Zweiter Abschnitt.

Die Zusammensetzung der Schwingungen.

Wir sind am Ende des vorigen Abschnitts auf die merkwürdige Tatsache gestoßen, daß das menschliche Ohr unter gewissen Umständen den Klang, welchen ein einzelnes musikalisches Instrument hervorgebracht hat, zerlegt in eine Reihe von Tönen, nämlich den Grundton und verschiedene Obertöne, welche es alle einzeln empfindet. Daß das Ohr solche Töne von einander zu scheiden weiß, welche verschiedenen Ursprung haben, also aus verschiedenen, nicht ans einem tönenden Körper hervorgegangen sind, ist uns aus der täglichen Erfahrung bekannt. Wir können in einem Konzerte ohne Schwierigkeit dem melodischen Gange jeder einzelnen Instrumental- oder Vokalstimme folgen, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf sie allein richten, und bei etwas größerer Übung gelingt es auch, der gleichzeitigen Bewegung vieler verflochtener Stimmen zu folgen. Dasselbe gilt übrigens nicht bloß für musikalische Klänge, sondern auch für Geräusche oder für Mischungen von beiden. Wenn mehrere Menschen zugleich sprechen, so können wir im Allgemeinen beliebig auf die Worte des einen oder des anderen Sprechers hinhören und sie verstehen, vorausgesetzt, daß sie nicht durch die bloße Stärke der übrigen zu sehr übertönt werden. Daraus folgt nun erstens, daß viele verschiedene Schallwellenzüge gleichzeitig durch denselben Luftraum hin sich fortpflanzen können, ohne sich gegenseitig zu stören, zweitens, daß das menschliche Ohr die Fähigkeit besitzt, die zusammengesetzte Luftbewegung, welche durch mehrere gleichzeitig wirkende Tonwerkzeuge hervorgebracht wird, in der Empfindung wieder in ihre einfachen Bestandteile zu zerlegen. Wir werden zunächst beschreiben, von welcher Art die Bewegung der Luft ist, im Falle mehrere Klänge in ihr gleichzeitig bestehen, und worin sich eine solche zusammengesetzte Bewegung von der eines einfachen Klanges unterscheidet. Dabei wird sich ergeben, daß durchaus nicht in allen Fällen für das Ohr ein sicher entscheidender Unterschied zwischen der Luftbewegung besteht, welche durch mehrere, aus verschiedenen Quellen herrührende Klänge erregt wird, und zwischen der eines einzigen Klanges eines einzelnen tönenden Körpers, insoweit nämlich diese Luftbewegung auf das Ohr einwirken kann; und daß das Ohr deshalb vermöge derselben Fähigkeit, mittels welcher es zusammengesetzte Klänge analysiert, auch einfache Klänge unter Umständen analysieren muss. Auf diese Weise wird uns dann der Sinn der Zerlegung eines einzelnen Klanges in eine Reihe von Partialtönen klar werden, und wir werden einsehen, daß dieses Phänomen auf einer der wesentlichsten Grundeigenschaften des menschlichen Ohres beruht.

Wir beginnen mit der Untersuchung der Luftbewegung, welche mehreren gleichzeitig erklingenden und neben einander bestehenden Tönen entspricht. Um die Art einer solchen Bewegung anschaulich zu machen, werden wieder die Wellen auf der Oberfläche eines ruhigen Wassers einen geeigneten Anhaltspunkt geben können. Wir haben gesehen, daß, wenn ein Teil der Wasseroberfläche durch einen hineingeworfenen Stein erschüttert wird, die Erschütterung sich in Form von Wellenringen über die Fläche zu immer ferneren und ferneren Punkten hin ausbreitet. Werfen wir nun zwei Steine gleichzeitig an zwei verschiedenen Stellen der Wasserfläche hinein, so haben wir zwei Mittelpunkte der Erschütterung; von jedem aus entsteht ein Wellenring, beide Wellenringe vergrößern sich und treffen endlich auf einander. Nun werden die Stellen der Wasserfläche, wo sie sich treffen, durch beide Erschütterungen gleichzeitig in Bewegung gesetzt, das hindert aber die beiden Wellenzüge nicht, sich gerade ebenso weiter fortzupflanzen, als wenn jeder von ihnen ganz allein auf der Wasserfläche vorhanden wäre, und der andere gar nicht existierte. Indem sie ihren Weg fortsetzen, trennen sich diejenigen Teile beider Ringe wieder, welche eben zusammengefallen waren, und zeigen sich dem Auge von Neuem einzeln und in unveränderter Gestalt. Zu diesen kleinen Wellenringen, welche hineingeworfene Steine hervorbringen, können noch andere Arten von Wellen kommen, wie sie der Wind, oder ein vorüberfahrendes Dampfschiff erregt. Man wird auf der schaukelnden Wasserfläche unsere Kreisringe sich ebenso ruhig und regelmäßig ausbreiten sehen, wie auf einer ebenen. Weder werden die größeren Wellen von den kleineren, noch die kleineren von den größeren wesentlich gestört, vorausgesetzt, daß die Wellen nirgend brandend zerschellen, wodurch dann allerdings ihr regelmäßiger Verlauf gehindert werden würde.

