Das Institut

für experimentelle Psychologie

zu Leipzig

von

W. Wundt

Mit einer Figur im Text

Sonderabdruck aus: Wundt, Psychologische Studien. V. Band,5. n. 6. Heft

Leipzig

Wilhelm Engelmann

1910


 
 

Das Institut für experimentelle Psychologie zu Leipzig1).

1) Die folgende kurze Geschichte und Beschreibung des Instituts ist in der den Ehrengästen der Universität bei der 500jährigen Jubelfeier derselben überreichten Festschrift erschienen. Da diese wohl nur einer sehr beschränkten Zahl von Fachgenossen aus den Kreisen der Psychologen und Physiologen zugänglich ist, so gebe ich hier einen Abdruck meines Beitrags.                     W. W.



I. Zur Geschichte des Instituts. |  II. Beschreibung des Instituts. |  III. Apparate und Lehrmittel. |  IV. Lehr- und Arbeitsplan.




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I. ZUR GESCHICHTE DES INSTITUTS.

      Das Institut für experimentelle Psychologie ist aus sehr bescheidenen Anfängen hervorgegangen. Als der jetzige Leiter am 1. Oktober 1875 in den Lehrkörper der Universität eintrat, war ihm von dem Kgl. Ministerium unter Zustimmung des akademischen Senats ein kleines früheres Auditorium in dem vormaligen Konviktgebäude zur Verfügung gestellt worden, um in demselben Demonstrationsmittel für die Vorlesungen über Psychologie sowie Apparate für eigene experimentelle Arbeiten unterbringen zu können. Im Anschluß an "Psychologische Übungen", die in den ersten Semestern in der Form eines Kolloquiums abgehalten wurden, das Gegenstände der Vorlesung behandelte, begannen sich dann vom Herbst 1879 an einzelne Studierende in diesem Raum mit experimentellen Arbeiten zu beschäftigen. So entstand als die erste aus diesem Seminar hervorgegangene Untersuchung die Arbeit des leider früh als Gymnasiallehrer in Bautzen verstorbenen Dr. Max Friedrich "Über die Apperzeptionsdauer bei einfachen und zusammengesetzten Vorstellungen", zugleich die erste einer großen Reihe zeitmessender Untersuchungen, die sich seitdem mit den Verlaufsgesetzen psychischer Vorgänge beschäftigt haben. Im Winter 1879/80 begonnen, ist sie 1883 als Dissertation sowie in Bd. I der von Wilhelm Wundt herausgegebenen "Philosophischen Studien" gedruckt worden. In den folgenden Semestern beteiligten sich dann noch mehrere Studierende und jüngere Dozenten an solchen zunächst ohne Ankündigung im Vorlesungsverzeichnis abgehaltenen Übungen und Arbeiten. Zu diesen ersten Teilnehmern experimenteller psychologischer Studien gehörten vornehmlich Dr. Emil Kraepelin, jetzt Professor der Psychiatrie und Direktor der psychiatrischen Klinik in München, Dr. W. Moldenhauer, damals Privatdozent der Ohrenheilkunde in Leipzig, Dr. G. Stanley Hall, jetzt Präsident der Clark-Universität in Worcester, Mass., Dr. Ernst Tischer und Dr. Martin Trautscholdt, jetzt Professoren der Mathematik und Physik am Nikolaigymnasium zu Leipzig, endlich Dr. James Mac Keen Cattell, jetzt Professor der Psychologie und Direktor des psychologischen Instituts an der Columbia-Universität in New York.

      Vom Sommersemester 1881 an erschienen nun auch zum erstenmal "Psychophysische Übungen für Vorgerücktere" im Vorlesungsverzeichnis. Sie konnten freilich nur in sehr beschränktem Umfange abgehalten werden, da das erwähnte Arbeitszimmer unter gelegentlicher Hinzuziehung eines benachbarten Auditoriums in den Stunden, in denen dieses frei blieb, und das im Privatbesitz des Leiters der Übungen befindliche kleine Instrumentarium hierfür allein zur Verfügung standen. Nachdem indessen 1883 der erste Band der von da an hauptsächlich die aus dem Seminar hervorgegangenen experimentellen Arbeiten enthaltenden "Philosophischen Studien" erschienen war, trat in dem Schicksal des Instituts eine erfreuliche Wendung ein, als das Kgl. Ministerium einen kleinen Staatszuschuß bewilligte und demzufolge die Einreihung des Instituts unter die allgemeinen Universitätsinstitute und die Anstellung eines Assistenten genehmigte. Außerdem wurde der für die Arbeiten zur Verfügung stehende Raum um zwei kleine Zimmer erweitert, die durch die Teilung eines benachbarten Auditoriums gewonnen waren. Nachdem zuvor schon Dr. Mac Keen Cattell als Volontär-Assistent vom Winter 1885/86 an tätig gewesen war, trat dann vom Herbst 1887 an Dr. Ludwig Lange, jetzt Privatgelehrter in Tübingen, als Assistent ein.

