Beilage VI.

Analyse der Bewegung von Violinsaiten.
Zu Seite 142.

Wir wollen annehmen, daß die Linse des Vibrationsmikroskops horizontale Schwingungen ausführe, und der beobachtete Punkt vertikale, so beobachtet man Schwingungskurven, wie sie in Fig. 23, S. 140, jedoch um einen rechten Winkel gedreht, dargestellt sind. Nennen wir die vertikalen Ordinaten y, die horizontalen x, so ist y direkt proportional den Elongationen des schwingenden Punktes, x denen der schwingenden Linse. Letztere macht eine einfache pendelartige Bewegung; ist die Zahl ihrer Schwingungen also n, und t die Zeit, so ist im Allgemeinen

x = A sin (2 pn t +c), wo A und c Konstanten sind.

Wenn nun y auch n Schwingungen macht, so sind x und y beide periodisch, und haben dieselbe Dauer der Periode; nach Ablauf jeder einzelnen solchen Periode haben alsdann x und y wieder die gleichen Werte, und der beobachtete Punkt befindet sich alsdann wieder genau an demselben Orte, wo er im Anfang der Periode war. Dies gilt für jeden Punkt der Kurve und für jede neue Wiederholung der schwingenden Bewegung, so daß die Kurve feststehend erscheint.

Denkt man eine Schwingungskurve von der Art, wie sie in den früheren Figuren 5, 6, 7, 8, 9, 10  Seite 33 bis 38 dargestellt sind, und deren horizontale Abszissen der Zeit direkt proportional sind, um einen Zylinder gewickelt, dessen Umfang gleich der Länge einer Perlode jener Kurven ist, so daß nun die Zeit t längs des Zylinderumfanges zu messen ist, und nennt man x die Entfernungen von einer durch die Achse des Zylinders gelegten Ebene, so ist auch hier

x = A sin (2pnt + c), worin A sin c den Wert von x für t = 0 bedeutet, und A den Radius des Zylinders. Wenn also die auf den Zylinder gezeichnete Kurve von einem unendlich entfernten Auge angegeben wird welches in der Linie x = 0, y = 0 sich befindet, so erscheint die Kurve gerade wie im Vibrationsmikroskop.

Haben x und y nicht genau dieselbe Periode, macht z. B. y n Schwingungen, x aber n + Dn, wo unter Dn eine sehr kleine Größe verstanden ist, so kann man den Ausdruck für x schreiben:

x = A sin [2p nt + (c + 2p t Dn)]. Die früher konstante Größe C wächst in diesem Falle langsam. Es bezeichnet aber c den Winkel, welcher zwischen der Ebene x = 0 und dem Punkte der Zeichnung liegt, wo t = 0 ist. In diesem Falle dreht sich also scheinbar der Zylinder, auf dem man sich die Zeichnung aufgewickelt denkt, um seine Achse.

Da eine Größe, welche nach der Periode p periodisch ist, auch betrachtet werden kann als periodisch nach 2p oder 3p oder ap, wenn a eine beliebige ganze Zahl ist, so passen diese Betrachtungen auch für den Fall, wo die Periode von y ein aliquoter Teil der Periode von x ist, oder umgekehrt, oder beide aliquote Teile derselben dritten Periode sind, d. h. für den Fall, wenn die Töne der Stimmgabel und des beobachteten Körpers in irgend einem konsonanten Verhältnisse stehen; nur muß die gemeinsame Schwingungsperiode nicht so lang sein, daß während derselben der Lichteindruck im Auge erlöschen könnte.

Aus den beobachteten Kurven Fig. 23 B, C und Fig. 24 folgt, daß alle Saitenpunkte abwechselnd auf- und absteigen in der Weise, daß das Aufsteigen mit konstanter Geschwindigkeit geschieht, und das Absteigen ebenso mit einer konstanten Geschwindigkeit, deren Wert aber von der Geschwindigkeit des Aufsteigens verschieden sein kann. Wenn der Bögen in einem Knotenpunkte eines der höheren Obertöne die Saite angreift, so geht in allen Knotenpunkten desselben Tones die Bewegung ganz rein in der beschriebenen Weise vor sich. In anderen Punkten der Saite sind noch kleine Kräuselungen der Schwingungsfigur erkennbar die aber doch das Bild der beschriebenen Hauptbewegung deutlich erkennen lassen.