Überhaupt wird man nicht leicht eine größere Wasserfläche von einem hohen Punkte aus überschauen können, ohne daß man eine große Menge verschiedener Wellen Systeme, die sich gegenseitig überlagern und durchkreuzen, vor sich sieht. Am reichsten ist darin die Meeresfläche, von einem hohen Ufer aus betrachtet, wenn sie nach heftigerem Winde wieder anfängt sich zu beruhigen. Man sieht dann einmal die großen Wogen, welche aus weiter stahlblauer Ferne her in langen gestreckten Linien, die sich hier und da durch ihre weiß aufschäumenden Kämme deutlicher abzeichnen, und in regelmäßigen Abständen einander folgen, gegen das Ufer ziehen. Am Ufer werden sie zurückgeworfen, je nach dessen Einbuchtungen in verschiedener Richtung, so daß die ankommenden Wellen von den zurückgeworfenen schräg durchkreuzt werden. Ein vorüberziehendes Dampfschiff bildet etwa noch seinen gabelähnlichen Wellenschweif, oder ein Vogel, der einen Fisch erschnappt, erregt kleine kreisförmige Ringe. Dem Auge des Beschauers gelingt es leicht, allen diesen verschiedenen Wellenzügen, großen und kleinen, breiten und schmalen, geraden und gekrümmten, einzeln zu folgen, ihren Ablauf über die Wasserfläche hin zu beobachten, den jeder ganz ungestört verfolgt, als wäre die Wasserfläche, über die er hinzieht, gar nicht gleichzeitig von anderen Bewegungen und anderen Kräften in Anspruch genommen. Ich muss gestehen, daß mir dieses Schauspiel, so oft ich es aufmerksam verfolgt habe, eine eigentümliche Art intellektuellen Vergnügens gemacht hat, weil hier vor dem körperlichen Auge erschlossen ist, was für die Wellen des unsichtbaren Luftmeers nur das geistige Auge des Verstandes durch eine lange Reihe komplizierter Schlüsse sich deutlich machen kann.

Ein ganz ähnliches Schauspiel muss man sich nun im Innern etwa eines Tanzsaals vorgehend denken. Da haben wir eine Anzahl von Musikinstrumenten, sprechende Menschen, rauschende Kleider, gleitende Füße, klirrende Gläser u. s. w. Alle diese erregen Wellenzüge, welche durch den Luftraum des Saales hinschießen, an seinen Wänden zurückgeworfen werden, umkehren, dann gegen eine andere Wand treffen, nochmals reflektiert werden, und so fort, bis sie erlöschen. Man muss sich denken, daß vom Munde der Männer und von den tieferen Musikinstrumenten langgestreckte Wellen ausgehen, 8 bis 12 Fuß lang, von den Lippen der Frauen kürzere, 2 bis 4 Fuß lang, daß das Rauschen der Kleider ein feines kleines Wellengekräusel hervorbringt, kurz ein Durcheinander der verschiedenartigsten Bewegungen, welches man sich kaum verwickelt genug vorstellen kann.

Und doch ist das Ohr im Stande alle die einzelnen Bestandteile eines so verwirrten Ganzen von einander zu sondern, woraus wir denn schließen müssen, daß in der Luftmasse alle diese verschiedenen Wellenzüge neben einander bestehen und sich gegenseitig nicht stören. Wie ist es nun möglich, daß sie neben einander bestehen, da jeder einzelne Wellenzug an jeder Stelle des Lüftraumes seinen besonderen Wert der Verdichtung oder Verdünnung, der Geschwindigkeit der Luftteilchen nach dieser oder jener Richtung hervorzubringen strebt. Es ist klar, daß an jeder einzelnen Stelle des Luftraumes in jedem Zeitmoment nur ein einziger Grad der Dichtigkeit bestehen kann, daß die Luftteilchen nur eine bestimmte Bewegung von einem bestimmten Grade der Geschwindigkeit und in einer bestimmten Richtung in einem einzelnen Augenblicke ausführen können.

Was in einem solchen Falle geschieht, wird bei den Wellen des Wassers dem Auge direkt sichtbar. Wenn über die Wasserfläche lange größere Wellen hinziehen, und wir werfen einen Stein hinein, so werden dessen Wellenringe in die bewegte und zum Teil gehobene, zum Teil gesenkte Fläche gerade ebenso hineingeschnitten, die Berge der Ringe ragen über sie eben so hoch hervor, die Täler sind um ebensoviel tiefer als jene Fläche, wie wenn die Wellenringe sich auf der natürlichen ebenen Oberfläche des Wassers ausbreiteten. Wo also ein Berg des Wellenringes auf einem Berge des größeren Wellenzuges liegt, ist die Erhebung der Wasserfläche gleich der Summe beider Berghöhen, und wo ein Tal des Wellenringes in ein Tal der größeren Wellen fällt, ist die gesamte Einsenkung der Wasserfläche gleich der Summe der Tiefe beider Täler. Wo aber auf der Höhe der größeren Wellenberge sich ein Tal des Wellenringes einschneidet, wird die Höhe dieses Berges vermindert um die Tiefe des Tales. Kürzer können wir diese Beschreibung liefern, wenn wir die Höhen der Berge über dem Niveau der ruhenden Wasserfläche als positive Größen betrachten, die Tiefen der Täler dagegen als negative Größen und die Summe solcher positiven und negativen Größen im algebraischen Sinne bilden, wobei bekanntlich je zwei positive Größen (Berge), welche zusammenkommen, wirklich addiert werden, je zwei negative (Täler) ebenso; wo aber negative und positive zusammenkommen, diese von einander subtrahiert werden. Wenn wir also die Addition im algebraischen Sinne ausführen, können wir unsere Beschreibung der Wasserfläche bei zwei zusammentreffenden Wellen Systemen einfach so ausdrücken: "Die Erhebung der Wasserfläche in jedem ihrer Punkte ist in jedem Zeitmomente so groß, wie die Summe derjenigen Erhebungen, welche die einzelnen Wellensysteme einzeln genommen an demselben Punkte und zu derselben Zeit hervorgebracht haben würden".

Am deutlichsten und leichtesten unterscheidet das Auge den Vorgang in einem solchen Falle, wie ihn das eben angeführte Beispiel eines Wellenringes auf einer von größeren geradlinigen Wellen durchzogenen Fläche voraussetzte, weil sich hier die beiden Wellensysteme durch die Länge und Höhe ihrer Wellen und durch deren Richtung beträchtlich von einander unterscheiden. Aber bei einiger Aufmerksamkeit erkennt das Auge, daß genau dasselbe vorgeht, auch wenn die verschiedenen Wellenzüge durch ihre Form weniger von einander unterschieden sind, wenn z. B. lange geradlinige Wellen, die gegen das Ufer laufen, mit den vom Ufer in etwas anderer Richtung reflektierten sich mischen. Dann entstehen die oft gesehenen kammförmig eingeschnittenen Wellenberge, indem der Rücken der Wellenberge des einen Systems an einzelnen Punkten erhöht wird durch die Berge des anderen Systems, an anderen eingeschnitten durch die Täler des letzteren. Die Mannigfaltigkeit der Formen ist hier außerordentlich groß, es würde viel zu weit führen, sie alle beschreiben zu wollen. An jeder bewegten Wasserfläche ergibt sich das Resultat dem aufmerksamen Beobachter leicht ohne Beschreibung. Für unseren Zweck genügt es hier, wenn der Leser an dem ersten Beispiel sich klar gemacht hat, was es heißt, daß Wellen sich zu einander addieren sollen1).
 
