine dieser Lehre wirksam eingriff, so gründlich, als es mir möglich war, zu behandeln gesucht, wie denn diese Schrift ausgesprochenermaßen im Ganzen mehr den Charakter der Untersuchung als des Lehrbuches trägt; im Übrigen geglaubt, daß man es mir keinen Dank wissen würde, anderwärts behandelte Kapitel der Physiologie und Physik hier noch einmal wiederzufinden. Unstreitig läßt sich aus gewissem Gesichtspunkte die ganze Nervenlehre und Sinneslehre in die Psychophysik hineinziehen, und wahrscheinlich werden Physiologie und Physik bei ihrem stets wachsenden Umfange künftig gern einer selbstständig konstituierten Psychophysik manche Grenzgebiete überlassen, die sie jetzt noch in ihr Bereich ziehen; immer aber wird es für diese Lehre besser sein, sich auf jene zu stützen und sie zu ergänzen, als zu wiederholen.

    An die Darstellung einiger Tastversuchsreihen in der zweiten Abteilung habe ich eine vorgreifliche Vervollständigung dessen, was im ersten Bande über die Methode der mittleren Fehler gesagt worden ist, betreffs einiger Punkte geknüpft; da ich doch wohl erst werde abzuwarten haben, ob das Publikum überhaupt ein hinreichendes Interesse an dem ganzen Kreise dieser Untersuchungen nehmen wird, um die "Maßmethoden", auf die ich früherhin über das Detail der Methoden verwiesen und noch in so mancher Beziehung zu verweisen habe, erscheinen lassen zu können.

    In der dritten Abteilung würde man vergebens ein vollständiges und abgerundetes System der inneren Psychophysik suchen; ganze Hauptgebiete, die dereinst hinein gehören, fehlen. Hauptsächlich war es nur vorerst darum zu tun, allgemeine Gesichtspunkte für dieselbe und erste Eingangspunkte in dieselbe zu gewinnen, von welchen aus eine Forschung mit wachsender Sicherheit der Resultate möglich ist. Wenn ich nicht irre, tragen diejenigen, welche an die Spitze der inneren Psychophysik gestellt sind (Kap. 36, 37, 38, 39), diesen Charakter, und auch hier lege ich das Hauptgewicht auf die Prinzipien. Von den Ausführungen, in denen ich mich versucht habe, habe ich nach und nach immer mehr weggelassen, und besorge auch jetzt noch, eher zu viel als zu wenig gegeben zu haben. Aber die Sache mußte angegriffen werden, um zu zeigen, daß sie angriffsfähig ist, sollten auch manche Angriffspunkte sich durch passendere und manche Angriffe durch geschicktere oder triftigere in Zukunft ersetzen lassen. Aus diesem Gesichtspunkte bitte ich die wenigen Ausführungen der inneren Psychophysik zu betrachten. So ist die schematische Darstellung einiger der allgemeinsten und wichtigsten psychophysischen Verhältnisse, von der ich insbesondere im 42. und 45. Kapitel Gebrauch gemacht habe, von gewisser Seite nur ein Rahmen, von anderer ein Surrogat. Ich halte diese Darstellung für nützlich, ja für sehr nützlich, einer sonst in dieser Hinsicht bestehenden Leere gegenüber; doch muß dieser Rahmen einst mit Bestimmtheiten ausgefüllt, das Surrogat durch direktere Darstellungen, die es bis jetzt zu vertreten hat, ersetzt werden.

    Denjenigen, deren Interesse hauptsächlich ein empirisches ist, bietet dieser Band nur etwa im 34., 35. und 44. Kapitel einiges neue Erfahrungsmaterial. Die Beobachtungen über Kontrastverhältnisse, auf welche Th. II, Kap. 24 verwiesen worden ist, haben, teils weil sie noch nicht vollständig redigiert waren, teils einen etwas zu großen Umfang gewonnen haben, hier nicht mehr Platz finden können, sind aber ziemlich gleichzeitig mit diesem Bande in den Berichten der sächs. Soc. 1860 unter der Überschrift "Über die Kontrastempfindung" erschienen. Über die, leider erfolglos gebliebene, nachträgliche Anstellung eines, Th. II, S. 174 in Aussicht gestellten, wichtigen akustischen Versuches berichte ich in den Zusätzen, welche außerdem die Bezugnahme auf einige neuere wichtige Untersuchungen von Helmholtz enthalten.

    Will man, so kann man als eine Ergänzung dieser Schrift eine demnächst erscheinende, den Inhalt einiger früheren Schriften teils resümierende, teils erweiternde, kleine populär gehaltene Schrift "Über die Seelenfrage" betrachten, welche die im 45. Kapitel vorliegender Schrift zum Schlusse nur kurz angedeuteten Aussichten, die sich von einer allgemeinsten Fassung der Psychophysik aus ins Gebiet der Religion und Naturphilosophie eröffnen, behandelt. Die Gesichtspunkte, aus denen es geschieht, ohne nach Form und Sache eine Exaktheit zu beanspruchen, die hierher noch nicht reicht, dürften den exakten doch so nahe stehen, als es die Natur der Aufgaben und unsere Erkenntnismittel seither gestatten, und ich habe sie unter dem Namen Erfahrungsprinzipien des Glaubens genauer zu formulieren gesucht. Wenn nun schon die daselbst resümierten Ansichten bei ihrem Widerspruche gegen die jetzt herrschende gemeine sowohl als theologische und philosophische Weltansicht sich seither keines sonderlichen Anklanges zu erfreuen gehabt haben, und eben so wenig hoffen dürfen, einen solchen demnächst zu finden, läßt sich doch aus den Erörterungen des 45. und 46. Kapitels vorliegender Schrift leicht übersehen, daß sie nur die Vorwegnahme des dereinstigen Zieles einer auf der Grundlage der Prinzipien dieser Schrift sich entwickelnden Psychophysik sind. Sie wird keine allgemeine werden können, ohne den geistigen Stufenbau der Welt über die jetzt angenommenen Grenzen hinaus zu erweitern, zu vertiefen und zu erhöhen. Dies sage ich zwar mit der Überzeugung, daß der Widerstand der Zeit gegen derartige Ansichten auch auf die Aufnahme dieser Psychophysik zurückwirken wird, welche dieselben als Folgerungen im Keime in sich trägt, aber eben so mit der Überzeugung, daß dieser Widerstand an dem festen Grunde und der künftigen Entwickelung dieser Lehre endlich scheitern wird.

    Leipzig, den 18. August 1860.