Zwanzigstes Kapitel.

Gemütsbewegungen.

    Die Gefühle, die aus dem Einfluß der Empfindungen und Vorstellungen auf das Bewußtsein hervorgehen, wirken zurück auf den Verlauf unserer Vorstellungen. Diese Rückwirkungen nennen wir Gemütsbewegungen. Sie zerfallen in Affekte und Triebe. Entweder kann nämlich ein Eindruck unmittelbar durch das ihm anhaftende Gefühl unser Inneres bewegen: dann entsteht der Affekt. Oder es kann irgend ein äußerer oder ein innerer, psychischer Reiz eine Bewegung der Vorstellungen anregen, die auf die Erzeugung bestimmter Gefühle hinwirkt: dann entsteht der Trieb. Man könnte also den Affekt eine Gemütsbewegung durch gegenwärtige, den Trieb eine solche durch zukunftige Gefühle nennen. Dabei ist aber zu beachten, daß der Trieb das Gefühl, nach dessen Erfüllung er strebt, in einem gewissen Grade zu antizipieren pflegt.
    Affekt und Trieb stehen in naher Beziehung zu den äußeren Bewegungen. Der Affekt reflektiert sich in Ausdrucksbewegungen, der Trieb in solchen Handlungen, welche die Verwirklichung des Gefühls erstreben. Affekte und Triebe schwanken endlich zwischen Gegensätzen, gleich den Gefühlen, von welchen sie ausgehen. Wir unterscheiden daher Lust- und Unlustaffekte, Begehrungen und Widerstrebungen1).

1) Der Ausdruck Trieb ist vielleicht nicht vollkommen zutreffend; denn man pflegt auch unter ihm vorzugsweise das positive Hinstreben nach einem bestimmten Ziel zu verstehen. Wir haben ihn gewählt, weil er immerhin den verschiedenen Erscheinungen, die hierher gehören, mehr konform ist als der gewöhnlich gebrauchte Ausdruck Begierde, dem namentlich die tierischen Instinkte, die notwendig hier ihre Stelle finden müssen, schwer sich fügen würden.

    Die Affekte sind unmittelbare Wirkungen der Gefühle auf den Verlauf der Vorstellungen. Jedes heftige Gefühl führt leicht zum Affekte, mit dem es dann in ein untrennbares Ganze zusammenfließt, daher man auch solche heftige Gefühle in der Regel schlechthin Affekte nennt. Die häufigste Äußerung des Affektes besteht in der plötzlichen Hemmung des Ablaufs der Vorstellungen. Jedes starke Gefühl, welches sich schnell in was erzeugt, pflegt diese Wirkung zu haben, ein heftiger sinnnlicher Schmerz ebensowohl wie die von einer unerwarteten Vorstellung herrührende Überraschung. Eine ihm eigene qualitative Färbung hat daher der Affekt überhaupt nicht; diese gehört ganz dem Gefühl an, welches von der Empfindung oder Vorstellung, an die er gebunden ist, ausgeht. In dem ersten Stadium starker Affekte kommt dieselbe noch wenig zur Geltung, Schreck, Erstaunen, heftige Freude, Zorn kommen zunächst sämtlich darin überein, daß alle andern Vorstellungen vor der einen zurücktreten, welche als Trägerin des Gefühls ganz und gar das Gemüt ausfüllt. Erst in dem weiteren Verlauf trennen sich die einzelnen Zustände deutlicher. Entweder kann jene erste Hemmung einem plötzlichen, die Apperzeption überwältigenden Herandrängen einer großen Zahl von Vorstellungen Platz machen, die mit dem affekterzeugenden Eindruck verwandt sind. Oder es kann die Aufmerksamkeit in denjenigen Vorstellungen festgebannt bleiben, aus welchen zuerst der Affekt entsprang. Jene überströmenden Affekte sind hauptsachlich bei den freudigen Erregungen des Bewußtseins zu finden. Erfüllte Hoffnung oder unerwartetes Glück lassen uns in den mannigfachsten Phantasiebildern der Zukunft schwelgen, die, wenn der Affekt steigt, von allen Seiten sich zudrängen. Diese Form des Affektes entspricht ganz und gar der Natur der Lustgefühle, welche auf dem leichten Zufluß der Empfindungen und Vorstellungen zum Bewußtsein beruht2). Beim höchsten Grad der freudigen Affekte, also namentlich im Anfang derselben, kann freilich dieser Zufluß so mächtig werden, daß dadurch die Wirkung der anfänglichen Hemmung noch längere Zeit fortdauert. Der gewöhnliche Verlauf einer heftigen Freude besteht daher in einer plötzlichen, dem Schreck verwandten Bestürzung, die allmälig erst dem raschen Wechsel heiterer Phantasiebilder weicht. In anderer Weise pflegt sich bei dem plötzlichen Unlustaffekt die erste hemmende Wirkung zu lösen. Hier behalten die nächsten affekterzeugenden Vorstellungen ganz und gar ihre Macht über das Bewußtsein, das sich allmälig zu sammeln beginnt. Es folgt so ein Stadium, in welchem die Apperzeption vollständig von einer bestimmten Vorstellung und dem an dieselbe gebundenen Gefühle beherrscht wird. Während daher der Affekt der Freude allmälig in dem raschen Wogen der Vorstellungen und Gefühle sich löst, finden Schmerz, Wut, Zorn ihr Gleichgewicht in der energischen Selbsterhaltung des Bewußtseins gegen die Macht der Eindrücke. Mit beiden Vorgängen ist eine Verminderung in der Stärke der Affekte verbunden, wodurch diese allmälig Stimmungen Platz machen, die als ihre Nachwirkungen eine kürzere oder längere Zeit noch bestehen bleiben. Besonders gewisse Unlustaffekte haben eine große Neigung in dauernde Stimmungen überzugehen, woran freilich der Umstand mitbeteiligt zu sein pflegt, daß der äußere Eindruck, der den Affekt herbeiführt, selbst Nachwirkungen hat, die sich fortdauernd in Gefühlen geltend machen. So löst sich der heftige Schmerz über den Verlust einer geliebten Person in eine Trauer auf, die um so länger dauert, je fühlbarer die Lücke ist, die der Verlorene in unserm Leben zurückgelassen. Wird die Ursache der Störung in dem Gleichgewicht unseres Gemütes nicht durch ein plötzliches Ereignis bezeichnet, so kann sich aber auch eine Gemütsstimmung ohne vorausgegangenen Affekt allmälig entwickeln. Doch verrät sich darin in der Regel ein krankhaft gestörter Zustand, der zu Dauer und Steigerung Neigung hat, daher es hier auch wohl vorkommt, daß, entgegengesetzt dem gewöhnlichen Verlauf, die Stimmung zum Affekte heranwächst.

2) Vgl. Kap.X.

    Alle Affekte ziehen bedeutende körperliche Bückwirkungen nach sich. Die Schilderung derselben wird uns bei den Ausdrucksbewegungen beschäftigen3), deren wichtigste Quelle der Affekt ist. Im allgemeinen lassen sich aber in dieser Beziehung deutlich zwei entgegengesetzte Zustände unterscheiden: gesteigerte und verminderte Muskelspannungen. Jene sind in den Momenten zu finden, wo sich die Spannung der Apperzeption den affekterregenden Eindrücken adaptiert hat. Ein Nachlaß der willkürlichen Innervation macht sich dagegen fühlbar, wo solche Anpassung entweder noch nicht eintrat oder schon wieder aufgehört hat. kant hat nach dieser Erscheinungsweise die Affekte in sthenische und asthenische unterschieden4). Dabei ist aber zu bedenken, daß kaum jemals ein Affekt während seines ganzen Verlaufes der ersten dieser Formen zugehört. Eine zornige Aufwallung z. B. beginnt mit einer plötzlichen Erschlaffung. Der Zorn "übermannt" zuerst den Menschen, wie die Sprache es ausdrückt. Dann erst gewinnt der Affekt, indem die Spannung wächst, seinen sthenischen Charakter, um schließlich, wenn der Sturm ausgetobt hat, eine tiefe Erschöpfung zurückzulassen. Nur die asthenischen Affekte, wie Schreck, Angst, Gram, bewahren während ihrer ganzen Dauer ihre erschlaffende Natur. Sehr heftige Affekte sind immer von lähmender Wirkung. Unfähig den Eindruck zu bewältigen, bricht der Mensch unter ihm zusammen.