 

1) Auch die Geschwindigkeiten und die Verschiebungen der Wasserteilchen addieren sich nach dem Gesetz des sogenannten Parallelogramms der Kräfte. Übrigens findet eine solche einfache Addition der Wellen streng genommen nur dann statt, wenn die Höhen der Wellen verglichen mit der Wellenlänge verhältnismäßig klein sind.

Wenn also auch die Wasseroberfläche in jedem einzelnen Zeitmomente nur eine einzige Form annehmen kann, während zwei verschiedene Wellensysteme gleichzeitig jedes seine besondere Form der Wasserfläche einzuprägen suchen, so können wir doch in dem angeführten Sinne zwei verschiedene Wellensysteme als gleichzeitig bestehend und einander superponiert betrachten, indem wir die wirklich bestehenden Erhebungen und Vertiefungen der Fläche passend in je zwei Teile zerlegt denken, die den einzelnen Systemen angehören.

In demselben Sinne findet nun auch eine Superposition verschiedener Schallwellensysteme in der Luft statt. Durch jeden Schallwellenzug wird die Dichtigkeit der Luft, die Geschwindigkeit und Lage der Luftteilchen zeitweilig verändert. Es gibt Stellen der Schallwelle, die wir den Wellenbergen des Wassers verglichen haben, in denen die Luftmenge vermehrt ist, und die Luft, die nicht wie das Wasser einen freien Raum über sich hat, in den sie ausweichen kann, sich verdichtet; andere Stellen des Luftraumes, den Wellentälern vergleichbar, haben verminderte Luftmenge und daher geringere Dichtigkeit. Wenn also auch nicht an demselben Orte und zu derselben Zeit zwei verschiedene Grade der Dichtigkeit, durch zwei verschiedene Wellensysteme hervorgerufen, nebeneinander bestehen können, so können sich doch die Verdichtungen und Verdünnungen der Luft zu einander addieren, gerade wie Erhöhungen und Vertiefungen der Wasseroberfläche. Wo zwei Verdichtungen zusammentreffen, erhalten wir eine stärkere Verdichtung, wo zwei Verdünnungen, eine stärkere Verdünnung, während Verdichtung und Verdünnung zusammentreffend sich gegenseitig teilweise oder ganz aufheben und neutralisieren.

Die Verschiebungen der Luftteilchen setzen sich ebenso zusammen. Wenn die Verschiebung durch zwei verschiedene Wellensysteme nicht in derselben Richtung erfolgt, so setzen sich beide Verschiebungen nach der Diagonale zusammen; wenn z. B. der eine Wellenzug dasselbe Luftteilchen nach oben, der, zweite nach rechts zu verschieben strebt, so wird es schräg nach rechts und oben gehen. Für unseren vorliegenden Zweck brauchen wir auf eine solche Zusammensetzung von Bewegungen verschiedener Richtung nicht näher einzugehen. Es interessiert uns nur die Wirkung der Luftmasse auf das Ohr, und dabei kommt es nur auf die Bewegung der Luft im Gehörgange an. Nun ist aber unser Gehörgang, mit den Schallwellenlängen verglichen, verhältnismäßig so eng, daß wir nur Bewegungen der Luft, die seiner Achse parallel gehen, zu berücksichtigen brauchen und also nur Verschiebungen der Luftteilchen nach außen und nach innen, d. h. nach der Mündung und nach der Tiefe des Gehörganges, zu unterscheiden haben. Für die Größe dieser Verschiebungen sowohl, als für die Geschwindigkeiten, mit denen sich die Luftteilchen nach außen oder innen bewegen, findet wieder dieselbe Art von Addition statt, wie für die Wellenberge und Wellentäler.

Wenn also mehrere tönende Körper in dem uns umgebenden Luftraume gleichzeitig Schallwellensysteme erregen, so sind sowohl die Veränderungen der Dichtigkeit der Luft, als die Verschiebungen und die Geschwindigkeiten der Luftteilchen im Innern des Gehörganges gleich der Summe derjenigen entsprechenden Veränderungen, Verschiebungen und Geschwindigkeiten, welche die einzelnen Schallwellenzüge einzeln genommen hervorgebracht haben würden2); und insofern können wir sagen, daß alle die einzelnen Schwingungen, welche die einzelnen Schallwellenzüge hervorgebracht haben würden, ungestört neben einander und gleichzeitig in unserem Gehörgange bestehen.

2) Dasselbe gilt für den ganzen Luftraum, wenn man die Addition der Verschiebungen von verschiedener Richtung nach dem Gesetze des Parallelogramms der Kräfte vollzieht.
 
 

Nachdem wir in dieser Weise zur Erledigung der ersten Frage auseinandergesetzt haben, in welchem Sinne es möglich sei, daß mehrere verschiedene Wellenzüge auf derselben Wasserfläche oder in demselben Luftraume neben einander bestehen, gehen wir dazu über, die Art der Tätigkeit zu bestimmen, welche unseren Sinnesorganen zufällt, die ein so zusammengesetztes Ganze wieder in seine Bestandteile auflösen sollen.