      Im Wintersemester 1883/84 erschien das Institut zum erstenmal unter seinem gegenwärtigen Namen im Vorlesungsverzeichnis, während an die Stelle der bisherigen "Psychophysischen Übungen" das "Seminar für experimentelle Psychologie" trat. Zugleich bot sich in den nächsten Semestern Gelegenheit zu einer nochmaligen Erweiterung der Räume, indem das Pharmakologische Institut aus seinem bis dahin in dem nahen Beginenhause gelegenen Domizil in ein neues Gebäude an der Liebigstraße umzog. Demnach wurden aus dessen bisherigem Besitz zwei Zimmer an das Psychologische Institut abgetreten, das nunmehr über fünf Räume verfügte. Inzwischen war an die Stelle von Dr. Lange, der leider aus Gesundheitsrücksichten zurückzutreten genötigt war, vom Wintersemester 1887/88 an Dr. Oswald Külpe, gegenwärtig Professor der Philosophie und Direktor des Psychologischen Instituts in Würzburg, getreten, dem während einiger Semester zuerst Dr. C. Lorenz, zurzeit Professor am Technikum in Mittweida, dann Dr. Alfred Vierkandt, jetzt Dozent der Ethnologie in Berlin, und endlich vom Herbst 1888 an Dr. A. Kirschmann, jetzt Professor der Psychologie und Direktor des psychologischen Laboratoriums in Toronto, Kan., als Famuli und Privatassistenten zur Seite standen.

      Einen für die äußere Entwicklung des Instituts überaus wichtigen Fortschritt führte in den nächsten Jahren der infolge des Umbaues der Universität erfolgende Abbruch seiner bisherigen Wohnstätte, des Konviktgebäudes, und der dadurch nötig gewordene zeitweilige Umzug eines großen Teiles der Universität in das Triersche Institut am Grimmaischen Steinweg mit sich. Hier erhielt das Institut durch seine Unterbringung im zweiten Stockwerk des Hauses Grimm. Steinweg 12 zum erstenmal auskömmliche Räume, die, nach Süden, Norden und Osten und in der Nähe eines geeigneten Auditoriums gelegen, im ganzen elf Arbeitszimmer umfaßten. Dieses provisorische Institut ist von Prof. Wundt auf Ersuchen des Kgl. Preußischen Unterrichtsministeriums in dem Werk "Die deutschen Universitäten" bei Gelegenheit der Weltausstellung in Chicago (S. 450 ff.) geschildert worden. Der größere Raum, der hier zur Verfügung stand, machte es möglich, von nun an die Aufnahme von Teilnehmern an den Arbeiten und Übungen nicht mehr bloß auf einzelne zu beschränken, sondern dem sich erhöhenden Bedürfnisse entsprechend allmählich zu erweitern. Dabei machte sich freilich zugleich die Notwendigkeit geltend, für die Leitung der Arbeiten noch eine weitere Hilfskraft beizuziehen. Vom Herbst 1891 an suchte daher der Direktor zunächst durch Anstellung eines Privatassistenten aus eigenen Mitteln dem Mangel abzuhelfen, bis im Sommer 1894 das Kgl. Ministerium die offizielle Anstellung eines zweiten Assistenten genehmigte. Von der gleichen Zeit an erschien die Ankündigung des Instituts im Vorlesungsverzeichnis, wie noch gegenwärtig, mit der Einteilung in den einmal wöchentlich von einem der Assistenten zweistündig gehaltenen Einführungskursus für neu Eintretende und in Arbeiten und Übungen der Teilnehmer, für die das Institut Montag bis Freitag von 2-7 und Sonnabend von 2-4 Uhr geöffnet ist.