3) Kap. XXII.
4) Kant, Anthropologie. Ausgabe von Rosenkranz. Werke Bd. 7, 2. S. 175.

    Zu der Wirkung auf die willkürlichen Muskeln gesellt sich eine solche auf die Zentralorgane des Herzens und der Gefäße, der Atmung, der Absonderungswerkzeuge. Mit der Steigerung der willkürlichen Innervation scheint allgemein eine Lähmung der regulalorischen Herz- und Gefäßnerven, mit der Lähmung der Muskeln eine mehr oder weniger starke Erregung derselben verbunden zu sein5). Im sthenischen Affekt nimmt daher die Frequenz der Herzschläge zu, die peripherischen Gefäße werden weit und füllen sich mit Blut, so daß weithin bis in die kleinen Verzweigungen der Arterien die Pulse klopfen. Dazu kommt eine stark vermehrte Atmungsfrequenz, die sich manchmal bis zu wirklicher Atemnot steigert. Wenn dagegen ein plötzlicher Affekt den Menschen lähmt, dann steht momentan das Herz still. Bei geringeren Graden des asthenischen Affektes werden bloß Herzschlag und Atmung schwächer und langsamer, und an der Blässe der Haut verrät sich die dauernde Kontraktion der kleinen Arterien. Starke Affekte können bekanntlich momentan den Tod herbeiführen. Wahrscheinlich geschieht dies immer durch die heftige Alteration der Herz- und Gefäßnerven. Der sthenische Affekt tötet durch Apoplexie, der asthenische durch Herzlähmung, oder vielmehr durch jene Unterbrechung der Herzfunktion, welche durch die starke und dauernde Erregung der hemmenden Herznerven herbeigeführt wird. Aber auch die mäßigeren Affekte bedrohen, wenn sie habituell werden, das Leben. Die Neigung zu erregten Stimmungen begünstigt Herzleiden und apoplektische Disposition; Sorge und Gram beeinträchtigen durch dauernde Beschränkung der Blut- und Luftzufuhr die Ernährung. Minder konstant und zum Teil weniger der Beobachtung zugänglich sind die Rückwirkungen der Affekte auf die Absonderungswerkzeuge. Doch lehrt hier die Erfahrung im allgemeinen, daß bestimmte Absonderungsorgane vorzugsweise bei einzelnen Affekten in Mitleidenschaft gezogen werden. So wirken Schmerz und Kummer auf die Tränendrüsen, der Zorn auf die Leber, die Furcht auf den Darm, die Bangigkeit der Erwartung auf die Nieren- und Harnwege. Bei diesen Wirkungen, die ebenfalls in der Innervation des verlängerten Marks ihre nächste Quelle haben, sind übrigens individuelle Dispositionen wohl von noch größerem Einfluß, als bei den Reflexen auf Herz und Atmung6).

5) Über die Innervation des Herzens und der Gefäße vergl. Kap. V S. 185 f.

6) J. MÜLLER hat behauptet, die körperliche Rückwirkung aller Affekte sei die nämliche; die Unterschiede beruhten bloß auf individueller Disposition. (Handbuch der Physiologie I 4te Aufl.. S. 711 f.) Wenn nun auch zugegeben werden kann, daß bei manchen Menschen namentlich gewisse Sekretionsorgane, wie die Tränendrüsen, eine außerordentlich große Neigung haben, bei verschiedenen Affekten in Mitleidenschaft zu geraten, so widerspricht doch eine so weitgehende Behauptung der Erfahrung. Eher läßt sich die Ansicht von HARLESS rechtfertigen (Art. Temperament in Wagner's Handwörterb. III, 1 S. 553), daß der Ausdruck der Affekte auf ihrem Culminationspunkte überall der gleiche sei. Dies ist nämlich insofern richtig, als der höchste Grad des Affektes in einer allgemeinen Lähmung verbunden mit Stillstand des Herzens und Verengerung der arteriellen Gefäße besteht.

    Die körperlichen Folgen der Affekte wirken nun ihrerseits auf die Gemütsbewegung selber zurück. Zunächst geschieht dies nach der allgemeinen Regel, daß sich verwandte Gefühle verstärken. Die heftigen Muskelgefühle, welche die Bewegungen des Zürnenden begleiten, erhöhen als starke Erregungen des Bewußtseins den sthenischen Charakter des Affektes; das Herzklopfen und die Atemnot des Furchtsamen wirken an und für sich schon beängstigend. Anderseits haben aber diese körperlichen Folgezustände auch eine lösende Wirkung. Der Zorn muß sich austoben, der Schmerz wird durch Tränen gelindert. Teilweise beruht dies wohl darauf, daß die körperlichen Gefühle, gerade weil sie zunächst den Affekt verstärken, damit auch ihn rascher über seinen Höhepunkt hinwegführen. Vor allem aber bilden sie eine Ableitung der übermäßig angewachsenen inneren Spannung, die, je weniger sie in Gebärden oder in Tränen sich äußert, um so heftiger die Zentralorgane des Kreislaufs und der Atmung zu ergreifen pflegt und dadurch unmittelbar das Leben bedrohen kann.
    Der Affekt kann in den verschiedensten Graden der Stärke vorkommen. Wir pflegen zwar nur die heftigeren Gemütsbewegungen mit diesem Namen zu belegen. Aber ganz unbewegt ist unser Inneres niemals. Von den Gefühlen, die den Empfindungen und Vorstellungen zugesellt sind, gehen immer leise Affekte aus, welche an der ganzen Beschaffenheit unseres inneren Zustandes beteiligt sind. Die Affekte verhalten sich also in dieser Beziehung ähnlich wie die Gefühle selbst. Ebenso sind ihre körperlichen Wirkungen in einem gewissen Grade immer zu finden. Wie die Affekte mit den Gefühlen gehen und kommen, steigen und sinken, so bilden äußere Bewegungen einen fortwährenden Reflex dieses Wechsels der Zustände des Bewußtseins. Unser Inneres spiegelt sich daher immer in Ausdrucksbewegungen, die in ihren mannigfachen Abstufungen ein treues Bild des nie rastenden Flusses der Gemütsbewegungen sind.
    Da sowohl die innere Beschaffenheit des Affektes wie seine körperliche Rückwirkung zunächst abhängt von der Kraft, mit welcher der affekterregende Eindruck ertragen wird, so weist uns dies schon auf den Vorgang der Apperzeption als die psychologische Quelle der Gemütsbewegungen hin. In der Tat kann man wohl als einfachste Form eines Affektes den Zustand betrachten, der in uns bei der Auffassung eines unerwarteten Eindrucks entsteht. Eine erste Andeutung jener lähmenden Wirkung, welche ein plötzlicher starker Affekt erzeugt, liegt schon in der Verlängerung der physiologischen Zeit, die man bei unerwarteten Reizen beobachtet7). Ein Affekt einfachster Art entsteht also, wenn sich eine Vorstellung in den Blickpunkt unseres Bewußtseins drängt, für welche die Aufmerksamkeit nicht adaptiert ist. Eine ähnliche Wirkung verspüren wir aber auch, wenn zwar eine Anpassung an den Eindruck erfolgen kann, dieser jedoch so stark ist, daß in kurzer Zeit eine Erschöpfung der Apperzeption stattfinden muß. Hierin sehen wir die Hauptunterschiede des sthenischen und des asthenischen Affektes schon vorgebildet. Immer ist es ferner die momentane Anpassung an den Eindruck, welche das Stadium des Affektes bestimmt. Überströmend und in energischen Ausdrucksbewegungen sich Luft machend ist dieser in solchen Augenblicken, wo die Apperzeption den Eindruck beherrscht; lähmend wirkt er, wenn der Eindruck entweder plötzlich das Bewußtsein überwältigt, oder wenn dieses durch längeres Ankämpfen gegen denselben erschöpft ist.