Ich habe schon angeführt, daß das Auge, welches eine weite vielbewegte Wasserfläche überblickt, mit ziemlicher Leichtigkeit die einzelnen Wellenzüge von einander trennen und einzeln verfolgen kann. Das Auge hat hierbei dem Ohre gegenüber einen großen Vorteil dadurch, daß es eine große Ausdehnung der Wasserfläche gleichzeitig überblicken kann. Es unterscheidet also leicht, ob die einzelnen Wellenzüge geradlinig oder gekrümmt sind, ob sie denselben Mittelpunkt ihrer Krümmung haben oder nicht, in welcher Richtung sie sich fortpflanzen, und in allen diesen Beobachtungen erhält es ebenso viele Hilfsmittel um zu unterscheiden, ob zwei Wellenberge zusammengehören oder nicht, beziehlich um die zusammengehörigen Teile der einzelnen herauszufinden. Dazu kommt dann auch noch, daß auf der Wasserfläche Wellen von ungleicher Wellenlänge mit ungleicher Geschwindigkeit fortschreiten. Wenn dieselben also auch in irgend einem Zeitmomente so zusammenfallen, daß sie schwer zu trennen sind, so eilt doch unmittelbar darauf der eine Zug voran, der andere bleibt nach, und sie werden dann bald dem Auge wieder vereinzelt sichtbar. Auf diese Weise ist es im Ganzen dem Beobachter sehr erleichtert, jedes einzelne System auf seinen besondern Ursprungsort zu beziehen und es während seines weiteren Verlaufs im Auge zu behalten. Für den Gesichtssinn können also namentlich auch zwei Wellensysteme niemals verschmelzen, welche zwei verschiedene Ursprungsorte haben, zwei Wellenringe z. B., die von zwei an verschiedenen Punkten in das Wasser geworfenen Steinen herrühren. Wenn auch an einer Stelle die Wellenringe etwa so zusammenfallen sollten, daß sie nicht leicht zu trennen sind, so werden sie im größten Teile ihres Umfangs immer getrennt bleiben. Das Auge wird also nicht leicht in die Lage kommen können, eine zusammengesetzte Wellenbewegung mit einer einfachen zu verwechseln. Das ist es aber gerade, was unter ganz ähnlichen Umständen das Ohr tut, wenn es den Klang, welcher von einer einzigen Tonquelle hervorgebracht ist, in eine Reihe von Partialtönen auflöst.

Das Ohr befindet sich aber einem Schallwellensysteme gegenüber auch in einer viel ungünstigeren Lage, als das Auge einem Wasserwellensystem gegenüber. Das Ohr wird ja nämlich nur von der Bewegung derjenigen Luftmasse affiziert, die sich in der unmittelbarsten Nähe seines Trommelfells im Gehörgange befindet Da der Querschnitt des Gehörgangs verhältnismäßig klein ist, verglichen mit der Länge der Schallwellen, die für die musikalisch brauchbaren Töne zwischen 32 Fuß und 6 Zoll beträgt, so entspricht der Querschnitt des Gehörgangs nur einem einzigen Punkte der bewegten Luftmasse. Er ist zu klein, als daß an verschiedenen Punkten desselben merklich verschiedene Grade der Verdichtung oder Geschwindigkeit vorkommen könnten, denn die Orte größter und kleinster Verdichtung, größter positiver und negativer Geschwindigkeit sind immer um eine halbe Wellenlänge von einander entfernt. Das Ohr befindet sich also etwa in derselben Lage, wie wenn wir das Auge durch eine enge Röhre nach einem einzigen Punkte der Wasserfläche blicken ließen, dessen Steigen und Fallen es erkennen könnte, und ihm zumuteten, auch unter diesen Umständen die Analyse der zusammengesetzten Wellen vorzunehmen, an welcher Aufgabe, wie leicht einzusehen ist, das Auge in den meisten Fällen vollständig scheitern würde. Das Ohr ist nicht im Stande zu erkennen, welcher Art die Luftbewegung in entfernten Stellen des Raumes ist, ob die Wellen, von denen es selbst getroffen wird, ebene oder kugelige Flächen sind, ob sie sich in einem oder mehreren Kreisen zusammenschließen, in welcher Richtung sie fortschreiten. Ihm gehen alle die Hilfsmittel ab, auf die sich das Urteil des Auges hauptsächlich stützt.

Wenn demnach das Ohr trotz aller dieser Schwierigkeiten doch die Fähigkeit hat, die Klänge verschiedenen Ursprungs von einander zu trennen — und in der Tat zeigt es eine bewunderungswürdige Fertigkeit in der Lösung dieser Aufgabe —, so muss es diese Trennung mittels ganz anderer Hilfsmittel und Fähigkeiten zu Stande bringen, als die sind, welche das Auge benutzt. Welches aber auch diese Hilfsmittel seien — wir werden ihre Natur später zu bestimmen suchen —, so ist klar, daß die Analyse einer zusammengesetzten Klangmasse anknüpfen muss an bestimmte Eigentümlichkeiten der Luftbewegung, welche auch in einer so kleinen Luftmasse sich ausprägen können, wie die im Gehörgange enthaltene ist. Wenn die Bewegungen der Luftteilchen im Gehörgange bei zwei verschiedenen Gelegenheiten gleich sind, wird auch die gleiche Empfindung im Ohre entstehen müssen, welches auch der Ursprung der genannten Bewegungen sein mag, ob sie von einer oder von mehreren Tonquellen herrühren.

Wir haben schon vorher auseinandergesetzt, daß die Luftmasse, die das Trommelfell berührt, bei den hier in Betracht kommenden Verhältnissen nur wie ein einzelner Punkt in dem uns umgebenden Luftraume betrachtet werden kann. Gibt es also Eigentümlichkeiten der Bewegung eines einzelnen Luftteilchens, welche verschieden sind bei einem einfachen Klange und einer aus mehreren Klängen zusammengesetzten Klangmasse? Wir haben gesehen, daß jedem einzelnen Klange eine periodische Bewegung der Luft entspricht, und daß seine Tonhöhe durch die Länge der Periode bestimmt wird, daß aber die Art der Bewegung innerhalb einer einzelnen Periode ganz willkürlich ist, und eine unendliche Mannigfaltigkeit verschiedener Formen zulässt. Wenn nun die Luftbewegung innerhalb des Gehörganges nicht periodisch ist, oder ihre Perioden wenigstens nicht so kurz sind, wie die eines hörbaren Klanges, so ist sie durch diesen Umstand schon von jeder Bewegung unterschieden, die einem einzelnen Klange angehört; sie muss dann Geräuschen, oder einer Anzahl gleichzeitig bestehender Klänge entsprechen. Von dieser Art sind wirklich die meisten Fälle, wo nur der Zufall verschiedene Klänge zusammengebracht hat, wo die Klänge nicht absichtlich zu konsonanten Akkorden musikalisch verbunden sind, und selbst wo musiziert wird, sind bei der jetzt herrschenden temperierten Stimmung der Instrumente selten die Bedingungen genau eingehalten, welche erfüllt sein müssen, damit die resultierende Bewegung der Luft genau periodisch ist. In der Mehrzahl der Fälle wird also die mangelnde Periodizität der Bewegung das Kennzeichen einer zusammengesetzten Klangmasse abgeben können.

