Über

die Apperzeptionsdauer

bei

einfachen und zusammengesetzten Vorstellungen.

Inaugural-Dissertation

zur Erlangung der Doktorwürde in der Philosophie vorgelegt

der philosophischen Fakultät

der

Universität Leipzig

im Februar 1881

von

Max Friedrich.

Leipzig,

Wilhelm Engelmann.

1881.
 
 

Separat-Abdruck aus: Psychol. Untersuchungen. I. Bd. 1. Hft.

    Der Zweck der folgenden Versuche, welche im Verlauf des Wintersemesters 1879—80 unter Leitung des Herrn Professor Wundt ausgeführt wurden, war die Beantwortung der Frage nach der Zeitdauer der Apperzeption von zusammengesetzten Vorstellungen. Es versteht sich von selbst, dass die gestellte Aufgabe in dieser allgemeinen Form nicht zu lösen ist, da unter der ungeheuren Mannigfaltigkeit der zusammengesetzten Vorstellungen immer nur gewisse eng begrenzte Gebiete derselben eine gemeinsame Behandlungsweise und vergleichende Betrachtung bezüglich ihrer Apperzeptionsdauer zulassen werden. Am leichtesten und bequemsten ordnen sich, ohne Zweifel den Gesichtseindrücken zugehörige Vorstellungen in Gruppen an, und unter diesen sind es wieder die Vorstellungen einfacher Raumgebilde und die Zahlenvorstellungen, welche wegen ihrer Einfachheit und ihres innern gesetzmäßigen Zusammenhanges für unsre Zwecke besonders geeignet waren und deshalb bei unsern Untersuchungen zu Grunde gelegt wurden.

    Es schien wünschenswert, die für zusammengesetzte Gesichtsvorstellungen gefundenen Resultate mit der Apperzeptionsdauer einfacher Gesichtseindrücke zu vergleichen, Über die letzteren liegen bereits von Donders1), v. Kries und Auerbach2) u. A. Versuche vor. Allein die ungleichen Bedingungen, unter denen dieselben stattfanden, die Verschiedenheit der beim Reagieren benutzten Methoden und der Umstand, dass jene psychophysischen Zeiten individuellen Einflüssen unterworfen sind, veranlassten uns, eigene Versuche über den gedachten Gegenstand anzustellen, womit wir zugleich, soweit dies tunlich, eine prüfende Kontrolle der einzelnen beim Reagieren üblichen Methoden verbanden. Ein Blick auf die von den verschiedenen Beobachtern für die Apperzeptionsdauer einfacher Gesichtseindrücke (Farben) gefundenen Zahlen zeigt aufs deutlichste, wie sehr die Resultate von der Art und Weise des erhaltenen Reizes und des Reagierens abhängen und wie vorsichtig man in der Wahl und Anordnung dieser äußeren Umstände sein muss.
 

    l) Donders, Schnelligkeit psychischer Prozesse. Archiv für Anatomie und Physiologie. 1868.

    2) v. Kries und Auerbach, die Zeitdauer einfachster psychischer Vorgänge. Ebend. 1877.
 
 

    Die vorliegende Materie zerfällt ihrem Inhalte nach in vier Abschnitte, deren erster sich mit der Methode und der Technik der Versuche beschäftigt. Die zwei folgenden behandeln das eigentliche Ziel unsrer Untersuchungen, welches in der Beantwortung der beiden Fragen liegt:

        1) »Welches ist die Dauer der Apperzeption einfacher Farbenempfindungen?«

        2) »Welches ist die Dauer der Apperzeption zusammengesetzter Gesichtsvorstellungen (Zahlen) ?«

    Ein vierter und letzter Abschnitt enthält einige Bemerkungen über die Übung und Ermüdung, sowie eine kurze Zusammenstellung der gefundenen Resultate.
 
 
 
 

Inhalt



        1. Die Methode und Technik der Versuche.

        2. Die Dauer der Apperzeption einfacher Farbenempfindungen.

        3. Die Apperzeptionsdauer zusammengesetzter Gesichtsvorstellungen.

        4. Übung, Ermüdung. Rückblick.
 
 

Vita

    Am 14. August 1856 zu Reudnitz bei Leipzig als Sohn des Schriftstellers Dr. Friedrich Friedrich geboren, erhielt ich in der Taufe in evangelischer Kirche den Namen Max Friedrich Friedrich. Nach dem in der Vorschule zu Reudnitz genossenen Elementarunterrichte wurde ich 1867 in die Sexta des Kgl. Wilhelmgymnasium zu Berlin (Dir. Prof. Dr. Kübler) aufgenommen, welches ich, da mein Vater nach Eisenach übersiedelte, 1872 als Secundaner verließ, um in Eisenach das dortige Realgymnasium (Dir. Prof. Dr. Köpp) zu absolvieren. Mit dem Zeugnis der Reife versehen hörte ich von 1875 bis 1876 am Kgl. Polytechnikum zu Hannover Mathematik, Physik und Mechanik bei den Proff. Grelle und Qnintus-Icilius und begab mich im Sommer 1876 nach Leipzig, um mich ganz dem Studium der reinen Wissenschaft zu widmen. In Leipzig besuchte ich die Vorlesungen und Übungen der Proff. Neumann, Scheibner, Hankel, Mayer, von der Mühll, Bruhns, Wiedemann, Wundt, Zöllner, Leuckart, Hermann. Im Winter 1878/79 hörte ich in Berlin die Vorlesungen der Proff. Weierstrass, Kummer, Kirchhoff, Borchardt, Dubois-Reymond, denen Allen, namentlich meinen hochverehrten Lehrern in Leipzig, ich für die Förderungen und Bemühungen, die sie mir haben angedeihen lassen, hiermit meinen aufrichtigen Dank sage.

    Ostern 1879 nach Leipzig zurückgekehrt, meldete ich mich nach einem weiteren Studium von zwei Semestern im Februar 1880 zur Prüfung für den höheren Schuldienst, die ich im Juli desselben Jahres bestand. Von Michaelis 1880 bis Ostern 1881 war ich als Probandus dem Gymnasium zu St. Thomä in Leipzig zugewiesen.