7) Vergl. Kap. XIX.

    Jede Apperzeption führt, wie wir gefunden haben, auf eine Willenserregung zurück8); ihre physiologische Grundlage ist daher jene von den Willenszentren ausgehende Innervation, welche sowohl auf die zentralen Sinnesgebiete wie auf die motorischen Leitungsbahnen überfließen kann. Ist nun der Eindruck so heftig, daß die Apperzeption mit großer Anstrengung verbunden ist, dann treten unwillkürlich nicht nur motorische Miterregungen, sondern sogar weitere Rückwirkungen auf die Zentren der Ernährungsorgane ein. So kommt es, daß der Affekt mit unwiderstehlicher Macht Ausdrucksbewegungen, Veränderungen im Herzschlag, in der Atmung und den Absonderungen mit sich führt; und damit erklärt sich zugleich die lösende Wirkung dieser Folgezustände, welche die heftige Spannung von dem Zentralorgan ableiten. Ist aber die Gewalt des Eindrucks zu stark, so äußert sich auch an den Bewegungsorganen die Wirkung jeder übermächtigen Reizung, die Lähmung.

8) Vergl. Kap. XIX.

    Wenn man die geistigen und körperlichen Folgen eines stürmischen Affektes mit jenem einfachsten Fall zusammenhält, wo ein unerwarteter Eindruck verspätet apperzipiert wird, so scheint freilich eine weite Kluft diese Zustände von einander zu trennen. Dennoch ist dieselbe von den allmäligsten Abstufungen der Gemütsbewegung ausgefüllt. Wir dürfen dabei nicht vergessen, daß sich in unserm entwickelten Seelenleben außerordentlich mannigfache Beziehungen der Vorstellungen ausgebildet haben, welche äußern Eindrücken und Erinnerungsbildern, die an und für sich von wenig Bedeutung wären, eine ungeheuere Macht verleihen durch die Rückwirkung, welche sie auf den in uns liegenden Reichtum von Vorstellungen und Gefühlen äußern. Jener einfachste Affekt der Überraschung verhält sich zu solchen komplizierteren Gemütsbewegungen etwa wie das ästhetische Gefühl, das von einer einfachen geometrischen Form ausgeht, zu der Wirkung eines Kunstwerkes. Wenn wir vor dem Schuß einer gegen uns abgefeuerten Pistole zusammenschrecken, so wird bei diesem verhältnismäßig noch einfachen Affekt die überraschende Wirkung des plötzlichen Eindruckes schon durch die momentan angeregte Vorstellung eigener Lebensgefahr gewaltig verstärkt. Eine zugerufene Beleidigung vollends regt zahlreiche Vorstellungen an, die auf die eigene Wertschätzung Bezug haben. Bei allen derartigen Unlustaffekten bedingt also der Eindruck eine Störung in den unser Selbstgefühl tragenden Vorstellungskreisen. Ein überraschendes Glück regt seinerseits diese Vorstellungen zu heftig an. In beiden Fällen drängen sich also mit dem Eindruck zahlreiche andere von starken Gefühlen begleitete Vorstellungen zur Apperzeption. Da nun diese nicht nur den Verlauf der Vorstellungen sondern auch den Wechsel der Bewegungen beherrscht9), so wird sich mit diesen inneren Vorgängen eine heftige, bald Erschöpfung herbeiführende Muskelerregung und im äußersten Fall eine plötzliche Lähmung verbinden. Wie aber der vom heftigen Affekt Ergriffene seiner eigenen Bewegungen nicht mehr mächtig ist, so verliert er auch die Herrschaft über seine Gefühle und Vorstellungen. Auf diese Weise kann, indem die erschöpfte Apperzeption ganz und gar der Herrschaft der Assoziation unterliegt, ein Zustand vollständiger Ideenflucht eintreten. So erklärt sich einerseits die täuschende Ähnlichkeit maßloser Affekte mit dem Rasen des Wahnsinnigen, anderseits die Tatsache, daß die Hingebung an ungezügelte Affekte ebensowohl zur Seelenstörung, wie diese letztere, so lange der Zustand gesteigerter Reizbarkeit andauert, zu Affekten disponiert. Dieser Wechselwirkung fehlt natürlich auch nicht die körperliche Grundlage. Mit jedem Affekt ist eine Reizung des Gehirns verbunden, deren häufige Wiederholung immer mehr eine dauernde Zunahme der Reizbarkeit zurückläßt.

9) Vergl. Kap. XIX.