Aber es kann eine zusammengesetzte Klangmasse auch eine rein periodische Luftbewegung geben, dann nämlich, wenn alle Klänge, welche sich mischen, Schwingungszahlen haben, welche ganze Vielfache von einer und derselben Schwingungszahl sind, oder was dasselbe sagt, wenn alle diese Klänge ihrer Tonhöhe nach als harmonische Obertöne desselben Grundtons angesehen werden können. Es ist schon im ersten Abschnitte gesagt worden, daß die Schwingungszahlen der Obertöne ganze Vielfache von der Schwingungszahl des Grundtons sind. An einem bestimmten Beispiele wird der Sinn dieser Regel klar werden. Die Kurve A, Fig. 11 (a. f. S.), stellt in der Weise, wie wir es im ersten Abschnitte auseinandergesetzt haben, eine einfache pendelartige Bewegung dar, wie sie durch eine tönende Stimmgabel in der Luft des Gehörganges hervorgerufen wird. Die horizontalen Längen in den Kurven der Fig. 11 stellen also die fortschreitende Zeit dar, die vertikalen Höhen der Kurve die entsprechenden Verschiebungen der Luftteilchen im Gehörgange. Es soll nun zu dem ersten Tone, dem die Kurve A angehört, noch ein zweiter hinzukommen, der die höhere Oktave des vorigen ist und dem die durch Kurve B dargestellte Luftbewegung angehört. Dem entsprechend haben zwei Schwingungen der Kurve B genau dieselbe Länge, wie eine Schwingung von A. In A enthalten die Abschnitte d0d und dd 1 vollkommen kongruente Stücke der Kurve. Die Kurve B ist ebenfalls in kongruente Stücke geteilt durch die Punkte ee1 und ee1. Zwar könnten wir noch jeden der Abschnitte ee und ee1 halbieren und würden dann wiederum unter sich kongruente Stücke bekommen, welche je einer einzelnen Periode von B entsprächen. Aber indem wir je zwei Perioden von B zusammenfassen, erhalten wir eine Teilung von B in Abschnitte, die genau ebenso lang sind, wie die Abschnitte von A.

Wenn nun beide Töne zusammen erklingen, und der Zeit nach der Punkt e mit d0, e mit d , e1 mit d1 zusammenfällt, so addieren sich die Höhen des Kurvenstücks e e zu den Höhen von d0 d , ebenso die von ee1 zu denen von dd 1. Das Resultat dieser Addition ist dargestellt durch die Kurve C. Die punktierte Linie ist eine Kopie von dem Abschnitt d0 d der Kurve A. Sie dient dazu, dem Auge die Zusammensetzung unmittelbar anschaulich zu machen. Man sieht leicht, daß die Kurve C sich überall ebenso hoch über die Höhe von A hebt oder darunter senkt, als die Kurve B sich über die Horizontale erhebt, beziehlich unter sie senkt. Die Höhen der Kurve C sind also, der Regel über Zusammensetzung der Schwingungen entsprechend, gleich der (algebraischen) Summe der entsprechenden Höhen von A und B. So ist das Lot c1 in C die Summe der Lote a1 und b1 in A und B; der untere Teil i dieses Lotes c1 bis zur punktierten Kurve hinauf ist gleich dem Lote a1, der obere gleich dem Lote b1. Dagegen ist das Lot c2 gleich der Höhe a2 vermindert um die Tiefe der Senkung b2, und in derselben Weise sind alle anderen Höhen der Kurve C gefunden.

Daß die in der Kurve C dargestellte Bewegung ebenfalls periodisch ist und dieselbe Länge der Perioden hat wie A, ist ersichtlich. In der Tat muss die Addition der Abschnitte d0von A und e evon B dasselbe Resultat geben, wie die Addition der den vorigen ganz gleichen Abschnitte dd 1 und ee 1 und, wenn man die Kurven fortgesetzt denkt, ebenso aller folgenden gleichen Abschnitte, in die sie zerfallen. Es ist aber auch ersichtlich, daß nur dann immer wieder gleiche Stücke beider Kurven bei der Addition auf einander fallen werden, wenn die Kurven sich in kongruente Abschnitte teilen lassen, die genau gleiche Länge haben, wie es in Fig. 11 der Fall ist, wo zwei Perioden von B genau gleich lang sind wie eine von A. Die horizontalen Längen unserer Figuren stellen aber die Zeit dar, und indem wir von unseren Kurven auf die wirklichen Bewegungen zurückgehen, ergibt sich demnach, daß die aus den Tönen A und B zusammengesetzte Luftbewegung trotz ihrer Zusammensetzung deshalb periodisch ist, weil der eine Ton genau doppelt so viele Schwingungen in gleicher Zeit macht, als der andere.

Es lässt sich an diesem Beispiele leicht einsehen, daß es gar nicht auf die besondere Form der beiden Kurven A und B ankommt, damit ihre Summe C wieder eine genau periodische Kurve sei. Welche Form A und B auch haben mögen, wenn nur jede in kongruente Abschnitte zerschnitten werden kann, deren Länge den Abschnitten der anderen Kurve gleich ist, sei es, daß diese Abschnitte nun eine oder zwei, drei u. s. w. Perioden der einzelnen Kurve umfassen, so wird doch je ein Abschnitt der Kurve A, mit je einem Abschnitte der Kurve B zusammengesetzt, immer einen Abschnitt von C geben, der den übrigen aus anderen entsprechenden Abschnitten von A und B zusammengesetzten Abschnitten von C gleich sein muss.