Rechnen wir die Zeit in Fig. 62 von der Abszisse des Punktes a ab, so daß für at = 0, setzen wir ferner für den Punkt bt, und für den Punkt g t = T, so daß letzteres die Dauer einer ganzen Periode bezeichnet, dann ist der Wert von y zu setzen:

von t = 0 bis t =         y = ft + h

von t = . bis t = T      y = g (T — t) + h......................................(1)

wobei für t =  sich ergibt, daß = g (T –). Wenn wir nun y in eine Fourier'sche Reihe entwickelt denken:
etc
etc
  so ergibt sich durch Integration:

und dies gibt folgende Werte von An und Bn:

und y bekommt die Form .........................(2) In der Gleichung (2) bedeutet y nur die Entfernung eines bestimmten Saitenpunktes von der Gleichgewichtslage. Wenn x die Entfernung dieses Punktes vom Anfang der Saite bezeichnet, und L die Länge der Saite, so ist die allgemeine Form des Wertes von y, wie in Beilage III, Gleichung (1b): ....................................(3) Die Vergleichung der Gleichungen (2) und (3) zeigt unmittelbar, daß alle Dn = 0 und

.........................................(3a)

Hierin sind g + f und abhängig von x, aber nicht von n. Nimmt man die Gleichungen für n = l und n = 2 und dividiert sie durch einander. so gibt es: . Daraus folgt für x , wie auch die Beobachtung lehrt, . Wenn aber x = 0, so wird nach den Beobachtungen auch  = 0; es folgt also

....................................................................................(3b)

und daraus, daß g + f unabhängig von x sei. Nennen wir p die Amplitude der Schwingung des Saitenpunktes x, so ist = g ( T -) = 2p

Und da g + f von x unabhängig ist, muß sein
 
wo P die Amplitude in der Mitte der Saite bezeichnet. Aus der Gleichung (3b) folgt, daß die Abschnitte ab und bg der Schwingungsfigur, Fig. 62 A, sich verhalten müssen, wie die entsprechenden Teile der Saite auf beiden Seiten des beobachteten Punktes. Daraus folgt schließlich ...........................(3c) als vollständiger Ausdruck für die Bewegung der Saite.

Setzt man == 0, so wird y für jeden Werth von x gleich Null, also gehen alle Teile der Saite gleichzeitig durch die Gleichgewichtslage der Saite. Von da ab ist die Geschwindigkeit f des Punktes x

. Diese Geschwindigkeit bleibt aber nur während der Zeit  bestehen. Nach der Zeit t ist also ...........................................................(4) so lange und also . Von da ab geht y mit der Geschwindigkeit  zurück. Es ist also y nach der Zeit t = + t1: . Und da , so ist

................................................................(4a)

Auf dem einen Teile der Saite ist also die Ablenkung gegeben durch die Gleichung (4), auf dem anderen durch (4a). Beide Gleichungen geben für die Gestalt der Saite eine gerade Linie, welche entweder (4) durch den Punkt x = L, oder (4 a) durch den Punkt x = 0 geht. Es sind dies die beiden Endpunkte der Saite. Ihr Schneidepunkt ist gegeben durch die Bedingung Es muß also sein (L - x) t = x(T - t),

L t = x T.

Die Abszisse x des Schnittpunktes wächst also proportional der Zeit. Per Schnittpunkt, welcher zugleich der am meisten aus der Gleichgewichtslage entfernte Punkt der Saite ist, rückt also mit konstanter Geschwindigkeit von einem Ende der Saite zum anderen, und während dieser Zeit liegt der Schnittpunkt selbst auf einem parabolischen Bogen, da für ihn Die Bewegung der Saite läßt sich also kurz so beschreiben, daß in Fig. 63 der Fußpunkt d der Abszisse ihres Gipfels mit konstanter Geschwindigkeit auf der Linie a b hin- und hereilt, während der Gipfelpunkt selbst die beiden parabolischen Bögen a c1 b und b c2 a nach einander durchläuft, und die Saite in den beiden geraden Linien a c1 und t c1 oder a c2und bc2 ausgespannt ist.

Die kleinen Kräuselungen der Schwingungsfiguren, welche so oft beobachtet werden, ergeben sich wohl meist daraus, daß diejenigen Töne, welche an der gestrichenen Stelle oder in deren nächster Nähe Knotenpunkte haben, und deshalb vom Bogen gar nicht oder nur schwach angeregt werden können, gedämpft werden und wegfallen. Wenn der Bogen in einem dem Stege benachbarten Knotenpunkte des mten Obertones streicht, so haben die Schwingungen dieses mten, ferner des 2mten, des 3mten etc. Tones gar keinen Einfluß auf die Bewegung des vom Bogen berührten Punktes der Saite, und sie können deshalb wegfallen, ohne daß die Wirkung des Bogens auf die Saite geändert wird, und in der Tat erklären sich daraus die beobachteten Kräuselungen der Schwingungsfigur. Was in dem Falle geschieht, wo der Bogen die Saite zwischen je zwei Knotenpunkten angreift, habe ich nicht durch Beobachtung ermitteln können.