Beilage XV.

Berechnung der Intensität der Schwebungen verschiedener Intervalle.

Zu Seite 312 und 318.

Wir benutzen wieder die in der Beilage IX unter (4a), (4b), (6) und (5a) entwickelten Formeln für die Stärke des Mitschwingens. Es sei für den Ton stärkster Resonanz eines Corti'schen Elementarorgans n die Anzahl der Schwingungen in 2pSekunden, n1 und n2 seien die entsprechenden Schwingungszahlen für zwei gehörte Töne und B1 sowie B2 die Geschwindigkeitsmaxima der Schwingungen, welche sie in den gleichgestimmten Corti'schen Organen hervorbringen, so sind die Geschwindigkeitsmaxima B1 und B2, welche beide in. dem Gebilde von der Schwingungszahl n hervorbringen, nach Gleichung (5a) Beilage IX:

B1 = B1 sin e1

B2 = B2 sin e2

worin: und  Darin ist b eine Größe, welche wir als unabhängig von n betrachten können. Die Intensität der Schwingungen des Organs von der Schwingungszahl n schwankt demnach, wenn beide Töne n1 und n2 zusammenwirken, zwischen den Werten: (B1 + B2 )2 und (B1 - B2.)2 Der Unterschied beider Größen, welcher die Stärke der Schwebungen mißt, ist: 4 B1 B2 = 4 B1B2 sin e1 sin e2 ................................................ (7) Bei gleichen Unterschieden in der Stimmung ist die Stärke der Schwebungen also abhängig von dem Produkte B1B2. Für den mten Oberton eines Violinklanges können wir  setzen, nach Beilage VI, und wenn also der m1te und m2te Oberton zweier Violinklänge Schwebungen geben, setzen wir die Intensität ihrer Schwebungen bei gleichen Intervalldifferenzen gleich Dieser Ausdruck ist der Berechnung der letzten Spalte der Tabelle auf S. 313 zu Grunde gelegt worden.

Für die auf Seite 318 und 319 besprochene Berechnung der Rauhigkeit verschiedener Intervalle führen wir noch folgende abkürzende Bezeichnungen ein;

n1 + n2 = 2 N,

n1 = N (1 + d),

n2 = N (1 - d),

n = N (l + v ).

Dann ist Da kräftiges Mitschwingen nur stattfindet, wenn v und d sehr klein sind, so kann man annähernd setzen: Diese Werte in Gleichung (7) eingesetzt ergeben: .................(7a) Wenn wir nun v, d. h. die Tonhöhe des mitschwingenden Corti'schen Organs, als veränderlich betrachten, erreicht der Wert von 4B1B2 sein Maximum, wenn v = 0, also n = N = 1/2 (n1 + n2); und der Wert dieses Maximum selbst, den wir mit s bezeichnen wollen, ist: ....................................................................(7b) Ich habe mich bei Berechnung des Grades der Rauhigkeit, welche der Zusammenklang zweier Töne gibt, die um das Intervall 2dvon einander entfernt sind, damit begnügt den hier gefundenen Maximalwert der Schwebungen zu berücksichtigen, welcher in dem am günstigsten gelegenen Corti'schen Organe stattfindet. Allerdings werden schwächere Schwebungen auch noch in den benachbarten Faserbögen erzeugt, aber in schnell abnehmender Intensität. Es könnte deshalb vielleicht als ein genaueres Verfahren erscheinen, wenn man den Wert von 4B1B2 in Gleichung (7a) nach v integrierte, um die Summe der Schwebungen in allen Corti'schen Organen zu erhalten. Dann müßte man aber noch irgend eine wenigstens annähernde Kenntnis von der Dichtigkeit der Corti'schen Organe für verschiedene Werte von v, d. h. für verschiedene Teile der Skala haben, welche uns abgeht. In der Empfindung kommt es jedenfalls mehr auf den stärksten Grad der Rauhigkeit an, als auf die Ausbreitung schwächerer Rauhigkeit über viele empfindende Organe. Ich habe deshalb vorgezogen, nur dag in (7b) gegebene Maximum der Schwebungen zu berücksichtigen.

Schließlich muß noch beachtet werden, daß sehr langsame Schwebungen keine Rauhigkeit geben, daß diese bei gleicher Intensität der Schwebungen und steigender Zahl ein Maximum erreicht, und dann wieder abnimmt. um dies auszudrücken, muß der Wert von s noch mit einem Faktor multipliziert werden, welcher gleich Null wird, wenn die Zahl der Schwebungen sehr klein ist, welcher bei etwa 30 Schwebungen sein Maximum erreicht, und dann wieder abnimmt, um für unendlich viel Schwebungen wieder gleich Null zu werden. Wir setzen also die Rauhigkeit r, welche vom aten Oberton herrührt:

Der Faktor von s erreicht den Maximalwert l, wenn ad = J wird, den Wert 0, wenn d , welches den halben Abstand der beiden Töne in der Skala bezeichnet, gleich 0 oder gleich ¥ wird. Da es gleichgültig ist, ob dpositiv oder negativ ist, mußte der Ausdruck zu einer geraden Funktion von d gemacht werden. Es ist der einfachste Ausdruck, der den gegebenen Bedingungen genügt, er ist aber natürlich bis zu einem gewissen Grade willkürlich.

Für J ist die halbe Breite desjenigen Intervalls zu setzen, welches in der Höhe des tieferen Grundtones 30 Schwebungen in der Sekunde gibt.

Da wir c' mit 264 Schwingungen als Grundton genommen haben, ist gesetzt worden . Es wird also schließlich:

Nach dieser Formel sind nun für die Diagramme, Fig. 60 A und B, Seite 318, die Rauhigkeiten der Intervalle berechnet worden, welche von den einzelnen Obertönen herrühren, und einzeln über einander in die Zeichnung eingetragen.

Wenn auch die Genauigkeit der Theorie noch manches zu wünschen übrig läßt, so leistet dieselbe doch soviel, zu zeigen, daß die von uns aufgestellte theoretische Ansicht eine solche Verteilung der Dissonanzen und Konsonanzen, wie sie in der Natur vorkommt, wirklich erklären kann.

Herr Alfred M. Mayer (Professor in Hoboken, New-Jersey)1) hat Versuche über die Nachdauer der Gehörempfindung und die Anzahl der hörbaren Schwebungen angestellt, indem er zwischen einer schwingenden Stimmgabel und ihrem Resonator eine Scheibe mit Öffnungen, die der des Resonators gleich gestaltet waren, umlaufen ließ, so daß der Ton stark gehört wurde, wenn eine Öffnung der Scheibe vor der des Resonators stand, schwach, wenn die letztere gedeckt war. Seine Resultate stimmen im Wesentlichen mit den von mir auf Seite 234 bis 238 und 306 bis. 309 gemachten Annahmen, sind aber vollständiger durch die ganze Skala verfolgt. Seine Angaben sind folgende:
 

Anzahl der Schwebungen
Ton Schwingungszahl bei der die Unterbrechungen verschwinden für die stärkste Dissonanz
C 64 16 6.4
C 128 26 10.4
C' 256 47 18.8
G' 384 60 24.0
c" 512 78 31.2
e" 640 90 36.0
g" 768 109 43.6
c''' 1024 135 54.0

 

1) Silliman's Journal, Ser. III, Vol. VIII, Octb. 1874. Philosophical Magazine. Mai 1875. Vol. IL.