Wenn ein solcher Abschnitt mehrere Perioden der betreffenden Kurve umfasst, wie in Fig. 11 die Abschnitte e eund ee1 je zwei Perioden des Tones B umfassen, so ist B der Tonhöhe nach gleich einem Obertone desjenigen Grundtons, dessen Periode der Länge eines jener Hauptabschnitte gleich ist (in Fig.11 des Tones A), wie es die oben aufgestellte Regel verlangt.

Um die Mannigfaltigkeit der Formen, Welche durch verhältnismäßig einfache Zusammensetzungen entstehen können, einigermaßen anschaulich zu machen, bemerke ich, daß die zusammengesetzte. Kurve schon dadurch eine andere Form erhält, daß wir die Kurve B unter A nur etwas verschieben, ehe wir zur Addition schreiten. Es sei B so weit verschoben, daß der Punkt e unter d1 fallt, so erhalten wir die Kurve Fig. 11 D mit schmalen Bergen und breiten Tälern, die beiden Abhänge der Berge aber gleich steil, während in der Kurve C der eine Abhang steiler ist als der andere. Verschieben wir die Kurve B weiter, bis e unter d2 fällt, so ist die zusammengesetzte Kurve gleich dem Spiegelbilde von C, d. h. sie hat dieselbe Gestalt wie C, wenn man rechts mit links verkehrt; der steilere Abhang, welcher in C links liegt, würde rechts liegen. Verschieben wir endlich B so weit, daß der Punkt e unter d3 fällt, so erhalten wir eine Kurve ähnlich D, nur das Untere nach oben gekehrt, die also wie D aussieht, wenn man das Buch umkehrt, die Bergrücken breit, die Täler schmal.

Alle diese Kurven mit ihren Übergangsstufen sind periodische Kurven. Andere zusammengesetzte periodische Kurven sind in Fig. 12 C, D dargestellt, zusammengesetzt aus den beiden Kurven A, B, deren Perioden im Verhältnis von l zu 3 stehen. Die punktierten Linien sind wieder Kopien von der ersten Schwingung der Kurve A, damit der Leser daran erkenne, wie die betreffende zusammengesetzte Kurve überall so hoch über oder unter A steht, als B über oder unter der Horizontallinie. In C sind A und B so addiert, wie sie unter einander stehen, in D ist B zuerst um eine halbe Wellenlänge nach rechts geschoben und dann zu A addiert. Beide Formen sind verschieden unter einander und verschieden von allen früheren. C hat breite Berge und breite Täler, D schmale Berge und schmale Täler.

In diesen und ähnlichen Fällen fanden wir, daß die zusammengesetzte Bewegung vollkommen und regelmäßig periodisch ist, d. h. sie ist vollständig von der Art, wie sie auch einem einzelnen Klange zukommen könnte. Die Kurven, welche wir in unseren Beispielen zusammengesetzt haben, entsprechen der Bewegung einfacher Töne. Es könnten also z. B. die in Fig. 11 abgebildeten Bewegungen durch zwei Stimmgabeln hervorgebracht werden, von denen eine die höhere Oktave der anderen gibt. Aber wir werden später sehen, daß auch eine schwach angeblasene Flöte allein schon hinreicht, eine Luftbewegung zu erzeugen, die der in Fig. 11 C oder D dargestellten entspricht. Die Bewegungen von Fig. 12 könnten durch zwei gleichzeitig tönende Stimmgabeln hervorgebracht werden, von denen die eine die Duodecime der anderen gibt. Aber auch eine einzige gedackte Orgelpfeife von der engeren Art (Register Quintaten) würde nahehin die Bewegung geben, welche Fig. 12 C oder D darstellen.

Hier fehlt also der Luftbewegung im Gehörgange jede Eigentümlichkeit, an welcher der zusammengesetzte Klang von dem einfachen unterschieden werden könnte. Wenn dem Ohre nicht andere zufällige Umstände zu Hilfe kommen, daß z. B. die eine Stimmgabel eher zu tönen beginnt und man den zweiten Ton später hinzukommen hört, daß man das Anschlagen der Gabeln hört, oder im anderen Falle das Sausen der Luft bei der angeblasenen Flöte oder Pfeife, so wird jedes Kennzeichen fehlen, um zu entscheiden, ob der Klang einfach oder zusammengesetzt sei.

Wie verhält sich nun das Ohr einer solchen Luftbewegung gegenüber? Zerlegt es sie, oder zerlegtes sie nicht? Die Erfahrung lehrt, daß, wenn zwei Stimmgabeln in der Oktave oder Duodecime zusammenklingen, das Ohr sehr wohl im Stande ist, ihre Töne von einander zu scheiden, wenn auch diese Scheidung etwas schwieriger ist, als bei anderen Intervallen. Wenn aber das Ohr im Stande ist, einen solchen Zusammenklang zweier Stimmgabeln aufzulösen, so wird es nicht umhin können, dieselbe Analyse auch auszuführen, wenn dieselbe Luftbewegung durch eine einzige Flöte oder Orgelpfeife hervorgebracht wird. Und dies geschieht wirklich; der an sich einfache, aus einer Quelle hervorgehende Klang eines solchen Tonwerkzeuges wird, wie wir schon angeführt haben, in Partialtöne aufgelöst, einen Grundton und je einen Oberton in unseren Beispielen.

Die Auflösung eines einzelnen Klanges in eine Reihe von Partialtönen beruht also auf derselben Fähigkeit des Ohres, vermöge deren es im Stande ist, verschiedene Klänge von einander zu trennen, und es wird in beiden Fällen die Scheidung ausführen müssen nach einer Regel, die gar nicht darauf Rücksicht nimmt, ob die Schallwellen aus einem oder mehreren Tonwerkzeugen hervorgegangen sind.