      In dem Vierteljahrhundert, das so seit dem Übergang des Psychologischen Instituts aus einem privaten Seminar in ein öffentliches Universitätsinstitut verflossen, ist eine Reihe von Assistenten an demselben tätig gewesen, von denen mehrere heute selbst als Direktoren psychologischer Institute innerhalb wie außerhalb Deutschlands wirken. Nicht minder haben dem Institut als Teilnehmer an den Übungen manche jetzt an auswärtigen, namentlich an amerikanischen Universitäten tätige Dozenten der Psychologie und Leiter psychologischer Laboratorien angehört. Als Assistenten des Instituts zählt unser Katalog vom Jahre 1883 an die folgenden auf, von denen die ersten schon oben genannt worden sind. Den Namen und Jahren ihres Wirkens am Institut wird in Klammer die jetzige Stellung beigefügt, soweit diese bekannt ist: James Mc Keen Cattell 1885-86 (Professor an der Columbia-Universität N. Y.), Ludwig Lange 1886-87 (Dr. phil. in Tübingen), Oswald Külpe 1887-94 (Professor in Würzburg), August Kirschmann 1889-92 (Professor in Toronto, Kan.), Ernst Meumann 1892-97 (Professor in Münster i. W.), Friedrich Kiesow 1892-96 (Professor in Turin), Paul Mentz 1896-99 (Privatdozent in Leipzig), Erich Mosch 1897-99 (Gymnasialoberlehrer in Charlottenburg), Robert Müller 1899-1900 (Dr. phil. et med.), Wolfgang Möbius 1899 bis 1900 (Dr. phil.), Wilhelm Wirth seit 1900 (a. o. Professor in Leipzig), Ernst Dürr 1901-02 (Professor in Bern), Felix Krueger 1902-06 (von 1906-08 als Professor nach Buenos Aires beurlaubt), Otto Klemm seit 1906 (Dr. phil.), Paul Salow seit 1908 (Dr. phil.). Seit dem Sommer 1908 ist Dr. W. Wirth zum etatmäßigen außerordentlichen Professor und Mitdirektor des Instituts ernannt, neben dem und dem Direktor Dr. Otto Klemm und Dr. Paul Salow die Übungen und Arbeiten leiten.

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II. BESCHREIBUNG DES INSTITUTS.