    Von dem Affekt unterscheidet sich der Trieb als eine Gemütsbewegung, die auf zukünftige Eindrücke gerichtet ist. Wie für den Affekt die Überraschung, so ist daher für den Trieb der Zustand der Erwartung die einfachste Grundform. Dieser Zustand kann aber sowohl nach dem Grad der Spannung, mit welcher dem zukünftigen Eindruck entgegengesehen wird, wie nach der Beschaffenheit des letzteren verschieden sein. Der Grad der Spannung begründet die Stärke, die Beschaffenheit des Eindrucks die Richtung des Triebes. Diese Richtung ist zunächst von dem an den Eindruck gebundenen Gefühle bestimmt, da das Gefühl es ist, durch welches die Wirkung der Empfindungen und Vorstellungen auf unser Bewußtsein gemessen wird. So spaltet sich denn auch der Trieb nach den zwei Gegensätzen des Gefühls in die Richtungen des Begehrens und des Widerstrebens. Aber wie Gefühl und Affekt, so hat auch der Trieb eine Indifferenzlage zwischen beiden Gegensätzen, wo dem Eindruck weder mit Neigung noch mit Abscheu entgegengesehen wird. In dieser Indifferenzlage befinden wir uns in dem vorhin geschilderten Zustande der einfachen Erwartung. Da jedoch die Intensität der Gemütsbewegungen durchaus von der Lebhaftigkeit der Gefühle bestimmt wird, so pflegt bei einer solchen neutralen Erwartung die Spannung des Triebes von geringer Stärke zu sein, und dieselbe wächst im allgemeinen mit der Entschiedenheit der Gefühle.
    Begehren und Widerstreben bilden die Grundlage der willkürlichen Bewegung. Die geistige Entwicklung des Menschen macht in dieser Beziehung keinen Unterschied. Sie hebt nicht die Triebe auf oder lehrt sie unterdrücken, sondern sie erweckt nur neue und höhere Formen des Begehrens, welche über die in dem Tier und in dem Naturmenschen wirksamen Triebe immer mehr die Herrschaft erlangen. Die entgegengesetzte Ansieht, welche die geistige Entwicklung nach dieser Seite in einer Unterdrückung der Triebe sieht, geht von einer beschränkten Auffassung des Begriffes aus. Sie sieht in dem Triebe nur das sinnliche Begehren und Widerstreben und übersieht ganz und gar, daß auch er gleich den Gefühlen, die seine Grundlage bilden, von dem ganzen geistigen Besitztum eines Menschen bestimmt wird. Nicht in der Freiheit von Trieben oder in ihrer Bezwingung besteht also die Errungenschaft der Kultur, sondern in einer Vielseitigkeit derselben, von welcher das Tier, bei dem das sinnliche Begehren alles Handeln lenkt, keine Ahnung hat. Diese wachsende Vielseitigkeit des Begehrens begründet nun allerdings den wesentlichen Unterschied, daß mit ihr der Widerstreit verschiedener Triebe im Bewußtsein zunimmt, während das Tier und bis zu einem gewissen Grade auch noch der Naturmensch durch die sinnlichen Gefühle, welche die äußeren Eindrücke in ihnen erregen, meistens unmittelbar und eindeutig bestimmt sind. Doch können wir immerhin einen Streit zwischen verschiedenen Trieben zuweilen auch schon bei den intelligenteren Tieren beobachten. Der Hund z. B. schwankt zwischen dem Begehren nach einer Fleischschüssel und dem Widerstreben vor der Strafe, die, wie er aus Erfahrung weiß, dem verbotenen Genusse zu folgen pflegt. Ein geringer äußerer Anlaß, die drohend erhobene Hand des Herrn oder im Gegenteil eine ermunternde Bewegung, kann hier dem einen oder andern Antrieb zum Sieg verhelfen.
    Wie wir die Gefühle in zwei Hauptklassen scheiden können, in solche, die an die reine Empfindung gebunden sind, und in andere, die von den Vorstellungen ausgehen, so lassen sich auch die Triebe trennen in einfach sinnliche, die in einem Begehren nach sinnlichen Lustgefühlen und in einem Widerstreben gegen sinnliche Unlustgefühle bestehen, und in höhere, die in den mannigfachen Gestaltungen des ästhetischen Gefühls ihre Wurzel haben. Auch hier mangelt aber der entwickelteren Form nicht die sinnliche Grundlage. Das Kunstwerk, in welchem das sinnliche Gefühl getragen und beherrscht wird von einer sittlichen Idee, ist darin zugleich ein Vorbild der menschlichen Lebensführung.
    Jedes Wesen bringt zweifellos gewisse sinnliche Triebe als ein angeborenes Besitztum zur Welt mit. Der Nahrungs- und Geschlechtstrieb zeigen sich in ihren ersten Äußerungen gänzlich unabhängig von den vorausgegangenen Erfahrungen des individuellen Bewußtseins. Und nicht bloß in ihrer allgemeinen Anlage sondern auch in ihren besonderen Gestaltungen müssen diese Triebe bei den einzelnen Wesen als angeborene Formen des Begehrens betrachtet werden. Der neugeborene Säugling sucht ohne Anleitung nach der Mutter Brust, der jung eingefangene Vogel baut im Käfig sein Nest, wenn die Brutzeit herannaht, und der junge Biber errichtet, wie F. CUVIER beobachtete, sein kunstvolles Wohnhaus ohne fremde Unterweisung10). Zwar ist jenes erste Suchen des Säuglings noch ein äußerst unsicheres, und die Erfahrung unterstützt sichtlich die Ausübung des Triebes. Ebenso mag man zugeben, daß junge Vögel ihre Nester ungeschickter bauen als alte, und daß sie, im Käfig gehalten, manchmal gar nicht oder ganz anders bauen, als eigentlich ihrer Art zukommt11). Alles dies beweist nur, daß auch diese Triebe von den individuellen Erlebnissen beeinflußt werden; ihr Vorhandensein, ehe irgend ein Vorbild einwirken konnte, läßt sich darum doch nicht bestreiten. Wohl aber darf man zweifeln, ob Vorbild und Erfahrung hier so raschen Erfolg hätten, wenn nicht der Trieb von Anfang an da wäre.

10) FLOURENS, de l'instinct et de l'intelligence des animaux. 4me édit. Paris 1861 p. 56.
11) A. R. Wallace, Beiträge zur Theorie der natürlichen Zuchtwahl. Deutsch von A. B. MEYER. Erlangen 1870. S. 250, 255.

    Die psychologische Theorie der angeborenen tierischen Triebe oder sogenannten Instinkte, schwankt zwischen zwei Extremen. Nach der einen Ansicht bringt das neugeborene Wesen schon die Vorstellungen, auf die sich sein Trieb bezieht, zur Welt mit. Dem Vogel schwebt das Nest, das er bauen soll, der Biene ihre Wachszelle als fertiges Bild vor. Die entgegengesetzte Auffassung betrachtet die instinktiven Handlungen ganz und gar als Erzeugnisse einer individuellen Erfahrung, wobei jedes Wesen teils durch das Beispiel anderer teils durch eigene Überlegung bestimmt wird. Beide Theorien verfehlen das Ziel, weil sie den Instinkt für ein angeborenes oder erworbenes Erkennen halten, also das Wesen desselben in den Erkenntnisprozeß verlegen. DARWIN sieht die Instinkte als Gewohnheiten an, die, durch natürliche oder künstliche Züchtung entstanden, sich auf die Nachkommen vererben, indem sie dabei unter Fortwirkung konstanter Naturbedingungen verstärkt werden12). Mit Recht wird hier das Gesetz der Vererbung betont als ein wesentliches Moment der Erklärung. Aber die Gewohnheit, mit der schon condillac und F. CUVIER die Instinkte verglichen13), ist ein unbestimmter Begriff, welcher den psychologischen Vorgang ganz und gar dunkel läßt. Denn es fragt sich, wie jene Gewohnheiten entstanden sind, die in ihrer Vererbung und Häufung die so außerordentlich verschiedenen Instinkte der Tiere erzeugt haben. Der Hinweis auf die Einflüsse der Züchtung hebt nur gewisse äußere Lebensbedingungen hervor; die psychologische Frage richtet sich aber vor allem auf die inneren Bestimmungsgründe, die bei der ersten Entstehung instinktiver Handlungen wirksam gewesen sind, und die bei dem Wiederauftreten derselben in jedem einzelnen Individuum einer Spezies immer noch wirksam sein werden. Dieser Antrieb zur Ausführung der Instinkthandlungen kann nun unmöglich in vererbten Vorstellungen liegen, welche als fertige Bilder vor dem Bewußtsein schweben. Denn erstens würde das Vorhandensein solcher Vorstellungen an und für sich das Hervortreten der Handlung noch gar nicht erklären; für diese müßte immer noch ein besonderer Antrieb vorausgesetzt werden. Zweitens bemerken wir in jenen Fällen, wo sich wirklich ein Trieb in seiner ursprünglichen inneren Natur verfolgen läßt, durchaus nichts von dem Vorhandensein bestimmter Vorstellungen. Diese innere Entwicklung der Triebe können wir freilich nicht an den Instinkten der Tiere sondern nur an einigen Trieben des Menschen beobachten. Hier sehen wir nun, daß z. B. beim Geschlechtstrieb das Begehren in seinen ersten dunkeln Regungen sich durchaus keines bestimmten Zieles bewußt ist; es wird nicht von den Vorstellungen beherrscht, sondern der vorhandene Trieb bemächtigt sich erst gewisser Vorstellungen, die sich während der Entwicklung des individuellen Bewußtseins ihm bieten. In dieser Unbestimmtheit der ursprünglichen Triebe liegt zugleich der Keim zu den mannigfachen Verirrungen, denen sie unterworfen sind. Der Trieb in seiner ersten Äußerung ist also ein Streben, welchem sein Ziel allmälig erst bewußt wird, indem es nach Erfüllung ringend äußere Eindrücke verarbeitet. Nichts desto weniger sind gewiß schon Sinnesreize zum ersten Hervorbrechen der Triebe erforderlich; aber diese Sinnesreize stehen zu den Vorstellungen, deren sich der Trieb bei seiner Erfüllung bemächtigt, in keiner bestimmten Beziehung, denn sie bewirken überhaupt keinerlei Vorstellungen, sondern lediglich sinnliche Empfindungen und Gefühle. Der Nahrungstrieb des Säuglings entspringt weder aus dem Anblick der Mutterbrust noch aus der Vorstellung der Nahrung, sondern aus einem dumpfen Hungergefühl, das reflektorisch alle jene Bewegungen hervorruft, welche schließlich die Stillung des Begehrens bewirken. Ist auf diese Weise öfter einmal der Trieb des Kindes befriedigt worden, dann wird sich allerdings allmälig die dunkle Vorstellung der äußern Objekte, die sich dabei darbieten, und seiner eigenen Bewegungen hinzugesellen, und es wird so mit dem Hungergefühl zugleich das reproduzierte Bild aller dieser Eindrücke auf die Erfüllung des Begehrens hindrängen. So erklärt es sich denn leicht, daß diese einfachsten Instinkthandlungen schon, so sehr sie auch ursprünglich angeboren sind, doch sichtlich durch Übung vollkommener werden.