Die Regel, nach welcher das Ohr die Analyse vornimmt, ist zuerst als allgemein gültig hingestellt worden von Gr. S. Ohm. Es ist schon im vorigen Abschnitte ein Teil dieser Regel ausgesprochen, indem angeführt wurde, daß nur diejenige Luftbewegung, die wir durch den Namen der einfachen Schwingung hervorgehoben haben, bei welcher die schwingenden Luftteilchen nach dem Gesetze des Pendels hin- und hergehen, im Ohre die Empfindung eines einzigen und einfachen Tones hervorbringe. Jede Luftbewegung nun, welche einer zusammengesetzten Klangmasse entspricht, ist nach Ohm's Regel zu zerlegen in eine Summe einfacher pendelartiger Schwingungen, und jeder solchen einfachen Schwingung entspricht ein Ton, den das Ohr empfindet, und dessen Tonhöhe durch die Schwingungsdauer der entsprechenden Luftbewegung bestimmt ist.

Die Beweise für die Richtigkeit dieser Regel, die Ursachen, warum unter allen Schwingungsformen die eine, welche wir die einfache genannt haben, eine so hervortretende Rolle spielt, werden Wir erst später im vierten und sechsten Abschnitte beibringen können. Hier handelt es sich zunächst nur noch darum, den Sinn der Regel klar zu machen.

Die einfache Schwingungsform ist unveränderlich und immer dieselbe, nur ihre Amplitude und die Dauer ihrer Periode kann sich verändern. Wir haben in den Figuren 11 und 12 aber schon gesehen, wie durch Zusammensetzung von auch nur je zwei einfachen Schwingungen ziemlich mannigfaltige Formen entstehen können. Die Zahl dieser Formen ließe sich nun, selbst ohne neue einfache Schwingungen von anderer Periode hinzuzunehmen, noch weiter dadurch vermehren, daß wir entweder das Verhältnis der Höhen beider einfachen Schwingungskurven A und B zu einander veränderten, oder daß wir die Kurve B um andere Längen unter A verschieben, als wir in den Zeichnungen getan haben. Nach diesen einfachsten Beispielen solcher Zusammensetzung wird der Leser sich eine Vorstellung davon bilden können, eine wie ungeheure Verschiedenheit von Formen sich ergeben würde, wenn wir statt zweier einfacher Schwingungen eine größere Zahl derselben zusammensetzen wollten, welche alle Obertönen desselben Grundtons entsprechen und daher durch Addition immer wieder periodische Kurven geben würden. Wir würden die Hohen jeder einzelnen beliebig größer oder kleiner machen können, wir würden jede einzelne um ein beliebiges Stück gegen den Grundton verschieben oder, nach physikalischer Ausdrucksweise, die Amplitude und den Phasen-Unterschied zwischen ihr und dem Grundtone verändern können, und jede solche Änderung der Amplitude oder des Phasenunterschiedes jeder einzelnen von ihnen würde eine neue Abänderung der zusammengesetzten Schwingungsform geben.

Die Mannigfaltigkeit der Schwingungsformen, welche in dieser Weise durch Zusammensetzung einfacher pendelartiger Schwingungen erhalten werden kann, ist nicht nur außerordentlich groß, sondern sie ist so groß, daß sie gar nicht größer sein kann. Es hat nämlich der berühmte französische Mathematiker Fourier ein mathematisches Gesetz erwiesen, welches wir mit Bezug auf den vorliegenden Gegenstand so aussprechen können: Jede beliebige, regelmäßig periodische Schwingungsform kann aus einer Summe von einfachen Schwingungen zusammengesetzt werden, deren Schwingungszahlen ein, zwei, drei, vier etc. Mal so groß sind als die Schwingungszahl der gegebenen Bewegung.

Die Amplituden der elementaren einfachen Schwingung, welchen in unseren Wellenkurven die Höhe entspricht, und die Phasenunterschiede, d. h. die horizontalen Verschiebungen der Wellenkurven gegeneinander, können in jedem Falle, wie Fourier gezeigt hat, durch besondere Rechnungsmethoden, welche eine populäre Darstellung nicht erlauben, gefunden werden, wobei sich herausstellt, daß eine gegebene regelmäßig periodische Bewegung nur in einer einzigen Weise und in keiner anderen dargestellt werden kann als Summe einer gewissen Anzahl pendelartiger Schwingungen.

Da nun nach unseren Festsetzungen eine regelmäßig periodische Bewegung einem musikalischen Klange entspricht, und eine einfache pendelartige Schwingung einem einfachen Tone, so können wir diese Sätze von Fourier mit Anwendung der akustischen Bezeichnungen auch so aussprechen:

Jede Schwingungsbewegung der Luft im Gehörgange, welche einem musikalischen Klange entspricht, kann immer, und jedes Mal nur in einer einzigen Weise, dargestellt werden als die Summe einer Anzahl einfacher schwingender Bewegungen, welche Teiltönen dieses Klanges entsprechen.