      Seit der Vollendung des Neubaues der Universität im Herbst 1896 befindet sich das Psychologische Institut in dem Obergeschoß der aneinander stoßenden nach Süden und Westen gerichteten Teile des Johanneum und Paulinum, die hier derart ineinander übergehen, daß das Institut die Verbindung zwischen diesen Gebäuden herstellt. Der beistehende Grundriß gibt eine Übersicht der Einteilung; zugleich sind in ihm die anstoßenden Auditorien, die den psychologischen Lehrzwecken dienen, mit aufgenommen. Von diesen hat das große amphitheatralisch gebaute Auditorium A 492 Sitzplätze. Durch Oberlicht beleuchtet, kann es mittels eines durch Elektromotoren zu bewegenden schwarzen Vorhangs in wenig Minuten verdunkelt werden. Außerdem besitzt es unmittelbar an dem mit einem größeren Tisch versehenen Katheder die Vorrichtungen für die Zuleitung von Gas und Elektrizität, sowie für Drahtverbindungen nach dem Laboratorium für die an die Benutzung hier befindlicher Apparate gebundenen Versuche. Das kleine Auditorium B hat 98 Sitzplätze. Es dient zu Vorlesungen über speziellere Gebiete der Psychologie und ist daher zum Zweck der Verdunklung mit dichten schwarzen Vitragen an den Fenstern sowie ebenfalls mit Einrichtungen für die Zuleitung von Gas, Elektrizität usw. versehen. Das Laboratorium selbst hat zwei Eingänge. Davon ist der eine nach dem Auditorienhaus gerichtete nur für den Zugang zu den Vorlesungsräumen bestimmt, der andere, am Treppenhaus gelegene ist der allgemeine für die Besucher des Instituts. Beide münden auf den durch eine nach Norden gerichtete Fensterreihe erhellten Korridor. Von diesem ist nach Osten ein kleiner Arbeitsraum 1 abgetrennt, der wegen seiner gleichmäßig hellen Nordbeleuchtung für gewisse Zwecke nützlich ist. In ihm befindet sich zugleich ein auf dem Fundament des Hauses fester Marmortisch St. Wird die vom Raum 1 nach dem Laboratorium gehende große Flügeltür geöffnet, so entsteht ein sehr heller Gang von 37,10 m Länge, der für Versuche, bei denen man größerer Entfernungen bedarf, zur Verfügung ist. Die nach Süden gerichtete, dem Johanneum angehörige Zimmerflucht ist vorzugsweise für optische Arbeiten bestimmt. So zunächst das an Wänden, Decke und Fußboden schwarz gestrichene Dunkelzimmer 2b mit dem dazu gehörigen Vorraum 2a, vor welch letzterem ein Balkon mit Vorrichtungen zur Aufstellung des Heliostaten bei Beobachtungen mit Sonnenlicht angebracht ist. Außerdem befindet sich in diesem Vorraum eine Bogenlampe mit nötigem Zubehör, eine Ladestation für Akkumulatoren u. a. In dem Dunkelzimmer 2 b selbst sind die jeweils nach den Versuchszwecken wechselnden optischen Vorrichtungen auf schwarz gestrichenen Tischen aufgestellt. Das daneben befindliche größere Zimmer 2 ist als Hauptraum für optische Versuche ebenfalls durch schwarze Vorhänge zu verdunkeln. Dasselbe gilt von 5 und 11. Nr. 3 ist das Zimmer des Direktors. Jenseits des Treppenaufgangs befindet sich dann noch ein größerer, nach der Universitätsstraße liegender Raum 6, der hauptsächlich zur Aufbewahrung von Demonstrationsapparaten für die Vorlesung, sowie zu gemeinsamen Zusammenkünften der Mitglieder des Instituts bestimmt ist. Auch ist hier eine Meidinger-Batterie von 60 Elementen in Wandschränken untergebracht. Sie dient, während für die meisten Fälle der direkte Anschluß an die allgemeine Elektrizitätsleitung von 110 Volt unter Einschaltung geeigneter Widerstände und der Strom von Akkumulatoren Verwendung finden, wesentlich nur für chronoskopische Zwecke, bei denen eine sehr große und durch Wochen andauernde Konstanz der Stromstärke erfordert wird. Unmittelbar dem Zimmer 6 gegenüber liegt der Eingang zu dem zweiten nach Osten und Westen gelegenen Teil des Laboratoriums. Er zerfällt in die nach der Universitätsstraße gehenden, gemeinsamen Zwecken dienenden Räume 15, 14 und 13, und in die dem Universitätshof zugekehrten einzelnen Arbeitsräume 7 bis 12, die zur Sicherung vor Geräusch mit großen Doppelfenstern versehen sind. Von diesen mit Einschluß des Vorzimmers 12a zehn einzelne größere und kleinere Zimmer zählenden Räumen dient 15 als Garderobe und als Aufbewahrungsraum für die in der Vorlesung gebrauchten Demonstrationstafeln, die hier in mehreren Schränken untergebracht sind. 14 ist das Lesezimmer, in welchem sich die Handbibliothek des Instituts, ebenfalls in verschließbaren Schränken, befindet. Nr. 13 ist ein kleiner Handwerksraum, mit den notwendigen Werkzeugen ausgestattet. Nach Osten liegen dann diesen Räumen gegenüber und teils von der Garderobe, teils vom Lesezimmer aus zugänglich, aber voneinander durch dichte Wände getrennt: Nr. 7 das Zimmer des Mitdirektors, 8 ein Arbeitsraum mit Linoleumboden, in welchem ein Fallphonometer Aufnahme gefunden hat, 9 ein größerer, hauptsächlich zu akustischen Versuchen dienender Arbeitsraum, endlich 10 und 11 zwei weitere, verschiedenen Zwecken bestimmte Experimentierräume. Die letzte Abteilung bildet das "Stillezimmer" 12 mit dazu gehörigem kleinem Vorraum 12a. Das Stillezimmer ist zur vollkommenen Sicherung gegen äußere Geräusche gegen den Vorraum durch eine Matratzentür geschützt und außerdem von Doppelmauern mit zwischengelagertem Schutt umgeben. Für isolierte Schalleitungen ist es gegen die benachbarten Räume 12a und 13 und durch eine weitere, nach beiden Seiten schalldicht verschließbare Röhre mit 9 verbunden. Um es zugleich als Dunkelzimmer verwenden zu können, ist es außerdem, ähnlich wie das Dunkelzimmer 2b, innen schwarz gestrichen. Es bleibt schließlich noch zu bemerken, daß alle Räume des Instituts, die zu experimentellen Arbeiten dienen, untereinander sowohl mit Leitungen für den Starkstrom, wie mit solchen für Akkumulatoren und für die Meidinger-Batterie in Nr. 6 versehen sind. Eine solche allseitige Verbindung zum Behuf der Zuführung von Strömen als Kraftquellen, wie von Signalen und Telephonleitungen ist durch die besonderen Bedingungen des psychologischen Experiments geboten, da dieses für viele Zwecke das Arbeiten der verschiedenen Teilnehmer einer Versuchsgruppe in getrennten Räumen erforderlich macht. Ebenso ist in diesen Bedingungen die Teilung des Laboratoriums in eine verhältnismäßig große Zahl kleinerer Zimmer begründet, neben denen nur wenige größere für spezielle räumlich ausgedehntere Versuchsanordnungen nötig sind. Überdies ist ein Zusammenarbeiten mehrerer unabhängiger Beobachter in einem und demselben Raum, wie ein solches in physikalischen und chemischen Laboratorien in der Regel stattfinden kann, hier durchgehends ausgeschlossen.

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III. APPARATE UND LEHRMITTEL.