12) Darwin, über die Entstehung der Arten. Deutsch von Bronn. S. 217.
13) FLOURENS, de l'instinct et de l'intelligence p. 107.

    Nicht anders werden wir nun die individuelle Entstehung der Instinkte bei den Tieren uns denken müssen. In dem jungen Vorstehehund, der zum ersten Male zur Jagd geht, und der bei der Witterung des Wildes alsbald von dem unwiderstehlichen Trieb zum Stellen erfaßt wird, existierte bis zu diesem Augenblick noch keine Vorstellung von dem Wilde. Wahrscheinlich sind es bestimmte Gesichts- und Geruchsreize, die jenen Trieb momentan in ihm losbrechen lassen. Auch hier kann aber der Instinkt in seinen ersten Äußerungen irre gehen, wie denn z. B. Darwin14) berichtet, daß zuweilen junge Vorstehehunde vor andern Hunden stehen, was dem erfahreneren Tiere nicht mehr begegnet. Ebenso werden den Vogel körperliche Reize, die von den Organen der Fortpflanzung ausgehen, zu einer bestimmten Zeit seines Lebens antreiben, die Vorbereitungen zum Nestbau zu treffen. Das zum ersten Mal bauende Tier weiß nichts von dem Neste und den Eiern, die es hineinlegen wird: die Vorstellung entsteht erst, indem der Trieb zu seiner Erfüllung gelangt; der Trieb selber geht aber wieder von Körpergefühlen aus, die von jener Vorstellung nicht das geringste enthalten. In andern Fällen werden wohl die Reize, welche die Instinkte erwecken, sogleich mit dem Beginn des selbständigen Lebens wirksam und bleiben es fortwährend. Schon REIMARUS hat hervorgehoben, daß die körperliche Bewegung und andere Lebensvorgänge als einfache Triebäußerungen betrachtet werden können15). Selbst der Mensch bringt den Trieb zur Bewegung oder vielmehr die Eigenschaft, den Trieb durch äußere Sinnesreize zu entwickeln, zur Welt mit, und ohne diese Anlage würde er niemals die Bewegung erlernen. Das Erlernen selbst geht, sogar bei den Ortsbewegungen, die sich am langsamsten ausbilden, teils aus eigener Triebäußerung teils aus den dabei einwirkenden Eindrücken und Erfahrungen hervor. Bei zahlreichen Tieren aber ist die Fertigkeit der Bewegung in dem Moment, wo sie ins Leben treten, schon vollständig ausgebildet. Das junge Hühnchen, dem noch die Eischale auf dem Rüken klebt, und das eben geborne Kalb stehen und gehen ohne weitere Übung und Anleitung. Trotzdem kann man auch hier streng genommen nicht sagen, daß das Tier den aktuellen Trieb zur Welt mitbringe. Im Ei und im Fruchthalter hat sich dieser Trieb noch nicht geregt. Also können erst die äußern Reize, die im Moment der Geburt ihre Einwirkung beginnen, die Erweckung desselben verursachen. Er ist aber hier schon in seinen ersten Äußerungen so sicher, daß die individuelle Übung verhältnismäßig wenig hinzufügen kann. Wir müssen daher notwendig annehmen, daß in der angeborenen, von den vorausgegangenen Generationen erworbenen Bildung des Nervensystems die fertige Disposition zu jenen Bewegungen liege, die nur der Erregung durch den von äußeren Sinnesreizen erweckten Trieb bedarf, um in volle Wirksamkeit zu treten. Bei den Instinkthandlungen fällt also der individuellen Entwicklung im ganzen ebenso viel und ebenso wenig zu als bei der sinnlichen Wahrnehmung. Die Anlage bringt das einzelne Wesen vollständig vorgebildet mit; zur wirklichen Funktion ist aber die Einwirkung der Sinnesreize erforderlich. Beide Fälle sind in der Tat nahe verwandt. Auch die Funktion der Sinnesorgane ist an Bewegungen gebunden, welche aus einem inneren Naturtriebe hervorgehen. Ebenso ist das Maß individueller Ausbildung, welches zu der angeborenen Anlage hinzukommen muß, für die Sinneswahrnehmungen und die Instinkthandlungen das gleiche. Je weniger der Instinkt der Vervollkommnung durch eigene Lebenserfahrung bedarf, um so fertiger tritt von Anfang an auch die sinnliche Wahrnehmung auf. Der Mensch wird in beiden Beziehungen verhältnismäßig unfertig geboren; selbst die einfachsten Bewegungen und Wahrnehmungen, deren die meisten Tiere alsbald mächtig sind, muß er allmälig erst ausbilden. Es ordnet sich aber diese Tatsache einer, wie es scheint, allgemein im Tierreich zu beobachtenden Regel unter. Je einfacher die Organisation des zentralen Nervensystems ist, um so sicherer vorgebildet sind jene ererbten Dispositionen, auf welchen die ersten Äußerungen der Sinneswahrnehmungen und der Triebe beruhen. Je verwickelter dagegen der Bau des Gehirns ist, um so breiter wird der Spielraum, welcher der individuellen Ausbildung bleibt; um so größer sind nun aber auch die individuellen Unterschiede, die sich in allen psychischen Funktionen, von den einfachsten Bewegungen, an geltend machen. Diese Wechselwirkung ist im allgemeinen leicht begreiflich. Bei einer vielseitigen Anlage eines Wesens muß zugleich der individuellen Entwicklung ein größerer Raum geboten sein, und gleichzeitig damit muß notwendig die Determination durch Vererbung geringer werden.

14) a. a. O. S. 223.
15) REIMARUS, allgemeine Betrachtungen über die Triebe der Tiere, hauptsächlich über ihre Kunstriebe. Hamburg 1760. S. 2 f.