Da nach diesen Sätzen eben jede Schwingungsform, sie sei gestaltet, wie sie nur irgend wolle, ausgedrückt werden kann als eine Summe einfacher Schwingungen, so ist ihre Zerlegung in eine solche Summe auch ganz unabhängig davon, ob man mit dem Auge schon der sie darstellenden Kurve ansehen kann, daß und welche einfache Schwingungen etwa in ihr enthalten sein mögen oder nicht. Ich muss dies hervorheben, weil ich ziemlich häufig selbst Naturforscher von der falschen Voraussetzung habe ausgehen sehen, daß die Schwingungsfigur kleine Wellen, entsprechend den einzelnen hörbaren Obertönen, zeigen müsste. Schon an den Beispielen der Figuren 11 und 12 wird man sich überzeugen, daß das Auge die Zusammensetzung allenfalls an dem Teile der Kurve übersehen kann, wo wir die Kurve des Grundtons punktiert hinzugesetzt haben, aber schon nicht mehr an den isoliert gezeichneten Teilen der Kurven G und D beider Figuren. Oder wenn ein Beobachter, der sich die Form der einfachen Schwingungen recht genau eingeprägt hat, dies auch allenfalls noch leisten zu können glauben möchte, so würde er doch gewiss scheitern, wenn er mit dem Auge allein zu ermitteln versuchen wollte, wie etwa die in Fig. 8 und 9 des ersten Abschnittes gezeichneten Kurven zusammenzusetzen wären. In diesen kommen gerade Linien und scharfe Ecken vor. Man wird vielleicht fragen, wie ist es möglich, durch eine Zusammensetzung so weich und gleichmäßig gekrümmter Kurven, wie unsere einfachen Wellenkurven A und B, Fig. 11 und 12, sind, teils gerade Linien, teils scharfe Ecken zu erzeugen. Darauf ist zu erwidern, daß man eine unendlich große Anzahl von einfachen Schwingungen braucht, um Kurven zu erzeugen mit solchen Diskontinuitäten, wie sie dort hervortreten. Wenn aber sehr viele solche Kurven zusammenkommen, und so gewählt werden, daß an gewissen Stellen die Krümmungen aller in gleichem Sinne gewendet sind, an anderen Stellen entgegengesetzt, so verstärken sich die Krümmungen am ersteren Orte gegenseitig, und wir erhalten schließlich eine unendlich starke Krümmung, das heißt eine scharfe Ecke, an den übrigen Stellen heben sich die Krümmungen gegenseitig auf, so daß zuletzt eine gerade Linie daraus hervorgeht. Im Allgemeinen kann man dem entsprechend als Regel festhalten, daß die Stärke der hohen Obertöne desto größer ist, je schärfere Diskontinuitäten die Lüftbewegung zeigt. Wo die Bewegung sich gleichmäßig und allmählig verändert, entsprechend einer in weichen Bogenformen verlaufenden Schwingungskurve, haben nur die tieferen, dem Grundtone näher liegenden Teiltöne eine merkliche Intensität. Wo aber die Bewegung stoßweise verändert wird, in der Schwingungskurve also Ecken oder plötzliche Änderungen der Krümmung vorkommen, da sind auch noch hohe Obertöne von merklicher Stärke, obgleich in allen diesen Fällen die Amplituden abnehmen, je höher die Obertöne sind3).

3) Wenn n die Ordnungszahl eines Partialtones ist, so nimmt bei sehr hohen wachsenden Werten von n die Amplitude der Obertöne ab: l) wenn die Amplitude der Schwingung selbst einen plötzlichen Sprang macht, wie ; 2) wenn ihr Differentialquotient einen Sprung macht, die Kurve also eine scharfe Ecke hat, wie ; 3) wenn die Krümmung sich plötzlich verändert, wie ; 4) wenn keiner der Differentialquotienten diskontinuierlich ist, muss sie schneller oder ebenso schnell abnehmen, wie a - n .

Beispiele von der Auflösung gegebener Schwingungsformen in die einzelnen Teiltöne werden wir noch im fünften Abschnitte kennen lernen.

Das hier erwähnte Theorem von Fourier ergibt zunächst nur, daß es mathematisch möglich ist, einen Klang als eine Summe von Tönen zu betrachten, die Worte in dem von uns festgesetzten Sinne genommen, und die Mathematiker haben es auch immer bequem gefunden, diese Art der Zerlegung der Schwingungen ihren akustischen Untersuchungen zu Grunde zu legen. Aber daraus folgt noch keineswegs, daß wir gezwungen seien, die Sache so zu betrachten. Wir müssen vielmehr fragen, bestehen denn diese Teiltöne eines Klanges, welche die mathematische Theorie ausscheidet, und welche das Ohr empfindet, auch wirklich in der Luftmasse außerhalb des Ohres? Ist diese Art, die Schwingungsformen aufzulösen, wie sie das Theorem von Fourier vorschreibt und möglich macht, nicht bloß eine mathematische Fiktion, welche zur Erleichterung der Rechnung erlaubt sein mag, aber nicht notwendig irgend einen entsprechenden reellen Sinn zu haben braucht? Warum verfallen wir gerade darauf, pendelartige Schwingungen als das einfachste Element aller Schallbewegungen zu betrachten? Wir können ein Ganzes in sehr verschiedener und beliebiger Weise in Teile zerlegt denken; wir können innerhalb einer Rechnung es vielleicht bequem finden, statt der Zahl 12 die Summe 8 + 4 zu setzen, weil sich die 8 weghebt, aber daraus folgt nicht, daß nun die Zahl 12 notwendig immer als die Summe von 8 und 4 betrachtet werden müsse. In einem anderen Falle könnte es vorteilhafter sein, die 12 als Summe von 7 und 5 anzusehen. Ebenso wenig berechtigt uns die durch Fourier nachgewiesene mathematische Möglichkeit, alle Schallbewegung aus einfachen Schwingungen zusammenzusetzen, daraus zu folgern, daß dies die einzig erlaubte Art der Analyse sei, wenn wir nicht nachweisen können, daß dieselbe auch einen wesentlichen reellen Sinn habe. Der Umstand, daß das Ohr dieselbe Zerlegung ausführt, spricht nun allerdings schon sehr dafür, daß die genannte Zerlegung einen Sinn hat, der sich auch in der Außenwelt, unabhängig von aller Theorie, werde bewähren müssen, ebenso gut wie auch schon der andere genannte Umstand, daß diese Art der Zerlegung bei den mathematischen Untersuchungen sich als so viel vorteilhafter erwiesen hat, als jede andere, dieselbe Vermutung unterstützen mag. Denn natürlich sind diejenigen Betrachtungsweisen, welche der innersten Natur der Sache entsprechen, auch immer diejenigen, welche die zweckmäßigste und klarste theoretische Behandlungsweise geben. Mit den Leistungen des Ohres aber diese Untersuchung zu beginnen, möchte nicht rätlich sein, weil diese außerordentlich verwickelt sind und selbst der Erklärung bedürfen. Wir wollen daher zuerst im nächsten Abschnitte untersuchen, ob die Zerlegung in einfache Schwingungen auch in der Außenwelt unabhängig vom Ohre eine tatsächliche Bedeutung habe, und wir werden in der Tat im Stande sein, nachzuweisen, daß bestimmte mechanische Wirkungen davon abhängen, ob in einer Klangmasse ein gewisser Teilton enthalten sei oder nicht. Dadurch erst erhält die Existenz der Teiltöne ihre reelle Bedeutung, und die Kenntnis ihrer mechanischen Wirkungsfähigkeit wird dann ein neues Licht auf ihre Beziehungen zum menschlichen Ohre werfen.