      Das Verhältnis der experimentellen Psychologie zu den benachbarten naturwissenschaftlichen Gebieten, speziell zur Physik und Physiologie, bringt es mit sich, daß jener ein großer Teil des Instrumentariums, über das sie verfügen muß, mit diesen gemeinsam ist. Es kann darum hier von einer Aufzählung des ganzen umfänglichen Teils der hierher gehörigen Apparate abgesehen werden; und es mag genügen, auf einige speziellere Richtungen hinzuweisen, nach denen sich die experimentelle psychologische Technik vermöge der Eigenart der ihr gestellten Aufgaben entwickelt, oder nach denen sie die ihr durch die älteren Disziplinen zur Verfügung gestellten instrumentellen Hilfsmittel ergänzt hat. Zunächst gehören hierher die zahlreichen Vorrichtungen, zu denen die Aufgaben der Intensitätsmessung der Empfindungen herausfordern. Es ist dies das spezielle Gebiet der "Psychophysik" im Sinne Fechners, das mit dem Fortschritt der Untersuchungen eine zunehmende Ausgestaltung der zur Erzeugung gleichmäßiger und genau meßbarer Sinnesreize auf allen Sinnesgebieten erforderlichen Apparate herbeiführte (Fallphonometer, Photometer, Druckwage für Tastversuche usw.). Daran schließt sich als ein zweites wichtiges Gebiet das der Qualität der Empfindungen, wiederum nach der Sonderung in die einzelnen Sinnesgebiete. Hier bedurfte das psychologische Inventar besonders für akustische Zwecke einer erheblichen Differenzierung gegenüber dem in physikalischen und physiologischen Laboratorien üblichen Umfang. Das Leipziger Laboratorium verfügt so über eine Stimmgabelserie, die in zahlreichen kleinen Abstufungen die Töne von 32 Doppelschw. bis zu 2024 und von da an in etwas größeren Abständen die bekannten Serien höchster hörbarer Töne in kleinen Stimmgabeln und Pfeifen bis zu etwa 60000 Schw. umfaßt. Diese Serien stammen teils aus der Werkstätte von R. König in Paris, teils aus der von G. und A. Appun in Hanau. Dazu kommen sogenannte Appunsche Tonmesser, in Zungenpfeifenklängen, die Töne von 32 bis 1024 Schw., und ein Obertöneapparat, die 60 Obertöne eines tiefen C = 32 Schw. umfassend, mehrere Akkordapparate in Lippen- und Zungenpfeifen mit Verstärkungspfeifen für die charakteristischen Differenz- und Obertöne u. a. Ähnlich verfügt das Institut über die üblichen photometrischen Vorrichtungen, über einen größeren Apparat zur Sonderung und zur Mischung der Farben des prismatischen Spektrums, einen in dem Zimmer Nr. 4 aufgestellten Helmholtzschen Farbenmischapparat (H) usw. In dritter Linie kommen dazu die im wesentlichen der Physiologie entlehnten, aber mit Rücksicht auf die speziellen psychologischen Zwecke zum Teil besonderer Modifikationen bedürftigen Apparate zur graphischen Registrierung von Puls, Atmung und Volumschwankungen infolge veränderter Blut gefäßinnervation. An sie schließen sich die zum Teil ähnliche Verfahrungsweisen verwendenden phonographischen Apparate an, unter denen der von Krueger und Wirth beschriebene Kehltonschreiber besonders erwähnt werden mag. Alle diese Vorrichtungen, besonders die plethysmographischen, die sphygmo- und pneumographischen, sind in ihrer psychologischen Verwendung spezifischen Bedingungen unterworfen, weil sie als Haupthilfsmittel für die physiologische Symptomatik der Gefühle und Affekte dienen. In vierter Linie seien ferner die chronometrischen Apparate genannt, die ganz besonders für psychologische Zwecke eine wieder nach verschiedenen Richtungen gehende Ausbildung erfahren haben. Zunächst ist hier, seinem Prinzip nach an die genannten graphischen Untersuchungshilfsmittel sich anschließend, der Chronograph zu nennen. Er gestattet die Messung kleinster Zeiten bis herab zu 1/10000 Sek., zugleich mit der Möglichkeit, daß die Grenzpunkte der zu messenden Zeiträume in ihrer Lage in verschiedenen Versuchen wechseln (bald positiv, bald negativ sind). Das Institut besitzt ein älteres Instrument dieser Art, von dem Mechaniker K. Krille angefertigt, und ein neueres, wesentlich vervollkommnetes, von dem jetzigen Institutsmechaniker E. Zimmermann ausgeführt. Ferner verfügt es über drei Hippsche Chronoskope, zwei älterer und eines neuerer Konstruktion, nebst den dazu nötigen Hilfsapparaten, Kontrollhammer usw. Alle diese zeitmessenden Vorrichtungen finden hauptsächlich bei den sogenannten "Reaktionsversuchen" Verwendung, die in ihren verschiedenen Modifikationen darauf ausgehen, den Zeitverlauf vom Moment einer Reizeinwirkung bis zu einer darauf eintretenden Willensreaktion, eventuell unter Einschaltung verschiedener psychischer Zwischenvorgänge, zu ermitteln. Der Chronograph dient überdies zur genaueren Zeitnormierung der übrigen Zeitmessungsinstrumente. An die chronometrischen Vorrichtungen schließen sich fünftens die Apparate zur Untersuchung der Zeitvorstellungen. Zu ihnen gehören zunächst die sogenannten "Zeitsinnapparate", die dazu bestimmt sind, Sinneseindrücke, vor allem Schallreize in genau abzumessenden Zeitabständen einwirken zu lassen, wobei entweder die Intensität der Eindrücke, ebenso wie ihre Qualität konstant erhalten oder ebenfalls planmäßig variiert werden kann. Das Institut verfügt über einen kleineren und über einen großen, in Zusammenhang mit einem vorzüglichen Baltzarschen Kymographion gebrauchten Apparat dieser Art, von denen besonders der letztere einer vielseitigen Verwendung fähig ist. In weiterer Folge schließen sich hier mannigfache "tachistoskopische Apparate" an. Es sind Vorrichtungen, die der Einwirkung einfacher oder zusammengesetzter Sinnes- (besonders Gesichts-) Vorstellungen auf das Bewußtsein während einer in der Regel kleinen und exakt zu bestimmenden Zeit dienen. Hierher gehören das Falltachistoskop mit Atwoodscher Vorrichtung zur Abstufung der Geschwindigkeit; ferner die von W. Wirth konstruierten Rotations- und Spiegeltachistoskope, die eine Wiederholung gleicher oder planmäßig variierter Eindrücke in genau abzumessenden Zeiten gestatten usw. Alle diese Apparate dienen zugleich der exakten Untersuchung der Aufmerksamkeitsvorgänge in ihrem Verhältnis zum Bewußtseinsumfang, zu welchen letzteren Zwecken dann noch weitere Vorrichtungen und Apparatezusammenstellungen Verwendung finden, deren Aufzählung hier zu weit führen würde. Als ein speziell der Untersuchung der Verhältnisse rhythmischer Gliederung gleichmäßiger Schalleindrücke dienender Apparat sei nur noch der "Taktierapparat" genannt, der die Erscheinungen spontaner, an die Undulationen der Apperzeption gebundener Rhythmisierung verfolgen läßt. In weiterem Umkreis schließen sich an die tachistoskopischen Instrumente die "Komplikationsapparate", die der Untersuchung der Vorstellungsverbindungen und ihrer zeitlichen Ordnung bei der Einwirkung disparater Sinneseindrücke (Schall und Licht, Gehörs- und Tastsinn oder Kombinationen zusammengesetzterer Art) dienen. Dahin gehören neben den einfacheren, für einzelne Einwirkungen bestimmten Vorrichtungen namentlich der "Pendelapparat für Komplikationsversuche", sowie die analog, aber für gleichförmige Geschwindigkeiten konstruierte "Komplikationsuhr". Endlich mag hier als einer letzten Gruppe von Apparaten der "Gedächtnisapparate" gedacht werden, unter welchem nicht ganz zweckmäßigen Ausdruck man alle die Vorrichtungen zusammenzufassen pflegt, die der qualitativen und quantitativen Untersuchung der Wiedererkennungs- und Erinnerungsvorgänge bestimmt sind. Das Institut verfügt über zwei solche nach dem Ranschburgschen Prinzip konstruierte, von Wirth verbesserte Apparate.