    Gemäß dem Gesetz der Vererbung und dem Prinzip der Anhäufung bestimmter Eigentümlichkeiten unter dem Einfluß gleichmäßig fortwirkender Bedingungen haben wir alle irgendwie zusammengesetzteren Instinkte als Produkte einer Entwicklung zu betrachten, deren Ausgangspunkte noch gegenwärtig in den einfachsten Triebäußerungen niederer Tiere uns vorliegen. Je einfacher solche Triebäußerungen sind, um so mehr nähern sie sich aber der Reflexbewegung oder jener Bewegung, die als unmittelbarer mechanischer Erfolg äußerer Reize auf einen empfindungsfähigen Organismus auftritt, und die in der zentralen Verbindung bestimmter sensorischer und motorischer Fasern ihren physiologischen Grund hat. Dieses Resultat bestätigt sich nun auch darin, daß jeder angeborene Trieb immer zu seiner ersten Äußerung gewisser Sinnesreize bedarf. Dabei ist aber der Reflex nur gewissermaßen der ideale Ausgangspunkt des Instinktes. Unserer Beobachtung ist schlechterdings kein Organismus gegeben, dessen Triebäußerungen lediglich in Reflexbewegungen beständen. Selbst die niedersten Protozoen äußern ihre Triebe durch Handlungen, die ein gewisses Bewußtsein verraten. Die Triebe sind also psychische Vorgänge, die auch in ihrer einfachsten Form nicht auf den bloßen Mechanismus der Reflexe zurückgeführt werden können. Dies liegt eben daran, daß wir kein der Triebe überhaupt fähiges Wesen kennen, welches absolut unentwickelt geblieben wäre.
    Die Entwicklung der Triebe beruht nun darauf, daß bei der besonderen Gestaltung derselben den Vorstellungen und dem an die Apperzeption der Vorstellungen geknüpften Erkenntnisprozeß eine wichtige Rolle zufällt. Es braucht, um diesen Einfluß anzuerkennen, nur auf die mannigfaltigen Äußerungen der verschiedenen tierischen Instinkte hingewiesen zu werden. Wenn die meisten Beobachter eine Erklärung der Instinkte aus Verstandeshandlungen zurückwiesen, so ist dies in der Tat nicht deshalb geschehen, weil etwa in solchen Instinkten, wie in dem Bautrieb des Bibers und der Biene, in den staatlichen Vereinigungen der Ameisen und Termiten u. s. w., kein Verstand zu finden wäre, sondern weil man im Gegenteil davon zu viel darin gefunden hat, so daß derselbe, wenn man ihn als einen individuellen Erwerb betrachten wollte, mitunter als etwas den höchsten menschlichen Leistungen Ebenbürtiges betrachtet werden müßte16). So ist es denn begreiflich, daß man sich lieber entschloß, in dem instinktiven Tun der Tiere die Äußerung einer ihnen fremden Intelligenz zu sehen. Diese Deutung scheitert aber, abgesehen von ihrer sonstigen psychologischen Unwahrscheinlichkeit, an der gar nicht abzuleugnenden Tatsache, daß das Tier bei seinen instinktiven Handlungen nebenbei immer von individuellen Erfahrungen bestimmt wird, wodurch es nicht selten einen gewissen Grad von Überlegung und Voraussicht an den Tag legt, wie solche an verhältnismäßig einfache Vorstellungsassoziationen geknüpft werden können17). Man müßte also an jene fremde Intelligenz die unerhörte Zumutung stellen, daß sie dem Tiere nicht bloß im allgemeinen sein instinktives Tun vorzeichne sondern dasselbe auch in jedem einzelnen Fall dabei lenke und immer wo möglich das richtige Mittel zum Zweck ergreifen lasse. Wie würde es aber damit wieder zusammenstimmen, daß die Tiere in solchen individuellen Intelligenzäußerungen doch wieder sehr häufig sich irren und in der gröbsten Weise getäuscht werden können? Hierdurch verrät sich eben jene Intelligenz als eine außerordentlich beschränkte, die nur die nächsten Erfolge im Auge hat, und die nur wegen des engen Horizonts, in welchen die Vorstellungen eingeschränkt sind, in ihren Äußerungen eine gewisse Vollkommenheit erreichen kann. Das Rätsel dieser Intelligenz im Instinkte schwindet, wenn wir auch sie als eine Erwerbung zahlloser Generationen betrachten, zu der jede einzelne nur einen unendlich kleinen Beitrag geliefert hat. In der Tat sehen wir die Entwicklungsstufen des Instinktes, welche so vorausgesetzt werden müssen, noch heute zum Teil in den verschiedenen Arten einer und derselben Familie oder Ordnung des Tierreichs neben einander bestehen. So bildet der kunstlose Bau der Wespen und Hummeln offenbar eine Vorstufe zu den verwickelteren Einrichtungen des Bienenstaates18).

16) Vergl. AUTENRIETH, Ansichten über Natur- und Seelenleben S. 171.

17) Vergl. meine Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele I S. 443 f., und außerdem die speziellen Schriften über Tierpsychologie, namentlich SCHEITLIN's Versuch einer Tierseelenkunde (Stuttgart und Tübingen 1840, 2 Bde.), ein an Beobachtungen reiches, aber der Kritik ermangelndes Werk. sowie Perty's Seelenleben der Tiere. Leipzig u. Heidelberg. 1865.

18) Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele II S. 194 f.

    Daß die höheren intellektuellen und moralischen Triebe, die sich nur in dem menschlichen Geiste ausbilden, ebenfalls in gewissem Grade dem Gesetz der Vererbung unterworfen sein können, läßt sich wohl nicht bestreiten. Auch scheint es, daß sittliche wie unsittliche Neigungen von den Eltern auf die Nachkommen übergehen, und das allgemeine Urteil pflegt den moralischen Trieben sogar eine größere Tendenz zur Vererbung zuzugestehen als der intellektuellen Anlage. Dabei ist freilich die Unsicherheit aller dieser Beobachtungen und der in der Regel im gleichen Sinne wirksame Einfluß der Erziehung nicht zu übersehen. Von vornherein ist es wahrscheinlich, daß Triebe, deren Existenz schon eine höhere intellektuelle und moralische Entwicklung voraussetzt, in der ursprünglichen Organisation minder fest determiniert sein werden als die sinnlichen Begehrungen, die in früher Lebenszeit schon hervorbrechen und nur gewisser äußerer Reize zu ihrer Entstehung bedürfen. Anderseits gibt der genetische Standpunkt jener optimistischen Auffassung, welche die Menschheit im Ganzen der Vervollkommnung zustreben läßt, eine kräftige Stütze, indem er neben dem in Sitten und Überlieferungen niedergelegten Erwerb früherer Geschlechter eine Veredlung der ursprünglichen Anlage für möglich hält, womit freilich mannigfache Schwankungen in auf- und absteigender Richtung keineswegs ausgeschlossen sind. Für eine Zeit, so gut wie für ein Individuum, liegt also darin höchstens das Vorrecht, daß sie besser sein kann und soll als die ihr vorausgehenden, aber nicht im mindesten der Anspruch, daß sie wirklich auch besser ist.
    Gleich dem Gefühl und Affekt vermag auch der Trieb die mannigfachsten Formen anzunehmen. Denn jeder geistige Inhalt kann, wie er Gefühle und Affekte mit sich führt, so auch Begehrungen erregen. Diese selbst sind zugleich fortwährend von Gefühlen und Affekten begleitet. Begehren und Widerstreben antizipieren ihren Gegenstand in der Vorstellung, so daß die Gefühle und Affekte, welche derselbe anregt, schon mit dem Trieb sich verbinden. Aus diesem Umstande erklärt sich die Tatsache, daß unsere Sprache für diese drei Zustände insgemein nur einen einzigen Ausdruck hat. Der Abscheu ist gleichzeitig Gefühl und Affekt wie widerstrebender Trieb. Wir reden von der Lust als einem Gefühl; wenn wir aber "Lust zu etwas haben", so meinen wir damit ein Begehren. Auch insofern behandelt unsere Sprache die drei Zustände übereinstimmend, als sie zahlreiche Ausdrücke für die Gefühle, Affekte und Strebungen der Unlust gebildet hat, während die erfreuenden Gemütsstimmungen dagegen zu kurz kommen. Diese Erscheinung hat wohl weniger darin ihren Grund, daß der Mensch vorzugsweise seine Unluststimmungen sorgsam beobachtet19), als vielmehr darin, daß die Gefühle der Lust wirklich eine größere Gleichförmigkeit besitzen. Besonders bei den sinnlichen Gefühlen ist dies deutlich. Der Schmerz hat nicht nur viele Stärkegrade, sondern auch je nach seinem Sitz mancherlei Färbungen; aber das gehobene Gemeingefühl ist immer eins und dasselbe.