      Da das Institut neben seinem Zweck, psychologische Arbeiten zu fördern, auch den Vorlesungen über die Psychologie und ihre wichtigeren Teile Demonstrationsapparate zur Verfügung zu stellen hat, so ist im Laufe der Zeit mehr und mehr darauf Bedacht genommen worden, die wichtigeren, sonst der Untersuchung dienenden Instrumente in größerer Ausführung herstellen zu lassen, wo sie dann für die Vorführung der Erscheinungen im Auditorium verwendet werden können. So besitzt das Institut ein Demonstrationschronoskop, das es gestattet, Messungen über die Reaktionsdauer und über die Zeit der in sie eingehenden psychischen Vorgänge einem großen Auditorium so vorzuführen, daß die Zeiten bis zu 1/1000 Sek. leicht aus der Ferne abgelesen werden können; ferner ein Falltachistoskop in stark vergrößerten, die Beobachtung mit bloßem Auge und in weiteren Entfernungen gestattenden Dimensionen, einen ähnlichen Pendelapparat für Komplikationsversuche, einen großen Apparat für Gedächtnisversuche usw. Dazu kommen noch die ausschließlich der Demonstration dienenden Vorrichtungen, wie die Apparate für die objektive Entwerfung des Spektrums, die Isolierung einzelner Teile desselben und die Mischung von Spektralfarben, Farbenscheiben von etwa 60 cm Durchmesser mit entsprechend großen Rotationsapparaten für die Demonstration von Farbenmischungen, Kontrasterscheinungen u. dgl., ein großes Modell für die Demonstration der Augenbewegungen, eine größere Zahl von Objekten zur Skioptikonsdemonstration von Erscheinungen aus em Gebiet der räumlichen Gesichtswahrnehmungen, besonders der sogenannten geometrisch-optischen Täuschungen, große Stimmgabeln zur Vorführung der tiefsten hörbaren Töne und zur objektiven Aufzeichnung von Tonschwingungen auf eine bewegte Fläche usw. Endlich sei eine Sammlung von groß ausgeführten Zeichnungen genannt, die als Wandtafeln in der Vorlesung dienen.

      Nach dem Tode des Mechanikers K. Krille, der in den ersten Jahren dem Institut die erforderlichen Apparate geliefert hatte, erfreut sich dieses seit vielen Jahren der Hilfe des Herrn Institutsmechanikers E. Zimmermann, der weitaus die meisten jetzt im Besitz des Instituts befindlichen Apparate angefertigt und sich um die Herstellung derselben durch die exakte Ausführung wie durch seine einsichtigen Ratschläge vielfache Verdienste erworben hat. Für kleinere im Hause erforderliche mechanische Arbeiten hat sich der gegenwärtige Aufwärter des Instituts Paul Koblischeck vorzüglich bewährt.

      Der Etat des Instituts für Instrumente war in den ersten Jahren nach seiner Begründung ein höchst bescheidener: er bewegte sich zwischen 600 und 900 M. Jetzt ist er seit einer Reihe von Jahren auf 2000 M. erhöht, wobei der Aufwand für Gas, Elektrizität und Heizung, sowie die Assistenten- und Aufwärtergehalte nicht eingerechnet sind. Ebenso wird der Aufwand für die Bibliothek teils durch die vom Direktor gelieferten Zeitschriften, teils durch Beiträge der Mitglieder bestritten. Auch als reines Instrumentenaversum würde übrigens bei dem hohen Preis der Präzisionsapparate jene Summe nicht zureichen, wenn sich nicht grundsätzlich der Aufwand aus dem Institutsetat auf die allgemeiner verwertbaren Instrumente beschränkte, wovon nur in speziellen Fällen Ausnahmen gemacht werden, während im allgemeinen den Aufwand für ihre eigenen Versuchszwecke die betreffenden Mitglieder selbst zu leisten haben. Im übrigen ist die Teilnahme an den Übungen und Arbeiten, abgesehen von dem kleinen Bibliotheksbeitrag, gratis. Doch behält sich der Direktor die Auswahl unter den erfolgten Anmeldungen vor, wobei im allgemeinen eine theoretische Kenntnis der Psychologie und zureichende naturwissenschaftliche Vorkenntnisse vorausgesetzt werden.

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IV. LEHR- UND ARBEITSPLAN.