19) L. George, Lehrbuch der Psychologie. S. 116.

    In seiner psychologischen Entstehungsweise bildet der Trieb den Gegensatz oder auch, wenn man will, die Ergänzung zum Affekte. Dieser letztere besteht in der unmittelbaren Einwirkung gegenwärtiger Gefühle auf den Verlauf der Vorstellungen. Der Trieb dagegen ist eine Veränderung dieses Verlaufes, welche auf die Herbeiführung oder Vermeidung gewisser Gefühle gerichtet ist. Deutlich spricht dieses Verhältnis in den einfachsten Formen von Affekt und Begehren, in den Zuständen der Überraschung und der Erwartung sich aus20). Jede Spannung der Apperzeption, wodurch sich diese einer zu erfassenden Vorstellung zuwendet, ist eine elementare Triebäußerung, die sich als Begehrung oder Widerstrebung gestaltet, wenn der Inhalt der Vorstellung Anlaß gibt zu Gefühlen der Lust oder Unlust. In diesem weiteren Sinne könnte man also die ganze Bewegung der Aufmerksamkeit, welche den Verlauf der Vorstellungen durch den Blickpunkt des Bewußtseins bestimmt, eine Triebäußerung nennen. In der Tat findet sich von jenem Streben von einem Eindruck zum andern, welches dem gewöhnlichen Verlauf unserer Vorstellungen zu Grunde liegt, bis zu den heftigsten Äußerungen des Begehrens eine stetige Reihe von Übergangszuständen. Streng genommen ist jeden Augenblick in uns ein Begehren ebensowohl wie ein Gefühl und ein Affekt; aber aus allen den leise anklingenden Gemütszuständen heben wir in der Regel die stärkeren hervor, nach denen wir die ganze Gemütslage bestimmen, indem wir so bald das Gefühl bald den Affekt bald den Trieb als das herrschende in uns anerkennen. Als physiologische Grundlage des Begehrens und Widerstrebens müssen wir endlich nach dem ganzen Wesen dieser Zustände jene motorische Innervation ansehen, auf welche, wie wir gesehen haben, die Spannung der Apperzeption zurückführt21). Diese Innervation erfolgt bei den angeborenen Trieben reflektorisch, indem dabei bestimmte Verbindungen innerhalb der nervösen Zentralorgane, zu denen eine durch frühere Generationen allmälig erworbene Disposition besteht, in Wirksamkeit treten. Andere Verbindungen werden erst unter dem Einfluß individueller Erlebnisse sich ausbilden. Bei den höheren Trieben vollends werden gewisse Komplexe reproduzierter Vorstellungen den psychischen Reiz bilden, der die Erregung verursacht. Diese Erregung selbst bleibt in vielen Fällen, wo die Strebungen nur innerlich verarbeitet werden, auf die eigentlichen Apperzeptionsgebilde beschränkt. Bei den ursprünglicheren Formen des Triebes dagegen geht sie immer zugleich auf motorische Bahnen über: es entstehen Ausdrucksbewegungen oder zusammengesetzte Handlungen. So namentlich bei den Instinkten der Tiere und teilweise auch noch bei den sinnlichen Trieben des Naturmenschen, wo der Erweckung des Triebes unmittelbar Folge gegeben wird in der äußern Bewegung.

20) Siehe oben.
21) Siehe Kap. XIX.

    Die Schilderung der einzelnen Affekte und Triebe liegt außerhalb der Grenzen dieser Darstellung; doch haben wir zum Schlusse noch hinzuweisen auf die eigentümlichen individuellen Dispositionen der Seele zur Entstehung der Gemütsbewegungen. Diese Dispositionen sind die Temperamente. Was die Erregbarkeit in Bezug auf die sinnliche Empfindung, das ist das Temperament in Bezug auf Trieb und Affekt. Wie wir eine dauernde Erregbarkeit und daneben fortwährende Schwankungen derselben unterscheiden können, so zeigt sich auch das Temperament teils als ein dauerndes teils in der Form wechselnder Temperamentsanwandlungen, die von äußern und innern Ursachen abhängen können. Die uralte Unterscheidung der vier Temperamente, welche die Psychologie den medizinischen Theorien des galen entlehnte, ist aus einer feinen Beobachtung der individuellen Verschiedenheiten des Menschen hervorgegangen. Sie hat auch heute ihre Brauchbarkeit nicht eingebüßt, wenn gleich die Vorstellungen, aus welchen einst die Namen des sanguinischen, melancholischen, cholerischen und phlegmatischen Temperamentes hervorgingen, längst beseitigt sind. Charakteristischer als diese an die alten GALENischen Theorien erinnernden Ausdrücke sind übrigens die Verdeutschungen, welche kant22) gebraucht: leicht- und schwerblütig, warm- und kaltblütig. Auch die Vierteilung der Temperamente läßt sich noch rechtfertigen, weil wir in dem individuellen Verhalten der Affekte und Begehrungen zweierlei Gegensätze unterscheiden können: einen ersten, der sich auf die Stärke, und einen zweiten, der sich auf die Schnelligkeit des Wechsels der Gemütsbewegungen bezieht. Zu starken Affekten neigt der Choleriker und Melancholiker, zu schwachen der Sanguiniker und Phlegmatiker. Zu raschem Wechsel ist der Sanguiniker und Choleriker, zu langsamem der Melancholiker und Phlegmatiker disponiert23). In diesen Verhältnissen scheint mir mehr als, wie kant meinte, in der Beziehung zu Gefühl oder Handlung das Wesen der Temperamente zu liegen. Auch die sonstigen Eigentümlichkeiten derselben lassen sich leicht mit diesen zwei Hauptgegensätzen in Zusammenhang bringen. Bekanntlich geben sich die starken Temperamente, das cholerische und melancholische, mit Vorliebe den Unluststimmungen hin, während die schwachen als eine glücklichere Begabung für die Genüsse des Lebens gelten. Dies hat seinen Grund in jener Erfahrung, auf welche die pessimistische Weltansicht so großen Wert legt, daß die Summe der kleinen Leiden, von welchen unsere Existenz umgeben ist, auf denjenigen, der durch schwache Eindrücke in starken Affekt gerät, im Ganzen eine größere Wirkung üben muß, als die erfreulichen Seiten des Daseins. Der Pessimismus beruht daher insgemein auf einer individuellen Temperamentseigentümlichkeit, die dann freilich auch den ethischen Wert des Lebens nach ihrem dem Affekt entliehenen Maßstabe zu schätzen liebt. Die beiden raschen Temperamente, das sanguinische und cholerische, geben sich ferner mit Vorliebe den Eindrücken der Gegenwart hin; denn ihre schnelle Beweglichkeit macht sie bestimmbar durch jede neue Vorstellung. Dem gegenüber sind die beiden langsamen Temperamente mehr auf die Zukunft gerichtet. Nicht abgezogen durch jeden zufälligen Reiz, nehmen sie sich Zeit den eigenen Gedanken nachzugehen. Der Melancholiker vertieft sich in die Gefühle, die eine freudelos erwartete Zukunft in ihm anregt; der Phlegmatiker hält in zäher Ausdauer an einmal begonnenen Entwürfen fest. Endlich läßt auch kant's Unterscheidung diesem Rahmen sich einfügen. Das schnelle Temperament bedarf der Stärke, das schwache der Langsamkeit, wenn beide nicht in der bloß hingebenden Haltung gegenüber den wechselnden Eindrücken aufgehen sollen. So treten beide als Temperamente der Tätigkeit denen des Gefühls, dem sanguinischen und melancholischen, gegenüber.