      Die Tätigkeit des Laboratoriums zerfällt in zwei Abteilungen: in einen Einführungskursus, der semesterweise abwechselnd von einem der Assistenten wöchentlich, wie schon oben bemerkt, in zwei Vormittagsstunden abgehalten wird, und in die speziellen Arbeiten der Teilnehmer. Der Einführungskursus ist dazu bestimmt, die in das Laboratorium neu Eingetretenen mit den experimentellen Methoden und Hilfsmitteln im allgemeinen bekannt zu machen. Zu diesem Zweck werden die hauptsächlichsten Instrumente in einer planmäßigen Reihenfolge demonstriert, und es werden die Studierenden zu der Ausführung eigener Experimente angeleitet. Der Plan für die spezielleren Arbeiten wird in jedem Semester am Eröffnungstage des Instituts in einer besonders dazu anberaumten Versammlung aller Mitglieder festgestellt. Es werden zu diesem Zweck zunächst von dem Direktor die zu bearbeitenden Themata, und zwar sowohl die aus den vorangegangenen Semestern übernommenen wie die neu gewählten mitgeteilt. Bei den letzteren wird zugleich tunlichst auf etwaige spezielle Wünsche der einzelnen älteren Mitglieder, die sich für ein bestimmtes Thema interessieren, Rücksicht genommen. Dann wird eine Verteilung der Mitglieder in die einzelnen Gruppen vorgenommen, deren jede sich mit einem bestimmten Thema zu beschäftigen hat. Der Zutritt zu einer Gruppe erfolgt freiwillig, und es ist, sofern eine Zeitkollision zu vermeiden ist, jedem Mitglied die Teilnahme an mehreren Gruppen gestattet. Diese Gruppeneinteilung ist in der Regel bei psychologischen Versuchen gefordert, da bei ihnen Beobachter und Experimentator meist verschiedene Personen sein müssen und es überdies wünschenswert ist, daß die Resultate eines einzelnen Beobachters durch die anderer kontrolliert werden. Auch kann es bei komplizierteren Versuchseinrichtungen vorkommen, daß es nötig ist, die verschiedenen Teile der Apparate durch mehrere Experimentatoren bedienen zu lassen. Demgegenüber sind nur wenige Aufgaben zur Behandlung durch eine einzige Person, die dann die Eigenschaften des Beobachters und Experimentators in sich vereinigt, geeignet. Nach der Verteilung der Mitglieder in die einzelnen Gruppen wird der Stundenplan für das folgende Semester festgestellt, mit dem zugleich die geeignete Verteilung der Arbeitsräume an die Gruppen innerhalb der für die Arbeiten bestimmten Zeit stattfindet. Nach der Konstituierung der Gruppen wird ferner für jede ein Leiter designiert. Als solcher funktioniert regelmäßig ein älteres Mitglied des Instituts, das sich in vorangegangenen Semestern durch die Mithilfe an andern Arbeiten bereits erprobt hat. Dieser Leiter der Gruppe hat dann schließlich auch die Versuche zu bearbeiten und, falls sie sich dazu eignen, ihre Veröffentlichung zu redigieren. Übrigens werden die Versuchsprotokolle selbst in jedem Falle, ob nun die Untersuchung publiziert worden ist oder nicht, als Eigentum des Instituts betrachtet. Bei Untersuchungen, die sich durch eine längere Reihe von Semestern hinziehen, kann es vorkommen, daß eine Gruppe ihren Leiter wechselt. Häufiger noch treten aus der Reihe der sonstigen Mitarbeiter einzelne ein und andere aus, besonders im Beginn eines Semesters. Darum ist es wichtig, daß der Leiter der Gruppe die Kontinuität der Untersuchung aufrecht erhält, und es wird von vornherein auf die hierzu voraussichtlich nötige Dauer seines Aufenthalts an der Universität Rücksicht genommen. Eine solche dauernde Leitung bietet, abgesehen von der Kontinuität der Arbeit, den Vorteil, daß jeder dieser Versuchsleiter sich mehr und mehr in die Funktionen eines Nebenassistenten einlebt, der die Anfänger seiner Gruppe in die Methodik und Technik der Versuche einführt.

      Die Veröffentlichung der meisten im Institut ausgeführten Arbeiten ist, soweit sie überhaupt zu einer solchen geeignet erschienen, in den "Philosophischen Studien" erfolgt, die in den Jahren 1883 bis 1903 in 20 Bänden erschienen, die aber neben den experimentell psychologischen auch einzelne philosophische Arbeiten enthielten. Manche der hier abgedruckten Abhandlungen hatten außerdem zuvor als Dissertationen für die Doktorpromotion bei der philosophischen Fakultät gedient. Von 1905 an sind an die Stelle des genannten Publikationsorgans die "Psychologischen Studien" getreten, die nur noch Arbeiten aus dem Institut und einzelne Arbeiten früherer Mitglieder desselben enthalten, welche sich an die hier begonnenen anschließen. Die folgende kurze Statistik über die den Hauptgebieten der experimentellen Psychologie gewidmeten Arbeiten mag schließlich einen Überblick über den Umfang und die Richtungen der Untersuchungen geben, nach denen sich die Tätigkeit des Instituts seit seiner Begründung erstreckt hat. Es beziehen sich auf die Intensität der Empfindungen (die Fragen der "Psychophysik" im engeren Sinne) 14, auf die Tastempfindungen 7, Tonpsychologie 12, Lichtempfindungen 16, Geschmackssinn 4 , Geruchssinn 1, räumliche Gesichtswahrnehmungen 6, Verlauf der Vorstellungen und Zeitvorstellungen (Zeitsinn) 15, experimentelle Ästhetik 3, Aufmerksamkeitsvorgänge 10, Gefühle und Affekte 7, Assoziations- und Erinnerungsvorgänge 8 größere Arbeiten. Vielleicht ist es noch von allgemeinerem Interesse zu bemerken, daß die Arbeiten über die Verhältnisse der einfachen Empfindungen neben solchen über die Raum- und Zeitvorstellungen zumeist in den Anfang der Tätigkeit des Instituts, diejenigen dagegen über die Aufmerksamkeits- und Erinnerungsvorgänge, sowie über Gefühle und Affekte der Mehrheit nach in die späteren Jahre fallen.

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