22) Anthropologie. Werke Bd. 7, 2. S. 216 f.

23) Unterscheiden wir demnach starke und schwache, schnelle und langsame Temperamente, so übersieht man die ganze Einteilung in folgender Tafel:

Starke                                                      Schwache
                            Schnelle                                           Cholerisch                                             Sanguinisch
                            Langsame                                        Melancholisch                                     Phlegmatisch.

    Man hat mit Recht bemerkt, daß die individuelle Bestimmtheit des Temperaments auch noch auf größere Gruppen gleichartig angelegter Wesen sich ausdehnen läßt. So zeigen die Menschenrassen, die einzelnen Völker und unter diesen wieder die provinziellen Abzweigungen charakteristische Temperamentsunterschiede. Nicht minder treffen wir dieselben bei den geistig entwickelteren Ordnungen, Familien und Arten des Tierreichs zum Teil in sehr scharf ausgeprägter Weise, die in höherem Grade als beim Menschen die individuellen Färbungen ausschließt24). Da jedes Temperament seine Vorzüge und Nachteile hat, so besteht für den Menschen die wahre Kunst des Lebens darin, seine Affekte und Triebe so zu beherrschen, daß er nicht ein Temperament besitze sondern alle in sich vereinige. Sanguiniker soll er sein bei den kleinen Leiden und Freuden des täglichen Lebens, Melancholiker in den ernsteren Stunden bedeutender Lebensereignisse, Choleriker gegenüber den Eindrücken, die sein tieferes Interesse fesseln, Phlegmatiker in der Ausführung gefaßter Entschlüsse.

24) L. George, Lehrbuch der Psychologie S. 136 f.

    Die ältere Psychologie ordnete die Affekte unter das Begehrungsvermögen, indem sie dieselben als ein heftiges Begehren oder Widerstreben auffaßte25). Dieses letztere galt zwar als ein besonderes Seelenvermögen, wurde aber doch der Erkenntniskraft untergeordnet, indem man dasselbe aus der Erkenntnis des Guten und Schlechten ableitete26). kant behielt zwar in seiner Anthropologie diese Einteilung der WOLFF'schen Psychologie bei, trennte aber doch durch seine Definition des Affekts diesen von der Begierde. Affekt ist nämlich nach ihm das Gefühl einer Lust oder Unlust im gegenwärtigen Zustand, welches im Subjekt die Überlegung nicht aufkommen läßt27). Der Affekt ist also bei kant nicht mehr, wie bei wolff, ein starkes Begehren sondern vielmehr ein starkes Gefühl, welches sich insbesondere auch in körperlichen Bewegungen kundgibt, worin sich eben die aufgehobene Überlegung verrät. herbaRt erkannte, daß Affekt und Begehren in dem Verlauf der Vorstellungen sich äußern. Während er das Gefühl in eine ruhende Spannung der Vorstellungen verlegt, sollen diese bei dem Affekt beträchtlich vom Zustand des Gleichgewichtes entfernt sein, wobei entweder ein zu großes Quantum des wirklichen Vorstellens ins Bewußtsein dringe (bei den sthenischen Affekten); oder aus letzterem ein größeres Quantum verdrängt werde, als wegen der Beschaffenheit der vorhandenen Vorstellungen eigentlich sein sollte28). Herbart hebt hervor, daß nicht die Affekte es sind, welche hierbei die Vorstellungen regieren, sondern daß vielmehr aus den Vorstellungen selbst die Affekte entspringen. Wenn wir nun aber nach den Eigenschaften der Vorstellungen uns umsehen, welche Affekte verursachen können, so finden wir uns dabei immer auf Gefühle hingewiesen. Die ältere Psychologie hatte also mit Recht Gefühl und Affekt in eine nahe Beziehung gesetzt; sie hatte jedoch darin geirrt, daß sie zwischen beiden nur einen Intensitätsunterschied kannte, während für den Affekt vielmehr die Rückwirkung des Gefühls auf den Verlauf der Vorstellungen das wesentliche ist. HERBART sieht dagegen einseitig in diesem letzteren allein schon den ganzen Affekt, setzt also denselben, ebenso wie das Gefühl, in eine formale Beziehung zwischen den Vorstellungen, während doch erst das Verhältnis zum apperzipierenden Bewußtsein die ganze qualitative Mannigfaltigkeit der Gefühle und Affekte erklärt. Was die letzteren betrifft, so ist endlich nicht zu übersehen, daß sich uns das Gefühl und seine Rückwirkung auf den Verlauf der Vorstellungen immer als ein zusammenhängender Vorgang zu erkennen gibt, daher diejenigen Affekte, welche die praktische Psychologie unterscheidet, ihre Bezeichnung hauptsächlich den zu Grunde liegenden Gefühlen verdanken.

25) Wolff, psychol. empir. §. 603.
26) Ebend. §. 509 seq. Vergl. a. oben S. 13.
27) Kant, Anthropologie, a. a. O. S. 170 f.
28) Herbart, Psychologie als Wissenschaft §. 106. Werke Bd. 6 S. 97 f.

    Das Begehren besteht nach HERBART in dem Aufstreben einer Vorstellung gegen die ihr widerstreitenden Gegensätze oder auch in ihrem Widerstreben gegen solche29). Hier fällt, wie mir scheint, das Ungenügende der HERBART’schen Apperzeptionstheorie besonders deutlich in die Augen. Es kann vorkommen, daß sich eine Vorstellung aus irgend einer Ursache, z. B. weil sie uns einen tiefen Eindruck gemacht hat, immer und immer wieder in den Vordergrund des Bewußtseins drängt. Einen solchen Zustand nennen wir aber noch lange kein Begehren. Zu diesem ist vielmehr erforderlich, daß unsere Apperzeption von sich aus unter dem Einfluß irgend einer physiologischen oder psychischen Reizung die Vorstellung oder eine auf Realisierung derselben gerichtete Bewegung zu erzeugen strebe. Diesem Gesichtspunkte fügen sich auch jene angeborenen Triebe, deren Zusammengehörigkeit mit den Begierden augenfällig ist, und die sich doch unmöglich auf anstrebende Vorstellungen zurückführen lassen, da solche bei der ersten Regung des Triebes eben noch gar nicht existieren. Die Theorien über die tierischen Instinkte30) leiden, wie oben schon kurz angedeutet wurde, sämtlich an dem Übelstand, daß die wahre psychologische Wurzel dieser Erscheinungen verkannt wurde. Das Unbefriedigende derselben ist daher auch schon mehrfach hervorgehoben worden. darwin hat in dem Prinzip der Vererbung zwar einen wichtigen und fruchtbaren Gesichtspunkt aufgestellt; die ursprüngliche Natur des Instinkts ist aber damit nicht aufgeklärt. Diese liegt, wie wir gesehen haben, durchaus in dem Begehren, das auch die mannigfachen Äußerungen der Intelligenz, welche bei den Instinkthandlungen mitwirken, in seine Dienste nimmt.

29) HERBART a. a. 0. §. 104, S. 73 f.

30) Vergl. hierüber REIMARUS, allgemeine Betrachtungen über die Triebe S. 212. Flourens, de l'instinct et de l'intelligence p. 15. AUTENRIETH, Ansichten über Natur- und Seelenleben S. 169 f. LOTZE, WAGNER's Handwörterb. der Physiol. II S. 191 f.